Protokoll der Sitzung vom 12.12.2007

(Michael Albers [SPD]: Bayern zeigt es! Andere Länder auch!)

- Warten Sie es doch mal ab! - Einige Lösungsansätze, z. B. in Form von etablierten Siegeln, die kinderarbeitsfreie Waren garantieren, gibt es schon. Aber das allein reicht nicht aus. Es macht Sinn, sich bei der Vergabe von Aufträgen die Einhaltung der UN-Kinderrechtskonvention bestätigen zu lassen. Niedersächsische Kommunen achten zum Teil bereits darauf, wer die Waren herstellt, die sie einkaufen. Man hat z. B. in Osnabrück einen Ratsbeschluss gefasst, auf Produkte aus ausbeuterischer Kinderarbeit zu verzichten, ebenso in Emden, Wolfsburg, Hannover und Winsen.

(Enno Hagenah [GRÜNE]: Und wa- rum nicht der Landtag?)

Wir müssen aber auch akzeptieren, Herr Hagenah, dass die Möglichkeiten des Landes hier begrenzt sind. Uns fehlen schlicht die Mittel, im Detail den Ursprung aller Waren zu prüfen.

(Enno Hagenah [GRÜNE]: Und wie macht Osnabrück das?)

Dafür sind die Lieferwege und Produzentenketten zu lang und zu komplex.

(Michael Albers [SPD]: Wie machen das denn andere Länder?)

Selbst großen Markenproduzenten gelingt es nicht immer, die Arbeitsbedingungen bei ihren Zulieferern im Ausland hinreichend zu kontrollieren.

(Unruhe - Glocke der Präsidentin)

Wir müssen aber auch differenzieren; denn nicht jede Kinderarbeit ist ausbeuterische Kinderarbeit. Terre des Hommes schreibt dazu - hören Sie genau zu! -:

„Nicht jedes Kind, das arbeitet, wird ausgebeutet. Nicht jede Form der Kinderarbeit muss bekämpft werden. In vielen Gegenden der Welt hat die Mitarbeit von Kindern eine wichtige Funktion in der Erziehung: Kinder wachsen so in ihre spätere Rolle hinein und übernehmen mit ihren wachsenden Fertigkeiten Stück für Stück Verantwortung. Allerdings darf solche Arbeit nicht in Ausbeutung münden.“

Viele Kinder leisten mit ihrer Arbeit einen maßgeblichen Anteil zum Einkommen ihrer Familien oder finanzieren ihren eigenen Schulbesuch. Häufig fallen Eltern als Verdiener sogar komplett aus, beispielsweise infolge von Krankheit.

Wir dürfen also nicht mit dem Ziel, ausbeuterische Kinderarbeit zu bekämpfen, in einen neuen Protektionismus verfallen. Damit würden wir genau den Menschen und Ländern Entwicklungschancen nehmen, denen z. B. beim aktuellen Afrika-Gipfel neue Chancen eröffnet werden sollen. Dies wäre wirklich kontraproduktiv. Also bitte schön: mit Maß!

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Herzlichen Dank, Frau Kollegin König. - Für die Landesregierung hat Minister Hirche das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Man muss auch zu später Stunde aufpassen, dass keine Popanzdiskussion geführt wird. In diesem Landtag, in Niedersachsen ist niemand für Kinderarbeit irgendwo auf der Welt; da gibt es doch überhaupt kein Vertun. Alle sind gegen Ausbeutung durch Kinderarbeit.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Im Grunde geht es darum, mit welchen Instrumenten man verhindern kann - weltweit und hier im Lande -, dass durch falsche Weichenstellungen Begünstigungen erfolgen.

In dem Antrag der Grünen wird ausgeführt, wir sollten prüfen, ob die Eindämmung ausbeuterischer Kinderarbeit in das Vergaberecht eingearbeitet werden kann. Wenn der Landtag der Landesregierung einen solchen Auftrag gibt, dann werden wir das selbstverständlich noch einmal diskutieren. Gleichzeitig ist es aber die Pflicht der Landesregierung, darauf aufmerksam zu machen, dass das Vergaberecht in Deutschland - wohlgemerkt: nicht nur in Niedersachsen! - nicht das geeignete Instrument zur Durchsetzung moralischer Ansprüche ist, meine Damen und Herren. Man kann nicht jedes Instrument aufladen und dann noch glauben, es sei wirtschaftlich nutzbar.

Ich sage Ihnen bereits heute voraus: Für die Konzerne wäre es ein Leichtes, die Nachweise zu erbringen, die die Grünen in ihrem Vorstoß verlangen. Den kleinen und mittleren Betrieben im Lande hingegen würde das jedoch nicht gelingen. Deswegen muss man genau überlegen, ob das, was Sie mit Ihrem hohen moralischen Anspruch, den ich ja auch habe, vorschlagen, nicht letztlich die Konzentration in der Wirtschaft begünstigen würde.

Herr Hagenah, die Frage ist doch, ob nicht andere Instrumente viel geeigneter dafür wären: internationale Abkommen in Verbindung mit einem Einwirken auf die ILO oder aber Verhandlungen der Bundesregierung im Zusammenhang mit den Wirtschaftsaktivitäten, die von ihr begleitet werden. Ein Instrument wie Hermes wäre möglicherweise viel geeigneter als das innerdeutsche Vergaberecht.

Wir müssen auch noch einmal prüfen, inwieweit die Produkte und Produktgruppen, die Sie hier ansprechen, überhaupt durch ausbeuterische Kinderarbeit, wie Sie sagen, hergestellt sein könnten und auf dem Markt angeboten werden. Sie selbst nennen in der Begründung des Entschließungsantrags Produkte wie z. B. Fußbälle, Teppiche, Textilien, Natursteine, Orangensaft, Schokolade, Kaffee oder Tee. Ich darf Sie einmal fragen, meine Damen und Herren: In welchem Umfang fragen die öffentlichen Auftraggeber, das Land und die Kommunen, eigentlich Schokolade, Tee und Kaffee nach, um ihre Aufgaben ordnungsgemäß erfüllen zu können?

Herr Minister Hirche, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Albers?

Ja.

Herr Albers!

Herr Minister Hirche, wenn Sie sagen, das Ganze bereite so viele Probleme: Wie machen es denn andere Bundesländer, und wie bekommt das Bayern hin?

(Dr. Philipp Rösler [FDP]: Nicht so gut wie wir!)

In der Tat gibt es gelegentlich Unterschiede zwischen dem nüchtern-protestantischen Norden und dem romanisch-katholischen Süden. So sind auch in der Anwendung des Vergaberechts Unterschiede zu erkennen. Während es bei dem - wie soll ich sagen? - wesentlich wortfreundlicheren Vergaberecht in Bayern einem niedersächsischen Betrieb kaum möglich ist, dort einen Auftrag zu bekommen, ist bei unserem nüchternen, klaren, transparenten und diskriminierungsfreien Vergaberecht in Niedersachsen Offenheit und Wettbewerbsneutralität gegeben. Das ist auch der eigentliche Sinn des Vergaberechts. Ich würde mich gerne bei anderer Gelegenheit sozusagen philosophisch mit dem auseinandersetzen, was die Bayern machen. Aber kleinen und mittleren Betrieben, die einen Auftrag bekommen möchten, dient das nicht.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Herr Minister, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Hagenah?

Selbstverständlich, nachdem er ja eben schon einmal eine Frage stellen wollte.

Herr Minister Hirche, sollten wir, da diese barocke Art der Umsetzung des Vergaberechts der bayerischen Wirtschaftsentwicklung bisher offensichtlich nicht geschadet hat, insofern nicht ein bisschen von Bayern lernen und - -

(Unruhe)

Herr Minister!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Hagenah, ich halte das durchaus für eine interessante Anregung. Aber viele der Anträge, die Sie im Parlament einbringen,

(Ursula Helmhold [GRÜNE]: Setzen Sie später um!)

stehen in einem diametralen Gegensatz dazu, wie die Bayern Politik handhaben. Die gucken nämlich in vielen Fällen nicht so genau hin, wie Sie das von der Landesregierung nach niedersächsischem Recht zu Recht erwarten: genau, präzise, diskriminierungsfrei usw. Das machen Sie sich doch sozusagen zu eigen. Gehen Sie einmal mit Ihren Kriterien nach Bayern, da werden Sie sich wundern!

Ich als Liberaler habe viel Freude daran, wie die Bayern ihr Leben gestalten, nicht nur, aber auch auf dem Oktoberfest, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP)

Aber zurück zum Thema, meine Damen und Herren. Nach dem Bericht des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie vom 12. Mai dieses Jahres findet der Großteil der Kinderarbeit, um die es hier geht, in informellen Sektoren und nur zu etwa 5 % im Exportsektor statt. Deswegen ist es eine völlige Illusion zu glauben, dass Niedersachsen in der Lage wäre, mit einer Erweiterung seines Vergaberechts ausbeuterische Kinderarbeit in den Entwicklungsländern zu bekämpfen. Dies mag man bedauern,

meine Damen und Herren. Auf Bundesebene gibt es sicherlich Instrumente, auf die wir uns verständigen könnten. Aber das innerstaatliche Vergaberecht ist sicherlich nicht geeignet, bei dem müssen wir sehen, dass es schnell und zügig zur Anwendung kommt. Die Sensibilisierung der Verbraucher beispielsweise ist viel wichtiger als jedes kleinteilige Vergaberecht.

Ich möchte erreichen, dass der Zweck der vorliegenden Beschlussempfehlung, nämlich Kinderarbeit weltweit zu bekämpfen, von uns allen beherzigt wird. Aber wir werden sehen: Es könnte sein, dass das Vergaberecht nicht ganz das richtige Mittel ist, Herr Hagenah.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Danke schön, Herr Minister. - Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Beratung.

Wir kommen zur Abstimmung.

Wer der Beschlussempfehlung des Ausschusses zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gibt es Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? Damit ist der Beschlussempfehlung des Ausschusses gefolgt.

Ich rufe als letzten Punkt für heute auf

Tagesordnungspunkt 20: Zweite Beratung: Leukämiefälle in der Elbmarsch müssen geklärt werden - Bürgerinnen und Bürger in der Elbmarsch nicht allein lassen - Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drs. 15/2848 Beschlussempfehlung des Ausschusses für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit - Drs. 15/4311

Die Beschlussempfehlung lautet auf Annahme in geänderter Fassung.

Eine Berichterstattung ist nicht vorgesehen.

Ich eröffne die Beratung.