Protokoll der Sitzung vom 10.12.2003

Ich rufe auf

Tagesordnungspunkt 17: Einzige (abschließende) Beratung: Stärkung der Länder gegenüber dem Bund und der Europäischen Union - Antrag der Fraktionen der CDU und der FDP - Drs. 15/129 Beschlussempfehlung des Ausschusses für Bundes- und Europaangelegenheiten und Medien - Drs. 15/588

und

Tagesordnungspunkt 18: Zweite Beratung: Länderparlamente stärken - Mitglieder legitimieren Zivilgesellschaft einbinden Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drs. 15/376 - Beschlussempfehlung des Ausschusses für Bundes- und Europaangelegenheiten und Medien - Drs. 15/589

Die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Bundes- und Europaangelegenheiten und Medien in der Drucksache 588 lautet auf Annahme in veränderter Fassung. Der Ausschuss für Bundes- und Europaangelegenheiten und Medien empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung in der Drucksache 589, den Antrag für erledigt zu erklären.

(Vizepräsidentin Astrid Vockert übernimmt den Vorsitz)

Meine Damen und Herren, eine Berichterstattung ist nicht vorgesehen. Damit kommen wir zur Beratung. Herr Kollege Plaue, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich gebe zu, dass es nach einer solch emotional aufgeladenen Debatte etwas schwierig ist, sich wieder auf den Boden der europäischen Wirklichkeit zu begeben. Dennoch sollten wir es tun.

(Unruhe bei der CDU)

Allerdings will ich einschränkend hinzufügen: Das, was heute zu diskutieren und abschließend zu beraten ist, nämlich ein Antrag der beiden Regierungsfraktionen - -

(Anhaltende Unruhe)

- Frau Präsidentin, ich habe Verständnis dafür, dass sich die Kolleginnen und Kollegen dort noch austauschen müssen. Vielleicht sollten wir so lange die Sitzung unterbrechen.

Sie merken, Herr Kollege Plaue: Wenn man nur zehn Sekunden ruhig ist, dann wird der Saal auf einmal auch ruhig. Jetzt haben Sie die volle Aufmerksamkeit der gesamten Abgeordneten.

Ich merke schon, der Präsident nimmt jetzt auf der Regierungsbank Platz. Das ist wahrscheinlich auch angemessen.

Meine Damen und Herren, das, was die Regierungsfraktionen zum Thema Stärkung der Länder gegenüber dem Bund und der Europäischen Union vorgelegt haben, ist so dünn, dass es wirklich fast eine Schande ist, dass sich der Landtag damit beschäftigt und das sozusagen zu seiner Position macht.

(Beifall bei der SPD)

Nachdem zu dem Antrag schon keine erste Beratung im Plenum stattgefunden hat, haben wir im Ausschuss zusammen mit dem Haushaltsausschuss eine Anhörung durchgeführt. Ergebnis dieser Anhörung war eine ganze Reihe von Hinweisen darauf, was eigentlich passieren muss, damit sich die Länderparlamente in diesem Beziehungsgeflecht zwischen der europäischen Ebene auf der einen Seite, die sich immer mehr auch in die tägliche politische Praxis hineinarbeitet, und der Bundesebene auf der anderen Seite und insbesondere im Konflikt zwischen bundesstaatlicher Gesetzgebung und den Landeskompetenzen behaupten, damit Landeskompetenzen auch im Bewusstsein der Bevölkerung vorhanden sind und damit vor allen Dingen die eigene Bedeutung, die dieses Parlament tatsächlich für uns hat, klar wird.

Nichts von dem, was in dieser Anhörung von den Fachleuten vorgetragen worden ist, findet sich in dem Änderungsantrag der Regierungskoalition wieder. Das heißt für mich ein weiteres Mal: Ob dieser Landtag Anhörungen macht oder ob er es bleiben lässt, ist für die Regierungsmehrheit so gehupft wie gesprungen. Es interessiert Sie gar nicht, was Ihnen Fachleute sagen. Sie wollen mit Ihren vorgefassten Meinungen durch. Das halte ich für eine größere Schädigung des Parlamentarismus als die eine oder andere Auseinandersetzung, die wir uns in diesem Landtag leisten.

(Beifall bei der SPD)

Sie konzentrieren das, was Sie als Stärkung der Länderkompetenz betrachten, ausschließlich auf die Finanzbeziehungen der Bundes- und der Landesebene. Sie blenden völlig aus - das ist in der Anhörung so gesagt worden -, dass die Frage von Gesetzgebungskompetenzen eine viel deutlichere, bessere und größere Rolle spielt als die Frage, wer

zu welchem Zeitpunkt welches Geld von wem zur Verfügung gestellt bekommt.

Nachdem Sie sich in Ihrem Antrag nicht dazu geäußert haben, will ich Sie fragen: Welche von den staatlichen Ebenen soll denn nun die Gesetzgebungskompetenzen in bestimmten Bereichen haben? Sollen mehr Kompetenzen bei den Ländern insgesamt angesiedelt werden? Das heißt, sollen die Landtage in Zukunft mehr und inhaltlich fundiertere Gesetze beschließen können, oder soll es so sein, dass der Bund weiterhin die Rahmengesetzgebungskompetenz hat und dass die Landtage in der Lage sind, diese Rahmengesetzgebungskompetenz durch die eine oder andere Variante auszufüllen? Wer, bitte schön, formuliert eigentlich den Subsidiaritätsgedanken in der Frage, auf welchen Gebieten die Europäische Union Gesetze und Verordnungen erlassen soll und erlassen kann und an welcher Stelle eigentlich die Landesebene und vielleicht auch die Bundesebene der richtige Ansprechpartner sind?

Diese grundsätzliche Frage blenden Sie völlig aus. Sie beziehen sich ausschließlich auf die Frage der Finanzausstattung, nach der Melodie: Wenn wir erst einmal das Geld haben, ist alles andere nicht mehr so wichtig. Ich halte das in einer gewissen Weise für eine Art von gekaufter Demokratie. Dem sollten wir uns hier im Landesparlament nicht hingeben, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Die Fachleute haben uns eindeutig darauf hingewiesen, dass es wichtig ist, dass wir uns in die Entscheidungsprozesse der Europäischen Union einklinken, und zwar so früh wie möglich. Wenn wir akzeptieren, dass mehr und mehr Aufgaben auf die europäische Ebene übertragen werden, dann müssen wir uns auch die Frage stellen, wie es den Regionsparlamenten, also bei uns den Landtagen, gelingt, in diese Entscheidungsprozesse unmittelbar einzugreifen, und zwar zu einem Zeitpunkt, zu dem noch nicht bereits alles in den so genannten trockenen Tüchern ist und wir es vielleicht - das ist ja immer ein geflügeltes Wort - gerade mal schaffen, das Schlimmste zu verhindern.

Wenn wir also eingreifen wollen, dann ist die Frage, ob z. B. der Ausschuss der Regionen - konkret gesagt: der Ausschuss für regionale Gebietskörperschaften - im Moment jedenfalls der einzige Ansatzpunkt ist, über den wir Einfluss auf europäische Entscheidungen nehmen können, jedenfalls

als Parlament. Die Frage an die Mehrheit des Hauses lautet: Soll es bei diesem einzigen Ansatz bleiben, ja oder nein? - Wenn es dabei bleibt, dann ist allerdings die Frage zu stellen, ob es dann auch dem Demokratieprinzip entspricht, dass nur ein Vertreter des jeweiligen Landtags - das ist natürlich immer der Vertreter der Regierungsfraktionen - in dieser Regionsversammlung sitzt und dass damit die Opposition des Landtags ausgeblendet wird. Das ist eine Frage des Demokratieprinzips, der wir uns stellen müssen. Das blendet Ihr Antrag völlig aus.

Er blendet in diesem Zusammenhang auch aus, meine Damen und Herren, dass wir durchaus mit Selbstbewusstsein auf der europäischen Ebene agieren können. Wenn Sie sich einmal die Größe der deutschen Bundesländer anschauen, dann sind mit wenigen Ausnahmen fast alle Bundesländer größer als die meisten europäischen Staaten, die Vollmitglied der EU sind und natürlich mit großem Nachdruck in die Entscheidungsgremien der EU eingreifen. Diese Frage zu stellen und darauf auch eine Antwort zu geben - da frage ich die Regierungsfraktionen, welche Antwort sie denn auf die Frage haben, wie das in Zukunft laufen soll -, hat nicht nur etwas mit regionalem Egoismus zu tun, sondern es hat etwas damit zu tun, dass wir uns mit Selbstbewusstsein als starke europäische Region Niedersachsen begreifen und uns auch einbringen wollen.

Die entscheidende Frage bei Ihrem Antrag, die noch nicht beantwortet ist, lautet: Wen wollen Sie eigentlich stärken? Wollen Sie die Landesregierungen stärken, oder wollen Sie die Landesparlamente stärken? - Ich sage es ganz deutlich, auch wenn Ihr neuer Generalsekretär gestern oder heute in der Zeitung erklärt hat, Sie seien alles kleine Regierungssprecher und sollten deshalb in Ihren Regionen wirken: Ich empfehle Ihnen, das Selbstbewusstsein, das das Parlament und das jeder Abgeordnete braucht, um sich als Vertreter dieser Region auch auf europäischer Ebene zu behaupten, an den Tag zu legen und dafür zu sorgen, dass wir für mehr Kompetenzen der Parlamente streiten und nicht für mehr Kompetenzen der Regierungen. - Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)

Herzlichen Dank. - Zu Wort gemeldet hat sich nun Frau Kollegin Kuhlo. Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Über die Notwendigkeit einer Reform des Föderalismus gibt es keinen Zweifel. Ich glaube, darin sind wir uns einig, Herr Plaue. Zusammen mit der Steuerreform, mit der Reform der sozialen Sicherungssysteme und mit den unumgänglichen Erneuerungen im Arbeits- und Tarifrecht ist die Modernisierung unserer föderalen Struktur die wichtigste aktuelle Aufgabe der Politik. Schwerfälligkeit und gewollte oder ungewollte Blockaden führen zur Handlungsunfähigkeit. Die dringenden Probleme bleiben ungelöst. Entscheidungsabläufe sind für die Bürgerinnen und Bürger kaum nachvollziehbar.

Was wir brauchen, Herr Plaue, ist eine Rückverlagerung von Kompetenzen vom Bund an die Länder, um deren Eigenständigkeit zu stärken, eine klare Zuordnung von Aufgaben und eine klare Abgrenzung von Kompetenzen. In Zukunft sollen jeweils ausschließlich Kompetenzen des Bundes oder der Länder bei den einzelnen Gesetzgebungsgegenständen bestehen. Damit können sich unterschiedliche Gestaltungsmodelle der Länder für einen Aufgabenbereich im Wettbewerb untereinander bewähren.

Durch die sich aus einem derartigen Wettbewerb ergebenden Lernprozesse kann sich ein föderaler Staat schneller an die sich ständig verändernden Rahmenbedingungen anpassen. Zudem können die Bürger die Verantwortung für die jeweiligen Entscheidungen klarer zuordnen und gegebenenfalls bei den nächsten Wahlen sanktionieren.

Wir brauchen vor allem eine Reform der Finanzverfassung - das haben Sie, Herr Plaue, sehr richtig erkannt - mit klarer eigenständiger Steuerverantwortung der Länder anstelle von Mischfinanzierungen und auf Bundesebene festgelegten Steuersätzen.

(Beifall bei der FDP)

Die Länder brauchen eigenständige Finanzquellen, um auch eigene Aufgaben erfüllen zu können. Sie brauchen Gestaltungsspielraum bei Einnahmen und Ausgaben. Sie müssen dann aber auch entsprechend Verantwortung tragen.

Professor Homburg hat in der Anhörung eine denkbare Verteilung in der Frage der Steuerautonomie der Länder erläutert. Dabei würde der Bund Ertrags- und Gestaltungshoheit über die Umsatzsteuer und würden die Länder Ertrags- und Gestaltungshoheit über die Einkommen- und Körperschaftsteuer erhalten.

Natürlich müssen wir in der Konsequenz einer Reform der Finanzverfassung auch den Länderfinanzausgleich infrage stellen.

(Dr. Philipp Rösler [FDP]: Genau!)

Heute bietet der Finanzausgleich keine Anreize zur Steigerung der Finanzkraft eines Landes, für sparsames Wirtschaften und eine Politik, die Standortbedingungen nachhaltig verbessert.

(Beifall bei der FDP)

Professor Homburg hat in der Anhörung sehr einleuchtend ausgeführt, warum aufgrund der Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat Niedersachsen bisher nur sehr wenig vom Finanzausgleich profitiert hat und die komplizierte Mechanik des Finanzausgleichs mit Instrumenten wie Einwohnerveredelung und Stadtstaatenprinzip anstelle einer Umverteilung von finanzstarken zu finanzschwachen Ländern eher eine Umverteilung von großen zu kleinen Ländern bewirkt.

Meine Damen und Herren, es ist sehr wichtig, dass sich nicht nur die Vertreter der Landesregierung, sondern auch die Länderparlamente selbst mit der Frage einer Föderalismusreform auseinander setzen. Der Entschließungsantrag der Fraktionen von FDP und CDU war dazu für den Niedersächsischen Landtag ein guter Anstoß. Wir haben eine sehr lehrreiche Anhörung im Ausschuss durchgeführt, und wir wollen mit dem heutigen Beschluss unsere Grundpositionen festschreiben. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP)

Danke schön. - Das Wort erteile ich nunmehr Frau Kollegin Langhans. Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Frau Kuhlo, leider hat die wirklich gute Anhörung nicht zu mehr Substanz

in Ihrem Antrag geführt. Das ist schon sehr bedauerlich.

(Dr. Philipp Rösler [FDP]: Das sehen wir anders!)

Meine Damen und Herren, am 7. November hat sich die von Bundestag und Bundesrat eingesetzte Föderalismuskommission zu ihrer konstituierenden Sitzung getroffen. Ziel dieser Kommission ist es, die Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit von Bund und Ländern zu verbessern, die politischen Verantwortlichkeiten deutlicher zuzuordnen und die Effizienz der Aufgabenerfüllung zu steigern. Ich glaube, dass wir uns so weit hier alle einig sind.

Die Kommissionsvorschläge werden entscheidend für die zukünftige Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit der Bundesländer sein. Natürlich wird das auch zu einer Stärkung der Länder führen. Aber es wird nur dann zu einer Stärkung dieser Länder führen, wenn gleichzeitig im Bundesrat die Minister der Länder ihre Hauptaufgabe nicht weiterhin in einer Blockade von Entscheidungen des Bundes sehen. Sie werden überlegen müssen, welche Gesetzgebungskompetenzen wieder auf die Bundesebene zurückgeführt werden können und welche Gesetzgebungskompetenzen den Ländern zugeordnet werden sollen. Aber auch hier ist es in der Tat nur eine Frage des Gebens und des Nehmens. Anders wird das nicht funktionieren.