Protokoll der Sitzung vom 14.06.2001

Nun zu Ihrem Vorschlag, sozusagen verpflichtende Fortbildung ausgerechnet an dieser Stelle einzuführen. Wenn ich an anderer Stelle über eine solche Frage reden würde, hätten Sie wahrscheinlich durchaus Zweifel angebracht. Wir bieten Fortbildung an, und wir haben Fortbildungstagungen für Lehrkräfte und für Schulpsychologen gemacht. Vielleicht muss man hier für Beratungslehrer mehr tun. Das wird in der Ausschussberatung sicherlich noch ein Thema sein. Ich würde das gern aufgreifen, wenn dem nicht so wäre. Lehrkräfte jedoch ausgerechnet bei diesem Thema zu Fortbildungsmaßnahmen zu verpflichten, finde ich ausgesprochen schwierig, wenn man nicht insgesamt über die Frage von verpflichtender Fortbildung redet. Fortbildner sind häufig der Meinung, es bringe nichts, eine Verpflichtung auszusprechen, wenn sich jemand nicht fortbilden wolle.

Die Landeszentrale für politische Bildung, das Niedersächsische Ministerium für Frauen, Arbeit und Soziales und das Niedersächsische Landesinstitut für Fort- und Weiterbildung halten Literaturund Medienhinweise bereit. Im Verleih des NLI-Dezernats Medienpädagogik befinden sich zahlreiche Filme und Videos zu diesem Thema. Darüber hinaus können die Schulen geeignete Unterrichtsmaterialien über das Verleihprogramm Antaris ermitteln.

Im Zusammenhang mit der Gedenkstättenarbeit gibt es darüber hinaus Seminare, Ausstellungen und Publikationen, die sich mit dem Thema Lesben und Schwule in der NS-Zeit auseinander setzen. Ich könnte diese beispielhafte Aufzählung fortsetzen. Wir können es aber, so meine ich, der Ausschussberatung überlassen, Sie im Detail zu informieren.

Anfang Juli wird das Ministerium für Frauen, Arbeit und Soziales eine Studie zur Lebenssituation schwuler Jugendlicher vorstellen, die wir sorgfältig auswerten und die vielleicht ebenfalls in die Beratung einbezogen werden kann. Ich danke herzlich,

aber ich meine, dass der Antrag noch verbesserungsfähig ist. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung bei der CDU)

Das Wort hat jetzt Frau Abgeordnete Vogelsang.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Ministerin, ich bin Ihnen außerordentlich dankbar für Ihre Worte. Vieles von dem, was zu sagen ich mir vorgenommen hatte, kann ich mir nun sparen. Ich will es darum auch recht kurz machen.

Der im Niedersächsischen Schulgesetz formulierte Bildungsauftrag ist sehr komplex. Unter anderem - ich will das nicht komplett zitieren - steht da: Schule soll die Persönlichkeit der Schülerinnen und Schüler weiterentwickeln, ihre Beziehungen zu anderen Menschen nach den Grundsätzen der Toleranz zu gestalten, Konflikte vernunftmäßig lösen, aber auch ertragen zu können. In § 3, in dem es um die Freiheit der Bekenntnisse und Weltanschauungen geht, heißt es, dass auf die Empfindungen anders Denkender Rücksicht zu nehmen ist. Diese beiden Sätze enthalten in meinen Augen alles, was Sie mit Ihrem Antrag wollen. Dazu gehört auch, dass Lehrer selbstverständlich nach besten Kräften vorurteilsfreie und sachliche Informationen über die verschiedenen Möglichkeiten des Zusammenlebens und auch der sexuellen Neigungen weitergeben. Die Grundsätze von Toleranz und Rücksichtnahme auf die Empfindungen anderer sind die entscheidenden Gesichtspunkte.

Frau Litfin, Sie fordern, die Rahmenrichtlinien zu ändern. Wir alle haben immer wieder beklagt, dass die Rahmenrichtlinien im Grunde genommen viel zu voll gepfropft sind. Immer wieder wird etwas hinzugegeben, und die Lehrkräfte stehen dann vor dem Problem abzuwägen, welchen Themenbereich sie aufnehmen und wie sie damit umgehen wollen. Ich würde es von daher ablehnen, noch Zusätzliches in die Rahmenrichtlinien aufzunehmen. Im Gegenteil würde es mir sehr viel Spaß machen, mit Ihnen gemeinsam, vielleicht im Verbund mit den Damen und Herren aus dem Ministerium im Ausschuss die Rahmenrichtlinien zu entrümpeln, um den Lehrkräften die Freiheiten zu geben, die sie brauchen, um Eigeninitiative zu entfalten.

Wenn die Kinder in die Schule kommen, ist es wichtig, dass sie darüber informiert werden, wie die Mehrheit der Bevölkerung nun einmal lebt. Die Kinder entstammen heterosexuellen Beziehungen, und ihnen muss klar sein, dass sie nur deswegen auf der Welt sind.

(Zuruf von Frau Litfin [GRÜNE])

- Es sei denn, sie sind aufgrund künstlicher Befruchtung in die Welt gekommen.

(Frau Litfin [GRÜNE]: Ich sage gleich etwas dazu!)

- Gut, dann können wir uns darüber unterhalten. – Tatsache ist, dass Kinder in der großen Mehrheit auch heute noch bei Vater und Mutter in einer Familie aufwachsen und diese elterliche Gemeinschaft erfahren. Dass Sie dies in der Begründung zu Ihrem Antrag als traditionelle Liebesromantik bezeichnen, spricht für eine Weltanschauung, die ich nicht nachvollziehen kann.

(Beifall bei der CDU)

Ich weiß so gut wie Sie alle, dass unsere Kinder immer wieder erfahren müssen, das Ehen, dass Partnerschaften auseinander gehen. Sie müssen lernen, mit dem Trennungsschmerz fertig zu werden. Die zweite oder dritte Beziehung der Mutter oder des Vaters ist in der Regel nur schwer zu verarbeiten. Alle diese Dinge müssen auch im Unterricht aufgearbeitet werden. Wenn ich mir die heutige Gesellschaft anschauen, meine ich, dass dies in weiten Bereichen viel näher liegt als das, was Sie in Ihrem Antrag fordern.

Ich erlaube mir ebenfalls, anzuzweifeln, dass 10 % der Schülerinnen und Schüler an großen Schulen tatsächlich homosexuell ausgerichtet sind.

(Zustimmung bei der CDU)

Ich glaube, dass das erheblich zu hoch gegriffen ist, und freue mich schon darauf, im Ausschuss zu hören, welche Erkenntnisse hierzu für Niedersachsen vorliegen.

Meines Erachtens ist es wichtig, dass Kindern und Jugendlichen vermittelt wird, wie sie in der Gesellschaft, in der Familie mit anderen umgehen, dass sie Liebe, Vertrauen, Freundschaft, Verlässlichkeit, Hilfsbereitschaft, Rücksichtnahme und Toleranz lernen und ohne Rücksicht auf das, was jemand ist, wer er ist, wie er ist, Toleranz üben und den ande

ren so akzeptieren, wie er ist – das ist es, worauf es ankommt.

Natürlich weiß auch ich, dass die Anzahl derer -das haben wir nicht erst gestern oder heute gehört -, die sich zumindest zeitweise dem gleichen Geschlecht mehr sexuell zugetan fühlen, steigt, und es steigt auch die Bereitschaft - wir haben jüngste Beispiele gehört -, sich zu outen. Ich kritisiere das nicht. Das steht mir nicht zu. Ich toleriere das. Ich weiß auch, dass in vielen Homosexuellenbeziehungen außerordentlich reizende, nette und rücksichtsvolle Menschen leben und dass es von daher angesagt ist, ihnen keine Steine in den Weg zu legen, sondern ihnen zu helfen. Ich sehe aber nicht unbedingt, dass es eine Privilegierung geben müsste.

(Beifall bei der CDU)

Mit einer solchen Toleranz und dem Wissen um die steigende Anzahl homosexueller Partner stehe ich nicht allein. Wenn tatsächlich verlangt wird, dass die Rahmenrichtlinien explizit in diesem Punkt verändert werden, dass möglichst frühzeitig im Unterricht lesbische und schwule Lebensweisen thematisiert werden sollen, dass in den Schulbüchern ganz explizit diese Lebensweisen integraler Bestandteil sein sollen und dass sich auch die Lehrerfortbildung – wir haben das vorhin schon gehört - speziell zum Thema Homosexualität an heterosexuelle Lehrkräfte wenden soll, wenn Vertrauenslehrer und Schulpsychologen verpflichtende Fortbildungen zu dem Thema machen, dann frage ich mich, ob die Verhältnismäßigkeit wirklich noch gewahrt ist. Ich glaube das nicht.

(Beifall bei der CDU)

Wir sollten uns im Kultusausschuss berichten lassen, wie sich die Situation in Niedersachsen darstellt, ob man der Ansicht ist, dass das in den genannten Fächern Deutsch, Werte und Normen und Religion sowie Geschichte und Sozialkunde - was auch immer - ausreichend eingebracht werden kann. Sicherlich kann über das Schulverwaltungsblatt noch einmal darauf hingewiesen werden, dass es wünschenswert ist, dass insgesamt informiert wird. Mit einer ganz expliziten Bevorzugung habe ich jedoch Probleme. Ich will nicht sagen, dass der Antrag überflüssig ist, aber wir werden ihn sicherlich gemeinsam erheblich abändern müssen. Wir werden das aufnehmen müssen, was uns vom Kultusministerium dazu gesagt wird, was heute schon zur Verfügung steht. Sicherlich ist das ein

Problem, das aufzugreifen sich lohnt. Wenn ich mir die Vielzahl der Probleme anschaue, die wir beraten sollen, dann weiß ich aber nicht, ob die Verhältnismäßigkeit wirklich gewahrt ist. – Danke schön.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort hat nunmehr Frau Dr. Andretta.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Fraktion ist nicht der Meinung, dass dieser Antrag überflüssig ist. Die Diskussion hier zeigt, wie notwendig er ist.

(Beifall bei den GRÜNEN - Zustim- mung von Wulf (Oldenburg) [SPD])

Ich finde, es macht überhaupt keinen Unterschied, ob 10 %, 5 % oder nur 2 % der Jugendlichen in den Schulklassen homosexuell ausgerichtet sind. Auch dann bestünde die Notwendigkeit dieser Debatte.

„Wenn Schule ein Raum für Erfahrung werden soll, dann auch ein Raum für die Erfahrung von Alternativen.“

Diese Forderung des Bildungsexperten Hartmut von Hentig besitzt für das Thema Homosexualität und Schule besondere Gültigkeit. Natürlich ist Homosexualität schon lange kein Tabu mehr an der Schule, aber immer noch ein heißes Eisen. Mit welchen Folgen dies verbunden ist, zeigt eine sehr lesenswerte Studie – übrigens die erste im deutschsprachigen Raum durchgeführte und erst 1999 veröffentlichte Studie – zur psychosozialen Situation lesbisch, schwul und bisexuell orientierter Jugendlicher. Auftraggeber der Studie war die Berliner Senatsverwaltung für Schule, Jugend und Sport. Ergebnisse dieser Studie sind – das wird Sie nicht überraschen -: Die meisten Jugendlichen – es sind fast 80 %

(Frau Vogelsang [CDU]: 80 % von was ist die Frage!)

erleben ihr inneres Coming-out genau in der Zeit, die ohnehin sehr problembehaftet ist, in der Pubertät. Das ist eine Zeit, in der sie die Unterstützung bräuchten, die sie nicht bekommen. Nur die wenigsten haben Eltern, mit denen sie wirklich

darüber sprechen können. In der Schule wird das Thema nach wie vor selten behandelt – bestenfalls auf den Schulhöfen, und zwar über die Formen, die Sie kennen: Du Schwuler! – Du schwuler Penner! – Du Tunte! - Das sind die beliebtesten Schimpfwörter, und schlimmere Schimpfwörter möchte ich in diesem Hause nicht nennen.

Neben den nötigen Informationen im Unterricht fehlen den homosexuellen Jugendlichen auch die Vorbilder, offene lesbische und schwule Vorbilder. Denn auch das ist notwendig, damit sie eine homosexuelle Identität als normale, glückliche Lebensweise vermittelt bekommen. Genau darum geht es. Einsamkeit ist für diese Jugendlichen, die befragt worden sind, das am häufigsten genannte Problem. Und dann darf man auch nicht verschweigen, wie hoch die Zahl derjenigen befragten jungen Mädchen und Jungen ist, die Suizidgedanken hatten und versucht haben, ihrem Leben ein Ende zu setzen. Das muss man zur Kenntnis nehmen. Die Suizidgefährdung von gleichgeschlechtlich orientierten Jugendlichen und Heranwachsenden ist viermal so hoch wie die heterosexuell orientierter gleichaltriger Jugendlicher. Dies müssen wir zur Kenntnis nehmen, wenn wir hier verantwortungsbewusst Politik gestalten wollen.

(Wulf (Oldenburg) [SPD]: Sehr richtig!)

Soweit die Studie.

Dieses Thema ist nach wie vor schwierig und vorurteilsbeladen. Gerade deshalb brauchen wir den offenen und freien Umgang darüber im Unterricht. Die Aufgabe der Schule ist es, zu vermitteln, dass Homo-, Hetero- und Bisexualität gleichwertige Formen des Empfindens der sexuellen Identität des Menschen sind. Gerade deshalb, weil es nicht die Eltern sind und weil es nicht die Lehrer sind, denen sich diese Jugendlichen anvertrauen, sondern die Gleichaltrigen, die ins Vertrauen gezogen werden, ist es wichtig, dass Schülerinnen und Schüler ein offenes und sensibles Verständnis für dieses Thema haben. Entscheidend ist aber natürlich nicht nur die Aufklärung im Klassenzimmer, sondern auch in den Köpfen der Lehrerinnen und Lehrer – dazu ist hier schon einiges gesagt worden. Schule kann hier nur begrenzt wirken, weil sie immer auch ein Spiegel der Gesellschaft ist. Aber auch hier kann man einiges tun, um das Klima in den Lehrerzimmern zu verbessern.

(Frau Vogelsang [CDU]: Das können Sie heute schon!)

Man kann auch einiges tun, um an dieser Vorbildfunktion zu arbeiten. Da muss man eben auch kritisch prüfen, ob es der richtige Weg ist, dies über Fortbildungen von Beratungslehrern zu tun. Aber das ist genau die Aufgabe, die wir im Ausschuss ernst nehmen müssen. Wir müssen uns die Rahmenrichtlinien ansehen. Frau Vogelsang, bei aller Sympathie für Entrümpelung von Rahmenrichtlinien glaube ich, bei dem Thema Homosexualität brauchen wir nicht damit zu beginnen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Wir sollten uns auch im Ausschuss einmal genau ansehen, was hier eigentlich schon alles in Niedersachsen geschieht. Frau Ministerin Jürgens-Pieper hat ja einiges genannt.

(Frau Vockert [CDU]: Frau Vogel- sang auch!)

Die GEW wird im Juli eine Studie vorlegen, in deren Rahmen alle Kultusministerien zu diesem Thema befragt worden sind und auf deren Grundlage wir in einer Synopse vergleichen können, was hier alles unternommen worden ist. Ich kenne die Ergebnisse. Ich versichere Ihnen: Wir sind nicht Schlusslicht. Wir müssen uns aber fragen: Was können wir tun, um diese Fortschritte, die wir hier erreicht haben, auch nachhaltig zu verankern und sichtbar zu machen? Offenbar kommt es viel zu wenig und noch lange nicht an jeder Schule an.

Auch wir sind auf die Ergebnisse der demnächst vorgestellten Studie zur Lebenssituation schwuler Jugendlicher gespannt. Das Bild – das sage ich hier auch ganz deutlich – wird aber leider wieder einmal unvollständig bleiben müssen, da wir nichts über lesbische Jugendliche erfahren werden. Die Mädchen kommen hier nicht vor, was ich sehr bedaure.

Auf jeden Fall wird sich die SPD-Fraktion auch bei dem Thema Homosexualität und Schule dafür einsetzen, dass der verfassungsrechtlich garantierte Anspruch auf Schutz vor Diskriminierung auch Verfassungsrealität wird. – Danke.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)