trauen Sie sich ruhig mal, das öffentlich zu sagen. Sie dürfen ruhig stolz auf unsere Arbeit sein; wir sind es nämlich auch, meine Damen und Herren.
Das setzt sich ja so fort. Ich nenne noch ein paar Beispiele, weil sie richtig, allerdings für uns auch ganz schön sind: der Tiefwasserhafen in Wilhelmshaven mit 3 600 neuen Jobs und 800 Millionen Euro Investitionen; neue Straßen und Schienenwege wie die A 26, die A 31, die A 39, die NordWestBahn; auch Projekte wie die A 20, die A 22 und die von Ihnen zitierte X-Variante durch Sachsen-Anhalt und Brandenburg. Das alles haben wir mit der Bundesregierung und anderen Ländern bereits vereinbart. Das wird in weiten Teilen schon umgesetzt. Ich nenne weiter das Zentrum für Produktionstechnik in Hannover; den Forschungsflughafen in Braunschweig mit 1 800 neuen Arbeitsplätzen; die Verdoppelung der Mittel für die Forschung und Entwicklung in der Luft- und Raumfahrt entlang von Weser und von Elbe; die Biotechnologiezentren in Göttingen, Braunschweig und Hannover; die Hörforschung in Oldenburg und das Transplantationszentrum in Hannover. Das alles, meine Damen und Herren, sind Ergebnisse und Erfolge sozialdemokratischer Politik für Wirtschaft und Wissenschaft in Niedersachsen. Mir tut‘s zwar Leid, aber darauf können Sie aufbauen, und darauf sind wir stolz.
Seien Sie ein bisschen locker. Wir sind es inzwischen auch. Sie brauchen das Land nicht schlechter zu reden, als es ist. Sie können auch mal erklären, was die anderen vernünftig gemacht haben. Herr Ministerpräsident, Sie sind jetzt Regierungschef. Keiner muss mehr schweißige Hände haben, die nächsten fünf Jahre jedenfalls nicht; dann, so hoffen wir, wird es wieder anders. Aber die letzten 13 Jahre waren insbesondere bei diesen Themen gute Jahre für unser Land, meine Damen und Herren!
- Ich weiß nicht, warum Sie so reagieren. Zu nichts von dem, was ich eben gesagt habe, gibt es einen Widerspruch zu dem, was in Ihrer Koalitionsvereinbarung steht, nur dass das alles schon existiert. Ich finde, Sie haben eine satte Fraktion - mir tut es ja auch Leid -, das Selbstbewusstsein könnte ein bisschen größer sein, es sei denn, Sie merken, dass
Herr Ministerpräsident, dort, wo Sie in der Regierungserklärung und in der Koalitionsvereinbarung konkret geworden sind, gibt es vieles, was Sie aus unserer Zeit fortsetzen. Wir sind also schon deshalb zur Zusammenarbeit bereit, aber auch in anderen wichtigen Fragen, die mindestens auf den ersten Blick strittig erscheinen, wie z. B. in der zentralen Frage der Entwicklung der Finanzen unseres Landes.
Die wichtigste Voraussetzung dafür ist allerdings, dass wir gemeinsam mit der Illusion brechen, allen alles zu versprechen sei eine Garantie für breite Zustimmung. Wir werden deshalb auch nicht Forderungen und Versprechen abgeben, meine Damen und Herren, bei denen man selbst als Oppositionspartei schon weiß, dass sie nicht zu finanzieren sind. Wie wäre es wohl, Herr Wulff, wenn wir gelegentlich den einen oder anderen Vorschlag von Ihnen aus Ihrer Oppositionszeit - und zwar mit Ihren eigenen Deckungsvorschlägen - hier einmal einbringen würden?
Ich denke an die „einfachen Umschichtungen“ des Kultuspolitikers Busemann zur Gebührenbefreiung des dritten Kindergartenjahres,
an die Abschaffung der Arbeitszeitverlängerung für Lehrerinnen und Lehrer, an die 250 Millionen Euro mehr im kommunalen Finanzhaushalt. Übrigens, wo ist eigentlich die Senkung der Gewerbesteuerumlage auf 20 % mit Kosten von 58 Millionen Euro geblieben, Herr Schünemann? Oder wo sind die zusätzlichen Investitionen im Krankenhausbereich? Wo ist, Herr Wulff, das Geld für Mehrausgaben bei der Dorferneuerung und bei der Wohnungsbauförderung? Was machen Sie eigentlich, wenn wir hier mal Ihre Hanstedter Erklärung beantragen und diese so wie Sie als Haushaltsantrag definieren? Mehr als 2 Milliarden Euro Wahlversprechen, meine Damen und Herren! Wo sind die eigentlich geblieben? In Ihrer Regierungserklärung war davon jedenfalls nichts mehr zu hören, in der Koalitionsvereinbarung steht schon gar nichts.
Wie war das, Herr Wulff? Wie war das Zitat: „Man soll sagen, was man tut, und tun, was man sagt.“ Ihre Ausrede - wahrscheinlich schon nachher durch Ihren Fraktionsvorsitzenden - lautet dann sicherlich: Wir wussten ja nicht, wie groß die finanziellen Probleme des Landes sind. - Dumm ist bloß, dass Ihr jetziger Finanzminister bereits am 30. Oktober 2002 hier im Landtag erklärt hat: „Wir werden im nächsten Jahr ein Haushaltsdefizit von 2 Milliarden Euro haben.“ Das sind doch die gleichen Zahlen. Wenn Sie das alles wussten, warum haben Sie den Menschen in Niedersachsen dann diese unglaubliche Latte von Versprechungen gemacht?
Ich finde, Politik lebt u. a. davon, dass man auch einmal der Logik von Anträgen nachgeht. Sie haben doch immer behauptet, Sie hätten für alles Deckungsvorschläge. Dann können Sie diese Deckungsvorschläge jetzt doch auch einmal benennen. Warum aber finden wir für diese 2 Milliarden die Deckungsvorschläge, die doch solide sein sollten, in der Koalitionsvereinbarung oder in der Regierungserklärung nicht? - Meine Damen und Herren, in Berlin wäre das ein Fall für den Lügenausschuss.
Aber keine Angst: Wir akzeptieren das Wahlergebnis. Wir werden Sie aber ab und zu an ein paar Ihrer Versprechungen erinnern.
Das werden hier fünf spannende Jahre. Ich habe Ihnen ja gesagt, dass ich hier bleibe. Langeweile wird nicht aufkommen. Darauf können Sie sich verlassen, meine Damen und Herren.
Jetzt wieder ein bisschen ernsthafter. - Bei dieser Gelegenheit möchte ich sagen: Hören Sie auf mit dem Versuch, die Schuld für die finanzielle Situation des Landes zu verteilen. Ich habe das - Sie werden das in vielen meiner Reden nachlesen können - in meinem früheren Amt, in Ihrem jetzigen Amt, Herr Wulff, vermieden. Dafür gibt es gute
Gründe; denn der Streit ist müßig. Jede Partei findet Belege und im Übrigen auch Kronzeugen dafür, dass es immer die jeweils andere war, die die Finanzsituation verschlechtert hat. Eine Kostprobe gefällig? - Der Bund der Steuerzahler schrieb vor genau einem Jahr:
„... unter... Ministerpräsident Albrecht... begann sich die Schuldenspirale erst richtig zu drehen. Zu Zeiten der Albrecht-Regierung hat sich der Anteil der Schulden am Bruttoinlandsprodukt des Landes von 9,2... auf 18,3 %... nahezu verdoppelt. Der Schuldenberg wuchs in diesem Zeitraum doppelt so schnell wie die wirtschaftliche Leistung des Landes.“
Das zu Zeiten, in denen Niedersachsen noch kalkulierbare Steuermehreinnahmen von bis zu 8 % pro Jahr hatte. Hinzu kamen Milliardenbeträge aus der Förderzinsabgabe, der Strukturhilfe und der Zonenrandförderung. Der Zuwachs der Verschuldung in den 14 Jahren Albrecht-Regierung betrug 519 %. Das ist doppelt so viel wie in 13 Jahren sozialdemokratischer oder sozialdemokratisch-grüner Regierung.
Meine Damen und Herren, ich wiederhole: Das nur als Kostprobe dafür, dass es unsinnig ist, sich gegenseitig die Schuld vorzuwerfen. - Ich kann wirklich sagen: Das macht keinen Sinn, weil dieses Schwarze-Peter-Spiel nicht weit führen wird. Lassen Sie es uns beenden.
Herr Wulff, Herr Ministerpräsident: Wenn Sie schon Rolf Wernstedt zitieren, dann müssen Sie ihm aber auch die Ehre machen, ihn vollständig zu zitieren. Er meinte alle Verantwortlichen der letzten Jahrzehnte. Da gibt es eine Menge bei Ihnen, aber auch eine Menge bei uns und auch eine ganze Reihe bei FDP und Grünen.
Außerdem finde ich, Herr Ministerpräsident, dass wir hier als Entscheider gewählt worden sind, nicht aber als Moderatoren oder Analysten. Verantwortliche Oppositionspolitik bedeutet auch, sich zu trennen von dem fast 60 Jahre alten Motto der deutschen Politik, das da lautet: Allen wohl und keinem wehe. - Das ist übrigens auch das Karnevalsmotto. Der Karneval aber ist wenigstens am Aschermittwoch vorbei. Angesichts Ihrer gestrigen Regierungserklärung und auch angesichts Ihrer Koalitionsvereinbarung habe ich allerdings den
Eindruck gewonnen, dass Sie dieses Karnevalsmotto aus Ihrer Oppositionszeit gern beibehalten wollen. Sie haben sich nämlich gerade nicht entschieden, sondern wieder vielen vieles versprochen und gleichzeitig über eisernes Sparen geredet.
Auch eine Kostprobe gefällig? - Mehrausgaben für Lehrer und Polizisten, gleichzeitig aber Schuldenabbau und eine geringere Staatsquote. - Ich weiß nicht, wie schlecht die PISA-Schule gewesen sein muss, bei der man Mathe gelernt hat. Wenn man Mehrausgaben, weniger Schulden und geringere Steuern zueinander bekommen muss, scheint auch ein Bildungsauftrag in das Parlament hinein zu gehen.
Noch mehr aber würde mich interessieren: Wie vereinbaren Sie das eigentlich mit Ihrem neuen Verwaltungsreformer, der als Präsident des Landesrechnungshofs doch erklärt hat, dass wir ab 2005 Lehrerstellen abbauen müssten, meine Damen und Herren? - Diesbezüglich werden uns noch spannende Debatten bevorstehen.
Ein zweites Beispiel: Sie fordern einen Innovationsfonds aus Vermögensverkäufen. Abgesehen davon, dass Sie zeitgleich erklärt haben, die Landesregierung habe bereits alles verkauft - das ist auch nicht schlecht -, sagen Sie dann aber, Sie wollten die Verkaufserlöse zur Deckung von Steuerausfällen nutzen, weil Sie sonst die Mipla nicht geschlossen kriegen. - Was denn nun? Einen Fonds für Mehrausgaben, oder Nutzung im Rahmen der Mipla, oder ist kein Geld da? - Ich habe gestern und auch beim Lesen der Koalitionsvereinbarung wirklich manchmal den Eindruck bekommen, dass der Wahlkampf einfach nur fortgeschrieben wird.
Herr Ministerpräsident Wulff, als Sie gestern Ihre Regierungserklärung abgegeben haben, haben Sie sich, glaube ich, noch einmal diesen warmen Schafspelz aus Oppositionszeiten umgehängt. „Bloß nicht konkret werden“, haben Sie gedacht. Ich verstehe, das ist Ihre politische Lebenserfahrung der letzten Jahre. Sie haben im politischen Windschatten ja ganz trefflich gelebt. Deshalb sind beide Dokumente - sowohl die Koalitionsvereinbarung als auch die Regierungserklärung - eben ausschließlich Absichtserklärungen mit absehbaren und weniger guten Nebenwirkungen.
Am konkretesten ist ja wohl die Ankündigung, das Schlesiertreffen wieder nach Niedersachsen zu holen. Ich muss sagen, dass ich nichts dagegen
habe. Ich bin auch dafür. Warum denn nicht? Ich bin halber Schlesier, halber Ostpreuße. Warum soll ich also etwas dagegen haben? In diesen Veranstaltungen - das habe ich denen schon einmal gesagt - sollten die Spitzenfunktionäre aber auf die eine oder andere rechtsradikale Rede verzichten. Das wäre ganz gut.
Da steht uns möglicherweise noch Einiges bevor. Wundern Sie sich nicht; das ist alles zitierbar. Ich kenne mich da außerordentlich gut aus, kann ich Ihnen versichern.
Wenn Sie in Ihrer Regierungserklärung sagen, „keine Versprechen mehr, die die Generationen von morgen und übermorgen bezahlen müssen“, dann müssen Sie uns aber auch erklären, wie Sie dieses widersprüchlichen Versprechungen einlösen wollen. Der Hinweis auf die Auflösung der Bezirksregierungen und den Abbau von 6 000 Stellen reicht nicht aus, weil Sie damit nicht einmal die Mehrausgaben, die Sie angekündigt haben, bezahlen, geschweige denn die Staatsverschuldung abbauen können.
Herr Ministerpräsident, mein Eindruck war: Sie sind gestern in die Rolle des Oppositionsführers zurückgefallen. Ich werfe Ihnen das nicht vor, zumal ich es gern gesehen hätte, wenn Sie in dieser Rolle geblieben wären. Ich sage Ihnen aber ganz offen: Bei mir hat es auch ein bisschen gedauert, bis ich in dem Amt richtig angekommen war. Sie müssen aber wissen: Masken aufsetzen, sich verkleiden und so tun als ob, geht eben nur bis Aschermittwoch. Ab morgen ist das vorbei, meine Damen und Herren.
Ich möchte einmal ein Angebot machen; denn ich finde, dass wir über die Finanzsituation unseres Landes wirklich einmal reden und aus ihr auch Konsequenzen ziehen müssen. Ich finde es in Ordnung. Machen Sie Ihre Eröffnungsbilanz oder von mir aus auch unsere Schlussbilanz. Lassen Sie uns aber vielleicht nur eine Sitzung darauf verschwenden, uns gegenseitig die Schuld zuzuweisen. Wir alle haben doch schon staatstragende Reden gehalten über die Vier-Augen-Gesellschaft. Unter vier Augen sagen wir uns immer die Wahrheit. Hinterher haben wir uns meistens aber nicht daran gehalten.
Die Wahrheit ist - das wissen Sie so gut wie ich -: CDU, FDP, SPD und Grüne haben zu jeweils unterschiedlichen Zeiten allzu lange vom Prinzip Hoffnung gelebt. Alle Parteien haben auf Wachstum und wachsende Steuereinnahmen gesetzt und deshalb keine Vorsorge im Lande für Pensionen getroffen. Alle Parteien haben sich vor 20 oder 30 Jahren, als es nötig gewesen wäre, nicht an das Berufsbeamtentum herangetraut und den Landeshaushalt damit zur Rentenkasse verkommen lassen. Alle Parteien haben nach Regierungswechseln ihre Wahlversprechen mit neuen Schulden bezahlt und die alte Politik unangetastet gelassen, um nur niemanden zu verärgern. Alle Parteien haben eine Bruttoregistertonnenmentalität entwickelt: Je höher die Einstellungszahlen, je höher die Subventionen, je höher die Programme waren, desto eher haben wir geglaubt, das Land auf diese Weise besser gestalten zu können. Die Wahrheit aber war und ist: Mehr vom Gleichen schafft nichts Neues und meistens auch nichts Besseres.
Wir sind bereit, die wirklichen Ursachen hier im Landtag anzupacken. Wir haben auch eine Riesenchance miteinander, meine Damen und Herren; denn zwei bis drei Jahre lang müssen wir hier im Lande keine entscheidenden Wahlkämpfe führen. Wir können uns also so richtig auf das konzentrieren, wofür wir vom Volk bezahlt werden. Das ist nicht der Wahlkampf. Weder Regierung noch Opposition müssen in dieser Zeit um Wahlchancen bangen. Wir können wirklich etwas für das Land tun. Also, Herr Ministerpräsident, entscheiden Sie! Mut zur Politik und Mut zur Entscheidung! Wir machen mit. Aber bitte konkret und nicht wie gestern und in der Koalitionsvereinbarung mit niedlichen Allgemeinplätzen wie: Wir müssen den anderen Weg nehmen, genau hinschauen, entschlossen handeln. Wir werden uns von der Realität leiten lassen, nicht von Wunschträumen. Wir werden alles auf den Prüfstand stellen. Nur der Hinweis darauf, dass den Bürgern Einiges zugemutet werden müsse. - Das reicht nicht. Sagen Sie stattdessen, was Sie meinen. Bei all diesen Dingen wollen wir mitreden und mitdiskutieren. Vielem werden wir möglicherweise sogar zustimmen. Kneifen Sie nicht vor konkreten Antworten!