Protokoll der Sitzung vom 26.10.2001

(Beifall bei den GRÜNEN)

Der Kollege Schwarzenholz hat sich zu Wort gemeldet. Ich erteile ihm das Wort für bis zu zwei Minuten.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist sehr wichtig, dass heute ein einstimmiger Beschluss zustande kommt. Das Signal wird benötigt, und zwar vor allem deshalb, weil die Unternehmensführung von MAN offensichtlich nicht bereit ist, die konkreten Bedingungen, die in Salzgitter herrschen, zu berücksichtigen. Sie haben aus einer Philosophie heraus gehandelt, die keinerlei Bereitschaft erkennen lässt, sich sozial verantwortlich für den Bereich zu verhalten, in dem diese Firma eine unendlich lange Tradition hat und in dem sie über viele Jahrzehnte hinweg sehr gute Erträge erwirtschaftet hat.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte vor allem deutlich machen, dass es in dieser Phase sehr wichtig war, dass es in Salzgitter eine starke Gewerkschaftsbewegung gibt, die sich als verant

wortlich und handlungsfähig erwiesen hat. Es gibt ein Angebot der Beschäftigten und ein geschlossenes Vorgehen der IG Metall, das es der Politik ermöglicht, zu handeln. Ein Missverständnis darf aber nicht entstehen: Es geht nicht an, dass Unternehmen Belegschaften mit Lohnverzicht oder einer drastischen Absenkung des Lohnniveaus erpressen, um Standorte zu erhalten. Wenn man einmal durchrechnet, welche wirtschaftlichen Folgen ein weiteres Absenken des Lohnniveaus in Deutschland, konkret in der Region Salzgitter, hätte, dann kann ich nur sagen: Gute Nacht. Denn nicht nur der Wegfall von Arbeitsplätzen, sondern auch der Wegfall von Kaufkraft bedroht die Struktur in der Region. Ich bin nicht dagegen - um das deutlich zu sagen -, dass MAN die europäische Einigung angeht und in Polen ein Werk errichtet. Aber der Grund darf nicht darin bestehen, dass man sagt: Ich gehe nach Polen, weil es dort ein niedrigeres Lohnniveau gibt. - Vielmehr muss es darum gehen - der europäische Markt erweitert sich -, dort Arbeitsplätze zu schaffen. Es geht nicht um eine Konkurrenz zu Polen, sondern darum, dass das gute Niveau, und zwar auch hinsichtlich des Einkommens, das wir in Deutschland haben, europäisches Niveau wird und dass die europäische Einigung von den Beschäftigten nicht als ein System verstanden wird, in dem die Einkommen abgesenkt werden. In diesem Sinne muss die Solidarität der Gewerkschaften von uns unterstützt werden. Das Signal an die Unternehmensführung muss sein: Die Menschen sind nicht erpressbar, und die Unternehmen haben Verantwortung zu tragen. Es beweist aber, wie wichtig es war, die Stahlwerksführung für Salzgitter im Land zu belassen; denn dadurch ist eine ganz andere Bindung an die Region entstanden. Am Beispiel MAN kann man erkennen, wohin es führt, wenn die Unternehmensleitung mit der Region überhaupt nichts zu tun hat.

(Zustimmung bei der SPD)

Für die Landesregierung hat Frau Dr. Knorre um das Wort gebeten.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die schwierige konjunkturelle und strukturelle Lage bei MAN in Salzgitter ist nicht nur ein Problem von MAN, sondern diese Gesamtsituation betrifft alle europäischen Nutzfahrzeughersteller. Die

Branche hat auf diese Situation mit Konzentration reagiert. Viele von Ihnen haben das wahrscheinlich verfolgt. 1994 haben sich die bedeutenden Bushersteller in Europa Setra und Mercedes, 1998 Fiat, Renault und Ikarus und in diesem Jahr MAN und Neoplan, die nun unter einem gemeinsamen Dach agieren, zusammengeschlossen. Als selbständige Hersteller gibt es derzeit in Europa nur noch Volvo und Scania am Markt. Auf diese insgesamt europaweit veränderte Situation hin hat die Zentrale der MAN-Nutzfahrzeug AG in München die Gesamtsituation neu bewertet und sie mit ihrem Betriebsausschuss in verschiedenen Strukturkonzepten für die Werke in Europa umgesetzt. Das Ergebnis war, dass man in Europa insgesamt rund 4 000 Arbeitsplätze abbauen will. Davon ist auch, wie wir wissen, das Werk in Salzgitter betroffen. Das Wirtschaftsministerium in Hannover - auch ich - hat sich nach Bekanntgabe dieser Pläne im Sommer mit der Werksleitung in Salzgitter und dem Betriebsrat intensiv darüber unterhalten. In dieser Woche hat der Vorstandsvorsitzende der MAN AG den Ministerpräsidenten und mich noch einmal über diese Pläne persönlich informiert. Danach werden - das ist die bekannte Zahl - am Standort Salzgitter 850 Arbeitsplätze bis Ende des Jahres abgebaut. Diese Aussage kennen Sie alle. Es steht aber auch die Aussage, dass dieser Arbeitsplatzabbau sozialverträglich erfolgen soll. Das war die Aussage des Vorstandsvorsitzenden vom Dienstagabend.

(Zuruf von der CDU: Was heißt denn das?)

Meine Damen und Herren, das Ergebnis der Gespräche von gestern Abend bestätigt die Zusage, die uns vom Vorstandsvorsitzenden am Dienstagabend gegeben worden ist. Insofern freue ich mich, dass in der Tat eine sehr besonnene Haltung gezeigt wird, insbesondere dass es keine betriebsbedingten Kündigungen geben wird.

Strukturverbesserungen sollen - auch das haben wir diskutiert - durch Verlagerungen in das Werk nach Posen erzeugt werden. MAN verhält sich damit wie andere Fahrzeughersteller. Eine solche Strategie - das sollte man deutlich sagen, Herr Eppers - führt oft dazu, dass es die Überlebensfähigkeit eines Unternehmens stärkt und nicht schwächt. Ich meine, bei aller Betroffenheit vor Ort gehört es dazu, dieses einmal nüchtern festzustellen. Frau Steiner, nicht jede Schlagzeile über einen möglichen Arbeitsplatzabbau mit einer Verlagerung in ein Beitrittsland der Europäischen

Union sollte gleich dazu führen, in Panikmache zu verfallen. Gerade das Beispiel WABCO zeigt dies deutlich. Wir sind ausdrücklich vom Betriebsrat gebeten worden, heute noch einmal deutlich zu machen, dass es keine akuten Probleme gibt und dass sich der Betriebsrat verbittet, eine solche Diskussion anhand von Schlagzeilen in der Presse zu führen. Mir liegt viel daran, dieses deutlich zu machen: Wir haben gute Unternehmen am Standort Niedersachsen. Lassen Sie uns diese bitte nicht kaputtreden, sondern Betriebsleitungen, Unternehmensleitungen und Betriebsräten die Chance geben, diesen Strukturwandel konstruktiv zu Ende zu führen.

(Beifall bei der SPD)

Zurück zu MAN: Die Unternehmensleitung hat uns positive Botschaften hinterlassen. Diese möchte ich Ihnen noch einmal nennen: Es gibt ein klares Bekenntnis zum Standort Salzgitter. Salzgitter bleibt das Zentrum der Busproduktion. Es bleibt Sitz der Entwicklung und der Geschäftsführung der Bussparte und integrierter Bestandteil der LkwProduktion. Der Vorstand hat ebenso erklärt, dass es bei verbesserter Geschäftslage im Lkw-Bereich Rückverlagerung mit den entsprechenden positiven Arbeitsplatzeffekten geben wird.

Meine Damen und Herren, es gibt einen Strukturwandel in diesen Branchen. Das ist nicht zu verkennen. Aber es ist Aufgabe der Landesregierung, diesen Strukturwandel nach vorne zu begleiten, indem wir den Trend Wertschöpfung im FuE-Bereich, wie bei MAN in Salzgitter, die Wertschöpfung in Richtung Dienstleistung, also alle nach vorne gerichteten Aktivitäten der Unternehmen unterstützen. Dies ist der richtige Weg für Arbeitsplätze. Das ist genau das Ziel, das die Landesregierung mit ihrer Wirtschaftspolitik verfolgt.

Meine Damen und Herren, ich möchte auch betonen, dass gerade Betriebsrat und IG Metall mit ihren Vorschlägen deutlich gemacht haben, dass sie zur Verantwortung für den Erhalt des Standortes stehen, und dieses auch dokumentieren. Das positive Zwischenergebnis von gestern Abend ist nicht zuletzt das Ergebnis dieser sehr konstruktiven Haltung. Die Landesregierung wird auch weiterhin zu Gesprächen über begleitende Maßnahmen bereit sein. Wir werden selbstverständlich, Herr Eppers, versuchen, die Rahmenbedingungen so optimal wie möglich zu gestalten. Dazu gehört beispielsweise eine kontinuierliche Busförderung, die wir

den Verkehrsunternehmen des Landes in Höhe von rund 36 Millionen DM pro Jahr anbieten.

Insgesamt - lassen Sie mich das auch sagen - hat die Landesregierung diesen von mir eben skizzierten Strukturwandel nach vorne gerade am Standort Salzgitter in den letzten drei Jahren mit rund 15 Millionen DM gefördert. Wir haben mit einem Investitionsvolumen von rund 276 Millionen DM Zukunftsbereiche in Salzgitter angestoßen. Das möchte ich an dieser Stelle einfach auch noch einmal erwähnen.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, ich bin den drei Landtagsfraktionen in der Tat sehr dankbar dafür, dass sie hier heute einen gemeinsamen Antrag vorgelegt haben. Er macht, wie ich glaube, deutlich, dass bei allen kritischen Situationen auch im Niedersächsischen Landtag eine konstruktive und besonnene Haltung eingenommen wird. Schließlich möchte ich nur noch die eine Bitte äußern, dass nämlich von allen Seiten der militaristische Begriff der Niedersachsenfront vermieden wird. Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Für die CDU hat sich der Kollege Wulff gemeldet. In der regulären Zeit steht ihm noch eine Redezeit von bis zu fünfeinhalb Minuten zu.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir begrüßen - das hat der Kollege Eppers gesagt - außerordentlich, dass wir uns hier geschlossen für die Beschäftigten bei MAN einsetzen. Natürlich hat diese Geschlossenheit ganz wesentlich dazu beigetragen, dass sich der Vorstand gestern Abend gesprächsbereit gezeigt hat. Das weiß die IG Metall, das weiß der Betriebsrat. Wir finden, dass vom Betriebsrat kluge Alternativen aufgezeigt worden sind, die schlichtweg aufgegriffen werden müssen.

Wir würden unsere Pflicht im Landtag allerdings nicht erfüllen, wenn wir nicht auch über die momentane dramatische Lage, die mit dem Schlagwort „Niedersachsen verliert immer mehr Jobs“ überschrieben werden kann, hier diskutieren und

nach Möglichkeit ähnliche Schlussfolgerungen daraus ziehen würden.

(Beifall bei der CDU)

Wer sich die Statistik anschaut, wird feststellen, dass die Zahl der Insolvenzen und der Pleiten in Deutschland um 19 % und in Niedersachsen um 30 % gestiegen ist, während der Anstieg der Insolvenzen in Hessen beispielsweise nur bei 1 % liegt.

(Frau Hansen [CDU]: Hört, hört!)

Das heißt, es gibt hier ganz starke Unterschiede. Wir haben zu konstatieren, dass Deutschland beim Wachstum derzeit das Schlusslicht der 17 führenden Industriestaaten in Europa ist und Niedersachsen mit 0,5 % Wachstum im ersten Halbjahr zusammen mit Schleswig-Holstein das Schlusslicht in Deutschland ist und damit erstmals hinter Sachsen liegt.

(Dr. Schultze [SPD]: Was soll das denn nun wieder?)

Das heißt, das Wachstum in Niedersachsen fällt geringer aus als das in Sachsen. Das sagen uns die Statistiker zur wirtschaftlichen Situation in Niedersachsen und Deutschland.

(Beifall bei der CDU - Beckmann [SPD]: Dafür baut Volkswagen Autos in Sachsen!)

Natürlich gibt es hier auch Besonderheiten: Durch den Anstieg der Zahl der Insolvenzen und Pleiten im Transportgewerbe, also im Speditions- und Güterverkehrsgewerbe, um 69 % bewahrheitet sich in trauriger Weise das, was wir hier gesagt haben, dass nämlich die Maut angesichts des internationalen Wettbewerbs aktive Sterbehilfe ist. Wer im Bündel Ökosteuern und Maut einführt sowie die Abschreibungsbedingungen durch Veränderung der AfA-Tabellen verschlechtert,

(Dr. Schultze [SPD]: Das kommt doch erst!)

darf sich nicht wundern, dass niemand mehr Lkws oder Busse bestellen kann. Deshalb sind Signale nötig, die hier für Veränderung sorgen.

(Beifall bei der CDU)

Natürlich betrifft es die Firma MAN, wenn die Zahl der Betriebsaufgaben im Transportgewerbe gegenüber dem vergangenen Jahr um mehr als

69 % ansteigt. Natürlich gibt es dann weniger, die in diesem Bereich die Nachfrage beleben könnten. Das ist so klar wie das Amen in der Kirche.

(Zustimmung bei der CDU - Beck- mann [SPD]: Warum redest du alles kaputt?)

Wir wollen, dass aus der Tatsache, dass die Verantwortung immer abgeschoben wird, Konsequenzen gezogen werden. Es ist eben ein ständiges Ärgernis, dass wir uns nie mit unserer Situation und unserer Verantwortung hier befassen, sondern immer mit dem Finger auf andere zeigen. Das traf jahrelang Bonn; jetzt, wo Sie in Berlin regieren, trifft es die Europäische Union und die Osterweiterung. Immer sind andere schuld. Nein, es gibt auch hier Mitschuld an der wirtschaftlichen Entwicklung; über die wollen wir reden.

(Beifall bei der CDU - Zuruf von Wenzel [GRÜNE])

Ich bin, meine sehr verehrten Damen und Herren, ein großer Anhänger der Prävention, der Vorbeugung. Es macht keinen Sinn, hier nur ständig darüber zu reden, wo wir Feuerwehrmann spielen können. Wir müssen doch einmal darüber reden, wie wir mehr Brände verhindern können, damit wir seltener Feuerwehr in Niedersachsens Wirtschaft spielen müssen.

(Beifall bei der CDU - Zuruf von der SPD: Dafür gibt es durchaus einfache Lösungen!)

Wir müssten heute ähnliche Entschließungen bezüglich der Firmen Osram in Göttingen oder WACO in Hannover treffen. Wir dürfen aber auch die vielen Handwerker und Mittelständler nicht vergessen, wenn wir uns um den Erhalt von Arbeitsplätzen in bestimmten Unternehmen kümmern.

(Beifall bei der CDU)

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Wenzel?

Ich habe nur noch zwei Minuten, die ich für die Argumente verwenden möchte, die wir vorzubringen haben.

(Frau Harms [GRÜNE]: Bringen Sie einmal Argumente! Das wäre gut! - Zuruf von Wenzel [GRÜNE])

Sie müssten heute noch Respekt vor uns haben, mit welchem Gleichmut wir das ertragen haben, als Sie über Jahre behaupteten, dass, wenn Sie die Regierung im Bund übernehmen würden, alles besser würde, und zwar angesichts Ihres Verhaltens, das ich hier erlebe, wenn Sie sich nur einmal ein paar Argumente anhören sollen.

(Beifall bei der CDU - Frau Harms [GRÜNE]: Wir warten darauf!)