Protokoll der Sitzung vom 11.10.2006

In der Summe ergibt sich ein dramatisches Kürzungsvolumen. Niedersachsen erhält derzeit jährlich etwa 600 Millionen Euro Regionalisierungsmittel vom Bund. Mittlerweile hat es die schwarzgelbe Landesregierung geschafft, davon ein Volu

men von 20 % dem vereinbarten Förderzweck zu entziehen.

Als Reaktion auf den erkennbaren Missbrauch der Regionalisierungsmittel - nicht nur in Niedersachsen, aber eben hier besonders - erfolgte schon 2004 die erste Kürzungsrunde des Bundes im Zuge des sogenannten Subventionsabbaus von Herrn Koch und Herrn Steinbrück. In Niedersachsen konnten trotz dieser Belastung bis heute zwar noch unverträgliche Preisanhebungen oder Leistungseinschnitte im öffentlichen Verkehr vermieden werden. Dies gelang durch erhebliche Einsparungen im Zuge von Ausschreibungen, durch Rationalisierungen in den Verkehrsunternehmen und durch eine sparsame Wirtschaftsführung der Landesnahverkehrsgesellschaft.

(Zuruf von Ernst-August Hoppenbrock [CDU])

Die jetzt anstehende zusätzliche Kürzung überfordert aber endgültig das Effektivierungspotenzial im ÖPNV. Die Belastungsgrenze ist überschritten, Herr Hoppenbrock. Würde die Kürzung ungeschmälert umgesetzt, käme es zwangsläufig zu massivem Angebotsabbau.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, durch die Bundesratsbeschlüsse vom 26. Juni 2006 erhalten die Länder einen Anteil aus den Einnahmen der geplanten Mehrwertsteuererhöhung. Für Niedersachsen handelt es sich wiederum um 600 Millionen Euro im Jahr. Im Gegenzug wurden die Regionalisierungsmittel bis 2010 vom Bund noch einmal um bis zu 13 % gekürzt. Land und Verkehrsunternehmen müssen in Niedersachsen derzeit mit einem Kürzungsvolumen von 283 Millionen Euro rechnen - bis 2010. Der Minderbetrag von 48 Millionen Euro in 2007 steigert sich bis 2010 sogar auf ein Volumen von 85 Millionen Euro.

Die Absicht der Landesregierung, die Bundeskürzung anteilig an alle Kostenstellen und Verkehrsträger des öffentlichen Verkehrs durchzureichen, wird zwangsläufig zu Leistungsabbestellungen, Streckenstilllegungen und unverträglichen Preiserhöhungen im ganzen Land führen. Der Fahrzeugbestand wird schnell veralten, und das öffentliche Verkehrsangebot wird sich zwangsläufig reduzieren.

(Hermann Eppers [CDU]: Das ist ja ein Horrorszenario!)

- Das ist kein Horrorszenario. Schauen Sie sich doch Ihre Region an, Herr Eppers! Am schnellsten und härtesten werden sich die Einschnitte in der Region Braunschweig bemerkbar machen, weil der Förderbetrag dort bisher komplett in die Leistungsbestellung geflossen ist. Schon zum 10. Dezember streicht der ZGB das Zugangebot auf der Bahnstrecke Bad Harzburg – Goslar – Seesen – Kreiensen drastisch um die Hälfte. Das nenne ich ein Horrorszenario, aber ein reales!

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Letztlich stehen aber überall im Land schwach ausgelastete ÖPNV-Strecken wie Lüneburg – Dannenberg, Northeim – Bodenfelde, Uelzen – Soltau – Bremen, Hildesheim – Braunschweig und Wolfenbüttel – Helmstedt auf dem Prüfstand. Für die von der Landesnahverkehrsgesellschaft bestellten Verkehrsleistungen hat die Landesregierung rein taktisch eine zeitliche Verzögerung bei der Umsetzung der Streichvorgaben angeordnet. Die Landesnahverkehrsgesellschaft soll zunächst für 2007 die Kürzungen bei den Mitteln für Betriebsleistungen ausgleichen, indem sie auf die noch vorhandenen Rücklagen für eingeplante Ausbauprojekte zurückgreift. Anfang 2006 waren noch rund 80 Millionen Euro im Topf, die waren aber fest verplant.

(Hermann Eppers [CDU]: Jetzt ver- mengen Sie Betriebs- und Investiti- onskosten!)

Damit stehen jetzt für bisher fest zugesagten Netzausbauten wie die Heidebahn, die Regionalstadtbahn Braunschweig, Herr Eppers, und die S-Bahn Hannover – Hildesheim oder die S-Bahn Bremen nicht mehr ausreichend Mittel zur Verfügung. Die Maßnahmen müssen gestreckt oder sogar ganz storniert werden. Über kurz oder lang werden die sich addierenden Kürzungseingriffe von Land und Bund alle Regionen des Landes erreichen.

Wenn nicht interveniert wird, hätte Schwarz-Gelb innerhalb einer Wahlperiode eine Minimierung des Mitteleinsatzes im ÖPNV von einem Drittel zu verantworten - innerhalb einer Wahlperiode hier in Niedersachsen, Herr Eppers. Das ist schon eine stolze Leistung. Da kann man wirklich sagen: Das ist eine Prioritätensetzung, aber eine sehr negative.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Das darf nicht so bleiben. Selbst Minister Hirche scheinen nun Skrupel bei den Eckdaten seines eigenen Haushaltsentwurfs zu beschleichen. Dem Verkehrsclub Deutschland zumindest schrieb er im September, dass er sich für den ÖPNV im Zuge der Haushaltsberatungen selbstverständlich für eine zusätzliche Mittelbereitstellung aus den Mehreinnahmen infolge der Mehrwertsteuererhöhung einsetzen wird. Ich habe das mit großem Interesse gelesen und bin gespannt, welche Folgen das haben wird. Der vorliegende Entwurf aus seinem Ministerium enthält zumindest leider noch eine Leerstelle. Da müsste dann wohl etwas aus diesem Hause kommen. Ich bin gespannt, welche Antworten und Stellungnahmen der Regierungsfraktionen ich gleich zu hören bekomme.

Wir legen schon heute einen Antrag vor, um durch Umschichtung und effizienteren Mitteleinsatz den nötigen Finanzspielraum zu schaffen, damit die negativen Folgen im niedersächsischen ÖPNV noch verhindert werden können.

Wir schlagen erstens vor, die im Bundesrat angekündigte Absenkung der Kürzung um 500 Millionen Euro möglichst schnell zu vollziehen. Der Ministerpräsident muss endlich handeln und die Bundesregierung auffordern, das, was sie zugesagt hat, einzuhalten. Im Augenblick müssen alle noch mit dem erhöhten Betrag kalkulieren. Das ist unzumutbar und macht die Lage noch schlimmer.

Zweitens fordern wir, die Mittel des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes ab dem Haushalt 2007 wieder zu gleichen Teilen auf Straße und Schiene aufzuteilen. Immerhin 12 Millionen Euro zusätzlich wären damit für den ÖPNV zu gewinnen.

Drittens sollen zukünftig durch eine ergänzende Verordnung strengere Verwendungsvorgaben und Kontrollen bei den Nahverkehrsmitteln durchgesetzt werden.

Viertens müssten aus unserer Sicht umstrittene Planungen für Straßenneubauprojekte für die Substanzerhaltung im ÖPNV ausgesetzt und Vorratsplanungen bei nicht gesichertem Mittelzufluss ganz beendet werden. Wenn man das konsequent macht, hat man ein zusätzliches Volumen von 10 Millionen Euro pro Jahr, das man im ÖPNV dringend braucht.

(Zustimmung von Stefan Wenzel [GRÜNE])

Diese Maßnahmen können, wenn man sie alle zusammen einsetzt, den drohenden Einschnitt im ÖPNV-Angebot Niedersachsens zwar noch nicht völlig ausgleichen. Aber sie reduzieren die Kürzungen entscheidend. Nur so wird es möglich, vor Ort noch akzeptable Lösungen mit den Verkehrsunternehmen zu erarbeiten und das ÖPNVAngebot in Niedersachsen vor einem Kahlschlag zu bewahren.

Der Landtag hat es in der Hand, im Interesse der Fahrgäste im niedersächsischen ÖPNV die Weichen mit diesem Ziel für die Zukunft neu zu stellen. Ich bitte um Ihre Unterstützung. - Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Nächster Redner ist Herr Rickert von der FDPFraktion. Bitte schön, Herr Rickert!

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe das Gefühl, die Grünen haben ein neues Lieblingsthema gefunden: die Kürzung der Regionalisierungsmittel. Kaum haben wir über den einen Antrag entschieden, wird schon der nächste Antrag eingereicht. Inhaltlich ergeben sich aber kaum neue Aspekte.

Schließlich waren es die Fraktionen von CDU und FDP, die das Thema „Kürzung der Regionalisierungsmittel durch den Bund“ bereits im Januar 2005 im Rahmen einer Aktuellen Stunde im Landtag zur Sprache gebracht haben.

(Zuruf von der SPD: Und Ergebnis?)

Auch wenn sich heute kaum noch jemand daran erinnern kann: Damals waren die Grünen auf Bundesebene noch mit in der Regierungsverantwortung. Sie hätten also damals alle Gelegenheiten der Welt gehabt, sich für den Erhalt dieser Mittel einzusetzen.

(Enno Hagenah [GRÜNE]: Das haben wir auch getan!)

- Wir haben gemerkt, dass Sie es getan haben! Stattdessen sagen Sie einfach: Ihr habt ja selber Schuld. Wer die Mittel für die Schülerbeförderung einsetzt, hat es eben nicht besser verdient. - Erst jetzt, da Sie sicher sein können, keinerlei Einfluss zu haben - Sie sitzen in Berlin ja nicht mal mehr am Katzentisch -,

(Stefan Wenzel [GRÜNE]: Wo sitzen Sie denn in Berlin?)

trauen Sie sich hervor und fordern uns auf, aktiv zu werden. Leider haben Sie übersehen, dass wir längst aktiv geworden sind. Das Land Niedersachsen hat der entsprechenden Vorlage im Bundesrat nicht zugestimmt. Die Landesregierung hat sich gemeinsam mit anderen Ländern erfolgreich für eine Abmilderung dieser Kürzungen eingesetzt.

Der Bund - das wissen Sie - muss ebenso sparen wie das Land. Daher werden wir die grundsätzliche Kürzung bei den Mitteln für den ÖPNV zähneknirschend hinnehmen müssen. Aber immerhin: Die ursprünglich beschlossene Höhe, die nicht akzeptabel war, wurde wenigstens etwas reduziert, wobei wir über Details noch nicht genau informiert sind.

Jetzt gilt es also, die vorhandenen Mittel so effizient wie möglich einzusetzen. Kaum ein Bundesland hat vergleichbar viele Strecken im freien Wettbewerb ausgeschrieben wie Niedersachsen. Wir nähern uns bereits der 50-Prozent-Marke. Das entlastet nicht nur unseren Haushalt, sondern liegt auch im Interesse der Kunden.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Nicht umsonst steigen die Passagierzahlen bei uns fast doppelt so schnell wie im Bundesdurchschnitt. Dennoch wird es Einschnitte geben müssen. Ich bin aber optimistisch, dass die Landesregierung und die LNVG Wege finden werden, möglichst wenig Abstriche bei bestehenden und geplanten Projekten zu machen.

Die Forderung der Grünen aber, die Kürzungen durch eine Umschichtung bei den GVFG-Mitteln zulasten der Straße zu finanzieren, lehnen wir entschieden ab.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Niedersachsen ist ein Flächenland. Den ländlichen Raum können Sie nicht nur über den ÖPNV an die Zentren anschließen. Hier sind leistungsfähige Straßen gefragt. Wenn Sie sich im Lande umsehen, werden Sie feststellen, dass die Bahnhöfe und Züge meist in einem besseren Zustand sind als unsere Straßen.

(Enno Hagenah [GRÜNE]: Aber Ei- senbahnstrecken werden stillgelegt, Straßen nicht!)

Auch der Vergleich mit anderen Flächenländern zeigt: Es wird oft ein weitaus höherer Anteil der GVFG-Mittel in die Straßen gesteckt als in Niedersachsen. Wenn wir also umsteuern, dann eher weiter in Richtung Straße. Allein aus diesem Grund lohnt es sich, den Antrag der Grünen abzulehnen.

(Zuruf von den GRÜNEN)

- Herr Wenzel, wenn Sie mir etwas mitzuteilen haben, dann tun Sie das bitte bei einer Tasse Kaffee und quatschen Sie hier nicht immer dazwischen. - Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Als Nächstes hören Sie bitte dem Kollegen Will von der SPD-Fraktion zu. Herr Will, Sie haben das Wort.

(Wolfgang Jüttner [SPD]: Möchtest Du, dass wir dazwischenquatschen?)

Mal sehen, wie gut Ihr seid!

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Rickert, Ihre Aussage zu den leistungsfähigen Straßen kann ich unterstreichen. Aber bei den Landesstraßen tun Sie auch nichts. Schauen Sie sich die in Niedersachsen doch einmal an.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Zuruf von der CDU: Was ist denn die Ursache?)