Protokoll der Sitzung vom 16.11.2007

Es gab auch anderes mehr. Das gesamte System war unterfinanziert, von vorne bis hinten nicht in Ordnung. Bei der frühkindlichen Bildung war das, was Sie uns hinterlassen haben, Steinzeitniveau. Es dauert, bis man das alles wieder in Ordnung gebracht hat.

(Beifall bei der CDU)

Ich könnte auch anhand anderer Beispiele aufzeigen, was wir alles wieder in Ordnung zu bringen hatten.

Jetzt zum Antrag, meine Damen und Herren. „Individuelle Förderung im Unterricht“ und „Elternwillen“. Lassen Sie sich diese Begriffe einmal auf der Zunge zergehen! Herr Kollege, ist „individuell“ in dem Zusammenhang mit „gemeinsamer Schule“ nicht schon sprachlich ein bisschen widersprüchlich? Ich habe mir bei Herrn Jüttner „Verschiedenheit von Menschen“ notiert. Einverstanden! Ist es nicht etwas Wunderbares, dass die Menschen verschieden sind? Vor diesem Hintergrund wollen wir doch nicht mit Einheitssystemen und gemeinsamen Systemen reagieren, sondern die Ver

schiedenheit auch individuell im Unterricht entsprechend zum Tragen kommen lassen!

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Gleiches gilt für das Thema „Elternwille“, das ja schwierig genug ist. Wir bekennen uns zum freien Elternwillen nach vier Jahren Grundschulbesuch mit der Entscheidung über die richtige Schulform mit Schulvorständen und Elternrechten wie nie zuvor gekannt. Sie aber beantworten das kaltlächelnd mit „gemeinsame Schule“. Alle sollen in eine Schule, der Elternwille ist erfüllt und wird somit gar nicht mehr abgefragt. Es kann doch nicht richtig sein, mit welcher Hybris Sie auch in diesem Punkt an das Thema herangehen.

Nun zur individuellen Förderung. Ein anspruchsvolles Schulsystem und anspruchsvoller Unterricht leben auch davon, dass individuell gefördert wird. Ich hätte in den letzten Jahren gerne ein bisschen stärker Ihre Unterstützung in der Diskussion mit Lehrerverbänden gehabt. Wir haben es jetzt geschafft, dass individuelle Förderung an den Schulen natürlich akzeptiert ist, natürlich gefordert und geboten werden muss. Kommen Sie in Gottes Namen mit dem Ressourcenthema! Aber es ist wichtig, dass wieder danach verfahren wird und dieser Gedanke verinnerlicht wird. Das war ein hartes Stück Arbeit, bei der ich Ihre Hilfe nicht hatte. Wir können jetzt einiges aufweisen, was sich an der Frage orientiert, wie wir zu mehr guten und höherwertigen Abschlüssen kommen und wie wir die Quote der Schüler ohne Schulabschluss senken können usw.

Herr Minister!

Nein, keine Zwischenfragen! - Nun tun Sie nicht so, als wenn auf dem Gebiet nichts passieren würde.

Über den Vorwurf mit Bertelsmann kann ich nur lachen. Herr Jüttner, wir haben einen Kooperationsvertrag mit Bertelsmann. 200 bis 250 Schulen sind mittlerweile Kooperationspartner von Bertelsmann, andere stehen in der Warteschleife.

(Beifall bei der CDU)

An der Ecke müssen Sie mir nun schon gar nicht kommen. Als wenn wir die entsprechenden Bot

schaften nicht aufgenommen hätten und in der Praxis nicht einiges umgesetzt hätten!

Meine Damen und Herren, das Leitthema in dieser Woche lautete ja „Besser die Wahrheit“.

(Walter Meinhold [SPD]: Richtig!)

Sie, Herr Jüttner, haben sich in den letzten Tagen geradezu als Wahrheitsfetischist gezeigt. Als

Gralshüter der Wahrheit hätten Sie doch schon einmal ansagen können, was Sie politisch vorhaben. Wissen Sie, was für mich die Enttäuschung dieser Woche ist? - Ich hätte von Ihnen gerade zu dem wichtigen Thema „Bildung“ einen ganz anderen Angriff erwartet. Es sind ja nur noch ein paar Tage bis zur Landtagswahl. Ich möchte mal einen richtigen Gesetzentwurf von Ihnen auf dem Tisch haben

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

und nicht nur die halbe Zeile zu der Frage „Gesamtschulerrichtungsverbot aufheben oder nicht?“ - Das wird ja erledigt.

Ich hätte gerne einen Gesetzentwurf von Ihnen, der kalkulierbar ist und bei dem wir wirklich einmal durchspielen können, wie es in Niedersachsen aussehen würde, wenn Sie in die Verlegenheit kämen, hier regieren zu müssen. Wir wollen wissen - das interessiert viele Menschen hier im Lande -, wie Sie es mit den Gymnasien halten, wie Sie es mit den Förderschulen halten, wie Sie es mit den Schulstandorten halten. Ihre Partei hat ja schon einmal ein mehrseitiges Papier mit ein paar Hundert problematisierten Schulstandorten he

rausgegeben.

(Wolfgang Jüttner [SPD]: Das war Ihr Papier, Herr Busemann, das haben wir nur weitergegeben!)

- Nein, wir haben nichts weitergegeben. Wir alle wissen doch noch, welche Standorte Sie als problematisch ansehen. Meine eigene Heimatstadt war übrigens auch dabei. Da habe ich auch gestaunt.

Wir wollen genau wissen, welche Standortlandschaft Sie sehen. Wir wollen wissen, mit welchen Baukosten Sie kalkulieren und wie gut Schulträger, die roten und die schwarzen, das finden. Dann wird uns sicherlich auch das Thema „Konnexität“ beschäftigen. Wir wollen wissen, mit welcher Lehrerarbeitszeit und mit welchen Klassengrößen und mit welchen Gehältern Sie dabei kalkulieren. Das alles gehört zur Wahrheit des Ganzen dazu, dass

Sie für die Wahl entsprechend kalkulierbar auftreten.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, unsere Bürger sind in kaum einem anderen Fall so aufmerksam und orientiert wie im Bildungsbereich, weil es um die Kinder und die Enkel geht. Die Bürger wollen genau wissen, was Sache ist. Ich kann Ihnen dazu nur Folgendes sagen: Wir haben es vor fünf Jahren für richtig gehalten, unsere Vorstellungen, die nicht jeder nur toll fand, in Form eines beratungsfähigen Gesetzentwurfs zu Papier zu bringen, sind damit in den Wahlkampf eingestiegen und haben uns die entsprechenden Mehrheiten besorgt. Bitte legen Sie endlich einen Gesetzentwurf vor, damit die Wähler wissen, was wir von Ihnen zu halten haben!

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Hier werden globale Reden gehalten, es wird aus dem Bauchgefühl heraus argumentiert, und dann wird ein Wischiwaschi-Antrag vorgelegt, von dem man gar nicht weiß, wie das Ganze zu sehen ist. Wir hätten da gerne etwas Konkretes.

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Aller?

Werden Sie auf Veranstaltungen und von Besuchergruppen gefragt, was daraus wird, antworten Sie immer nur „das wird man sehen“, „auf freiwilliger Basis“, „nicht sofort“, „mal gucken“. In der Frage sind sogar Sie, Frau Korter, noch ehrlicher als die SPD; denn die wollen den Kopf an der Basis nicht hinhalten. Was Sie hingegen machen, ist in Ordnung. Ich teile Ihre Vorstellung in der Sache absolut nicht. Es ist auch klar, dass Sie damit keine 10 % erreichen werden. Aber Ihre Vorstellungen sind wenigstens eine kalkulierbare Basis für eine politische Diskussion.

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Herrn Aller?

Nein, danke. Der kennt sich doch in Bildungsfragen gar nicht aus bei dem, was er mir da hinterlassen hat.

(Beifall und Heiterkeit bei der CDU und bei der FDP)

Ich möchte beleihungsfähige Aussagen der SPD haben, damit wir wenigstens in den letzten 70 Tagen noch Wahlkampf mit Ihnen machen können. So geht das nicht! Ich weiß gar nichts mit Ihnen anzufangen.

Wir sollten beim Thema Elternwillen auch berücksichtigen, wie die Bürger das sehen. Jeder, der für sich reklamiert, er wisse genau, was die Bürger wollten, muss hier aufpassen. Wir brauchen die klare Ansage, ein Ja oder ein Nein, aber nicht Aussagen wie „gemeinsam“, „mal gucken“, „bis 2013“ usw. Sagen Sie einfach, ob es in der Zukunft das Gymnasium der jetzigen Struktur in Niedersachsen noch geben wird oder nicht.

Wir haben, von uns bewusst gefördert, eine tolle Bildungsbeteiligung erreicht. Sie geht in Richtung 40 %. Wir haben in die IGS-Hochburg Hannover hineingeleuchtet und ermittelt, wie viele der Kinder des letzten Schuljahrgangs mit Gymnasialempfehlung die gegliederten und freien Angebote wahrgenommen haben und wie viele Kinder die anderen Angebote. Zu 90 % sind die Kinder in das gegliederte Schulwesen übergegangen. Herr Jüttner, ich bin nicht Ihr Wahlkampfberater. Aber Sie sollten mal gucken, wie viele Leute, Eltern und Wähler Ihr Angebot eben nicht bevorzugt haben.

Nun zum Bereich der Förderschulen. Sie wissen, dass ich da sehr sensibel bin. 5 % unserer Kinder - zur Stunde etwa 45 000 Kinder im Land - sind auf Förderschulen angewiesen. Wir können über Integrationsmodelle locker miteinander reden und gucken, was da möglich ist. Aber es wird ein ganz erheblicher Anteil junger Leute - zwischen 20 000 und 30 000 Kinder - übrig bleiben, der auf die Angebote unserer Förderschulen angewiesen ist. Die Struktur haben wir doch zusammen aufgebaut; die können Sie doch nicht einfach dieser Globalvorstellung von gemeinsamer Schule opfern! Dahinter stehen doch auch Leute und Eltern, die genau wissen, was gewünscht ist.

Vielleicht bekommen wir ja auch von Ihnen das Bekenntnis, dass Sie die Gymnasien nicht antasten. So wie es plötzlich Herr Naumann in Hamburg

sagt. Ich glaube, Ihre Schattenministerin hat das auch gesagt. - An die Förderschulen gehen Sie hoffentlich auch nicht ran. - Klären Sie das bitte auf, falls ich das falsch gelesen habe. Aber wer solche Ansagen macht, der braucht mit „gemeinsamer Schule“ doch gar nicht mehr anzutreten, weil sie a priori schon gestorben ist. Das hat sich doch schon erledigt.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Nur Wahrheit, Ehrlichkeit und Offenheit sind hier angesagt, damit sich jeder entsprechend ausrichten kann, meine Damen und Herren.

Auch wenn ich Gymnasien und Förderschulen so nehme, wie sie sind, nämlich erfolgreich, dann besteht im Bereich von Haupt- und Realschule durchaus Regelungsbedarf. Ich darf Sie auf einen sehr interessanten, durch unser Gesetz ermöglichten Prozess im Lande hinweisen. Von den 450 Standorten und ähnlich vielen Realschulstandorten im Lande - die Anzahl der Hauptschulen weiß ich genau - sind schon über 300 in verbundenen Systemen mit Realschule, Grundschule und Grund-, Haupt- und Realschule. Wenn das so ist, dann ist das doch in Ordnung, und dann lassen Sie sie doch in Ruhe. Diese Schulen machen doch etwas Vernünftiges vor Ort. Sie stützen den Standort so oder so. Die Eigenverantwortlichkeit kommt dann noch obendrauf. Warum müssen Sie mit ideologischen Vorstellungen zu gemeinsamer Schule,

neuen Strukturen und neuen Gesetzen da hineinfunken, was die Basis im Grunde genommen vernünftig regelt?

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Herr Minister, ich darf Sie darauf aufmerksam machen, dass Sie die Redezeit, die der Regierung zusteht, um fast siebeneinhalb Minuten überschritten haben. Vielleicht ist es möglich, so langsam zum Ende zu kommen.

(Wolfgang Jüttner [SPD]: Das ist nicht seine Stärke!)

Ich versuche, in die Schlussrunde zu kommen, Herr Präsident.

Ich glaube, es ist nicht die Zeit für ideologische Modelle. Es ist die Zeit für pragmatische, vernünf

tige Regelungen. Ich sage das, weil die Schulen - wer wüsste das besser als ich - zumindest in Strukturfragen vielleicht etwas reformmüde geworden sind.