Protokoll der Sitzung vom 17.10.2007

Ich rufe auf

d) Vormarsch der Rechtsextremisten stoppen: Aktives Bürgerengagement stärken - NPD-Verbot neu prüfen - Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 15/4129

Bevor ich Frau Helmhold das Wort erteile, nenne ich noch die Restredezeiten der Fraktionen: CDUFraktion 3:03 Minuten, SPD-Fraktion 4:55 Minuten, FDP-Fraktion 6:43 Minuten und Fraktion Bündnis 90/Die Grünen 7:27 Minuten. - Sie haben das Wort, Frau Helmhold.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Rechtsextremismus ist in unserer Gesellschaft keine Randthema mehr. Es häufen sich Naziaufmärsche wie an diesem Wochenende in Hildesheim unter der Führung des bekannten

Neonazis Christian Worch. Jürgen Rieger sammelt Immobilien: ein geschenktes Haus in Rodenberg, der Versuch des Hotelkaufs in Delmenhorst und jetzt der Kauf des Bahnhofs in Melle. In Hannover musste der Landesparteitag der NPD genehmigt werden. Rechtsextreme Parteien sitzen in drei Landesparlamenten und haben bei den letzten Kommunalwahlen zahlreiche Mandate errungen.

Die Zivilgesellschaft wehrt sich - mit Aufrufen, Demos und bunten Aktionen. Das ist richtig, das ist gut. Aber reicht das aus? - Meine Damen und Herren, ich fürchte, dass die zivilgesellschaftlichen Anstrengungen nicht mehr ausreichen. Es gibt keinen Mangel an Initiativen und Aufrufen gegen rechts. Trotzdem weht die NPD-Fahne über dem Bahnhof in Melle. Das ist unerträglich, meine Damen und Herren.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Nach Mode, Musik und Internet haben die Rechten im Moment eine neue Strategie: Sie versuchen, sich in die Mitte der Gesellschaft zu schleichen. Sie geben Hausaufgabenhilfe, sie machen kulturelle Angebote, sie bieten Freizeitgestaltung für Jugendliche an, sie singen in Chören, sitzen in Kirchenvorständen und in den Parlamenten. Dadurch erscheinen sie manchem als quasi legitimiert.

Genauso wie Bürgerinnen und Bürger sind viele Kommunen verunsichert: Wie ist mit diesen Menschen in den Parlamenten umzugehen? - Und: Was nicht verboten ist, ist erlaubt. - Das scheint eine Formel zu sein, mit der man sich an dieser Stelle behilft. Wie soll man schließlich auch erklären, dass eine Partei, deren Programm erwiesenermaßen menschenverachtend und verfassungswidrig ist, gewählt wird und in Parlamenten sitzen kann? Wie soll man erklären, dass dieser Staat dieser Partei 1,8 Millionen Euro aus Steuergeldern geben muss, damit sie ihre Infrastruktur ausbauen und ihre verfassungsfeindlichen Hetztiraden finanzieren kann? Sie erhalten Fraktionskostenzuschüsse, Wahlkampfkostenrückerstattungen, Sitzungs- und Fraktionsgelder. Meine Damen und Herren, damit finanziert diese Gesellschaft quasi Rechtsextreme! Das halte ich für falsch.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Ich möchte dieses Geld lieber für den Kampf gegen rechts, für Aufklärung, Information und pädagogische Arbeit ausgeben.

Meine Damen und Herren, ich weiß, dass man rechte Gesinnung nicht verbieten kann. „Freiheit ist immer auch die Freiheit der Andersdenkenden“, sagte eine deutsche Kommunistin. Das ist richtig. Rechte Gesinnung kann man nicht verbieten. Aber ich meine, diese Gesellschaft hat die Pflicht, dafür zu sorgen, dass dieser Gesinnung kein parlamentarisches Spielbein gegeben wird, dass sie nicht salonfähig gemacht wird und dass sie vor allem nicht noch Steuergelder für ihre verfassungsfeindliche Arbeit erhält.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Meinungs- und Versammlungsfreiheit sind ein sehr hohes Gut, das ich nicht leichtfertig preisgeben will. Aber es gibt keinen vernünftigen Zweifel daran, dass die NPD und die mit ihr sympathisierenden Schlägerhorden unsere demokratische Ordnung sofort abschaffen würden, wenn man sie denn ließe.

Wenn das so ist, dann kann ein Verbotsverfahren nicht daran scheitern, dass zu viele V-Leute in der NPD wirken. Dies würde das Ziel des Einsatzes dieser V-Leute ja geradezu auf den Kopf stellen. Es stellt sich die Frage, was dieser Einsatz gebracht hat, wenn die rechte Bewegung in den letzten zehn Jahren trotzdem ihre Sammlungsbewegung konsolidieren und ihre Strategien zur Rekrutierung ihrer Mitglieder verfeinern konnte. Sie konnte ihre Strategie der „national befreiten Zonen“ entwickeln, die Zahl ihrer Provokationen, Aufmärsche und Veranstaltungen steigern und sich in den Parlamenten breitmachen.

Meine Damen und Herren, ich glaube, es hilft nichts, den politischen Kampf gegen die juristische Auseinandersetzung zu stellen. Unsere Gesellschaft braucht beides: Sie braucht die starke Zivilgesellschaft, die der rechten Brut überall da, wo sie auftritt, stark entgegentritt und sagt: Das wollen wir nicht. - Wir brauchen Aufklärung und viel pädagogische Arbeit. Aber wir brauchen auch den politischen Willen, die scharfe Waffe des Rechtsstaates gegen seine stärksten Feinde zu ziehen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die NPD, meine Damen und Herren, ist keine demokratische Partei. Man darf sie nicht in Ruhe lassen. Man darf sie nicht noch stützen oder womöglich den Eindruck erwecken, sie könnte gleichberechtigt mit uns in den Parlamenten sitzen.

Der Präsident des Niedersächsischen Staatsgerichtshof, Professor Jörn Ipsen, hat es in einem Interview wie folgt ausgedrückt: Man muss verfassungsfeindliche Parteien insbesondere dort bekämpfen, wo sie ihren größten Einfluss haben - also in den Parlamenten.

Lassen Sie uns gemeinsam dafür werben, dass die Voraussetzungen für einen neuen Anlauf für ein Verbot geschaffen werden. An die Landesregierung richte ich die Aufforderung, im Bundesrat eine Initiative dafür auf den Weg zu bringen. - Ich danke Ihnen.

(Lebhafter Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Für die SPD-Fraktion hat der Abgeordnete Bartling das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Zielsetzung dessen, was Frau Helmhold zum Ausdruck gebracht hat, stimmen wir uneingeschränkt überein. Sie wissen, dass sich die SPD-Fraktion bereits an unterschiedlichsten Stellen für einen neuen Versuch eingesetzt hat, die NPD zu verbieten. Das will ich auch hier für uns zum Ausdruck bringen.

(Zuruf von der CDU)

- Ich höre gerade das Stichwort „Erfolg“. Meine Damen und Herren, das damalige Verfahren ist u. a. deswegen gescheitert, weil manche Landesämter für Verfassungsschutz ihre Informationen nicht vollständig auf den Tisch gelegt haben. Das war einer der Gründe. Es gab auch andere Gründe. Wenn man ein solches Verfahren anstrengt, dann hat man immer Probleme. Sie kennen den schönen Spruch: Vor deutschen Gerichten und auf hoher See ist man allein in Gottes Hand. - Aber wenn wir solche Ziele verfolgen, dann müssen wir aus meiner Sicht durchaus bereit sein, solche Risiken einzugehen. Wir haben in Niedersachsen durchaus Erfahrungen mit solchen Verbotsverfahren, z. B. auch mit dem Verbot von Schulungsstätten. Ich denke an Hetendorf. Das Verfahren ging bis zum Bundesverfassungsgericht, das die Entscheidung über die damalige Schließung dieser Einrichtung bestätigt hat. Ich denke z. B. auch an die Wiking-Jugend, die durch den Bund verboten

worden ist. Das war ein juristisch durchaus risikoreiches Verfahren.

Ich kann Frau Helmhold nur unterstützen: Für mich ist es nicht nachvollziehbar, meine Damen und Herren, dass wir politische Verbände - ich mag sie gar nicht „Partei“ nennen -, die eindeutig rassistische Ziele vertreten, bei ihrer Propaganda mit Steuergeldern unterstützen. Ich halte das für einen unerträglichen Zustand.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Ich möchte einen weiteren Punkt, einen für mich ganz wichtigen Beweggrund hinzufügen: Es ist für mich ein nicht hinnehmbarer Zustand, dass die Rechtsextremen im Versammlungsrecht Privilegierungen wahrnehmen, die beispielsweise dazu führen - Herr Schünemann weiß das besser als ich -, dass 6 000 Beamtinnen und Beamte zum Schutz einer NPD-Demonstration in Göttingen bzw. aufgrund der eventuell daraus resultierenden Auseinandersetzungen eingesetzt werden mussten. Das sind für mich zwei wesentliche Gründe dafür, einem Verbotsantrag wieder näher zu treten.

Lassen Sie mich noch einen Aspekt hinzufügen: Ich befürchte, dass in dieser Diskussion immer wieder der Versuch gemacht wird, links und rechts gleichzusetzen. Meine Damen und Herren, wer dies versucht - man liest das manchmal; ich sage das mit aller vorsichtigen Zurückhaltung -, der hat seine historische Lektion nicht gelernt.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Ich verurteile nachdrücklich und eindeutig, was unter dem Deckmantel von Sozialismus und Staatssozialismus - man konnte ja einen schönen Film mit Frau Ferres sehen und dabei wirklich Abscheu entwickeln - passiert ist, und weiß, dass dabei auch Menschrechtsverletzungen stattgefunden haben.

(Hans-Christian Biallas [CDU]: Mas- senhaft hat es die gegeben!)

- Ja, massenhaft, mein lieber Kollege. Aber allein dieser Zwischenruf macht deutlich, dass Sie wieder den Versuch unternehmen gleichzusetzen. Denn dass in dieser Ideologie mit ihrer Form von Rassismus gilt „Du bis nur ein wertvoller Mensch, wenn du als Deutscher geboren bist“ und daraus abgeleitet wird, dass die anderen minderwertig

sind und man sie, wie es auf deutschem Boden geschehen ist, vernichten darf, macht den Unterschied zu den anderen Ideologien aus.

(Starker Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Daher habe ich die herzliche Bitte, meine Damen und Herren, dass man diesen Versuch nicht unternimmt.

Ich sehe durchaus die Argumente derer, die vor einem Verbotsverfahren warnen, weil es schiefgehen könnte. Das ist eine ernsthafte Diskussion, die man führen muss. Ich halte allerdings mehr davon, diesen Versuch zu unternehmen. Das muss sorgfältig geprüft werden. Dabei müssen die Länder mit ihren Erkenntnissen übereinkommen und festlegen, ob sie das über eine Bundesratsinitiative machen möchten. Ich würde mich eindeutig dafür aussprechen. Ich glaube, wir haben genug Elemente - das ist mein Erkenntnisstand -, bei denen es nicht erforderlich ist, sich völlig von V-Leuten zu befreien, um dieses Verbotsverfahren mit Aussicht auf Erfolg durchzuführen. Ich werbe dafür, meine Damen und Herren.

(Starker Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Für die CDU-Fraktion hat nun der Abgeordnete Rolfes das Wort. Sie haben drei Minuten Redezeit.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube nicht, dass man diesem Thema in drei Minuten gerecht werden kann.

(Werner Buß [SPD]: Das hat auch keiner behauptet!)

Herr Rolfes, lassen Sie sich nicht stören, sondern halten Sie Ihre Rede! Das geht von Ihrer Redezeit ab.

Ich weiß auch nicht, was solch dämliche Zwischenrufe in dieser Situation eigentlich sollen.

(Beifall bei der CDU)

Herr Rolfes, für das Wort „dämlich“ muss ich Ihnen einen Ordnungsruf erteilen.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gleich zu Herrn Bartling: Er hat versucht, mit seinem Beispiel darauf hinzuweisen, dass wir immer dann, wenn wir von Rechtsradikalen sprechen, den Versuch unternehmen, auch die linksradikale Seite zu betonen. Ich sage Ihnen: Angesichts unserer Geschichte muss sich jedem der Magen umdrehen, der heute wieder Nazis durchs Land ziehen sieht. Man kann bei jeder Gelegenheit über Linksradikale und Menschenrechtsverletzungen auf dieser Seite diskutieren. Heute diskutieren wir aber über das Verbot oder Nichtverbot der NPD. Dabei brauchen wir diesen Vergleich nicht.

(Beifall bei der CDU)

An dieser Stelle möchte ich fragen, wie wir sicherstellen wollen, dass bei einem erneuten Verbotsverfahren z. B. die V-Leute abgezogen sind und dass dieses Verbotsverfahren zum Erfolg führt. Ich habe manchmal den Eindruck, dass reflexartig vom Verbot gesprochen wird. Auch für mich ist es unerträglich, dass solche Leute Steuergelder bekommen, um ihre Politik zu betreiben. Aber V-Leute sind keine Bediensteten des Staates, die man mal eben zurückrufen kann. V-Leute sind Vorstandsmitglieder, NPD-Mitglieder, die ihre braune Seele im Grunde für Geld verkaufen. Diese müssten insgesamt abgeschaltet werden, damit man überhaupt Erfolg haben könnte. Man muss sich aber auch vorstellen, welche Situation entstehen würde, wenn ein erneutes Verbotsverfahren keinen Erfolg hätte. Deswegen sage ich: Das kann nicht das alleinige Merkmal sein, wenn wir damit deutlich machen wollen, wie viel Abscheu uns begleitet, wenn wir an die NPD denken.

(Glocke des Präsidenten)

Meiner Meinung nach gibt es mehrere Strategien. Eine Strategie ist, dass man den harten Kern vom Verfassungsschutz, aber auch von der Polizei kontrolliert und dort, wo es möglich ist, strafrechtlich und ordnungsrechtlich vorgeht, beispielsweise bei Grunderwerb, Gebäudeerwerb und Ähnlichem.