Protokoll der Sitzung vom 26.06.2003

Entgegen Ihrer Darstellung hat die Landesregierung aber die Abschaffung der Bezirksregierung beschlossen, ohne eine sorgfältige Überprüfung möglicher Handlungsalternativen vorgenommen zu haben.

(Beifall bei der SPD)

Der Beschluss, die Bezirksregierung abzuschaffen, ist somit nicht das Ergebnis eines sorgfältigen Abwägungsprozesses - was dieser Thematik angemessen gewesen wäre -, sondern ein Ziel, das in der Koalitionsvereinbarung festgeschrieben worden ist. Das ist einfach zu wenig. Das ist eine politische Entscheidung. Sie ist populistisch, da bundesweit bekannt ist, dass keine Verwaltungseinheit so oft kritisiert worden ist wie die Bezirksregierung.

Das hat auch Gründe. Die Bezirksregierungen haben keine Lobby, die Beschäftigten haben keine Vertreter, und es gibt keine Handhabung im politischen Raum, wie denn ihre Interessen angemessen gewahrt werden könnten.

Allerdings hat diese Verwaltungseinheit auch sehr viel Kritik überstanden. Dafür muss es gute Gründe geben. Das Vorhaben der Landesregierung ist nicht neu. Diese Forderung nach Abschaffung der Bezirksregierung gibt es bundesweit in vielen Ländern. Herr Professor Lennartz, Sie haben das ausgeführt. Hessen ist ein Beispiel dafür. Dort hat man

gesagt, man gehe einen anderen Weg, man brauche eine starke Mittelinstanz. Auch unter den Fraktionen der Parteien, die in den Landtagen vertreten sind, gibt es unterschiedliche Positionen.

Ich bin der Meinung, dass wir in Niedersachsen, einem großen Flächenland, auch in Zukunft eine starke Mittelinstanz benötigen, und ich wundere mich nicht, dass die Abschaffung der Bezirksregierung gerade im ländlichen Raum auf großes Unverständnis stößt.

(Zuruf von Rebecca Harms [GRÜ- NE])

Genau deshalb setzen wir uns dafür ein, dass die Mittelinstanzen in einem großen Land erhalten bleiben. Ich halte es für wichtig, auch in Zukunft Kompetenzen in der Region zu sichern. Wir wollen, dass bei einer Aufgabenverlagerung auf die Kommunen dies auch finanziell abgesichert ist. Dazu haben Sie aber nichts gesagt.

(Beifall bei der SPD)

Wir wollen nicht erst Strukturen zerschlagen und dann eine Aufgabenkritik durchführen, so wie wir das jetzt am Beispiel der Agrarverwaltung deutlich sehen. Dieser Prozess muss am Anfang stehen.

Die Bezirksregierungen sind in Niedersachsen Bindeglieder zwischen den regionalen und kommunalen Kompetenzträgern und der Landesebene. Sie sind einerseits Vermittler regionalpolitischer Ziele der Landesregierung in die Region; andererseits sind sie auch Vermittler der Interessen der Region an die Landesregierung. Sie sind zentrale Partner bei der Entwicklung regionaler Strategien in der Wirtschaftsförderung, die auch mit EURichtlinien etwas zu tun haben.

Viele Aufgaben, die an der Schnittstelle zwischen Ministerien und Vollzugsbehörden vor Ort liegen, bedürfen auch in Zukunft einer intensiven fachübergreifenden Koordinierung und Bündelung. Das gewährleisten diese Mittelinstanzen zurzeit.

Meine Damen und Herren, damit das klar ist: Auch wir halten eine sorgfältige Aufgabenkritik aller derzeit von den Mittelinstanzen wahrgenommenen Aufgaben für unumgänglich. Um es noch deutlicher zu sagen: Wer den Fokus nur auf die Bezirksregierung lenkt, springt zu kurz. Die Landesämter müssen in die Kritik einbezogen werden. Unserer Meinung nach darf eine Aufgabenkritik auch nicht

vor den Landesministerien Halt machen, denn manchmal stinkt der Fisch ja vom Kopf her.

(Beifall von der SPD - Zuruf von der SPD: Da besonders!)

Auch hier ist zu überprüfen, welche Aufgaben bürgernäher und sachgerechter auf einer niedrigen Verwaltungsebene erfüllt werden können bzw. auf welche Aufgaben in Zeiten knapper öffentlicher Haushalte gänzlich verzichtet werden kann.

Ziel aller Reformbemühungen sollte in diesem Haus fraktionsübergreifend sein, dass eine bürgernahe und leistungsfähige Verwaltung vorhanden ist. Die Verwaltungsreform ist nie ein Selbstzweck gewesen. Bürgernähe, Leistungsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit müssen auch in Zukunft oberste Priorität haben.

Das sage ich jetzt einmal in Richtung FDP: Privatisierungen bislang staatlich wahrgenommener Aufgaben sind sorgfältig zu prüfen. Dies gilt vor allem für die langfristigen Folgekosten, die daraus entstehen können, und den Erhalt der Qualität der bisher angebotenen Leistungen für die Bürgerinnen und Bürger. Das muss ja unser Interesse sein.

Wir wollen, dass eine staatliche Mittelinstanz zu einer leistungsfähigen Bündelungs- und Koordinierungsbehörde ausgestaltet wird.

(Dr. Philipp Rösler [FDP]: Ist es auch!)

Wir wollen keine Aufsplitterung. Wir wollen auch, dass Regionalmanagementfunktionen weiter ausgebaut werden können.

Wir haben im Parlament die Bildung der Region Hannover ausdrücklich unterstützt, weil das eine Sache war, die von unten gewachsen ist.

Eine Zusammenfassung von Sonderbehörden in einer Mittelinstanz kann beispielsweise Synergieeffekte bewirken, Personalkosten reduzieren und einen unübersichtlichen, den jeweiligen Ministerien untergliederten Verwaltungsunterbau vermeiden. Darüber sollten Sie einmal ernsthaft nachdenken.

Meine Damen und Herren von der CDU- und von der FDP-Fraktion, für uns ist klar, dass die von Ihnen vorgesehene Abschaffung der Bezirksregierung aufgrund des höchst unterschiedlichen Zuschnitts und der dadurch bedingten unterschiedlichen Leistungsfähigkeit ohne eine Gebietsreform

nicht möglich sein wird. Mich würde interessieren, wie Sie gerade diese Thematik in den Wahlkreisen vor Ort vertreten werden.

Ich möchte noch auf eine andere Gefahr hinweisen. Bei einer vertikalen Aufgliederung von Verwaltungsbehörden besteht die Gefahr, dass so genannte Fachbruderschaften entstehen, die sich selbst kontrollieren, ohne dass eine Kontrollinstanz vorhanden ist. Das lehnen wir ab. Ich meine, das ist ein kritischer Punkt, den wir mit berücksichtigen müssen.

Bevor ich zum Schluss komme, möchte ich Sie mit einem Zitat konfrontieren:

„Nahezu alle einschlägigen Werke und Studien zur Verwaltung und zur Verwaltungsreform sprechen sich für die Einräumigkeit der Verwaltung und die Integration von Sonderbehörden in die klassische Verwaltung aus. Mit unserer großen Verwaltungsreform setzen wir Forderungen der Wissenschaft in Realität um.“

Hintergrund dieses Zitats ist, dass viele Verwaltungsrechtler zu der Überzeugung gekommen sind, dass man starke Mittelinstanzen braucht.

Dieses Zitat - raten Sie einmal, von wem - stammt vom Ministerpräsidenten Baden-Württembergs, vom 7. Mai dieses Jahres. Das sollte Ihnen ein bisschen zu denken geben.

Meine Damen und Herren, wir werden trotz aller inhaltlichen Differenzen den Verwaltungsreformprozess konstruktiv begleiten. Dies sind wir dem Land, den Bürgerinnen und Bürgern und nicht zuletzt den Beschäftigten der Landesverwaltung schuldig.

Eines ist jedoch sehr wichtig: Eine Verwaltungsreform braucht ein klares, gut begründetes und nachvollziehbares Ziel.

(Bernd Althusmann [CDU]: Das konnten wir bei Ihnen bisher nicht er- kennen!)

Die von der Landesregierung vorgegebene Abschaffung der Bezirksregierung - Herr Althusmann, Sie können sich ruhig aufregen, das kennen wir schon

(Zuruf von der FDP: Er ist doch ganz ruhig! - Bernd Althusmann [CDU]: Verzeihung, dass ich hier überhaupt sitze!)

wird diesen Anforderungen bislang in keiner Weise gerecht. Hier besteht noch erheblicher Handlungsbedarf.

Ich freue mich auf die Beratung im Fachausschuss und danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)

Der Kollege Bode hat sich zu Wort gemeldet.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Freiheit war gestern, heute reden wir über die Abschaffung der Bezirksregierung. Morgen kommen wir dann wieder zur Freiheit.

Herr Professor Lennartz, ich freue mich immer, wenn wir aus der Opposition einen Antrag bekommen, in dem vorne steht, dass die Regierungskoalition etwas ganz Tolles gemacht hat. Ein Antrag, in dem wir gelobt werden, ist ein Ergebnis, das einen freuen kann. Vielleicht rufen Sie das nächste Mal dazu auf, uns zu wählen. Ich bin ganz gespannt, wie Sie sich weiterentwickeln.

(Zurufe von der SPD)

Aber ich habe das Gefühl, es steckt ein kleiner Trick dahinter, denn Sie wollen mit Ihrem Lob in den ersten Teilen eigentlich darüber hinwegtäuschen, dass Sie im Detail - worüber Sie hinten im Antrag geschrieben haben - eine andere Intention haben als wir.

Wenn man sich das einmal anschaut und Punkt für Punkt durchgeht, muss man schon sagen, dass wir bei der Verwaltungsreform nicht mit Scheuklappen und den entsprechenden Ideologien vorgehen, sondern dass wir alles ergebnisoffen prüfen.

(Heike Bockmann [SPD]: Es ist eine Unverschämtheit, uns das vorzuwer- fen!)

Wir werden alle Aufgaben darauf prüfen - so hat es auch Sonderstaatssekretär Meyerding gesagt -, wie man sie am wirtschaftlichsten und effektivsten ausführen kann. Das kann selbstverständlich heißen - davon gehen wir auch aus -, dass sie kommunalisiert werden. Aber es kann auch heißen,

dass sie irgendwo zentral gemacht werden und dass das günstiger ist.

(Zuruf von der SPD: Aber nicht regi- onal!)

Wir warten einmal ganz ruhig das Ergebnis der Prüfung ab.

Außerdem haben Sie bei Ihrer Vorgehensweise etwas ganz Entscheidendes teilweise nicht aufgeführt, nämlich die Marschroute, auf der wir vorgehen.