Ich war eigentlich der Auffassung - das haben wir mit den Gesetzesberatungen 2003 klar gemacht -, dass die 30jährige leidige, ideologiebefrachtete Debatte über die Schulstruktur irgendwann einmal beendet sein sollte.
Ich darf daran erinnern, dass Herr Jüttner im Frühling/Sommer 2003 gesagt hat: Okay, wir haben eine Klatsche bekommen, der Wähler hat entschieden; Gesamtschulen sind im Grunde nicht gewollt. Das passt uns zwar nicht, aber wir werden
Wie der Zufall es so will - manches Mal kommt die Bildungspolitik an der einen oder anderen Stelle ohne eine solche Diskussion nicht aus -: Jetzt haben wir wieder eine Schulstrukturdebatte. Sie alle, Herr Jüttner, werden sich dafür verantworten müssen.
Ich diskutiere in diesem Zusammenhang völlig entspannt, da wir - ich selber, aber auch die praktizierte, die angewandte Politik - schon viel weiter sind. Ich habe kein Problem damit, dass es Länder gibt, die sich im integrierten System bewegen. Denen muss man sagen, dass sie Differenzierungsmechanismen anbieten müssen, da das System sonst nicht funktioniert. Den Ländern, die sich, wie Niedersachsen, aus historischen und sonstigen, guten, Gründen im gegliederten System bewegen, muss man sagen, dass sie Durchlässigkeitsmechanismen vorhalten müssen, was wir mit der Verabschiedung unseres aktuellen Schulgesetzes auch getan haben, weil das wichtig ist und wir um die Notwendigkeit wissen. Wir sind hier längst weiter. Das haben Sie in Teilen, zumindest was die Kernpunkte angeht, auch wenn Sie das Gesetz insgesamt abgelehnt haben, mit beschlossen. Bei der Entwicklung waren Sie dabei.
Wir haben mittlerweile das Thema der eigenverantwortlichen Schulen. Im nächsten Sommer wird das an den Schulen in ganz Niedersachsen umgesetzt. Es geht darum, dass der Staat die Bildungsstandards setzt und die Schulen mit möglichst viel Freiheit die Ziele mit ihren Schülerinnen und Schülern erreichen und der Staat am Ende eine Outputkontrolle vornimmt: Wie gut sind wir? Die große ideologische Debatte interessiert nicht mehr. Wir sind längst viel weiter. Das sehen Sie an allen möglichen Einzelmaßnahmen. Das werde ich Ihnen auch noch aufzeigen.
In keinem System ist es verboten, das Richtige zu tun. Nirgendwo ist es verboten, die frühkindliche Bildung besser als bisher zu machen. Nirgendwo ist es verboten, den Grundschülern mehr Grundfertigkeiten - Rechnen, Schreiben, Lesen - beizubringen. Nirgendwo ist es verboten, Hauptschulen
mit Ganztagsangeboten und anderen Dingen zu favorisieren, und dort Sozialarbeit zu betreiben sowie Berufsorientierung anzubieten, wie dies mit sehr viel Erfolg, wie ich dieser Tage von Innungsmeistern gehört habe, geschieht. Es ist nicht verboten, an einer gymnasialen Oberstufe - auch im Klassenverbund - intensiveren Unterricht stattfinden zu lassen. Es ist nicht verboten, das Abitur nach der Klasse 12 abzulegen. Und und und. Was sollen eigentlich die Systemdebatten? - Ich verstehe das nicht. Das ist Kreativarmut. Wenn man keine Einfälle mehr hat, begibt man sich zurück zu Ideologiedebatten. Ich komme nachher noch an einigen Stellen darauf zu sprechen.
Entschuldigung, Herr Minister Busemann, dass ich Sie unterbreche. Der Geräuschpegel ist zu hoch. Nun haben sie sich wieder beruhigt. Ich hoffe, das hält ein wenig an. - Danke schön.
Klar ist - das war anfangs zu vermuten, jetzt ist es eindeutig zugestanden -, dass der Antrag Stellvertretercharakter hat. Es wird die Generaldebatte gesucht. Für Niedersachsen wird die Einheitsschule, die gemeinsame Schule, die regionale Schule, die Gesamtschule - was auch immer an Obertiteln unterwegs ist - angestrebt. Darüber werden wir uns in den nächsten 14 Monaten im Grundsätzlichen unterhalten.
Nun aber noch einmal konkret zu dem Antrag, der das Einstiegsthema für eine solche Debatte liefern soll. In der Begründung zu dem Antrag sprechen Sie davon, dass zum Schuljahr 2006/2007 etwa 2 000 Schülerinnen und Schüler entgegen dem Wunsch der Eltern nicht von bestehenden Gesamtschulen aufgenommen worden seien. Daraus ziehen Sie die Schlussfolgerung, dass wir mehr Gesamtschulen bräuchten. Dazu kann ich Ihnen nur ganz eindeutig sagen: Wenn die Gesamtschulen in Niedersachsen - wir haben insgesamt 59 Gesamtschulen in Niedersachsen; gemeint sind weniger die KGSen, sondern vielmehr die IGSen die genehmigte Zügigkeit ausfahren würden - sprechen Sie doch bitte einmal mit den Schulträgern, bei denen Sie als Sozialdemokraten die Mehrheiten stellen -, wäre damit eine Lösung des Themas ausgesprochen. Wenn vierzügige Integrierte Gesamtschulen die genehmigte Achtzügig
keit ausfüllen würden, würde sich das Problem, das Sie hier als Einstiegsthema nutzen wollen, nicht stellen.
In der Tat sind 2 000 Schülerinnen und Schüler nicht angenommen worden. Wenn die Integrierten Gesamtschulen die genehmigte Zügigkeit ausschöpfen würden, wären 83 zusätzliche Züge möglich. Derzeit werden Schülerinnen und Schüler in 141 statt den möglichen 224 Zügen aufgenommen. Würden die Integrierten Gesamtschulen entsprechend aufgestockt, könnten diese 2 000 Schülerinnen und Schüler - fast auf die Zahl genau untergebracht werden, und wir müssten diese Diskussion nicht führen. Das wäre vielleicht hier und dort nicht ganz standortscharf, aber da und dort wird ja auch ein wenig gefummelt, wie wir dies im Falle Braunschweigs vernommen haben. Ich nehme das einmal so hin. Das Thema an sich würde sich jedoch nicht stellen.
Aber Sie wollen über diese Thematik eine große Strukturdebatte entfachen. Ich sage Ihnen ganz offen: Ich habe nicht den Eindruck, als bestünde, wie Sie suggerieren, in Niedersachsen sozusagen der massenhafte Drang - von Borkum bis Osterode und von Stade bis zur Grafschaft Bentheim -, als würden die Menschen überall danach lechzen, neue Gesamtschulen zu bekommen. Ich weiß nicht, wie in dieser Frage Ihre Antennen ausgefahren sind. Sie sollten das vielleicht einmal ein wenig eruieren. Wenn es diesen Druck gäbe - Sie sind ja erst seit dreieinhalb Jahren aus der Regierungsverantwortung heraus -, wenn das alles so eindeutig wäre, dann hätten Sie in den 13 Jahren Ihrer Regierungszeit doch x-mal ein neues Schulgesetz verabschieden und ein paar Tausend Gesamtschulen im Lande begründen können. Das haben Sie aber nicht getan. Ich vermute, Sie haben sich dabei etwas gedacht. Ich sehe hier also keine massenhafte Bewegung.
Sie nennen das „gemeinsame Schule“, wir nennen das „Einheitsschule“. Klar ist, dass es bei der gemeinsamen Schule keine Hauptschule, keine Realschule und zumindest bis Klasse 10 auch kein Gymnasium mehr geben soll.
Wir können gern über Formulierungen streiten. Sie nennen das „gemeinsame Schule“, ich nenne das „Einheitsschule“, „Einheitslehrer“ und „Einheitslehrerverband“, was dann alles noch folgen wird. Das ist ja spannend. Sagen Sie das doch so offen. Sie müssen sich einfach besser bekennen. Sie müssen sagen, was Sie wollen.
Diese gemeinsame Schule ist nicht das Allheilmittel, um das demografische Problem zu lösen. Sie suggerieren, damit seien die Probleme zurückgehender Kinder- und Schülerzahlen lösbar. Wollen Sie allen Ernstes erzählen, dass die gemeinsame Schule in jedem 2 000-Seelen-Dorf das Förderschulangebot, das bisherige Hauptschul- und Grundschulangebot sowie das Realschulangebot und das Gymnasialangebot vorhalten kann? - Für so dumm kann man doch die Bürger nicht halten, dass sie Ihnen abnehmen, dass das ein Patentrezept sei.
Ich will Ihnen einmal sagen, was für mich persönlich abseits aller ideologischen Auffassungsunterschiede und abseits der Frage, ob die Wissenschaft Ja oder Nein zu dem einen oder dem anderen System sagt, das entscheidende Argument ist, um in Niedersachsen das gegliederte Schulwesen zu befürworten. Niedersachsen ist ein Flächenland, meine Damen und Herren gerade von der SPD. Bei aller Wertschätzung habe ich häufig den Eindruck, als dächten Sie, Schulwesen in Niedersachsen bedeute Schulwesen in Hannover bzw. Schulwesen in der Stadtstruktur Hannovers. Niedersachsen ist ein Flächenland mit 3 100 Schulstandorten, mit kleinteiligen Grundschulstrukturen - das ist gut so - und auch mit kleinteiligen Hauptschul- und Realschulstrukturen, die durchaus leistungsfähig sind und nicht schlecht geredet werden dürfen, Herr Poppe.
Wir haben gerade kürzlich gemeinsam in Bersenbrück eine große Haupt- und Realschule mit einem Neubau bedacht. Damals haben Sie sich nicht zu Wort gemeldet, aber jetzt stellen Sie das alles in Frage. Ich habe mich seinerzeit dezidiert dazu geäußert, wie ich es mit kleineren Schulstandorten halte.
Niedersachsen ist ein Flächenland! Wenn wir mit vielen Standorten wohnortnah am Kind dran sind, dann ist das gut für das Bildungsland, dann ist das gut für die Bildungsbeteiligung.
Wir haben nach der letzten Schulstrukturreform - Sie wissen das - viele Außenstellen bekommen; aus welchen Gründen auch immer. Wir haben auch neue Schulen bekommen, z. B. Gymnasien in den mittleren Bereichen der Fläche, aber auch neue Realschulen. Wissen Sie, was das Ergebnis ist? - Wir stellen eine verbesserte Bildungsbeteiligung fest, wenn das weiterführende Schulangebot gut erreichbar ist.
Das ist ein hoch interessanter Prozess. Ihre gemeinsame Schule stellt genau den gegenteiligen Weg dar. Sie wollen der Fläche die Schulen entziehen.
Sie nehmen das Bildungsangebot vom Kind weg: Längere Wege, schwächere Bildungsbeteiligung und Ähnliches wären die Folgen.
Ich sage Ihnen ganz offen. Sie haben die Karten doch schon auf den Tisch gelegt. Oder haben Sie die 15 Seiten starke Presseerklärung von Herrn Jüttner nicht gelesen? - Auf 15 Seiten hat er uns klargemacht, dass nach Berechnungen der SPD schon aus demografischen Gründen - ich habe ja mit den Ohren geschlackert, dass das so ist, und wie man strategisch so dämlich sein kann; Entschuldigung, das ist Ihr Problem - 334 Hauptschulen, 137 Realschulstandorte und drei Gymnasien gefährdet seien. Insgesamt seien also 474 einoder zweizügige Schulen gefährdet.
Ich habe das einmal umgerechnet. Wollen Sie die mit der gemeinsamen Schule retten? Ist dann das demografische Problem gelöst? - Das bringe ich nicht zusammen. Haben Sie dann mehr Kinder? Sie kriegen das Mehr an Kindern doch nur hin, wenn Sie Standorte konzentrieren, Frau Kollegin. Das muss doch offen angesprochen werden. Dann machen Sie also drei Schulen zu und ziehen sie an einem Standort zusammen.
- Ja, Herr Poppe, dann sagen Sie es auch so offen. Dann sagen Sie es ganz offen, damit die Leute es begreifen: Ihr schließt denen die Schule. So ist das! Ganz offen!
Das sind nach der Gefährdungstabelle Jüttner schon fast 500 Standorte. Wenn Sie die Förderschulen - Frau Eckel hat hier vor vier Wochen gesagt, einige würden geschlossen - -
Entschuldigen Sie bitte, Herr Minister Busemann, Herr Kollege Albrecht wünscht, eine Zwischenfrage zu stellen. Ich kann in dem Kontext aber auch darauf aufmerksam machen, dass Sie Ihre Redezeit um 100 % überschritten haben.
Ich möchte die Zwischenfrage von Herrn Kollegen Albrecht gerne zulassen. Danach werde ich meine Rede beenden.