Protokoll der Sitzung vom 07.12.2006

Vergleichsarbeiten, Lernstandsberichte, Schulinspektionen machen nur Sinn, wenn dem ersten Schritt ein zweiter Schritt folgt, nämlich die Diagnostik, und wenn dann individuelle Förderung einsetzt bzw. die Qualität des Unterrichts steigt.

Schulinspektionen machen keinen Sinn, wenn die Schulen danach mit den Erkenntnissen alleingelassen werden. Unterstützungssysteme halten Sie

für wichtig. Aber wo sind sie? - In Ihrem Haushalt sind sie nicht abgebildet.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Fortbildung halten Sie für wichtig. Aber wo ist der ausreichende Etat dafür?

Individuelle Förderung steht sogar im Schulgesetz. Aber wo sind die erforderlichen Lehrerstunden?

Sie machen den ersten Schritt, und dann ist die Batterie leer.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Oder, aus Sicht der Lehrerinnen und Lehrer gesehen: Sie pfeifen das Spiel an, und danach verlassen Sie das Spielfeld.

Sehr geehrte Damen und Herren, ist das bei der Eigenverantwortlichen Schule auch so? - Nach der Verabschiedung des Gesetzes hat der Minister großzügig gesagt: Nun haben die Schulen ein Jahr Zeit, sich auf die Eigenverantwortlichkeit vorzubereiten. - Herr Busemann, davon sind nur noch sieben Monate übrig. Das Einzige, worauf sich Schulen bisher vorbereiten können, ist der neue Schulvorstand. Alles andere ist im Unklaren. Welche Freiheiten für die Schulen sollen es denn nun werden? Welche Mittel stehen zur Verfügung? - Der Haushaltsplanentwurf enthält keinen Cent.

Herr Minister, es wird Zeit, dass Sie in die Pötte kommen. Ein richtig guter Wurf ist Ihnen bisher nicht gelungen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Es ist Ihnen nicht gelungen, eine Aufbruchstimmung in den Schulen zu erzeugen. Eher ist das Gegenteil der Fall. Es ist Ihnen auch nicht gelungen, die Eltern von Ihrer Schulpolitik zu überzeugen - siehe Unterrichtsversorgung und Profilierung der Hauptschulen. Und: Die Klagen der Lehrkräfte bezeugen nur, dass Lobeshymnen und Dankadressen nicht ausreichen, um über große Klassen, schwierige Arbeitsbedingungen und Gehaltskürzungen hinwegsehen zu lassen.

(Beifall bei der SPD)

Ihnen fehlt die Vision eines Schulwesens, das aus einer Misere heraushilft, die uns vor allem durch

PISA bescheinigt wurde. Unser Bildungssystem liest aus und unterstützt zu wenig, stellt die Schulform in den Mittelpunkt und nicht das Individuum, bevorzugt die Starken und lässt die Benachteiligten zu oft zurück. Der enge Zusammenhang von Schulerfolg und Herkunft in einem solchen Ausmaß, gepaart mit einem schlechten Leistungsniveau: Das ist es, was Sozialdemokraten vom PISA-Schock sprechen lässt.

(Beifall bei der SPD)

Das ist es auch, was Wissenschaft und Wirtschaft Veränderungen fordern lässt. Das ist es, was die Politik zum Handeln zwingt und die Richtung vorgibt. Die SPD mit ihrem nie obsolet werdenden Ziel der sozialen Gerechtigkeit nimmt die Herausforderung an.

(Beifall bei der SPD)

Deswegen heißen unsere Schwerpunkte: frühkindliche Bildung, individuelle Förderung, langes gemeinsames Lernen.

(Beifall bei der SPD)

So hat es die niedersächsische SPD in ihrem Konzept „Zukunft der Bildung“ festgelegt. Das bildet sich auch in unserem Änderungsantrag zum Haushalt ab:

Erstens: Frühkindliche Bildung. Unser Ziel ist der kostenlose dreijährige Kindergartenbesuch aller Kinder. Wir wollen mit der Beitragsfreiheit eines Kindergartenjahres beginnen und setzen dafür 37,5 Millionen Euro ein. Der Besuch eines Kindergartens soll fester Bestandteil des Bildungssystems sein, damit alle Kinder erreicht werden. Je länger Kinder einen Kindergarten besuchen, desto geringer sind die Sprachdefizite bei der Einschulung.

Eine Untersuchung in Köln, die Migrantenkinder und Kinder aus bildungsfernen Schichten im Fokus hatte, hat belegt: Wenn Kinder den Kindergarten ein Jahr lang besuchen, dann haben bei der Einschulung noch 33 % von ihnen Sprachdefizite. Bei einem Besuch von über zwei Jahren sind es nur noch 6 %. Das heißt, im Kindergarten kann vieles für die Sprachentwicklung getan werden.

Sprache ist der Schlüssel für Teilhabe an Bildung. Deswegen erhöhen wir die Mittel für die Sprachförderung im Elementarbereich um 2 Millionen Euro. Das Kultusministerium hat den Verteilungsmodus für die Förderung im laufenden Jahr verän

dert. Mehr Einrichtungen als bisher sind jetzt berechtigt, von den Sprachfördermitteln zu profitieren. Dagegen ist absolut nichts einzuwenden. Der Nachteil ist allerdings, dass gleichzeitig vor allem Städte mit sozialen Brennpunkten und hohem Migrantenanteil zum Teil sehr hohe Einbußen hinnehmen mussten.

(Beifall bei der SPD)

Deswegen stocken wir in unserem Änderungsantrag die Mittel für Sprachförderung im Kindergarten von 6 Millionen Euro auf 8 Millionen Euro auf.

(Beifall bei der SPD)

Mein Kollege Uwe Schwarz hat heute Vormittag bei der Debatte über den Sozialhaushalt den Schutz von Kindern und die Gesundheitsvorsorge in den Mittelpunkt gerückt und dabei die Familienzentren genannt. Wir sind überzeugt: Der Ausbau unterstützender Maßnahmen für Eltern und Kinder im Bereich von Erziehung, Bildung und Betreuung ist bei einem gleichzeitig effektiven Einsatz der Mittel nur über die Errichtung von Familienzentren möglich. Im ersten Schritt sollen insgesamt 50 Familienzentren entstehen. Das ist unsere Planung.

(Beifall bei der SPD)

Dafür stellen wir zusätzlich zu den 2,5 Millionen Euro im Sozialhaushalt noch einmal 2,5 Millionen Euro im Kultushaushalt bereit.

Der Soziologe Klaus Hurrelmann hat im Oktober eine alarmierende Untersuchung vorgelegt: 80 000 Kinder zwischen null und zehn Jahren sind in Deutschland von Vernachlässigung bedroht. Wenn wir kein Kind zurücklassen wollen, müssen wir jedes Kind erreichen.

(Beifall bei der SPD)

Die bisherige Praxis leidet darunter, dass erst eingegriffen wird, wenn Defizite öffentlich wahrgenommen werden. Deswegen brauchen wir niedrigschwellige, in das alltägliche Leben eingebundene Angebote, die das Ziel haben, Eltern für ihren Erziehungsauftrag zu stärken. Familienzentren können auch aus bestehenden Kindertagesstätten entwickelt werden. Nordrhein-Westfalen hat gerade 200 dieser Projekte gefördert. Die Nachfrage übertraf bei Weitem das Angebot.

Und was machen Landesregierung und die Fraktionen der CDU und der FDP? - Sie lehnen Famili

enzentren und das beitragsfreie Kindergartenjahr ab.

(Beifall bei der SPD)

Sehr geehrte Damen und Herren von CDU und FDP, sehr geehrter Herr Busemann, dass Sie die Bedeutung der frühkindlichen Bildung hoch einschätzen, können wir Ihnen nicht mehr abnehmen. Kann man Ihnen noch glauben, dass Sie ein Interesse daran haben, jedem Kind - gleichgültig, welchem sozialen Milieu es entstammt und welches seine Muttersprache ist - eine Bildungschance zu geben? - Jedenfalls handeln Sie nicht konsequent danach.

(Beifall bei der SPD)

Das Kind und die Entfaltung seines Potenzials in den Mittelpunkt stellen - das ist unsere Devise, die Devise der SPD-Fraktion. Deswegen finden wir es enttäuschend, dass die Landesregierung bereit ist, für ein Sammelsurium von wenig durchdachten Maßnahmen unter dem Titel „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ 20 Millionen Euro einzusetzen.

Sehr geehrte Damen und Herren, ich komme zum zweiten Punkt, zur Entwicklung der niedersächsischen Schulen. Herr Busemann, ich an Ihrer Stelle würde jedes Mal zusammenzucken, wenn jemand die Worte „100 %“ ausspricht. Sie scheinen in der Hinsicht unbegrenzt leidensfähig zu sein.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Egal, wie Sie es zerren und schieben: Trotz neuer Berechnungsgrundlage - Sie schaffen ja mit weniger Lehrerstunden mehr Unterrichtsversorgung und erhöhter Klassenfrequenzen fehlt einfach immer etwas. Es sind nicht nur die Gymnasien und die Mangelfächer, die Ihnen den Schnitt vermasseln, den Eltern die Galle überlaufen lässt und Schüler veranlasst, offene Briefe an Sie zu schreiben. Zwei Jahre, so schreibt der Realschüler Mark Schulze, hatte er keinen Chemieunterricht mehr. Glauben Sie, der Junge gibt sich damit zufrieden, wenn Sie ihm mitteilen, die Unterrichtsversorgung an seiner Schule liegt bei 99 %?

(Zustimmung bei der SPD)

Herr Minister, wenn es um Unterrichtsversorgung geht, werden Sie nicht müde, auf die 2 500 zusätzlichen Lehrerstellen aus dem Jahre 2003 hinzuweisen. Aber dieser Mythos ist leicht zu knacken. Zählt man die Stellen zusammen, die durch Ihre

Schulstruktur im System verschwunden sind, nimmt die Stellenumwandlungen und Abordnungen sowie die bisherigen 300 und die für 2008 geplanten 400 Stellenstreichungen dazu, dann bleibt von Ihren 2 500 Lehrerstellen nichts mehr übrig.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Genau genommen wird aus Ihrem Plus ein Minus. Kein Wunder, dass Sie keine 100-prozentige Unterrichtsversorgung hinbekommen.

Nun hat die CDU/FDP-Koalition Sie vor der Torheit bewahrt, die in der Mipla 2007 vorgesehenen 400 Stellen zu streichen, wie wir es schon vor Wochen im Kultusausschuss gefordert haben.

(Zuruf von der CDU: Da hatten wir das schon längst beschlossen!)