Protokoll der Sitzung vom 12.09.2007

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Joachim Albrecht [CDU]: Welche Daten hätten Sie denn heran- gezogen?)

Die Fragen 7 bis 10 befassen sich mit dem Übergang in die Sekundarstufe I, und zwar zum einen

mit der Empfehlung durch die Lehrkräfte und zum anderen mit der tatsächlichen Verteilung auf die Eingangsklassen der verschiedenen Schulformen. Es ist so, wie es nicht anders zu erwarten war: Schon bei den Empfehlungen sind die Kinder mit nicht deutscher Herkunftssprache beim Gymnasium gravierend unterrepräsentiert und bei der Hauptschule dramatisch überrepräsentiert. Bei der tatsächlichen Einschulung 2006 in Klasse 5 sind 13,5 % der Kinder insgesamt in den Hauptschulklassen, aber 24,5 % der ausländischen Kinder. Fast gleich ist die Verteilung bei den Realschulen. Aber während 40 % eines Jahrgangs zum Gymnasium gehen, sind es nur 19,2 % der ausländischen Schülerinnen und Schüler.

Meistens, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind es sprachliche Probleme, die zu den ungleichen Empfehlungen führen. Dies zeigt, dass es nicht ausreicht, vorschulische Sprachförderung zu betreiben.

(Joachim Albrecht [CDU]: Machen wir ja auch nicht!)

In der Grundschule muss die Unterstützung ganz gezielt weitergehen.

Mit diesem frühzeitigen Aussortieren werden Bildungsnachteile zementiert.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Unter diesen Umständen ist es kein Wunder, wenn der aktuelle Bildungsmonitor des Instituts der Deutschen Wirtschaft vom August 2007 zu dem Ergebnis kommt, dass junge Menschen mit Migrationshintergrund in Niedersachsen besonders benachteiligt sind. Meine Damen und Herren, das ist nicht nur unsozial, das ist auch unchristlich.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Das niederschmetternde Ergebnis wird durch die deutliche Überrepräsentanz ausländischer Schüler in der Förderschule Schwerpunkt Lernen ergänzt. Während ausländische Schüler 7 % der Gesamtschülerschaft ausmachen, sind sie in den Förderschulen L mit rund 20 %, dem fast dreifachen Wert, vertreten. Mit Sicherheit würde das Zahlenverhältnis noch dramatischer, wenn, wie gefragt, alle Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund, vor allem also die Aussiedlerkinder, in die Statistik einbezogen würden. Es ist nur folgerichtig,

meine Damen und Herren, dass sich die Ungleichheiten auf den weiteren Stufen des Bildungsweges fortsetzen und verschärfen. Ich erspare es mir, dazu Zahlen zu nennen.

Die Ergebnisse, die hier aufgeführt werden, sind blamabel. Ganz eindeutiges Fazit des ersten Teils der Antwort auf die Große Anfrage ist: In Niedersachsen sind die Bildungschancen in dramatischer Weise ungleich verteilt.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Niedersachsen vergeudet damit ein ungeheures Potenzial.

(Zustimmung von Ingrid Eckel [SPD])

Leider kann ich aus Zeitgründen nicht mehr auf alle Besonderheiten des dann folgenden Teils der Antwort hinweisen. Ich nenne daher nur einige Beispiele: Die Regierung gesteht in der Antwort ein, dass sie die Förderung der außerschulischen Hausaufgabenhilfe abgeschafft hat. CDU und FDP haben funktionierende Hilfesysteme brutal zerschlagen.

Gleiches gilt für den herkunftssprachlichen Unterricht, den Sie so gelobt haben, Herr Minister. Die Lehrerstunden dafür sind dramatisch gesunken. Dann noch in der Antwort darauf zu verweisen, dies sei bedarfsgerecht, ist eine Verhöhnung der Betroffenen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Letzter Punkt: Während das CDU-regierte Nordrhein-Westfalen eine groß angelegte Werbekampagne für den Lehrerberuf unter Jugendlichen aus Einwandererfamilien gemäß dem Motto „Türken an die Tafel“ starten will, schreibt die Niedersächsische Landesregierung:

„Besondere Werbemaßnahmen mit dem Ziel, Studienberechtigte aus Einwandererfamilien für die Aufnahme eines Lehramtsstudiums zu gewinnen, sind von der Landesregierung nicht beabsichtigt.“

Wir sehen also nicht nur Blockade, sondern auch noch Desinteresse.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, Niedersachsen braucht eine andere, eine bessere, eine sozialere, eine gerechtere, eine offenere Schulpolitik.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Der nächste Redner ist Herr Schwarz von der FDP-Fraktion.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich schicke voraus, dass ich bis zum Jahre 2003 sehr intensiv mit Kindern aus Migrantenfamilien zu tun gehabt habe.

Wenn ich in Ihren Vorträgen, Frau Korter und Herr Poppe - von Herrn Poppe weiß ich, dass er aktiv im Schuldienst gewesen ist, bei Frau Korter weiß ich das nicht -,

(Ina Korter [GRÜNE]: Ich nicht! Ich habe immer nur am Schreibtisch ge- sessen!)

nicht eine einzige Silbe dazu höre, dass zu einer vernünftigen Integration auch die Bereitschaft der Familien gehört, sich einzubinden, dann ist das, wenn wir sachgerecht argumentieren und uns sachgerecht auseinandersetzen wollen, höchst enttäuschend.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Ina Korter [GRÜNE]: Das kann ja wohl nicht wahr sein! - Claus Peter Poppe [SPD]: Das ist eine Selbstverständ- lichkeit!)

Ich nenne nur einmal das Stichwort „Schwimmunterricht“. Herr Poppe, wie geht das denn eigentlich, wenn die Kinder, die integriert werden sollen, ausgeschlossen werden, weil sie von ihren Familien daran gehindert werden, am Schwimmunterricht teilzunehmen?

Und wie geht das eigentlich mit den Klassenfahrten? Sagen Sie bitte einmal, wie das gelingen soll. Wie sollen sich die Lehrkräfte um Integration bemühen können, wenn sie dabei von der Familie gestoppt werden? Das ist ein hochwichtiges Thema, mit dem wir uns beschäftigen. Aber Sie sagen nicht eine einzige Silbe dazu. Ich finde, das ist unmöglich.

(Ina Korter [GRÜNE]: Das ist doch ei- ne Anfrage an die Landesregierung!)

Ich möchte Ihnen an dieser Stelle zunächst sagen, dass ich glaube, dass die Antwort der Landesregierung zeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Sie zeigt allerdings auch, dass es noch sehr viel zu tun gibt - gar keine Frage.

Die Beherrschung der deutschen Sprache - das ist in allen Beiträgen gesagt worden - ist wichtig für die Integration, für den Erfolg in der Schule. Sie ist auch eine wichtige Voraussetzung für die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben und für die Zukunftsperspektiven. Je früher die deutsche Sprache erlernt werden kann, desto größer sind natürlich auch die Chancen für die Kinder, deren Herkunftssprache nicht Deutsch ist. Sie können dann erfolgreich lernen und sich damit eine Perspektive für das spätere Leben erarbeiten.

Die Sprachfördermaßnahmen vor der Einschulung stellen deswegen einen Schwerpunkt unserer Integrationsförderung dar. Wir haben die allgemeine Sprachbildung im Kindergarten verbessert; all das ist schon angesprochen worden. Mit den vorschulischen Tests, die ca. 15 Monate vor der Einschulung durchgeführt werden, haben wir ein Instrumentarium eingeführt, mit dem wir feststellen können, wie gut die Sprachkenntnisse der Kinder sind.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Dass über 50 % aller Kinder nicht deutscher Herkunftssprache an der Sprachförderung vor der Einschulung teilnehmen müssen, zeigt, wie wichtig und notwendig diese Maßnahme ist. Das Land hat dafür seit 2003 insgesamt über 27 Millionen Euro bereitgestellt. Hierbei müssen wir unsere Anstrengungen allerdings noch weiter verbessern.

Erste Erfolge unserer Integrationsbemühungen - das hat der Kultusminister angesprochen - zeigen sich bereits: Am Anfang gingen 38 % der Kinder eines Jahrgangs zur Hauptschule. Jetzt gehen 38 % zur Realschule. Man kann sicherlich noch einmal versuchen, die Gründe zu eruieren.

Ziel ist ganz klar, dass der Anteil der ausländischen Schülerinnen und Schüler in den Eingangsklassen der Verteilung aller Schüler in den Eingangsklassen entsprechen muss. Die Betrachtung des Problems der Integration und damit die Suche nach Lösungsansätzen dürfen nicht allein auf den schulischen Raum beschränkt bleiben. Damit Schülerinnen und Schüler mit Migrationshin

tergrund in der Schule erfolgreich sind, sind auch Maßnahmen erforderlich, die auf das Elternhaus abzielen und die gesellschaftliche Integration im Allgemeinen betreffen.

(Glocke der Präsidentin)

Das Entscheidende ist, dass wir bei der Integration die Eltern erreichen. Sie müssen mitmachen, ihnen müssen wir klarmachen, wie wichtig es für die Zukunft ihrer Kinder ist, dass diese die Sprache ihres Landes sprechen. Und auch die Eltern selbst müssen diese Sprache lernen; denn sonst kommen wir kein Stück weiter.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Herr Schwarz, jetzt müssen Sie aber zum Schluss kommen. Sie haben Ihre Redezeit schon um 45 Sekunden überzogen.

Danke schön. Ich bin damit am Schluss.

Jetzt hat sich Frau Korter zu einer Kurzintervention gemeldet. Frau Korter, Sie haben eine Redezeit von anderthalb Minuten.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Schwarz, ich muss doch noch kurz auf Ihre Rede eingehen. Sie haben wieder einmal auf die Tränendrüse gedrückt und sind die Schiene gefahren: Die ausländischen Mitbürger müssen sich auch integrieren wollen. - Sie können sich sicherlich vorstellen, dass ich auch weiß, wovon ich hier rede.

(Hans-Werner Schwarz [FDP]: Das kann ich mir nicht vorstellen!)

Ich habe sechs Jahre lang in einem Stadtteil gearbeitet, in dessen Grundschule die Quote von ausländischen Kindern bei 50 % lag. Dort habe ich einen Stadtteiltreff des Kinderschutzbundes für Kinder und Jugendliche aufgebaut. Dabei ging es gerade auch darum, Migrantenkinder zu fördern, damit sie Chancen im Schulsystem haben.