Protokoll der Sitzung vom 04.03.2003

(Rebecca Harms [GRÜNE]: Herr Wulff, ein Wort noch zur Bundesgar- tenschau!)

- Ich weiß, dass Sie der Kulturförderung eine begrenzte Bewandtnis beimessen, weil Sie sagen, das entwickelt sich von sich aus oder gar nicht.

(Rebecca Harms [GRÜNE]: Ich muss diese Frage stellen!)

Wir meinen, dass sich das auch mit staatlichem Schutz und Rahmen und einer gewissen Verantwortlichkeit der Politik entwickeln sollte. Wenn wir z. B. das Patenland von Schlesien sind, dann sollten wir die Patenschaft auch leben und dürfen sie nicht einfach ausbluten lassen, wie Sie das gemacht haben, indem man sich der Verantwortung entzieht.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Ich bin zwar auch einmal darauf aufmerksam gemacht worden, dass man in jedem Land der Welt, in das man reist, immer das Land, in das man gereist ist, in der Mitte der Karte sieht. Das ist eine Augenfälligkeit, die Länder so an sich haben. Aber im Falle unseres Landes Niedersachsen liegen wir zweifelsfrei in den meisten europäischen Karten zu Recht in der Mitte. Ich kam durch Schlesien darauf, weil Sie gerade etwas hilfesuchend zur Regierungsbank schauen. Ich meine, wir müssen aus dem Thema der Osterweiterung etwas für Niedersachsen machen. Hier muss die Musik spielen. Hier laufen die Ost-West- und Nord-Süd-Trassen. Hier findet die Musik statt, wenn wir es richtig machen, oder auch nicht, wenn wir es falsch machen. Gerade damit wollen wir Schluss machen. Insofern passt hier die Logik.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Es gibt einige weitere Felder, die Sie nicht im Sinne von „Wo ist die Bundesgartenschau?“ diffamieren dürfen, sondern die für uns als Regierung wichtig sind. Das ist die Kernaufgabe des Staates innere Sicherheit. Freiheit ohne Sicherheit ist nämlich nicht denkbar. Die Leute können nur frei leben, wenn sie sich auf die Sicherheit verlassen können. Das liegt gerade im Interesse der Personen, die sich keinen persönlichen Schutz - z. B. keine Alarmanlage - leisten können. Sie sind darauf angewiesen, dass Einbrechern, beispielsweise Banden, die durch Europa reisen, das Handwerk gelegt wird. Es beunruhigt uns seit Jahren, dass wir das Bundesland mit der geringsten Polizeidichte sind und dass wir selbst bei einer Einstellung von 1 000 Polizeianwärtern, zu der wir stehen, diese Situation nicht entscheidend werden ändern können. Freie Polizistenstellen müssen aber besetzt werden, wenn ausreichend viele ausgebildet wur

den. Wir werden das Gefahrenabwehrgesetz, das Sie verniedlichend so genannt haben, wieder zu einem wirklichen Gesetz für Sicherheit und Ordnung machen.

Wir werden den Unterbindungsgewahrsam verlängern. Wir werden Ordnung wieder zum Schutzgut machen. Wir werden in der Landespolitik im Polizeirecht dafür sorgen, dass bestimmte Dinge geregelt werden, die auch anderswo geregelt sind, z. B. der finale Rettungsschuss. Es ist für mich immer unverantwortlich gewesen, dass wir hier manchmal jeden Mist im Detail regeln, dass wir bei aller Wichtigkeit 20 Paragrafen zum Datenschutz haben, aber beim Einsatz des Polizisten ein mit Sicherheit tödlich wirkender Schuss in akuter gegenwärtiger Lebens- und Leibesgefahr - beispielsweise für eine Geisel - nicht geregelt ist, weil das Parlament zu feige ist, das zu regeln, und dass man den Polizeibeamten, der für uns den Kopf hinhält, darauf verweist, sich mit Zivilrecht aus der Verantwortung zu bringen.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Diese Dinge werden wir im Polizeigesetz regeln. Wir werden hier ein Gesetz verabschieden, wie es Baden-Württemberg, Bayern und Sachsen-Anhalt für die nachträgliche Sicherungsverwahrung haben, um den Schutz vor gefährlichen Sexual- und Gewaltverbrechern zu verbessern. Ich bin froh, dass Frau Bundesjustizministerin Zypries auf unserer Seite steht gegen Ihre Bedenken, dass das Landesparlament das regeln könne. Ich will den Schutz von Kindern und Frauen. Dann kann ich es nicht verantworten, dass jemand auf freien Fuß gesetzt wird, der selber nach wie vor als gefährlich eingestuft wird.

Wir wollen den genetischen Fingerabdruck in mehr Fällen. Wir wollen das über schwere Straftaten hinaus ausweiten, insbesondere im Zusammenhang mit Sexualdelikten, weil mancher Exhibitionist später bei schwereren Straftaten gegen Kinder und Jugendliche leider wieder auftaucht.

Wir werden den Gesetzentwurf Baden-Württembergs unterstützen. Die Ausweitung, wie es die CDU gewünscht hätte, hat es nicht gegeben. Es hat aber einen guten Kompromiss gegeben. Das ist für die Erhöhung der inneren Sicherheit wichtig.

Wir werden im Jugendstrafrecht dagegen vorgehen, dass immer mehr Kinder und Jugendliche immer häufiger in der Kriminalitätsstatistik auftau

chen. Wir wollen, dass es neben einer Bewährungsstrafe Jugendarrest als so genannten Warnschussarrest gibt und dass es eine höhere Strafe bei Jugendstrafe gibt. Es kann nicht sein, dass jemand mit 21 Jahren wegen dreifachen Mordes, den er mit 20 Jahren begangen hat, verurteilt wird und dann nach zehn Jahren wieder auf freiem Fuß ist, wie es jüngst in Baden-Württemberg passiert ist. Wir wollen, dass die Strafe der Tat auf dem Fuße folgt, und werden deshalb das Modell - -

(Unruhe bei der SPD)

- Dieser Fall ist doch wirklich traurig gewesen, dass jemand mit 20 Jahren drei Menschen umbringt, zehn Jahre Höchststrafe bekommt und mit 30 Jahren bei der Vergewaltigung einer jungen Frau festgenommen wird. Das ist doch nun wirklich ein Fall, sodass man sagen muss: Da muss die Politik handeln und die Gesetze verschärfen und dagegen vorgehen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Zustimmung von Sigmar Gabriel [SPD])

Es wird wichtig sein, im Bereich der Rechtspolitik etwas zu verändern. Es wird auch wichtig sein, im Bereich der Justizpolitik die Überlastung der Gerichte zu vermindern und die Überbelegung der Haftanstalten zu verringern. Wir müssen auch etwas für die Bediensteten im Bereich des Strafvollzuges tun. Das geht am ehesten, wenn die alte Forderung umgesetzt wird, dass Ausländer, die hier verurteilt sind, ihre Strafe im Regelfall im Heimatland absitzen, wenn sie hier keinen verfestigten Aufenthaltstitel haben, und nicht etwa insbesondere in den Fällen, bei denen anschließend ohnehin eine Abschiebung vorgesehen ist. Das ist eine alte Forderung der CDU, die seit Jahren von der Bundesregierung nicht umgesetzt wird. Wir werden jetzt seitens der Landesregierung Druck machen, dass die Haftverbüßung im Heimatland erfolgen soll.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Ein Regierungswechsel in Niedersachsen heißt auch, dass wir Bagatelldelikte, wie Graffiti oder Ladendiebstahl, konsequent verfolgen, und heißt auch, dass wir die Korruption in ihrer herausragenden Bedeutung stärker bekämpfen und dass wir alles tun, um Terror und terroristischer Gefahr zu begegnen. Wenn der jetzige Präsident des Bundesnachrichtendienstes darauf hinweist, dass in

Deutschland die Gefahr bestehe, dass Deutschland nicht nur Ruhe- und Vorbereitungsraum für Anschläge im Ausland sei, sondern auch zum Ausführungsraum von Anschlägen werden könnte, dann müssen wir das Sicherheitspaket II des Bundes unverzüglich in niedersächsisches Landesrecht umsetzen. Das ist bisher nicht geschehen. Wir werden das machen. Das sind Defizite aus Jahren sozialdemokratischer Regierung, die wir beseitigen werden.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Die Felder Finanzen, Wirtschaft, Verwaltungsreform, die Frage der Jugendausbildung und die Felder der inneren Sicherheit werden um die Frage der fairen Behandlung von Ballungsräumen und ländlichen Räumen ergänzt. Auch da bleiben wir uns treu. Wir haben vor der Wahl gesagt: Es kann nicht sein, dass die Fläche ausblutet. Wir erleben die Schließung und den Abzug von Behörden, eine mangelnde Polizeipräsenz, den Rückzug von Bahn und Post, die Schließung von Standorten des Bundesgrenzschutzes und der Bundeswehr. Wir erleben das jetzt auch im Bereich der Arztversorgung. Die Apotheken im ländlichen Raum machen zu. Die Unterrichtsausfälle sind dort am höchsten. Wir wollen, dass der ländliche Raum ernster genommen wird. Deswegen werden wir dem Landwirtschaftsminister die Landesraumordnung, die Landesplanung und Aufgaben der ländlichen Räume übertragen, um dort ein richtig starkes Ministerium für den ländlichen Raum zu schaffen, das darauf achtet, dass auch dieser Raum zu seinem Recht kommt.

(Beifall bei der CDU und Zustim- mung von Dr. Philipp Rösler [FDP])

Dabei wird der Landwirtschaftsminister seine originäre Aufgabe nicht vernachlässigen, nämlich endlich durchzusetzen, dass konventionell wirtschaftende Betriebe genauso fair behandelt werden wie ökologischer Landbau.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Wir wollen das Leitbild einer nachhaltigen, wettbewerbsfähigen, unternehmerischen und am Markt orientierten Land- und Forstwirtschaft, die flächendeckend betrieben wird. Sie pflegen unser Landschaftsbild, sie sorgen sich um unsere Natur, sie sorgen sich vor allem um die Vitalität des ländlichen Raumes, unserer Dörfer, unserer kleinen

Gemeinden, und sie sorgen für Lebensmittel, die gesund sind. Wir werden dafür sorgen, dass Qualitäts- und Sicherheitsanforderungen der Verbraucher beachtet werden.

Die staatliche Förderung muss stärker auf das Zusammenarbeiten, auf gemeinsames Produzieren mit gemeinsamen Maschinen und gemeinsame Vermarktung ausgerichtet werden. Da gibt es Rationalisierungsreserven.

Wir werden auch dafür Sorge tragen, dass europäisches Recht bei Tier- und Pflanzenschutz 1 : 1 umgesetzt wird. Wir wollen bei grüner Gentechnik die Möglichkeit der Chancen, aber die Transparenz und die Wahlfreiheit der Verbraucher. Es wird wichtig sein, dass wir uns die gleichen Chancen eröffnen, wie sie die Holländer, die Dänen oder die Belgier haben. Wir können nicht zulassen, dass unsere Landwirte Benachteiligte ideologischer Politik von Leuten sind, die von Landwirtschaft keine Ahnung haben.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Der neue Niedersächsische Umweltminister wird durch eine sehr konsequente Umweltpolitik aufhorchen lassen, weil wir nämlich dann erfolgreich Umweltpolitik machen, wenn wir sie mit den Menschen machen, wenn sie selber mittun und mitmachen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Es ist übrigens leicht zu lernen, dass das Prinzip der Nachhaltigkeit nicht in Rio de Janeiro erfunden wurde - da waren die Reisekosten hoch -, sondern es wurde von den Landwirten erfunden. Die betreiben ihre Höfe so, dass auch kommende Generationen darauf leben können.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Wir betreiben keine Ausbeutung der Natur, keinen Raubbau an der Natur, sondern wir praktizieren Nachhaltigkeit beim Schutz von Luft, Wasser und Boden. Wir setzen dabei auf neue Technologien. Wir fürchten uns nicht vor neuen Technologien, sondern wir wissen, dass das Solarinstitut in Emmerthal, das Windinstitut in Wilhelmshaven Gründungen aus der Zeit von Walter Hirche - sozusagen der Regierungszeit Hirche I - sind, die heute noch große Früchte tragen,

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU und bei der FDP)

und dass diese Einrichtungen große Erfolge gezeitigt haben. Ich würde mir wünschen, wenn wir bei der Technik zur direkten Biomassenutzung, bei Technologien auf der Basis der Brennstoffzelle zur Stromerzeugung oder auch bei Speichersystemen ähnlich vorankämen, die geeignet sind, Windstromaggregate wirtschaftlich und bedarfsgerecht bereitzustellen.

Wir werden beim Natur- und Biotopschutz mit den Grundeigentümern und Pächtern neue Wege finden. Wir werden Vertragsnaturschutz befördern. Wir werden vor allem einen einheitlichen Nationalpark Harz mit Sachsen-Anhalt in Form eines Staatsvertrages bilden, Gewässer, Grundwässer und Küstenschutz ernst nehmen.

Dies alles ist bei uns ebenso in guten Händen wie der Energiemix, dass man nicht einen Energieträger gegen den anderen ausspielt, sondern dass man seine Verantwortung wahrnimmt, auch bei der sicheren Endlagerung atomarer Abfallstoffe, radioaktiver Abfälle. Da werden wir verlässlicher Partner einer Bundesregierung sein, wenn es darum geht, Gorleben zu erkunden, um dann überhaupt erst entscheiden zu können. Wir werden auch Partner beim Abwarten der Gerichtsprozesse in Fragen Schacht Konrad sein. Wir sind eine Regierung, die bereit ist, ergebnisoffen zu sprechen. Aber wir als Land stehen zu unserer Verantwortung für getroffene Investitionen, insbesondere im Falle des Schachtes Konrad, und deswegen auch zum Planfeststellungsbeschluss. Das sind Gelder der Stromkunden. Das sind nicht unsere oder Ihre Gelder, sondern das sind Gelder der Bürger, die uns anvertraut worden sind.

Wir werden das auch auf anderen Feldern der Landespolitik machen, dass wir erst denken, dann Vorschläge machen, danach mit den Leuten reden und erst dann entscheiden und umsetzen. Die Leute werden es als wohltuend empfinden, wenn nicht mehr erst geredet, die Schlagzeile produziert und dann gedacht und wieder eingesammelt wird, sondern wenn endlich wieder vernünftig Politik gemacht wird.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Ich hoffe, dass es mir gelungen ist - in all der Schlichtheit, die Regierungserklärungen automatisch an sich haben, weil sie ja doch ein in Stein

gemeißeltes Programm sind und der freien Rede wenig zugänglich sind -, deutlich zu machen, dass diese neue Regierung vor allem eine neue Chance für unser Land ist, dass sie die Regierung eines neuen Anfangs ist, dass sie eine Regierung ist, die weiß, dass sich die Welt ändert und deswegen Niedersachsen den Anschluss braucht.

Nicht reden ist die Sache der Politik, sondern handeln. Deshalb wollen wir uns nach den ersten Stunden des Redens an die Arbeit machen. Verantwortung, Tatkraft, Subsidiarität und Gemeinsinn - das sind die Prinzipien unserer CDU-FDPLandesregierung.

Wir möchten unter diesem Dach zu einer fruchtbaren Debatte für unser Land und die Menschen in Niedersachsen zusammenführen, und wir wissen, das Land muss generalüberholt werden. Wir wissen auch - selbst wir christliche Demokraten -, wir können nicht zaubern, aber wir können hart arbeiten. Muten wir uns und muten wir anderen mehr und überhaupt etwas zu für das Niedersachsen, für das wir für fünf Jahre gewählt sind - die einen als Regierung, die anderen als Opposition.

Aber mein Wunsch ist, dass das gesamte Parlament, auch die Mehrheitsfraktionen, über alle Phasen des Regierungshandelns hinweg die gesamte Landesregierung kritisch kontrolliert, aber auch dort unterstützt, wo es Not tut, wo es schwierig wird, wo es wichtig wird.

Wir leben in der Demokratie, und die beinhaltet nun einmal das Recht einer jeden Partei, beim nächsten Mal die Mehrheit haben zu können. Das ist gut so. Wir sind gerade selbst Nutznießer davon. Bezogen auf kommende Regierungen sollten wir in diesen Phasen auch erkennen: Was wir jetzt an Problemen lösen - vielleicht auch hier und da mit Ihrer Unterstützung -, das brauchen Sie in 20 oder 30 Jahren nicht mehr wegzuräumen. - Vielen Dank.

(Starker, nicht enden wollender Bei- fall bei der CDU und bei der FDP - Die Abgeordneten der CDU und der FDP erheben sich)