Protokoll der Sitzung vom 09.11.2006

Sie stellen mit diesem Gesetzentwurf die Berufsfreiheit über das Wohl der Beschäftigten im Einzelhandel. Das, meine Damen und Herren, werden wir nicht zulassen.

(Beifall bei der SPD)

Aber die Vernachlässigung von Arbeitnehmerschutz hat in dieser Regierungskoalition ja System. Unter dem Deckmantel von Deregulierung und Bürokratieabbau wird Arbeitnehmerschutz wieder einmal eindeutig vernachlässigt.

(Zustimmung bei der SPD)

Frau Präsidentin, mit Ihrer Erlaubnis zitiere ich die Begründung des Bundesverfassungsgerichtes:

„Die Regelung des Ladenschlussgesetzes über die werktägliche Öffnungszeit unter Einschluss des Samstags umfasst den Schutz vor Nachtarbeit. Nachtarbeit ist unter Schutzaspekten besonders bedeutsam, weil sie dem menschlichen Biorhythmus zuwiderläuft und deshalb zu Schlaflosigkeit,... erhöhter Nervosität und Reizbarkeit sowie zu einer Herabsetzung der Leistungsfähigkeit führen kann.“

Ich könnte auch noch zum Schutz des Sonntages weiterzitieren, aber das spare ich mir für die Ausschussberatungen auf.

Vor dem Hintergrund dieses Duktus, den das Bundesverfassungsgericht festgelegt hat, komme ich jetzt zu den einzelnen Regelungen des Gesetzentwurfs.

Sie wollen in § 2 über Begriffsdefinitionen regeln, in welchen Bereichen u. a. auch sonntags verkauft werden darf. Hierbei verwenden Sie Begriffe und Definitionen, die schon heute dazu aufrufen, Klageverfahren einzuleiten. Denn was genau ist bitte schön bei den „Waren des täglichen Kleinbedarfs“ unter „Lebens- und Genussmitteln in kleinen Mengen“ zu verstehen? Wo fängt denn die kleine Menge an, und wo hört sie auf?

Warum sind z. B. Bekleidungsartikel und Schmuck nach Ihrer Begriffsdefinition Waren des täglichen Gebrauchs, die auch sonntags verkauft werden dürfen? Und warum gehören z. B. Brillen nicht dazu? Ich glaube, es gibt Menschen, die häufiger eine Brille tragen als Schmuck.

(Zustimmung bei der SPD - Bernd Althusmann [CDU]: Manche haben trotzdem keinen Durchblick! - Dr. Philipp Rösler [FDP]: Stellen Sie doch einen Änderungsantrag, Frau Kollegin!)

Kommen wir zum Arbeitsschutz, meine Damen und Herren. In § 6 haben Sie versucht, den Arbeitsschutz zu regeln. Ich lasse einmal dahingestellt, ob Sie als Landesgesetzgeber überhaupt die Gesetzgebungskompetenz für Arbeitsschutz - das Arbeitszeitgesetz ist immerhin ein Bundesgesetz haben, auch wenn es hier um ein Spezialgesetz geht. Aber selbst wenn man den Arbeitsschutz auf Landesebene regeln könnte, so wie Sie das vorhaben, meine Damen und Herren, dann frage ich mich die ganze Zeit: Wer soll denn das alles bitte schön kontrollieren? - Sie schreiben z. B. vor, dass die Verkäuferin, die sonntagnachmittags arbeitet - nach Ihrem Gesetz ist das zukünftig ja häufig und im gesamten Land möglich -, in der gleichen Woche einen Nachmittag ab 13 Uhr frei haben muss. Gleichzeitig regeln Sie aber, dass es auch Ausnahmen von dieser Regelung geben kann. Diese Ausnahmen können die Kommunen genehmigen. Kontrollieren müssen das die Gewerbeaufsichtsämter. Die Betriebe haben eine Latte von Verzeichnissen über Name, Tag, Beschäftigungszeit usw. der an diesen Tagen Beschäftigten zu führen. Eine solche Kontrolldichte ist bei der Vielzahl von Einzelhandelsgeschäften in unserem Land überhaupt nicht möglich, meine Damen und Herren.

(Wolfgang Jüttner [SPD]: Das ist „Entbürokratisierung“!)

Sie bauen da ein bürokratisches Monster auf. Das ist kein Bürokratieabbau.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, nicht umsonst hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass die Regelung des Ladenschlussgesetzes auch aus kontrollökonomischen Gründen - also aus Gründen des Gesetzesvollzugs - sinnvoll ist, da sonst infolge fehlender gleicher Kontrollbedingungen von

gleichen Wettbewerbsbedingungen im Einzelhandel nicht mehr die Rede sein kann.

Weiter möchte ich den Passus in Ihrer Begründung ansprechen, in dem Sie ausgeführt haben, dass der ÖPNV an die veränderten Ladenöffnungszeiten anzupassen ist. Natürlich, das ist erstrebenswert: Wenn länger eingekauft werden kann, dann muss die Verkäuferin nach Feierabend auch wieder nach Hause kommen. Aber wer bezahlt denn die Veränderungen beim ÖPNV? Ich sage nur: Konnexität, Herr McAllister!

(Beifall bei der SPD - David McAllister [CDU]: Am besten wir schließen die Geschäfte ganz!)

Immerhin wird es nach einer Stellungnahme der Gewerkschaft der Polizei infolge der veränderten und verlängerten Ladenöffnungszeiten auch zu einer Veränderung bei den Hauptverkehrszeiten kommen. Außerdem wird es zu einer Erhöhung der Gefährdung des Verkaufspersonals, insbesondere bei Drogeriediscountern, kommen. Auch das wird zu einem erhöhten Personaleinsatz bei der Polizei führen.

(Bernd Althusmann [CDU]: Nichts als Schwarzmalerei!)

Auch sind die Kommunen höchstwahrscheinlich nicht in der Lage, den erhöhten Kontrollaufwand im Bereich des ruhenden Verkehrs allein sicherzustellen. Hilft da dann auch die Polizei mit?

Und wofür das alles? - Nur für die Interessen von ein paar Großkonzernen. Denn noch nicht einmal der inhabergeführte Einzelhandel vor Ort ist für eine Erweiterung der Öffnungszeiten.

(Bernd Althusmann [CDU]: Heuschre- cken!)

Wem nützt denn der Einkauf rund um die Uhr?

(Ernst-August Hoppenbrock [CDU]: Den Kunden!)

Es sind die großen Handelsketten, die ein großes Interesse daran haben. Die Einzelhändler vor Ort werden von diesen Möglichkeiten überhaupt keinen Gebrauch machen. Wenn man mit ihnen spricht, erfährt man: Wir benötigen das nicht.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Kommen wir im Konkreten zur Öffnung der Geschäfte am Sonntag. Sie wollen im Gesetz auf die Anlassbezogenheit verzichten. Diese Regelung findet durchaus auch unsere Zustimmung, wenn man sie auf vier Sonntage im Jahr begrenzt. Denn da haben sich die Kommunen sehr häufig selbst etwas in die Tasche gemogelt. Wir alle haben das vor Ort erlebt. Ich meine, hier kann man in der Tat etwas entschlacken.

(Glocke der Präsidentin)

Ich komme zum Schluss. Meine Damen und Herren, alles in allem ist Ihr Gesetzentwurf überflüssig, weil ihn niemand braucht und fordert. Er ist mittelstandsfeindlich, weil er den Konzentrationsprozess im Einzelhandel verstärkt und die inhabergeführten Läden massiv benachteiligt. Er ist familienfeindlich, weil er die Verteilung der Arbeitszeit im Tagesablauf erschwert. Er ist frauenfeindlich, weil zu befürchten ist, dass gerade Frauen vermehrt Opfer von Übergriffen im Einzelhandel werden. Er ist arbeitnehmerfeindlich, weil er Gesundheitsstörungen der Beschäftigten in Kauf nimmt. Er ist mit christlichen Werten nicht vereinbar, weil er den Sonntag in überwiegenden Landesteilen dem Kommerz opfert. Er ist kommunalfeindlich, weil er den Kommunen zusätzliche Kosten aufbürdet, und er ist auch noch grottenschlecht gemacht, weil er vom Bundesverfassungsgericht aufgezeigte Eckpunkte beim Arbeitnehmerschutz nicht beachtet.

Und jetzt kommen Sie bitte zum Schluss!

Ich kann nur hoffen, dass Sie im Rahmen der Anhörung zu anderen Einsichten kommen, so wie Ihre Kolleginnen und Kollegen in Bayern. - Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Lebhafter Beifall bei der SPD)

Danke sehr, Frau Kollegin Heiligenstadt. - Von der FDP-Fraktion hat sich Frau Kollegin Meißner zu Wort gemeldet. Bitte sehr!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gerade haben wir ja eine flammende Rede dazu ge

hört, warum unser Gesetzentwurf angeblich solch ein Quatsch ist.

(Zustimmung bei der SPD)

Ich meine, man kann sehr gut belegen, dass dem absolut nicht so ist.

Frau Heiligenstadt, ich fange einmal bei den Bayern an. Sie haben gesagt, wir sollten ein bisschen auf Bayern gucken, die wir ja sonst häufig vorzeigen, weil sie so gut wären. In diesem Fall sagen Sie, einige Aufrechte hätten dafür gesorgt, dass es in Bayern andere gesetzliche Regelungen geben wird als bei uns. - Dazu kann ich nur sagen: Gestern hat Hannover 96 die Bayern geschlagen. Also auch Bayern sind nicht immer vorn.

(Heiterkeit und Beifall bei der FDP und bei der CDU - Zurufe von der SPD)

Manchmal hat eben der Norden die Nase vorn. So viel dazu.

Frau Heiligenstadt, ich hatte gedacht, Sie hätten seit Oktober vielleicht noch einmal nachgedacht und Sie würden heute einige Dinge ein bisschen anders sehen. Ich habe schon im Oktober-Plenum, als Sie zu Ihrem Entschließungsantrag gesagt haben, Ladenöffnungszeiten, wie wir sie vorhaben, seien familienfeindlich und unsozial, klargemacht, warum das nicht stimmt.

Deswegen noch einmal: Das, was wir vorhaben, ist auf jeden Fall gut für die Familien und gut für die Menschen. Ich habe schon gesagt: Sozial ist das, was den Menschen nutzt und was die Menschen wollen.

Wir leben nicht auf einer Insel der Glückseligen.

(Widerspruch von Frauke Heiligen- stadt [SPD])

Die Welt hat sich seit 1956 weiter gedreht. Die Menschen heute - die Verbraucher, auch die Familien und die Frauen - wollen nämlich arbeiten und Geld verdienen können. Sie wollen, dass ihre Kinder gut betreut sind und dass sie dann, wenn ihre Kinder gut betreut sind, u. a. am Wochenende oder abends arbeiten können. Das ist selbstverständlich.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Wir wollen in keiner Weise den Familien, den Menschen, den Frauen, den Männern - wie auch im

mer - vorschreiben, wie sie ihr Leben organisieren müssen und wie sie zu leben haben. Wir schreiben nur das vor, regeln nur das und legen nur das fest, was wirklich geregelt werden muss.

(Beifall bei der FDP)