Protokoll der Sitzung vom 15.11.2007

- Zur Geschäftsordnung, Herr Präsident.

Meine Damen und Herren, ich nutze jetzt dieses Instrument, weil es mir wirklich sehr unangenehm ist. Um 19.30 Uhr beginnt hier im Hause eine alte Traditionsveranstaltung. Es handelt sich dabei um keine Veranstaltung, die ich erfunden habe. Alle Landtagspräsidenten haben den Kontakt mit der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen gepflegt. Die Damen und Herren sind mit zwei Bussen aus Göttingen angereist. Ich befinde mich jetzt in einer scheußlichen Verlegenheit. Ich bitte um Verständnis. Vielleicht können wir uns darauf verständigen, dass diejenigen Kolleginnen und Kollegen, die an dieser Veranstaltung interessiert sind, jetzt in den Leibnizsaal gehen und dafür von ihren Fraktionsführungen nicht ausgeschimpft werden. Ich wäre Ihnen wirklich sehr dankbar dafür, wenn die Fraktionen das so mittragen würden.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, ich wollte gerade den Tagesordnungspunkt 32 aufrufen. Ich rufe jetzt also auf den

Tagesordnungspunkt 32: VW-Gesetz europarechtskonform weiter

entwickeln - Standortsicherheit für Volkswagenbeschäftigte gewährleisten - Antrag der Fraktion der SPD - Drs. 15/4183

Die Fraktionen sind übereingekommen, den Antrag der SPD-Fraktion direkt an die Ausschüsse zu überweisen.

Wir kommen zur Abstimmung über die Ausschussüberweisung.

Wer den Antrag zur federführenden Beratung an den Ausschuss für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr und zur Mitberatung an den Ausschuss für Bundesund Europaangelegenheiten und Medien

sowie an den Ausschuss für Haushalt und Finanzen überweisen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gibt es Gegenstimmen oder Stimmenthal

tungen? - Ich sehe, dass das nicht der Fall ist. Damit ist der Tagesordnungspunkt 32 erledigt.

Ich rufe nun auf den

Tagesordnungspunkt 30: Erste Beratung: Erwerbspersonenpotenziale besser aus

schöpfen - mehr Frauen in die Chefetagen Antrag der Fraktion der SPD - Drs. 15/4181

Der Antrag wird von der Abgeordneten Heiligenstadt von der SPD-Fraktion eingebracht. Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen, stellen Sie sich vor, Männer würden durchschnittlich 25 % weniger verdienen als Frauen. Stellen Sie sich vor, in deutschen aktiengeführten Unternehmen wären ausschließlich Frauen in den Vorständen. Stellen Sie sich vor, dass nur 10 % aller Führungspositionen in deutschen Unternehmen von Männern besetzt sind. Stellen Sie sich vor, dass 70 % aller Frauen arbeiten, aber nur 61 % aller Männer.

(Unruhe)

Frau Heiligenstadt, einen Augenblick, bitte. - Wir stören hier einige und warten jetzt. Wir sind ja höflich. Wir warten noch einen Augenblick.

Wenn wir uns das vorstellen würden, dann würde man über ein so wichtiges Thema wie die ungerechte Behandlung von Männern in diesem Parlament nicht mehr abends um 19.30 Uhr diskutieren.

(Beifall bei der SPD - Bernd Althus- mann [CDU]: Das hat doch damit nichts zu tun! Wie konntet ihr das zu- lassen?)

- Ich bin schon der Meinung, dass uns dieses Thema wichtig sein muss, bei allem Respekt vor anderen Veranstaltungen in diesem Parlament.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, Hintergrund unseres Antrags sind traurige Zahlen: Frauen verdienen in Deutschland bei gleicher Arbeit bis zu einem Viertel weniger als Männer und das, obwohl Frauen beim Bildungsniveau die Männer schon längst überholt haben. 56 % beträgt der Frauenanteil des Abiturjahrgangs 2005. Das wirkt sich aber leider immer noch nicht auf Karriere und Beruf aus. Das sollte auch die Mitglieder der Fraktionen auf der rechten Seite dieses Hauses interessieren.

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Wir fordern daher gleiche Teilhabe von Frauen und Männern am Erwerbsleben. Es gibt viel zu wenige Frauen in Führungspositionen. In der Wissenschaft werden nur 15 % und in der Wirtschaft nur 10 % der Spitzenpositionen von Frauen bekleidet. In keinem einzigen deutschen DAX-Unternehmen ist eine Frau im Vorstand vertreten. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, muss sich ändern,

(Beifall bei der SPD)

weil es hier nicht nur um Gerechtigkeitsfragen geht, sondern auch darum, dass die Wirtschaft die Frauen immer mehr braucht.

Dazu einige Fakten: Die Erwerbstätigenquote bei Frauen ist in Deutschland in den letzten Jahren von 58 auf knapp 60 % leicht gestiegen. An der Spitze der europäischen Länder sind Dänemark und Schweden mit einer Frauenerwerbstätigenquote von jeweils über 70 %. Auch beim Lohn sind die Unterschiede beträchtlich: Frauen verdienen durchschnittlich 23 % weniger als Männer in vergleichbaren Berufen; bezogen auf den Stundenlohn beträgt der Unterschied sogar 26 %.

Auch innerhalb der Berufsgruppen gibt es eklatante Unterschiede. Beispielsweise Chemikerinnen

verdienen im Durchschnitt 850 Euro brutto weniger als ihre männlichen Kollegen. Eine Ursache für diese Einkommensunterschiede ist, dass Frauen und Männer hierarchisch unterschiedliche Positionen besetzen. Zum anderen finden sich Frauen in der Regel in schlechter bezahlten Berufsfeldern und Branchen.

Nun zu den Führungspositionen. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes hatte im Jahr 2006 nur jede sechste berufstätige Frau einen Job mit viel Verantwortung. Bei den Männern war dieser Wert doppelt so hoch. In der letzten Woche war in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zu lesen: Karriereknick durch Kinder. - Ja, ist es dann ein

Wunder, dass immer weniger Kinder geboren werden und sich immer weniger Männer für die Elternzeit entscheiden, wenn man dadurch Karrie

renachteile in Kauf nehmen muss? - Selbst in der Wissenschaft, in der der Frauenanteil ja noch relativ hoch ist, gibt es unter habilitierten Forschenden bisher nur 28 % Frauen, unter Professuren lediglich 9 %. Fazit: Chefinnen sind selten. Dafür sind zwei Drittel aller Mini-Jobber weiblich. Gleiche Chancen für Frauen in der Arbeit? - Fehlanzeige.

Zur Ausbildung: Junge Frauen haben zwar bessere Schulabschlüsse als ihre männlichen Altersgenossen, dennoch wählen sie andere Ausbildungen oder studieren in Fakultäten mit geringen Zukunftsaussichten. Andererseits wird es ihnen nicht leicht gemacht, wenn sie bereit sind, in männerdominierte Berufsfelder einzusteigen. Eine Umfrage unter Betrieben zeigt: Technikorientierte Berufspraktika und eine verbesserte Berufsberatung sind wichtig. Mehr als 50 % der Abiturienten, knapp 50 % der Studienanfängerinnen, der Studierenden und der Hochschulabsolventen sind weiblich. Ganz klar: Frauen haben eine gute Bildung. In ihrem Leben nehmen Karriere und Beruf eine wichtige Rolle ein. Dennoch wirkt sich das kaum auf ihr Berufswahlverhalten aus. Der Arbeitsmarkt bleibt gespalten in männer- und frauentypische Berufe.

Wie sieht es in Niedersachsen aus? - Niedersachsen hat den drittletzten Platz in der Frauenerwerbstätigenquote im Vergleich zu allen Bundesländern. Niedersachsen hat die rote Laterne bei der Kinderbetreuung der unter Dreijährigen. Im Hortbereich liegt Niedersachsen ebenfalls am unteren Ende der Skala.

Meine Damen und Herren, gleichzeitig bekommen die Wirtschaftspolitiker aller Parteien bei Betriebsbesuchen und Veranstaltungen der Unterneh

mensverbände in den letzten Monaten nur eines zu hören: Facharbeitermangel - vor allem, weil wir die Potenziale der Frauen nicht ausschöpfen. All diese Zustände sind - auch nach einer qualitativ sehr hochwertigen Anhörung in unserer Fraktion für uns Anlass genug, in diesem Bereich ein klares Maßnahmepaket und einen Prozess des Umdenkens zu fordern.

(Beifall bei der SPD)

Wir fordern ganz klar: Die Gleichstellung von Frauen und Männern im Arbeitsmarkt muss zukünftig ein Schwerpunkt der Landespolitik sein. Wir brauchen mehr Frauen in verantwortungsvollen Positi

onen, weil wir es uns nicht leisten können, diese gut ausgebildeten Frauen zu Hause zu lassen. Wir brauchen eine Unternehmenspolitik, die nicht nur betriebswirtschaftlich kurzfristige Effekte berücksichtigt, sondern auch familienorientierte Maßnahmen beinhaltet, eine Unternehmenspolitik, die

berücksichtigt, dass Frauen als Mütter und Männer als Väter auch Kompetenzen hinzugewinnen und Erziehungszeiten nicht als Nachteil bewerten.

Zu einer guten Frauenpolitik im Unternehmensbereich gehört auch, dass diese Unternehmen Verantwortung für die Gesellschaft erbringen und Arbeitszeiten familienorientiert einführen und nicht unternehmensorientiert.

(Zustimmung von Christa Elsner-Solar [SPD])

Wir müssen gemeinsam mit allen Akteuren ein Maßnahmenpaket zur Herstellung der Geschlechtergerechtigkeit im Berufs- und Arbeitsleben erreichen. Wir müssen gezielt in Schulen für ein höheres Interesse bei Mädchen an typischen Männerberufen werben. Da lohnt sich auch nicht nur ein Girls’ Day. Da muss deutlich mehr gemacht werden.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Wir brauchen spezielle Förderprogramme zur Existenzgründung von Frauen. Kommunen, Politik, Betriebe müssen einen umfassenden Beitrag zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf leisten. Öffnungszeiten von Kitas müssen flexibler werden, die Hort- und Kleinkindbetreuung muss deutlich verbessert werden und vor allen Dingen auch für die Ferienzeiten ausgebaut werden.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN und Zustimmung von Bernd Althusmann [CDU] - Zuruf von der FDP)

- Viel zu wenig, viel zu wenig!

Wir brauchen mehr Ganztagsschulen und Ganztagsbetreuungsplätze ohne Gebühren. Außerdem müssen wir im Bundesrat die immer noch vorhandenen steuerlichen Nachteile für Frauen abbauen, wenn sie nach einer längeren Zeit der Erwerbslosigkeit die Erwerbstätigkeit wieder aufnehmen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Geschlechtergerechtigkeit in allen gesellschaftlichen Bereichen ist die Herstellung von echter Chancengleichheit am Arbeitsmarkt. Denn ein eigenes Einkommen, von dem die Frauen auch leben können, ist der Schlüssel zur Unabhängigkeit und Eigenständigkeit. Daher setzen wir uns für die Erhöhung der Frauenerwerbsquote, das weitere Schließen der Einkommensschere, für mehr Frauen in Führungspositionen sowie für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf ein.