Protokoll der Sitzung vom 11.10.2006

(Beifall bei den GRÜNEN - Hermann Eppers [CDU]: Das ist eine Unterstel- lung!)

Herr Kollege Eppers, Sie haben die Gelegenheit, vom Mikrofon aus zu reagieren. - Das möchten Sie nicht.

Dann gebe ich jetzt das Wort an den Wirtschaftsund Verkehrsminister Walter Hirche. Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist schon schmerzlich, dass der Bund seine gesetzlich verankerten Zusagen zur Höhe der Regionalisierungsmittel, die er den Ländern bis einschließlich 2007 gegeben hatte, mit dem Haushaltsbegleitgesetz 2006 zurückgenommen hat. Allerdings - das muss man immerhin akzeptieren - kann sich auch der ÖPNV nicht dem übergeordneten Ziel der Haushaltskonsolidierung verschließen. Das gilt für Bund und Land gleichermaßen.

Ich habe schon die Sorge, um einen Punkt aufzunehmen, dass die 500 Millionen Euro, die als Minderung der Kürzung versprochen wurden, ab 2009 möglicherweise als Inflationsausgleich dienen, sodass sie für die konkreten Maßnahmen doch nicht zur Verfügung stehen. Das werden weitere Debatten ergeben. Aber dass wir hier insgesamt sparsam haushalten müssen und auch Kürzungen anstehen, hat auch der Interessenverband der Verkehrsunternehmen, der VDV, anerkannt.

Immerhin muss man doch sehen, dass - daran sind mehrere Regierungen beteiligt - in Niedersachsen mit den Regionalisierungsmitteln seit 1996 viel bewirkt worden ist. Wir haben den modernsten und attraktivsten Wagenpark im Schienenpersonennahverkehr, unser Bahnhofsprogramm ist nicht nur bundesweit beachtet, sondern wir sind unter den Flächenländern mit Abstand führend, und - die Kollegen Eppers und Rickert haben darauf hingewiesen - schon über 50 % der Verkehrsleistung werden im Wettbewerb vergeben. All diese Maßnahmen haben dazu beigetragen, dass die Nachfrage in Niedersachsen um 45 % gestiegen ist, während sie im Bundesschnitt nur um 25 % gewachsen ist. Das ist ein beachtlicher

verkehrlicher Erfolg, aber auch finanziell und betriebswirtschaftlich ein Gewinn. Dieser Gewinn hilft jetzt, Kürzungen abzupuffern. Deshalb bin ich zuversichtlich, dass wir trotz der Einschnitte auch in Zukunft insgesamt gut aufgestellt sind. Es stehen - auch diese Zahl wurde genannt - nach der Kürzung immerhin noch über 620 Millionen Euro für den ÖPNV in Niedersachsen insgesamt zur Verfügung.

Die Diskussion, da gebe es angeblich Missbrauch oder Zweckentfremdung, hat auf der Bundesebene längst aufgehört. Das ist ganz bezeichnend; denn der Bund musste sich vorhalten lassen, dass bei der Berechnung der Höhe der Regionalisierungsmittel Anfang der 90er-Jahre genau die Schülerbeförderungsleistungen in die Ausgleichsleistungen mit eingerechnet worden sind, also integraler Bestandteil sind. Dass wir das stärker als andere handhaben mussten, liegt in der Tat an Haushaltszwängen, die die jetzige Landesregierung von der Vorgängerregierung geerbt hat.

Eine partielle Umschichtung - das will ich noch einmal ausdrücklich sagen; ich freue mich auch, obwohl Sie ausdrücklich nichts dazu gesagt haben, aber ich das demnach bei Ihnen, bei der SPD, unterstellen kann - von GVFG-Mitteln zulasten des kommunalen Straßenbaus halte ich nicht für vertretbar.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Meine Damen und Herren, die Tatsache, dass wir darüber diskutieren, dass möglicherweise Strecken eingestellt werden, weil sie nicht frequentiert werden, und andererseits die Tatsache, dass die Straßen kaputtgehen, weil auf ihnen offenbar immer mehr Autos fahren, ist ein Beleg dafür, dass diese Umschichtung weg von 50 % zu 50 % auf 60 % zu 40 % für den Straßenbau gerade in einem dezentralen Flächenland richtig ist, weil sie mit der Bahn nicht überall hinfahren können.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Sie müssen im Interesse der Chancengleichheit des flachen Landes diese Umschichtung machen, die insgesamt aber noch nicht ausreichend ist. Das will ich gern akzeptieren. Ich muss auch, Herr Kollege Will, leider mit dem Vorwurf leben, dass für den Bau von Landesstraßen nicht genügend Mittel zur Verfügung stehen. Das ist richtig; aber nicht das Gegenteil, es würde im Straßenbau zu viel ausgegeben.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Es geht jetzt darum, meine Damen und Herren, die ÖPNV-Mittel so effizient wie möglich einzusetzen. Ich verstehe überhaupt nicht, dass Herr Gorka, der Geschäftsführer der Landesnahverkehrsgesellschaft, kritisiert wird, der gesagt hat, alle schwachen Strecken würden überprüft. Meine Damen und Herren, auch wenn wir keine Finanznot hätten, müssten alle schwachen Strecken überprüft werden, weil Effizienzsteigerung in diesem Zusammenhang eine Daueraufgabe ist.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Das darf noch nicht einmal etwas mit der Couleur einer Landesregierung zu tun haben. Vielmehr ist es eine Daueraufgabe, nach Akzeptanz zu fragen.

Meine Damen und Herren, wir werden uns auch genau ansehen, wie die regionalen Verkehrsträger das machen. Wir werden sehen, ob die Strecken, die jetzt ausgedünnt werden, wirklich die Strecken sind, die die schwächsten Verkehrsleistungen haben, oder ob das etwas damit zu tun hat, dass bestimmte Strecken aus dem Bereich eines Verkehrsträgers heraus in den Bereich anderer Verkehrsträger gehen.

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Hagenah?

Sekunde! - Das, meine Damen und Herren, würde nicht dem Grundsatz der Effizienzsteigerung entsprechen, sondern da kann das einzige Kriterium das sein, dass eine ausreichende oder eine zu schwache Frequentierung der Strecken zu verzeichnen ist. - Bitte sehr!

Herr Hagenah, bitte!

Vielen Dank. - Herr Minister, ich wollte auf das in meinem Beitrag zitierte Anschreiben an den Verkehrsclub Deutschland zurückkommen. Darin steht, dass aus Ihrer Sicht dringend ein zusätzlicher Betrag womöglich aus den Zusatzeinnahmen aus der Mehrwertsteuer für den Bereich ÖPNV im

nächsten Haushalt enthalten sein sollte. Ich wollte Sie bitten, auch darauf entsprechend einzugehen.

Gerne, Herr Hagenah. Ich habe mich mit dieser Forderung bei der Aufstellung des Haushalts nicht durchsetzen können. Ich entnehme der vielschichtigen Argumentation, dass nicht alle, die die Mehrwertsteuererhöhung gutheißen, so sicher sind, dass die errechneten Mehreinnahmen auch tatsächlich kommen,

(Zustimmung von Hermann Eppers [CDU])

weil möglicherweise die Argumente, die im Übrigen auch von grüner Seite genau wie von den Liberalen eingebracht worden sind, dass nämlich eine solche Steuererhöhung auch gegenteilige Effekte haben und konjunkturdämpfend wirken könnte mit der Folge, dass weniger Einnahmen erzielt werden, als zunächst auf dem Blatt Papier errechnet worden ist, auch daran hindern zu sagen: Okay, das Geld kommt, ihr bekommt das zusätzlich in diesem Bereich zur Verfügung gestellt. Hier ist also nach dem Motto einer vorsichtigen Hausfrau verfahren worden, sage ich jetzt einmal: Lieber einen Notgroschen zurücklegen, als Geld ausgeben, das man nicht hat.

(Zustimmung von Klaus Rickert [FDP] und von Hermann Eppers [CDU])

Da ich diese Philosophie im Prinzip teile, bin ich nicht bereit gewesen zu sagen: Lasst uns das auf Teufel komm raus machen. Ich bin von dieser stimulierenden Wirkung der Mehrwertsteuererhöhung - wie gesagt - nämlich nicht gerade überzeugt, sondern im Gegenteil.

Aber, meine Damen und Herren, lassen Sie mich sagen: Wir müssen das Nahverkehrsgesetz natürlich an die veränderte Situation anpassen. Darüber werden wir im Landtag noch diskutieren. Wir sind in den Verhandlungen mit den Verkehrsunternehmen noch dabei zu prüfen - auch davon haben Sie gesprochen -, ob wir die Ausgleichszahlungen, die dort geleistet werden, konstant zurückführen können. Wir müssen sehen, ob die Verträge zustande kommen.

Ich muss aber bedauerlicherweise feststellen, dass der vorliegende Antrag die Rolle des ÖPNV in der Gesamtverantwortung des Landes verkennt und

ins Leere greift, sofern bestimmte Aktivitäten angestoßen werden sollen. Ich meine, bei allem, was wir tun, bei allen Interessen, die wir haben, müssen wir halt sehen, dass die Bettdecke nur so lang ist, wie sie gestrickt ist. Was wir an der einen Stelle mehr tun würden, müssten wir an der anderen umso weniger tun.

Deswegen glaube ich, dass der Kompromiss bezüglich des Verhältnisses zwischen Straße und Schiene, mit dem wir hier angetreten sind, richtig und im Interesse der Bürger unseres Landes auch zukunftweisend ist.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Ich sehe keine weiteren Wortmeldungen.

Wir kommen zur Ausschussüberweisung.

Federführend beraten soll den Antrag der Ausschuss für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr. Mitberatend tätig werden sollen die Ausschüsse für den ländlichen Raum, Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, für Haushalt und Finanzen sowie für Inneres und Sport. Wer so verfahren möchte, den bitte ich um sein Handzeichen. - Danke schön, es ist so entschieden worden.

Wir kommen jetzt zu

Tagesordnungspunkt 19: Zweite Beratung: a) Ausbildungsplatzmisere: Landesregierung muss jetzt handeln! - Antrag der Fraktion der SPD - Drs. 15/2726 - b) Lehrstellenlücke schließen - Transparenz in die Ausbildungssituation im Land bringen Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drs. 15/3007 - Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr - Drs. 15/3197 - Änderungsantrag der Fraktionen der CDU und der FDP Drs. 15/3200

Die Beschlussempfehlung lautet auf Annahme in geänderter Fassung. Eine Berichterstattung ist nicht vorgesehen.

Ich erteile Herrn Lenz von der SPD-Fraktion das Wort. Bitte schön, Herr Lenz!

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die erneute Debatte über die Ausbildungsplatzsituation in Niedersachsen hier im Plenum könnte vom Zeitpunkt her wohl nicht besser gewählt sein als jetzt. Seit wenigen Stunden liegen die aktuellen, die neuen Zahlen der Bundesagentur für Arbeit und der anderen Ausbildungsmarktpartner vor.

Sicherlich werden wir, Herr Minister Hirche, in der Debatte die unterschiedlichsten Argumente und Interpretationen der Zahlen zu hören bekommen, je nach dem, wo man nun gerade ist, ob in der Opposition oder in der Regierungspartei. Unabhängig davon haben wir aber heute wohl etwas Erschreckendes zur Kenntnis zu nehmen; denn seit der Wiedervereinigung im Jahr 1990 gab es noch nie eine so große Zahl an unversorgten Jugendlichen wie in diesem Ausbildungsjahr. 49 500 Jugendliche sind bisher bundesweit auf der Strecke geblieben, haben noch keinen Ausbildungsplatz gefunden. In Niedersachsen sind es 3 345 und damit 12 % mehr jugendliche unversorgte Bewerberinnen und Bewerber als noch im Ausbildungsjahr 2004/2005.

Herr Minister Hirche, diese Zahlen sind angesichts der guten konjunkturellen Situation eine traurige Bilanz. Nicht, dass mich jemand falsch versteht: Ich möchte mich ausdrücklich bei allen bedanken, die dafür gesorgt haben, dass Ausbildungsplätze zur Verfügung gestellt werden, die sich engagiert haben, die noch einen draufgesetzt haben und die sich auch weiter engagieren, um Ausbildungsplätze für junge Menschen zur Verfügung zu stellen.

(Beifall bei der SPD - Ernst-August Hoppenbrock [CDU]: Das ist neu!)

Aber: Wenn wir eine solche Bilanz, Herr Hoppenbrock, in einer konjunkturell vorteilhaften Situation haben, wenn es jetzt schon nicht reicht und 3 345 Jugendliche auf der Strecke bleiben, dann frage ich mich, was erst geschehen soll, wenn sich das Wachstum abschwächt, die Konjunktur einen anderen Verlauf nimmt! Wie viele Jugendliche wollen wir denn dann ohne Perspektive lassen? Zur Wahrheit gehört, dass die Anstrengungen, die von Ihnen, den tragenden Fraktionen, bisher unternommen worden sind, in Wahrheit nicht ausgereicht haben.

(Beifall bei der SPD)

Der niedersächsische Ausbildungspakt greift zu kurz, und das war leider vorhersehbar.

(David McAllister [CDU]: Nun hören Sie doch mal auf, uns schlechtzure- den!)

Jeder, der sich intensiv mit dieser Thematik auseinandersetzt, Herr McAllister, konnte wissen, dass sich die Ausbildungsplatzsituation aufgrund der vielen Jugendlichen aus den Warteschleifen, die sich zusätzlich zu den Schulabgängerinnen und Schulabgängern um einen Ausbildungsplatz mühen, weiter verschärfen würde. Deshalb haben wir als SPD-Fraktion bereits im März einen Entschließungsantrag mit konkreten Forderungen formuliert und eingebracht. Wie ich schon beim letzten Mal beklagt habe, haben Sie diesen Antrag im Fachausschuss leider sechs Monate lang schmoren lassen und mit Nichtbehandlung bestraft.

(Hans-Dieter Haase [SPD]: Unglaub- lich!)

Mittlerweile geben Sie selbst zu, dass sich die Ausbildungsplatzsituation in Niedersachsen nicht so entwickelt hat, wie Sie es sich vorgestellt haben. In der Beschlussempfehlung des Ausschusses über Ihren Änderungsantrag sind im Prinzip entsprechende Vorschläge unterbreitet. Das Gleiche gilt für die Haushaltsplanentwürfe des MW und des MK. Sie greifen jetzt auf einmal zum Teil Vorschläge auf, die wir bereits im März gemacht haben und die Sie noch vor Kurzem abgelehnt haben.