Schnell wurde deutlich, dass Minister Schünemann im Wettlauf mit seinem Amtskollegen Beckstein sein Profil als härtester Abschiebungsminister schärfen wollte. Er schreckte dabei auch nicht davor zurück, den Bundesinnenminister scharf zu attackieren. Ich zitiere mit Genehmigung des Präsidenten aus dem Rheinischen Merkur vom 30. November. Dort heißt es, „die Vereinbarungen hätten gezeigt, dass auch beim Bundesinnenminister die Kenntnisse über die Praxis vor Ort nicht sehr ausgeprägt seien.“ Kritik wegen dieser Äußerung hat Herr Minister Schünemann insbesondere aus den eigenen Reihen geerntet. Doch Herr Schünemann hat auch nichts dazu gelernt. Er lässt weiterhin rücksichtslos Menschen abschieben, die ein Bleiberecht erlangen könnten, und lässt sich in seinem Rausch auch nicht von richterlichen Hinweisen zur Vernunft bringen.
Ungeachtet dieses Hinweises weigert er sich, die unter dramatischen Umständen getrennt von ihrer Familie abgeschobene Frau Salame Gazale für die Dauer des Klageverfahrens nach Deutschland zurückzuholen. Er schreckt weiter nicht vor Abschiebungen in Nacht-und-Nebel-Manier zurück und stellt kommunale Verwaltungsspitzen bloß, die sich mit Verstand und Zivilcourage für Besonnenheit und Mäßigung einsetzen. Der Prälat der Evangelischen Kirche in Berlin, Herr Reimers, bezeichnete Herrn Schünemann sehr zutreffend als „Bremser einer humanitären Bleiberechtslösung“.
Im Rheinischen Merkur wird der niedersächsische Innenminister mit den Worten zitiert: Die Realität ist doch, dass 90 % aller Zuwanderer Wirtschaftsflüchtige sind, die es sich im sozialen Netz bequem machen. - Diese Aussage ist beschämend,
weil seit Jahren der Mehrheit der geduldeten Flüchtlingen der Zugang zum Arbeitsmarkt durch die Vorrangprüfung nicht nur erschwert wird, sondern auch verhindert wird, da die Ausländerbehörden den Flüchtlingen die Arbeitsaufnahme nicht gestatten. Das geschieht mit Ihrer ausdrücklichen Zustimmung, Herr Schünemann.
Auch die jetzige Bleiberechtsregelung erschwert durch bürokratische Hürden und räumliche Beschränkungen die Arbeitssuche. Welcher Arbeitgeber, frage ich Sie, wird bei dieser Arbeitsmarktlage jemanden einstellen, von dem er sicher sein kann, dass er nur für ein halbes Jahr hier geduldet wird? Aufenthaltserlaubnisse, wie Herr Schäuble sie vorgesehen hätte, wären hier eine gerechte Lösung gewesen.
Herr Minister Schünemann, ich fordere Sie auf, die Forderungen der Kirchen und Wohlfahrtsverbände, von Migranten- und Flüchtlingsverbänden an ein Bleiberecht umzusetzen! Stellen Sie sicher, dass die Schutzsuche im Kirchenasyl und die Ausschöpfung des Rechtswegs, der in diesem Rechtsstaat jeder Person offensteht, nicht als vorsätzliche Hinauszögerung oder Behinderung der Abschiebung gewertet werden!
Kriminalisieren Sie nicht das Kirchenasyl! Akzeptieren Sie, dass Menschen, die Hals über Kopf ihre Heimat verlassen und Angst vor Verfolgung haben, manchmal keine Pässe besitzen oder unter falschem Namen reisen! Lassen Sie Kinder nicht für Fehler ihrer Eltern leiden! Regelungen, die einer Sippenhaft gleichkommen, widersprechen dem Prinzip eigenverantwortlichen und selbstbestimmten Handelns.
Skandalös, meine Damen und Herren, ist der faktische Ausschluss erwerbsunfähiger, alter, kranker und behinderter Menschen vom Bleiberecht.
Meine Damen und Herren von der CDU und der FDP, pfeifen Sie Ihren Innenminister zurück! Machen Sie ihm klar, dass er auf das falsche Ziel zurennt. Mit einem Sieg in diesem schäbigen Rennen um das härteste Bleiberecht ist kein Blumentopf zu gewinnen.
Für die SPD-Fraktion hat sich nun der Abgeordnete Bachmann zu Wort gemeldet. Ich erteile ihm das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe eben gehört, dass Ihr früherer Fraktionskollege Heinz Jansen vor dem Hintergrund dieser Anordnung und des Bleiberechtskompromisses, den Herr Schünemann durchgesetzt hat, in einer Gruppe vor dem Landtag erklärt haben soll, er könne, wenn dieser Mann Innenminister bleibt, das nächste Mal nicht mehr CDU wählen. Das ist eine ganz interessante Feststellung.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Thema der Aktuellen Stunde der Grünen hat den großen Vorteil, dass wir unseren Entschließungs
antrag, in dem wir vom Parlament konkrete Schritte fordern, am Freitag nicht mehr debattieren müssen, sondern ihn direkt überweisen können. Das ist sicherlich ein Zeitvorteil. Ich darf gleichzeitig darauf hinweisen, dass wir die Mitberatung der Ausländerkommission beantragen. Herr Präsident, ich bitte Sie, dies vorzunotieren.
Wir haben das Parlament in unserem Entschließungsantrag dazu aufgefordert, deutlich zu machen, dass der Kompromiss der IMK deutlich hinter den Erwartungen von Kirchen, Wohlfahrtsverbänden, Migrantenorganisationen und auch unseren Positionen, die wir mehrfach vorgelegt haben, zurückbleibt, dass wir darauf setzen, dass der Kompromiss, der zwischen Bundesinnenminister Schäuble und Bundesarbeitsminister Müntefering ausgehandelt wurde, die Lösung ist, dass wir auf ein derartiges Bundesgesetz setzen und Landesregierung und Bundestag dazu auffordern, daran weiterzuarbeiten. Insofern ist der IMK-Kompromiss für uns ausschließlich ein Zeitgewinn, bis wir zu einem entsprechendem Bundesgesetz kommen. Wir wollen die Landesregierung auffordern - ich unterstütze vehement die Aussagen der Kollegin Langhans in den Inhalten, warum wir diese Position für ein wirkliches humanitäres Bleiberecht vertreten -, dass all die, die durch den SchäubleMüntefering-Kompromiss begünstigt wären, jetzt nicht beschleunigt abgeschoben werden, Herr Minister Schünemann. Das ist auch unsere Erwartungshaltung.
Herr Dr. Rösler, Sie haben die Chance, diesem Entschließungsantrag zuzustimmen; denn zumindest verbal haben Sie das schon getan. Wir hoffen, Sie haben dieses Mal das Rückgrat, es auch durch Handzeichen zu tun.
Noch eine Anmerkung zu Ihrer Kritik an Herrn Schäuble: Ich kann nicht beurteilen, wie viel Ahnung Herr Schäuble hat. Sie kennen ihn sicherlich besser als ich. Aber eines hat Herr Schäuble im Gegensatz zu Ihnen: Er hat kein Schmirgelpapier zwischen den Fingern, und er kann mit dem Wort „Humanität“ etwas anfangen.
(Mitarbeiter des Saaldienstes führen die Frau im Clown-Kostüm unter de- ren Protest aus dem Plenarsaal - Auf der Zuschauertribüne werden Trans- parente mit den Aufschriften „Atom- ausstieg sofort!“ und „Schützt uns! Nicht die Atomkraft!“ entrollt)
- Ich bitte die Saaldiener, dafür zu sorgen, dass auch die Gruppe auf der Zuschauertribüne hinausgeht.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich eröffne die unterbrochene Sitzung wieder und bitte Sie, Platz zu nehmen. Der Abgeordnete Bachmann von der SPD-Fraktion hat das Wort.
Man muss alles einmal erlebt haben. Ich war gerade so schön in Schwung. Aber ich komme auch wieder in Schwung.
Tisch, Herr Minister. Ich möchte dafür nur ein Beispiel zitieren. Bei Ausschluss auch nur eines Familienmitgliedes von dem Bleiberechtskompromiss, das die Versagungsgründe erfüllt, erfolgt grundsätzlich auch ein Ausschluss des Ehegatten und der minderjährigen Kinder. Das ist Sippenhaft par excellence. Das ist Inhumanität.
Ich würde jetzt gern den Ministerpräsidenten ansprechen. Die Arbeitsteilung - er macht den feinen Max,
und auf der anderen Seite sitzt der Innenminister, der als Kettenhund arbeitet - darf beendet werden. Ich zitiere Ministerpräsident Wulff vor Dr. Weber im Braunschweiger Dom: Wir müssen mehr auf die Kirchen hören. - Meine Damen und Herren, an dieser Stelle sollten Sie wirklich auf die Kirchen hören. Aber dieser Minister schaltet auf Durchzug oder stellt sich taub.