Protokoll der Sitzung vom 06.03.2007

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Im Gegenteil: Anhand dieses Gesetzes wird deutlich, was die Koalition in Niedersachsen tatsächlich unter „sozialer Marktwirtschaft“ versteht. Dies ist nämlich ein Gesetz, das Marktwirtschaft pur regelt - mit all ihren hässlichen Facetten, die wir gerade durch die soziale Marktwirtschaft in der Bundesrepublik zähmen wollten.

(David McAllister [CDU]: Das waren doch alle SPD-Länder!)

Wenn es Ihnen, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen der rechten Seite dieses Hauses, darum ginge, einen wirklich sozial ausgewogenen Gesetzentwurf zu verabschieden, dann hätten Sie einen anderen, einen gemäßigteren Gesetzentwurf eingebracht. Dann hätten Sie auf all die Gründe aus der Anhörung eingehen können. Sie hätten diese Gründe wenigstens abwägen und anschließend in Ihre Überlegungen mit einbeziehen können. Dann hätten Sie vielleicht die Zeit zwischen 22 und 6 Uhr morgens oder wenigstens den Samstag ab 20 Uhr unter Schutz gestellt.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Aber von all dem ist in diesem Gesetzgebungsverfahren nichts zu merken gewesen. Stattdessen handeln Sie nach der Devise: Augen zu und durch! Freiheit für den Kommerz! Freiheit für das Einkaufen rund um die Uhr!

(Norbert Böhlke [CDU]: Was sagen Sie denn zu den anderen Bundeslän- dern?)

Aber dass diese Freiheit ihre Grenzen in den Freiheiten der Betroffenen hat, scheint Ihnen dabei völlig egal zu sein. Die unbegrenzte Einkaufsfreiheit hat ihre Grenzen in der Gesundheit der Verkäuferinnen und Verkäufer. Diese unbegrenzte Freiheit hat ihre Grenzen bei den Geschäftsinhabern des kleinen mittelständischen Einzelhandels. Sie hat ihre Grenzen in der Tradition unserer Gesellschaft, in unserem Selbstverständnis aus unserer christlichen Tradition heraus, nämlich einen Tag in der Woche als Ruhetag einzuplanen.

(Beifall bei der SPD)

Unsere Gesellschaft ist keine Gesellschaft des ständigen Rund-um-die-Uhr-Kommerzes. Die Menschen sehnen sich nach Einteilung und Ruhe, wollen Stress abbauen und keinen zusätzlichen erzeugen. Sie wollen sich in Vereinen und Organi

sationen ehrenamtlich engagieren. Sie wollen für ihre Familien und Kinder da sein, ihre Eltern und Verwandten pflegen können und Zeit für sich selbst haben.

(Norbert Böhlke [CDU]: Gehen Sie einmal sonntags in eine Tankstelle!)

Was machen Sie stattdessen? - Sie reden von Familienfreundlichkeit und geben doch familienfeindlichen Regeln den Vorzug mit einem Gesetz, in dem übrigens der kleine Koalitionspartner, die FDP, die vermeintlich große CDU mächtig über den Tisch gezogen hat.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Wie anders ist es zu erklären, dass nun gar nichts von den Forderungen, z. B. der katholischen Arbeitnehmerorganisationen und der Kirchen, in diesen Gesetzentwurf eingearbeitet worden ist? - Sie wollen ja wohl nicht im Ernst deutlich machen, dass das Einpflegen des Pfingstmontags und des Ostermontags tatsächlich eine Errungenschaft Ihres Verhandlungsgeschickes ist, die Sie dem kleinen Partner FDP abgetrotzt haben!

(Günter Lenz [SPD]: Das glauben die!)

Meine Damen und Herren, es ist doch Christenpflicht und damit selbstverständlich, dass alle Feiertage von Ostern und Pfingsten unter den Sonntagsschutz zu fallen haben. Sie verkaufen das stattdessen auch noch als Erfolg.

(Beifall bei der SPD - Norbert Böhlke [CDU]: Du sollst nicht falsch Zeugnis ablegen!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieses neue Ladenschlussgesetz ist arbeitnehmerfeindlich, weil es keinen Schutz vor Nachtarbeit und Sonntagsarbeit bietet, sondern die volle Marktradikalität des Handels über den Arbeitnehmerschutz stellt. Es ist zudem frauenfeindlich, weil in erster Linie Frauen davon betroffen sein werden. Dadurch werden - dies wurde uns in der Anhörung bestätigt - erhöhte Unfall- und Sicherheitsrisiken für Frauen befürchtet. Das Gesetz ist mittelstandsfeindlich, weil, wie zahlreiche Branchenvertreter deutlich gemacht haben, man insbesondere im Handwerk zukünftig nicht mehr mit den Dumpingpreisen der großen Ketten und den Discountern wird mithalten können. Ich erwähne nur das Bäcker- und Flei

scherhandwerk, die Floristen und das Konditorhandwerk.

Zusätzlich treiben Sie mit diesem Gesetz zahlreiche inhabergeführte Einzelhandelsbetriebe in den Ruin, die sich nicht mehr gegen die zunehmende Filialisierung in den Innenstädten wehren können. Das Gesetz ist sogar kirchenfeindlich und widerspricht unseren christlichen Werten, weil es noch nicht einmal ermöglicht, nach einem Arbeitssamstag bis 24 Uhr am Sonntag tatsächlich ausruhen zu können. Von zahlreichen Ausnahmen mit Sonntagsverkauf im ganzen Land möchte ich einmal absehen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, das Gesetz führt zu massiven Wettbewerbsverzerrungen, insbesondere in den Gebieten um die Bahnhöfe in den Innenstädten. Hannover wird ein Beispiel dafür sein. Sie lassen in dem Gesetz den Verkauf von so umfangreichen Sortimenten an einem Sonntag zu, dass selbst der GBD massive Bedenken in der Anhörung vorgetragen hat.

Das Gesetz führt zu massiven Wettbewerbsverzerrungen in den Gebieten um die Kur- und Heilbäder. Bei allem Verständnis für die besondere Situation der Kur- und Heilbäder in unserem Land: Genau die Wettbewerbsnachteile, die Sie durch die unterschiedlichen Regelungen in den verschiedenen Bundesländern befürchtet haben, wenn Niedersachsen kein eigenes Ladenschlussgesetz bekommt, holen Sie sich jetzt direkt ins Land, und zwar um jeden Kurort herum.

Wie wollen Sie verhindern, dass es zu deutlichen Kaufkraftverlusten in Herzberg, Osterode und Northeim kommt, wenn zukünftig in Bad Lauterberg an Sonntagen ungehindert verkauft werden darf?

(Ursula Körtner [CDU]: Jetzt fallen alle in die Kurorte ein, und es bricht ein Kaufrausch aus!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Ihr Gesetz ist massiv familienfeindlich. Das haben die Familienverbände ausreichend vorgetragen. Ich muss das nicht mehr extra ausführen.

(Beifall bei der SPD)

Sie scheinen vergessen zu haben, dass es bei Familienzeit um gemeinsame Zeit der Eltern, also

von Vater und Mutter, mit Kindern geht und nicht mehr um die Zeit allein ohne Familie.

Zu guter Letzt, meine sehr verehrten Damen und Herren, bleibt mir nur noch, die Titelzeile des Stader Tageblatts vom 22. Januar 2007 zu zitieren: „Neuer Ladenschluss ein Schuss in den Ofen“. Meine Damen und Herren, dieser Auffassung des Redakteurs schließe ich mich ausdrücklich an. Wir werden Ihren Entwurf eines Gesetzes über die Ladenöffnungszeiten ablehnen.

(Starker Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Danke schön. - Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat Frau Kollegin Helmhold das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Heute soll hier ein Gesetz verabschiedet werden, das offensichtlich außer der FDP niemand so richtig will. Der Bild-Zeitung von heute konnten wir beispielsweise entnehmen, dass man dort eigentlich keinen gefunden hat, der Ladenöffnungszeiten rund um die Uhr tatsächlich für gut hält. „Kunden lehnen dankend ab: Mitternachtsshopping, aber keiner macht mit“ konnte man dort lesen.

(Christian Dürr [FDP]: Das ist doch so! Sie haben es nicht verstanden!)

Es ist ja tatsächlich ein außerordentlich fauler Kompromiss, den CDU und FDP hier heute vorlegen. Das ging ungefähr so: Gibst du mir Rund-umdie-Uhr-Shoppen, gebe ich dir den Ostermontag und den Pfingstmontag. Gibst du mir Bekleidung und Schmuck, gebe ich Lebensmittel in kleinen Mengen preis. - So ging das, obwohl Herr Bode zu Anfang vollmundig verkündet hatte, einen Basar werde es jedenfalls mit der FDP nicht geben.

Das Credo der FDP an dieser Stelle lautet: Ich kaufe, also bin ich. - So ist dieses Gesetz auch geworden.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Damit die liberale Ideologie befriedigt wird, müssen Verkäuferinnen zu unmöglichen Zeiten arbeiten, werden Verwerfungen in der Struktur der Einzelhandelsgeschäfte in Kauf genommen. Zu alldem

gibt die Christlich-Demokratische Union ihren Segen. Sie behaupten zwar, dass Sie wenigstens nicht noch den Sonntag dem Kaufrausch der FDP haben opfern müssen. Aber Sie können doch nicht wirklich zufrieden sein; denn bei diesem Gesetz hat am Ende wirklich der Schwanz mit dem Hund gewedelt.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Ihr Kompromiss ist wirklich teuer erkauft. Sie konnten nicht einmal - wie von den Kirchen eindringlich gewünscht - den Sonntag schützen, indem wenigstens am Samstag die Läden um 20 Uhr schließen. Meine Damen und Herren, da beklagen Sie wortreich den allgemeinen Werteverlust. Sie beschleunigen ihn aber durch die massive Abwertung des sozialen Miteinanders durch dieses Gesetz selber. Bei Ihnen gehen liberale Ideologie und ökonomische Interessen im Zweifel immer vor. Was denken Sie sich denn eigentlich dabei, in der Gesetzesbegründung auch noch zu behaupten, dieses Gesetz sei gut für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf?

(Unruhe bei der SPD - Stefan Wenzel [GRÜNE]: Ein Hohn! - Wolfgang Jütt- ner [SPD]: Die Familie hat Vorrang!)

Sie degradieren mit diesem Gesetz die Familie zur Betreuungsagentur, bei der sich die Eltern gegenseitig die Klinke in die Hand geben.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Da fordern Sie in Sonntagsreden wortreich den Schutz der Familie, und gleichzeitig nehmen Sie ihr eine der wichtigsten Grundlagen, nämlich gemeinsame Zeit. Ist das neuerdings Ihr Familienbild? Traurig, meine Damen und Herren!

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der SPD - Hans-Werner Schwarz [FDP]: Nichts verstanden!)

Wie haben Sie sich das eigentlich bei den Alleinerziehenden gedacht? Sie haben in der Anhörung doch erfahren, dass nach Einführung des langen Donnerstags viele Frauen im Einzelhandel arbeitslos wurden, weil sich nämlich sonst nichts geändert hatte, weil es zu solchen Zeiten keine Kinderbetreuung gab und gibt und weil viele Frauen zu so später Stunde mangels Anbindung im Personennahverkehr überhaupt nicht mehr nach

Hause kommen können. Ihr Gesetz ist nicht nur deswegen äußerst frauenfeindlich, sondern auch, weil die Zahl nicht mehr Existenz sichernder Teilzeitarbeitsplätze zunehmen wird, weil aus Kostengründen die Löhne sinken werden und weil Frauen in den Abendstunden im besonderen Maße der Gefahr ausgesetzt sind, Opfer von Gewalttaten zu werden.

Meine Damen und Herren, dieses Gesetz ist in hohem Maße unsozial. Nicht nur Frauen und Familien leiden darunter, dass Sie den Götzen des ungehemmten Konsums anbeten.

(Unruhe bei CDU und FDP - Zuruf von der CDU: Mein Gott!)