Protokoll der Sitzung vom 24.01.2001

(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Wir werden den Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher auch gegen solche populistischen Aktionen durchsetzen, solange wir keine Klarheit über die Übertragungswege haben, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Es nützt auch nichts, wenn bei schnellen Besuchen von Abgeordneten und Politikern auf Bauernhöfen den betroffenen Landwirten darüber Illusionen gemacht werden, meine Damen und Herren. Mit

Illusionen sind wir, wie vorhin gesagt, nicht besonders weit gekommen. Wahrheit und Klarheit sind jetzt erforderlich und nicht das Herumlügen um schwierige Aufgaben auch in diesem Fall, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Wir benötigen in dieser Frage eine abgestimmte Vorgehensweise von Bund und Ländern. Ich begrüße ausdrücklich die Initiative der Verbraucherministerin des Bundes. Sie hat das wissenschaftliche Steering-Komitee der EU erneut um eine fachliche Prüfung gebeten. Auf dem Agrarrat am 29. und 30. Januar sollen diese Fragen beraten werden. Wenn dort klar wird, ob Verbraucherschutz auch ohne Herdentötung und nur bei Umstrukturierung auf die Kohortentötung erfolgt, nur dann können wir diese Politik ändern.

Ich habe in diesem Zusammenhang eine zweite Bitte an die Bundesverbraucherministerin und auch an den Bundeskanzler geäußert. Wir haben in Niedersachsen in diesem Zusammenhang ein weiteres Problem, bei dem wir wissenschaftlich Klarheit brauchen. Es geht dabei um die Frage der Fischmehlverfütterung. Wir haben bei dem im letzten Jahr beschlossenen Gesetz und in den entsprechenden Verordnungen ebenfalls die Verfütterung von Fischmehl und auch den Export von Fischmehl verboten. Die Bundesrepublik Deutschland ist das einzige EU-Land, das das getan hat. Wir brauchen Klarheit darüber, ob es wirklich Anhaltspunkte dafür gibt, dass eine Übertragung über Fischmehl erfolgen kann. Wir brauchen diese Klarheit schnell, meine Damen und Herren; denn Niedersachsen hat in Cuxhaven die einzige Fischmehlverarbeitung. Es geht dabei gar nicht so sehr - obwohl das auch ein Problem ist - um die 40 Beschäftigten, sondern die gesamte deutsche Frischfischindustrie und Fangflotte liefert dort ihren Entsorgungsnachweis ab. Wenn das nicht mehr existiert, dann ist nicht nur die Existenz dieses Betriebes bedroht, sondern die Frischfangflotte auf der Ostsee und auf der Nordsee. Sie wird sich dann möglicherweise eher nach Dänemark und in andere EU-Mitgliedstaaten orientieren als in die Bundesrepublik Deutschland. Deshalb brauchen wir auch vom Bund her eine Klärung der Übertragungswege.

(Beifall bei der SPD - Frau Stokar von Neuforn [GRÜNE]: Seit wann fressen Kühe Fisch?)

- Du wirst lachen. Wenn du in die Landwirtschaft gehst, wirst du feststellen, dass sogar Fisch verfüttert wird. Interessant ist nur: Solange der Fisch nicht zu Fischmehl verarbeitet wurde, darf die Verfütterung bis heute stattfinden. Nur dort, wo er zu Mehl verarbeitet worden ist, ist die Verfütterung verboten. Eine besondere innere Sachlogik kann ich bei dieser Entscheidung auch nicht ganz erkennen.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, auch da wird es bei dem Verbot in Deutschland bleiben müssen, solange wir keine wissenschaftliche Klarheit haben.

(Frau Harms [GRÜNE]: Das Problem ist doch, dass die Eier nicht schme- cken, wenn Fischmehl im Futter war!)

- Die Fraktionsvorsitzende der Grünen macht gerade deutlich, dass für sie Sozialismus immer "Kaviar für alle" bedeutet hat, habe ich gerade erfahren,

(Frau Harms [GRÜNE]: Nein, nein!)

weil sie sich sehr für Fischeier einsetzt.

Meine Damen und Herren, sollte Brüssel anderen Lösungen den Vorzug geben, müsste übrigens auch in der Landwirtschaft z. B. geklärt werden: Welche Molkerei wird aus einem Bestand Milch und welcher Schlachter das Vieh abnehmen, wenn die Herde nicht getötet wird?

Meine Damen und Herren, ich will offen zugeben: Das zweite Problem ist das jetzt geplante Aufkaufprogramm der EU für etwa 400 000 Rinder auch in der Bundesrepublik. Ich glaube, dieses Aufkaufprogramm, um das wir wohl nicht herumkommen werden, macht in besonderer Weise deutlich, wie - entschuldigen Sie den etwas unparlamentarischen Begriff - pervers inzwischen Landwirtschaftspolitik in Europa geworden ist. Erst finanzieren wir mit Steuergeldern die Aufzucht von Rindern und dann deren Vernichtung, um die Marktpreise zu stützen. Wir werden dies wohl nicht anders machen können, um unsere Landwirtschaft auch in Niedersachsen nicht untergehen zu lassen. Aber wer, wie die Europäische Union, dies tun will, ohne BSE-Tests an den zu schlachtenden oder zu tötenden Tieren durchzuführen, der organisiert ein gigantisches BSE-Vertuschungsprogramm in Europa. Dabei werden wir nicht mitmachen, meine Damen und Herren!

(Beifall bei der SPD)

Ich begrüße deshalb die Entscheidung auch auf Bundesebene, dass die bei uns in der Bundesrepublik aufzukaufenden Rinder getestet werden und wir bei diesem Vertuschungsprogramm nicht mitmachen.

Gestern hat die Landesregierung eine Bundesratsinitiative beschlossen, mit der Niedersachsen weitere Maßnahmen für eine Begrenzung der BSERisiken dort einfordert, wo ein isoliertes Handeln Niedersachsens nicht möglich oder nicht zweckmäßig ist. Hier sind u. a. auch die Partner Deutschlands in der Europäischen Union gefordert. Ich möchte folgende Punkte nennen:

Das bestehende, auf sechs Monate befristete EUweite Verbot der Tiermehlverfütterung muss auf Dauer ausgesprochen

(Beifall bei der SPD)

und auf fetthaltige tierische Erzeugnisse, von denen ein vergleichbares BSE-Risiko ausgeht, erweitert werden.

Solange keine Klarheit über die Infektionswege besteht, muss ein Verbot von protein- und fetthaltigen tierischen Bestandteilen - einschließlich der Knochen - auch für den Düngemittelbereich erfolgen.

Minister Bartels hat vorgestern mit der niedersächsischen Futtermittelindustrie vereinbart, dass sie freiwillig der offenen Deklaration schon ab Mitte Februar 2001 in Niedersachsen beitreten wird.

(Beifall bei der SPD)

Die Bereitschaft der überwiegenden Mehrheit der niedersächsischen Futtermittelindustrie begreife ich als ermutigenden Einstieg in eine nationale Regelung einer offenen und lückenlosen Deklaration der Inhaltsstoffe von Futtermitteln. Der niedersächsische Futtermittelverband hat sich auch mit der Forderung nach einer Positivliste von Futtermitteln identifiziert. Auch hier bedarf es allerdings einer gesetzlichen Regelung auf Bundesund EU-Ebene, um diese freiwillige Bereitschaft rechtlich abzusichern.

Die vorsätzlich falsche Kennzeichnung muss als Straftat geahndet werden.

(Zustimmung bei der SPD)

Eine entsprechende Bundesratsinitiative Niedersachsens haben wir gestern im Kabinett beschlossen, um gerade hier ein deutliches Zeichen für mehr Verbrauchersicherheit zu setzen.

Eine Gen-Datenbank für alle Rinder ist aufzubauen. Wir unterstützen damit eine Forderung, die von unseren Nachbarn in Sachsen-Anhalt entwickelt worden ist und am ehesten die Garantie für die Herkunftsbestimmung von Fleisch bietet.

Schafe und Ziegen sollen mit einem geeigneten Schnelltest auf BSE und Scrapie überprüft werden.

Dieser Maßnahmenkatalog, meine Damen und Herren, entfaltet seine volle Wirksamkeit nur, wenn es gelingt, bei der Europäischen Union für Akzeptanz zu werben und Mehrheiten zu gewinnen.

Die Landesregierung fordert vom Bund, im EUMinisterrat für diese Maßnahmen einzutreten. Ich glaube, wir werden auch die Unterstützung der anderen Bundesländer dafür erhalten.

Schließlich fordert Niedersachsen eine massive Verstärkung und bessere Koordinierung der BSEForschung einschließlich der humanmedizinischen Seite auf regionaler, nationaler und EU-weiter Ebene.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, es geht nicht nur um die Bewältigung der BSE-Krise, sondern es geht um übergreifende Aspekte. BSE ist nur ein Symptom für die Probleme. Wir müssen uns den Ursachen zuwenden.

Meine Damen und Herren, ich gebe denjenigen unter Ihnen im Parlament ausdrücklich Recht, die darauf hingewiesen haben, dass wir bei der Bearbeitung und anschließenden Beantwortung der vielen Fragen, die hinsichtlich der Zukunft unserer Landwirtschaft weiter offen sind, Sachverstand von außerhalb der politischen Institutionen benötigen. Mir geht es dabei um Sachverstand aus der Wissenschaft, aus den betroffenen Bereichen der Wirtschaft und aus dem Umwelt- und Verbraucherschutz. Ich habe daher eine 17-köpfige Kommission "Zukunft der Landwirtschaft - Verbraucherorientierung“ berufen und freue mich, dass sich Herr Prof. Dr. Fritz Führ vom Forschungszentrum Jülich bereit erklärt hat, den Vorsitz zu übernehmen. Sie wird die derzeitige Agrarpolitik vorbehaltlos hinterfragen und vor allem schon in

den nächsten Monaten in Niedersachsen Vorschläge für umfassende Qualitätssicherungs- und Dokumentationssysteme erarbeiten.

Ich möchte in diesem Zusammenhang hervorheben, dass wir in Niedersachsen gerade mit dem Landvolk einen aufgeschlossenen Partner finden, mit dessen Verbandsspitze uns eine vertrauensvolle Zusammenarbeit verbindet. Herr Präsident Niemeyer wird deshalb ebenso in dieser Kommission mitarbeiten wie diejenigen, die in kritischer Opposition zur traditionellen Landwirtschaftspolitik stehen.

(Zustimmung bei der SPD)

Ich habe gerne auch die Anregung der ökologisch wirtschaftenden Landwirte aufgegriffen. Wir werden natürlich den Vorschlag aus dem Bereich der ökologischen Landwirtschaft in Niedersachsen auf Erweiterung der Kommission aufgreifen. Meine Damen und Herren, wir wollen eine Kommission, bei der das Verhältnis von Wissenschaft zu Politik in der Phase der Erarbeitung 17 : 0 für die Fachleute beträgt. Ich glaube nicht, dass es sinnvoll ist, eine Kommission einzusetzen, in der die Politik mit 8 : 5 die Fachleute beherrscht.

(Beifall bei der SPD)

Wir wollen diese Arbeitsergebnisse auch in diesem Jahr, meine Damen und Herren, und nicht erst wesentlich später.

Mitte der 80er-Jahre ist BSE bei Rindern, seit Mitte der 90er-Jahre ist die neue Variante der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit beim Menschen als Problem erkannt worden. Es ist nach meiner Auffassung ein berechtigter Vorwurf an die Politik, dass in diesem Bereich die Forschung nur unzureichend stattgefunden hat. Es ist in der Tat schwer vermittelbar, dass wir noch immer nicht in der Lage sind, wirklich sichere Tests an lebenden Tieren durchzuführen.

Unser Bundesland wird seinen Beitrag leisten, um diese Versäumnisse schnellstmöglich nachzuholen. Dabei können wir auf eine kompetente Forschungslandschaft und mit der Universität Göttingen auf ein bundesweit bedeutendes Zentrum dieser Forschung zurückgreifen. In der Universität, den ansässigen Max-Planck-Instituten und im Deutschen Primatenzentrum ist das wissenschaftliche Potenzial gebündelt, um die komplexe Problematik der BSE-Krise und die daraus erwachsen

den Handlungsnotwendigkeiten interdisziplinär zu erforschen. Ich nenne drei Beispiele:

Im Bereich der Humanmedizin der Universität laufen Untersuchungen zur Verbreitung, Frühdiagnose und molekularen Pathologie der CreutzfeldtJakob-Krankheit.

Im dortigen Tierärztlichen Institut wird eine Studie zu Scrapie in der Schafzucht erarbeitet; zudem ist diese Einrichtung eine der wenigen, die anhand einer DNA-Analyse die Abstammung von Tieren zweifelsfrei bestimmen können.

Am Deutschen Primatenzentrum werden die Grundlagen für einen BSE-Test am lebenden Tier erforscht.