c) Niedersachsens Schulen ‚auf dem Weg in die alte Zeit‘ - Busemann braucht OECDFörderunterricht - Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 15/628
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Zeit des ewigen Begutachtens sollte jetzt vorbei sein. Mit diesen ein bisschen genervten Worten hat Kultusminister Busemann am 4. Dezember dieses Jahres auf die jüngsten Ergebnisse der OECDStudie reagiert
- ich werde Ihnen noch erzählen, was ich dazu denke -, der Studie, die Untersuchungen über die Unterrichtungswirklichkeit in Deutschland anstellt und ganz klar belegt, was wirklich an unseren Schulen los ist.
Offenkundig ist der Kultusminister davon genervt, dass er seine Schulpolitik und seine schulpolitischen Entscheidungen immer wieder dem internationalen Vergleich stellen muss und sich am internationalen Vergleich messen lassen muss. Sein Horizont soll lieber bis zu den bayrischen Bergen reichen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist jetzt zwei Jahre her, dass uns die OECD-Experten mit ihrer ersten PISA-Studie bescheinigt haben, dass unser Schulsystem nicht Weltspitze ist, wie immer alle gedacht haben, sondern dass bei uns ganz viele Kinder - viel mehr als in anderen Ländern - nicht das Schulziel erreichen und dass unsere Spitzenleistungen viel geringer sind als im internationalen Vergleich und überhaupt nicht ausreichen. Weltspitze sind wir leider nur in der sozialen Selektivität.
Inzwischen, liebe Kolleginnen und Kollegen, gibt es eine Reihe differenzierterer Untersuchungen: Die PISA-E-Studie mit dem Ländervergleich, in dem Niedersachsen sehr schlecht abschneidet, die IGLU-Studie, die uns bescheinigt hat, dass das Ergebnis in der Grundschule, wenn alle gemeinsam ohne Selektionsdruck lernen, gut ist. In der Sekundarstufe kommt das Problem. Das will ich nicht alles wiederholen; wir haben es hier oft debattiert.
Jetzt liegt eine neue OECD-Lehrerstudie vor, oder sie wird noch erstellt; wir kennen erst erste Ergebnisse. Im September dieses Jahres ist die OECDExpertengruppe in den deutschen Schulen gewesen und hat sich die Unterrichtsrealität angeguckt. Erste Berichte sprechen von einer vernichtenden Kritik am deutschen Schulsystem. Die OECDExperten sprechen von antiquierten Verhältnissen. Sie führen das auf den lähmenden Beamtenstatus zurück, der jedes Leistungsprinzip in Schule unterbindet. Sie stellen mangelnde Verantwortlichkeit der Schulen für ihre Qualität fest, keine Rechenschaftslegung. Sie haben eine vernichtende Kritik an der Lehrerausbildung geäußert. Auch die Lehrerausbildung ist auf einzelne Schulformen fragmentiert. Es fehlen Lehrerbildungsstandards. Das Resümee: Eine geballte Ladung an Ausbildung und Bildung in der ersten und zweiten Phase, danach nichts bis zur Pensionierung.
Unverständlich für die OECD-Experten war auch, dass die Erzieherinnenausbildung in unserem Lande völlig von der Lehrerausbildung abgekoppelt ist. Das ist in anderen Staaten völlig anders.
Kern der Kritik aber ist, dass wir im deutschsprachigen Raum weltweit die Einzigen sind, die eine so scharfe Einteilung in Hauptschule, Realschule und Gymnasium vornehmen und noch einen großen Teil der Kinder in Sonderschulen aussortieren. Das gibt es sonst nirgends, außer in Österreich und in einigen Kantonen der Schweiz. Die Experten sprechen von einer Fragmentierung des Systems und von hohen Barrieren zwischen den Schulformen. Alle erfolgreichen PISA-Länder haben sich in den letzten Jahrzehnten anders orientiert, haben ihre Schulpolitik den Erfordernissen ihrer gesellschaftlichen Entwicklung angepasst und haben eine längere gemeinsame Beschulung organisiert, in der eine individuelle Förderung der Kinder stattfindet und keine Aussortierung.
Aus der OECD-Studie vom Sommer wissen wir auch, dass in unserem Schulsystem ein großer Modernisierungsrückstand besteht. Dieser Moder
nisierungsrückstand, der mit der Schulpolitik von CDU und FDP weiter festgeschrieben und fortgeschrieben wird, ist auch für die wirtschaftliche Stagnation verantwortlich. Klar, dass der Kultusminister das alles nicht mehr gerne hören will. PISA, PISA-E, IGLU und die neuesten OECD-Studien sagen alle: Busemanns Weg in der Schulpolitik ist der falsche.
Ganz klares Resümee: Busemann ist auf dem Weg in die falsche Zeit. Sein Schulgesetz ist von vorgestern und antiquiert. Verschärft wird es noch durch den Unterrichtsversorgungserlass, der jetzt in der Anhörung ist und der dafür sorgen wird, dass Differenzierung, Förderung und schulformübergreifende Angebote in den Schulen nicht mehr möglich sein werden, weil all diese Zusatzbedarfe gestrichen werden.
Herr Minister Busemann, Sie haben es schon nicht geschafft, wie Sie es ursprünglich vorhatten, im Schulgesetz die Gesamtschulen zu eliminieren. Wenn Sie das jetzt mit Ihrem Unterrichtsversorgungserlass versuchen, dann werden Sie - so denke ich - scheitern. Dem Landtag liegen bereits mehr als 1 000 Petitionen zu diesem Erlass vor, die sich gegen Ihre Neuerungen aussprechen. Nehmen Sie diesen Erlass zurück! So ist er nicht haltbar.
Unser Kultusminister will einfach nicht auf die Zeichen der Zeit hören, weder auf den BadenWürttembergischen Handwerkstag - das haben wir ihm oft genug vorgeführt
noch vor allem auf die neueste Studie der bayerischen Wirtschaft. Sie berufen sich doch immer auf Baden-Württemberg und Bayern; das sind doch Ihre Vorzeige- und Musterländle. Die bayerische Wirtschaft hat eine Studie in Auftrag gegeben, die heißt: „Bildung neu denken“. Sie sollten einmal hineingucken. Es ist doch merkwürdig, dass in Bayern, das von Ihnen doch immer als Siegerland dargestellt wird, eine Studie zur neuen Bildungsqualität in Auftrag gegeben wird. Das ist doch merkwürdig. Ich denke, dort ist alles so super.
Aber der Minister ist PISA-resistent. Dieses Prädikat hat er sich längst im Lande erworben. Frau Trauernicht hat letztes Mal gesagt, Herr Busemann habe aus PISA nichts gelernt. - Noch schlimmer für einen Kultusminister: Er will aus PISA auch nichts lernen. Deshalb, Herr Minister, empfehlen wir Ihnen: Nehmen Sie individuellen Förderunterricht bei der OECD.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Korter, der Vorwurf, den Sie wieder erhoben haben und der auch in der Überschrift zu diesem Punkt der Aktuellen Stunde steht, ist eher absurd. Sie behaupten, wir würden nicht genug fördern. Das Gegenteil ist der Fall. Wer sich halbwegs objektiv die Schulpolitik der neuen Landesregierung anschaut und sie beurteilt, der wird sagen, dass Sie völlig falsch liegen. Gerade im Fördern und Fordern sind wir anderen Ländern um zwei Jahre voraus. Das ist die Wahrheit, meine Damen und Herren.
Die neue Schulpolitik der CDU-FDP-Landesregierung setzt gerade in der Förderung einen besonderen Schwerpunkt. Ich will gerne begründen, wie das passiert, aber ich will am Anfang doch klar sagen, Frau Korter: Wenn Sie uns jetzt für Fehler einer abgewählten Landesregierung in Anspruch nehmen, dann können wir das natürlich nicht zulassen. Die Fehler, die jetzt entdeckt worden sind, müssen Sie den anderen, den Vorgängern, in die Schuhe schieben. Dann liegen wir da richtig.
Ich will das gerne begründen. Fördern und fordern ist ein besonderer Schwerpunkt. Erstens. Fördern und fordern findet in erster Linie und im überwiegenden Teil im Unterricht statt; das dürfen wir nicht
vergessen. Wir haben durch die Einstellung von 2 500 zusätzlichen Lehrern dafür gesorgt, dass der Unterricht endlich mal wieder stundenplanmäßig stattfindet. Das ist die beste Voraussetzung für eine vernünftige Förderung.
Zweitens. Durch das Schulgesetz erhalten die Schulen ein ganz besonderes Profil, ausgerichtet an den differenzierten Begabungen der einzelnen Kinder. In diesem System kommen wir mit zusätzlichen Fördermaßnahmen ganz nah an die Kinder heran. Das ist doch die Voraussetzung, damit Förderung gelingt. Darum funktioniert die Förderung - ganz im Gegensatz zu integrierten Systemen - in den schulformbezogenen Klassen viel besser, und man kann mit viel weniger Förderunterricht viel mehr erreichen als in integrierten Systemen. Das hat doch die OS-Studie der alten Landesregierung bewiesen.
(Silva Seeler [SPD]: Sie kennen Ihre eigenen Erlasse nicht! Herr Klare! Die Märchensänger waren gestern hier!)
- Frau Seeler, die alte Landesregierung hatte eine OS-Studie in Auftrag gegeben, die so genannte DIPF-Studie. Die hat genau das bestätigt, was ich Ihnen gerade sage.
Drittens. Der Kultusminister hat die Schulen verpflichtet, persönliche Lernentwicklungsberichte für jedes Kind einzurichten, nach dem Motto: Kein Kind darf verloren gehen. Jedes Kind hat ein Recht auf individuelle Förderung. - Es ist jetzt die Aufgabe der Schule, diese persönlichen Lernentwicklungsberichte anzufertigen. Sie sind Voraussetzung für die Vermeidung und den rechtzeitigen Abbau von Benachteiligungen und für das Finden und Fördern von Begabungen.
Diese Lernentwicklungsberichte beginnen mit dem Eintritt in die Schule und begleiten das Kind durch die gesamte schulische Laufbahn.
Viertens. In unserem neuen Schulgesetz wird zum ersten Mal der Rechtsanspruch auf Durchlässigkeit dargestellt.
gelegt - und für Kinder, die sich in dieser Schule besonders bewähren. Es gibt in unserem neuen Bildungsweg überhaupt keine Sackgassen, wie sie immer wieder von Ihnen erfunden werden. Es gibt die Durchlässigkeit und auch die Wege über die berufsbildenden Schulen. Darüber, über eine Gesamtheit des Schulsystems, reden Sie überhaupt nicht. Wir fördern Hochbegabte, wir fördern Behinderte, wir fördern nicht Deutsch sprechende Kinder. Nehmen Sie doch einfach einmal das zur Kenntnis, was hier gemacht worden ist! Sie erwecken ständig den Eindruck, als hätte mit dem Regierungswechsel in Niedersachsen die Unmenschlichkeit in die Schulen Einzug gehalten.
(Elke Müller [SPD]: Genau das ist es! - Dorothea Steiner [GRÜNE]: Die Politik des frühen 20. Jahrhunderts ist das!)
Meine Damen und Herren, die OECD-Studie weist aber auch darauf hin, dass weder Lehrkräfte in den Schulen Rechenschaft über das, was sie leisten, ablegen müssen, noch die Schulen Rechenschaft über das, was sie leisten, ablegen müssen. Auch hierauf wird unsere Antwort jetzt vorbereitet. Wir müssen die Lehrerinnen und Lehrer unserer Schulen einer grundsätzlich neuen Anforderung gegenüberstellen. Das heißt, auf Dauer gibt es keine gute Arbeit, ohne dass diese zugleich ständig reflektiert, überdacht und durch gemeinsames Planen verbessert wird. Kurz gesagt heißt das: Es gibt auf Dauer keine gute Arbeit ohne vernünftiges Controlling.
Der Minister ist hier auf einem guten Weg. Natürlich gibt es auch Überlegungen, wie Schulen bei der geplanten Selbstkontrolle von außen Unterstützung erhalten, damit sie ihre Arbeit verbessern können. Meine Damen und Herren, auch Schulen werden sich demnächst regelmäßige auf gründliche Untersuchungen einstellen müssen.
Meine Damen und Herren, am Ende meiner Ausführungen darf ich Ihnen meine Bewertung geben. Für die CDU sind Kinder immer unterschiedliche Persönlichkeiten mit unterschiedlichen Begabungen und unterschiedlichen Ansprüchen. Daraus ergibt sich selbstverständlich ein Rechtsanspruch auf Förderung. Deswegen sage ich Ihnen ganz