Protokoll der Sitzung vom 31.10.2003

(Marie-Luise Hemme [SPD]: Das ist besser als Pfeifen im Walde! - Weitere Zurufe von der SPD)

Die Überschrift des vorliegenden Antrages weist einen Begriff auf, den ich - wie soll ich das sagen? - kürzlich verwendet habe, weshalb ich dann gemeinsam mit anderen Kultusministern sozusagen unter dem Begriff „Männerquote“ subsumiert wurde. Nicht nur einer großen deutschen Sonntagszeitung, sondern auch anderen Medien war aufgefallen, dass wir in der Schule - an manchen Schulformen sogar in besonderer Weise - sehr hohe Frauenanteile und nur geringe Männeranteile haben. Wir wurden gefragt, ob dies ein guter Zustand sei und wie man Abhilfe schaffen könne. Wir Kultusminister - das waren mehrere; so z. B. auch Frau Schavan, Frau Hohlmeier und Frau Wolff aus Hessen - haben gesagt: Der Zustand ist nicht ideal, wir brauchen vielleicht so etwas wie eine Männerquote. - Damit wurden wir unter dem Begriff „Männerquote“ subsumiert.

In dem Antrag wird - wohl auch polemisch gemeint - dem Begriff der Gleichberechtigung der Begriff der Männerquote gegenübergestellt.

Mein Anliegen ist es nicht, eine Art Antifemininismus aufzumachen und dagegen einen neuen Maskulinismus oder dergleichen zu setzen. Soweit sollten wir nicht gehen. Ich bin auch froh, dass hier ausgesprochen sachlich miteinander diskutiert wird. Das Ganze hat ja einen ernsten und auch wissenschaftlich belegbaren Hintergrund.

Ich habe mir durchaus überlegt, ob ich mich diesem Thema überhaupt zuwenden sollte, wenn wir es denn unter dem Begriff „Männerquote“ laufen lassen sollten. Ich habe mich dann bewusst dafür entschieden. Interessant ist, dass man, wenn man sich eines solchen Themas annimmt, bundesweit Zuschriften bekommt. Der Inhalt ist pro und contra, aber viele sagen: Donnerwetter, Sie haben ja Mut. - Muss man denn wirklich Mut haben, ein Thema, das sich überall in unserem Schulwesen stellt, einfach einmal anzusprechen? - Ich wollte symbolisch und - von mir aus - auch ein bisschen provokativ auf eine Entwicklung in unserem Bildungswesen hinweisen, die auffällig ist und Anlass zum Nachdenken gibt.

Wenn wir feststellen müssen, dass Jungen weniger Lernerfolg haben als Mädchen, dann darf man doch nicht das Denken einstellen, sondern muss doch nach Ursachen suchen und Lösungen für erkannte Probleme finden. Nicht mehr und nicht weniger ist meine Absicht. Die Suche nach Erklärungen für den geringen Schulerfolg von Jungen hat doch spätestens mit den Ergebnissen von PISA beginnen müssen und hat doch auch begonnen. Davon zeugen wissenschaftliche Abhandlungen ebenso wie ernstzunehmende Zeitungsberichte. Ich will darauf heute nicht im Einzelnen eingehen, sondern Ihnen das vorstellen, was mich nachdenklich gemacht hat.

Mich bewegt die Frage, ob Jungen in unserem schulischen, in unserem allgemein-gesellschaftlichen und auch familialen Erziehungssystem, das mehr und mehr durch Frauen geprägt wird, hinreichend Gelegenheit haben - das ist schon angesprochen worden -, sich in ihrem geschlechtsspezifischen Rollenverhalten auch an Männern zu orientieren. Alle vorliegenden Daten stützen die Annahme von Zusammenhängen zwischen dem Fehlen von männlichen Rollenvorbildern und mangelnder Leistung von Jungen in der Schule. Diesen Komplex können wir pro und contra diskutieren,

aber es gibt eine Kette von wissenschaftlichen Abhandlungen, die deutlich machen, dass es hier ein Teilproblem eines großen Problems gibt, dem man sich zuwenden muss. Nicht auszuschließen ist, dass ein Junge, der beispielsweise bei einer allein erziehenden Mutter aufwächst und keinen Mann als Bezugsperson und in erzieherischer Funktion erlebt, sich in seinem männlichen Verhalten an Klischees aus Filmen, Fernsehserien und Computerspielen orientiert.

(Beifall bei der CDU - Walter Meinhold [SPD]: Woher haben Sie das denn?)

- Sie müssen mehr Zeitung gelesen, Herr Meinhold, z. B. auch die Hannoversche Allgemeine Zeitung, die vor etwa zwei oder drei Wochen darüber berichtet hat.

(Weitere Zurufe)

- Lassen Sie mich doch ausreden! - 18 % der männlichen Neuntklässler verbringen nach einer Studie mehr als vier Stunden täglich vor dem Fernseher. Zwei Drittel der Jungen beschäftigen sich mit Computerspielen, die erst ab 18 Jahren freigegeben sind. Die dort vermittelten Verhaltensmuster, mit denen sich die Jungen identifizieren können, sind aber kaum gesellschaftlich wünschenswert. Darin sollten wir uns doch einig sein. Sie verstärken eher so genannte jungentypische Verhaltensweisen wie Lautstärke, Körperbetonung und Aggressivität. Denkt man zusätzlich an den Schulerfolg von Jungen, so muss man ohne Schuldzuweisung und mit aller Vorsicht fragen dürfen, ob in dem Ursachengeflecht des größeren Jungenanteils am schulischen Versagen nicht auch die unausgeglichene Geschlechterstruktur unseres Bildungswesens einen Faktor darstellen kann.

2002, meine Damen und Herren, machten in Niedersachsen gerade noch 42,9 % der Jungen Abitur. 63,5 % beträgt der Jungenanteil bei denjenigen, die ganz ohne Abschluss die Schule verlassen. Nach einem Bericht der Berliner Zeitung vom 4. Oktober 2003 sind unter den Sonderschülern über 90 % Jungen. Der Jungenanteil unter den Sitzenbleibern beträgt zwei Drittel. Ich gehe davon aus, dass zwischen Jungen und Mädchen keine geschlechtsspezifischen Intelligenzunterschiede bestehen.

In der PISA-Studie wird auf das signifikant höhere Interesse der Mädchen am Lesen hingewiesen. Dagegen überwiegt das Interesse der Jungen an

der Mathematik. Auf sozialem Gebiet beobachten wir in den letzten Jahren, dass sich Mädchen mit einem größeren Selbstverständnis ihrer Geschlechterrolle stellen und sich auch bei der Berufswahl oft bewusst untypisch verhalten und entscheiden.

In einem in Niedersachsen durchgeführten Schulversuch zur sozialen Integration in einer jungenund mädchengerechten Grundschule hat sich gezeigt, dass es positiv sein kann, z. B. bei einer Gruppenarbeit mit unterschiedlichen Angeboten oder mit einzelnen speziellen Mädchen- und Jungenstunden die Geschlechter hin und wieder getrennt dort abzuholen, wo sie stehen. Auch liegen gute Ergebnisse vor, wenn in Projekten, Arbeitsgemeinschaften usw. mitunter Väter als Ansprechpartner der Jungen in den Unterricht geholt wurden.

Meine Damen und Herren, in diesem Zusammenhang muss doch auch die Frage erlaubt sein, ob in der geschlechtsspezifischen Zusammensetzung unserer Lehrerschaft vielleicht ein Erklärungsbaustein - weiß Gott nicht die Lösung - für den so großen, ja viel zu großen schulischen Misserfolg der Jungen liegt. Ist es eine von mehreren möglichen Erklärungen, dass der Lehrerinnenanteil an Grundund Hauptschulen fast 75 % beträgt - mit steigender Tendenz -, an den Grundschulen allein derzeit 87 %? Es sei angemerkt: Von den Auszubildenden im Vorbereitungsdienst sind rund 71 % weiblich, von den gesamten Lehramtsstudierenden 71%.

Sie, meine Damen und Herren von der SPDFraktion, geben mir indirekt darin Recht, dass ich nachdenklich Fragen stelle. In Ihrem Antrag ist zu lesen: „Angestrebt werden muss eine gleichmäßigere Verteilung von Lehrerinnen und Lehrern auf alle Schulformen.“ - Bitte!

Damit jetzt aber kein Missverständnis entsteht, wiederhole ich, was ich auch in mehreren Presseerklärungen gesagt habe - fokussieren Sie das bitte nicht auf diesen einen Punkt; ich sage Ihnen auch hier noch einmal ganz deutlich -: Unsere weiblichen Lehrkräfte leisten hervorragende Arbeit. Das ist hoch anzuerkennen. - So können wir das also nicht gegeneinander stellen. Wir sollten miteinander das Problem vielleicht etwas tiefer angehen.

Angesichts des hohen Anteils von Frauen an unseren Schulen stellen sich mir zwei Fragen.

Erstens. Wie erklärt sich die Unausgewogenheit des Geschlechterverhältnisses der Lehrkräfte in unserem Schulwesen?

Zweitens. Sind Auswirkungen dieses Trends auf die Erziehung von Mädchen und vor allem Jungen festzustellen?

In der Allensbacher Berufsprestigeskala 2003 rangiert das Lehramt an Grundschulen – 27 % haben es genannt, fünf Nennungen pro Befragtem waren möglich - an sechster Stelle. Die Vergleichswerte: Der Hochschulprofessor hat 30 % der Nennungen, der Rechtanwalt 29 %, der Studienrat 14 % und der Politiker lediglich 8 %, wie das halt so ist. Trotz dieses relativ hohen Ansehens scheint beispielsweise das Grundschullehramt für Männer wenig attraktiv zu sein. Woran liegt das? - In Untersuchungen wird immer wieder auf die konkurrenzund aufstiegsbetonte Orientierung der Männer hingewiesen. Das mag die Hinwendung insbesondere von Männern zu höheren Lehrämtern erklären.

Der auch bei höheren Lehrämtern feststellbare Trend zu mehr weiblichen Lehrkräften könnte unter Umständen auch auf die schlechten Aussichten auf eine Stelle im Schuldienst in den vergangenen Jahren zurückzuführen sein. Grundschullehrerinnen beispielsweise wird in den Untersuchungen nachgesagt, dass für sie - ich zitiere eine Abhandlung - die Arbeit an der Grundschule nicht das Odium einer minderwertigen Tätigkeit habe oder dass sie - nochmals Zitat - mit größerer Statussicherheit als männliche Lehrkräfte an ihre Arbeit herangingen. - Das mag man so oder so sehen.

Ich habe kürzlich einen interessanten Aufsatz gefunden. Frau Professorin Astrid Kaiser, Universität Oldenburg, hier im Lande sicherlich bekannt, bringt eine zusätzliche Erklärung - ich zitiere -:

„Lehrerinnen verstehen ihre Berufsarbeit, verglichen mit männlichen Lehrkräften, insgesamt mehr im Sinne von Beziehungsarbeit, die eigene Person als Bezugsperson für die Schülerinnen und Schüler und als Mittlerin zwischen harten Institutionsansprüchen und den Lernenden.“

Aussagen ähnlicher Grundhaltung wie bei den Lehrerinnen findet man auch in der 14. ShellJugendstudie 2003 über Jugendliche wieder. Ein Viertel der Jugendpopulation wird dort als „pragmatische Idealisten“ bezeichnet, in der weibliche Jugendliche eindeutig in der Überzahl sind. Hierzu

schreibt z. B. Professor Hurrelmann, Universität Bielefeld, auch hier im Lande bekannt:

„Im Unterschied zu den Machern schimmern hier humanistisch geprägte Motive für ein soziales Engagement durch, das sich vor allem auf jugendbezogene Themen in Freizeit und Schule richtet, aber auch sozial benachteiligte Gruppen mit einbezieht. In fast allen Feldern der organisierten und informellen Netzwerkbildung sind die pragmatischen Idealistinnen führend. Sie repräsentieren die konzentrierte Lebensführung der tonangebenden jungen Frauengeneration mit einem kräftigen Schuss Selbstbewusstsein und einer gestaltenden Aktivität in Schule, Beruf, Freizeit, Gemeinde und sozialen Organisationen.“

Auch ein Erklärungsversuch aus einer Ecke, die mir politisch nicht unbedingt nahe steht!

Ich bin einfach dankbar für eine gewisse Sachlichkeit in der Diskussion. Wir haben hier ein Problem. Ideallösungen weiß ich auch nicht. Nun müssen wir sehen, wie wir dem Problem neutral irgendwie beikommen.

Meine Damen und Herren, mit meinem Vorstoß möchte ich schlicht und einfach erreichen, dass sich mehr junge Männer für den verantwortungsvollen und schönen Beruf des Lehrers vor allem auch an der Grundschule entscheiden;

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

denn die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen ist lohnend und bringt auch viel Freude.

Ich darf auch die Besoldung anführen. Die Besoldung eines Lehrers und sein fester Arbeitsplatz sind gerade in diesen Zeiten, meine ich, Faktoren, die bei einer Berufsentscheidung durchaus bedenkenswert sind.

Also, liebe junge Männer auch an den Gymnasien, wenn ihr demnächst Abitur macht und vielleicht auch einmal über den Lehrerberuf nachdenkt, dann denkt positiv darüber nach und seht insbesondere auch die guten Chancen in den Grundschulen!

Wenn wir durch unsere Diskussion und auch durch solche Appelle vielleicht eine kleine Trendwende

erreichen, kommen wir dem gemeinsamen Ziel vielleicht auch wieder näher.

Meine Damen und Herren, innerhalb und außerhalb der Schule wirkt diese Landesregierung - es wurde angesprochen - auf die Gleichberechtigung der Geschlechter hin. Das bedeutet aber auch, über auffällige Entwicklungen nachzudenken, Fragen zu stellen und vielleicht auch gemeinsam Antworten zu finden. Ich fordere Sie also auf, sich gemeinsam mit der Landesregierung für eine weitere Verbesserung der Gleichberechtigung im Lande zu engagieren. - Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Von der SPD-Fraktion hat sich Frau Hemme noch einmal zu Wort gemeldet. Bitte schön, Frau Hemme.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben heute einen historischen Moment erlebt. Die Frauenpolitik ist aus dem Ministerium für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit nun anscheinend doch komplett zu den Männern, nämlich ins Kultusministerium, übergegangen.

(Heiterkeit bei der SPD und bei den GRÜNEN - Angelika Jahns [CDU]: Wo Sie doch das Frauenministerium abgeschafft haben!)

Es ist auch klar, wohin die Frauenpolitik in dieser Fraktion geht. Nach dem, was Sie, Frau Jakob, heute gesagt haben, verstehe ich nicht, wieso Sie frauenpolitische Sprecherin sind. „Abschaffung der Frauenbeauftragten“ ist eine Ihrer Äußerungen. Das heißt, Frauenpolitik findet hier nicht mehr statt. Aber vielleicht kann sich Ministerin doch noch einmal dazu äußern, wie sie Frauenpolitik in diesem Lande sieht.

(Zuruf von der CDU: Gute Idee! - Bernd Althusmann [CDU]: Ich stehe positiv dazu!)

Für uns ist es auf jeden Fall erschreckend zu sehen, wohin die Frauenpolitik geht. Ich rechne nicht mehr mit positiven Bestrebungen. Das war erschütternd heute.

Was mich gefreut hat, war vorhin Ihre Zustimmung, meine Damen und Herren der CDU-Fraktion, zu dem, was ich vorgetragen habe. Ich hoffe, dass wir dann auf eine sachliche Grundlage zurückkehren können. Aber für die Frauenpolitik in diesem Lande gilt: Gute Nacht!

(Beifall bei der SPD - Angelika Jahns [CDU]: Ihr Antrag bringt uns keinen Schritt voran!)

Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Damit schließe ich die Beratung.

Wir kommen zur Ausschussüberweisung. Empfohlen wird, mit der federführenden Beratung den Ausschuss für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit und mit der Mitberatung den Kultusausschuss zu beauftragen. Wer so beschließen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen! - Stimmenthaltungen? - Dann haben Sie so beschlossen.

Wir kommen zu