Protokoll der Sitzung vom 21.01.2004

Ich hätte mir gewünscht, dass innerhalb der Bundesregierung mit dem Bundeswirtschaftsminister, mit der Bundesjustizministerin eine Klärung erfolgt wäre, bevor sich Herr Eichel des Themas bemächtigt hat. Wenn der Finanzminister es macht - ich bitte den Kollegen in Niedersachsen um Nachsicht -, hat man zuerst den Eindruck, dass es um das Eintreiben von Steuereinnahmen geht und nicht um das Aufgreifen gesellschaftlicher Problemtatbestände, meine Damen und Herren.

Deswegen sage ich Ihnen an dieser Stelle: Die Verletzung der Handwerks- und Gewerbeordnung wird in dem Entwurf regelrecht bagatellisiert. Die bisherigen Ordnungswidrigkeiten nach dem Schwarzarbeitsgesetz sollen zulasten des Handwerks einfach abgeschafft werden. Dabei geht es gerade beim Bau um härteres Vorgehen. In diesem ganzen Gesetzentwurf stimmen die Dinge nicht. Es kann eben nicht darum gehen, zuerst Mehreinnahmen zu erzielen.

Die Landesregierung setzt sich für einen fairen Wettbewerb, zukunftsfähige Arbeitsplätze und gesetzestreues Verhalten ein. Aber wir reichen nicht die Hand für eine Kriminalisierung der Bürger. Die Bundesregierung soll endlich mit ihrer Flickschusterei aufhören, soll ihre Hausaufgaben machen, soll sich rechtzeitig mit denen beraten, die etwas von der Sache verstehen. Aktion statt Aktionismus wäre auch bei diesem Thema angebracht.

(Beifall bei der FDP)

Meine Damen und Herren, ich rufe nun auf

c) Landesregierung verirrt sich im Dschungel der Verwaltungsreform. Wo ist der Weg? Holt sie da raus! - Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 15/732

Herr Dr. Lennartz, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Innenminister, Ihre Verwaltungsreform ist in der ersten ernsthaften Krise. Die Abschaffung der Be

zirksregierungen ist leicht verkündet, aber schwer zu machen. Sie verheddern sich im Augenblick und kommen vom Weg ab.

Die Kritik nimmt zu. Die Kritik der Opposition mögen Sie ja noch beiseite schieben. Aber unangenehmer wird es schon, wenn die Kritik von großen Zeitungen des Landes kommt. Ich nenne als Beispiel nur den Leitartikel in der Braunschweiger Zeitung vom 15. Januar. Dort heißt es:

„Wer ein Haus abreißt,... sollte wissen, wie der Neubau aussehen soll. Niedersachsens Landesregierung macht es anders. Sie zerschlägt die... Bezirksregierungen... und bastelt hektisch daran, die herumfliegenden Einzelteile... neu zusammenzusetzen.“

Noch unangenehmer ist es, wenn die Kritik von Parteifreunden kommt. Ihr Parteifreund, der Oberbürgermeister Dr. Hoffmann in Braunschweig, sagt: „Ich glaube nicht, dass der Weg der Landesregierung ohne eine Zusammenlegung mehrerer Landkreise geht.“

Am unangenehmsten aber ist die Kritik, wenn sie aus dem eigenen Kabinett kommt. Ihr Kollege, Herr Minister Ehlen, ist zutiefst enttäuscht von Ihnen, Herr Schünemann. Er sieht einen massiven Vertrauensbruch. Für ihn seien, so sagt er, in Zukunft alle Konzepte, die aus Ihrem Haus kämen, gegenstandslos.

(Zuruf von den GRÜNEN: Bravo!)

Was ist falsch gelaufen? - Zuerst war das MI, also die Stabsstelle Verwaltungsreform, für unsere Begriffe auf dem richtigen Weg: Restaufgaben der Bezirksregierungen, die nicht kommunalisierbar sind und staatlich weitergeführt werden sollen, sollten in Ämter für regionale Entwicklung überführt werden. Die Kernbereiche dieser Ämter sind Naturschutz, Flurbereinigung, Flächenmanagement.

Was passierte dann? - Das Landwirtschaftsministerium erkennt die Chance dieses Konzepts, nämlich der Ämter für regionale Entwicklung, für sein eigenes Agieren, für die Gestaltung im ländlichen Raum nicht. Das Landwirtschaftsministerium, der Minister, sind fixiert auf eine Kammerlösung. Der Minister ist unter dem Einfluss der Landwirtschaftslobby, des Niedersächsischen Landvolks beispielsweise, auf diese Kammerlösung festgelegt.

Parallel dazu entwickelt der Umweltminister ein eigenes Konzept. Zwei Prinzipien sind maßgeblich: erstens Ressortegoismus und zweitens das Ziel, Umwelt- und Naturschutz zu reduzieren. Ergebnis: Blockadesituation für die Landesregierung. Zeitpunkt: etwa Anfang Dezember des vergangenen Jahres 2003.

Was macht das Innenministerium? - Neuer Versuch: Jetzt schaffen Sie Landesagenturen, 12 bis 15 Beschäftigte an sechs Standorten. Was sollen die tun? - Kommunizieren, reden, vermitteln; keinerlei Entscheidungsbefugnisse. Ihr Oberbürgermeister Dr. Hoffmann sagt dazu: „Das halte ich für eine große Gefahr.“

Was machen Sie, um auf den rechten Weg zurückzukommen, Herr Innenminister? - Wir schlagen Ihnen vor: Zurück, marsch, marsch muss der richtige Weg sein. Ohne Ämter für regionale Entwicklung werden Sie keine sozial verträgliche Auflösung der Bezirksregierungen, weder personalwirtschaftlich noch in aufgabenbezogener Hinsicht, schaffen.

Wir sehen nur zwei Möglichkeiten, auf den richtigen Weg zurückzukommen. Entweder folgen Sie der Empfehlung der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung. Dort hieß es: „Die einfachste Lösung: Entweder Ehlen oder Sander tritt zurück und überlässt dem anderen seine Zuständigkeiten.“

(Enno Hagenah [GRÜNE]: Richtig!)

Unsere Präferenz, wer zurücktreten sollte, ist klar. Ein leuchtendes Signal wäre das obendrein für die Landesregierung, die ja die Verwaltungsreform unter starker Priorität der Personalkostenreduzierung fährt. Der Satz des Ministerpräsidenten Herrn Wulff ist uns ja allen im Ohr: „Die Treppe wird von oben gefegt.“

(Beifall bei den GRÜNEN)

Oder die zweite Variante: Sie bringen den Umweltminister dazu, seine Ressortinteressen hinter die gesamten Sachinteressen der Landesregierung zurückzustellen. Wenn Ihre Reform in Niedersachsen scheitert - Ihr Umweltminister Sander trägt mit seinem Vorgehen ordentlich dazu bei -, dann haben wir in Niedersachsen in Zukunft ein Verwaltungschaos. Dann würde die Landesregierung, aber auch das Land Niedersachsen zum Gespött werden, aber sicherlich nicht zum Aufsteigerland. - Schönen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Für die SPD-Fraktion hat nun die Abgeordnete Leuschner das Wort. Ich erteile es ihr.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Professor Lennartz, ich kann Ihnen in Ihrer Analyse nur Recht geben und das auch unterstützen. Herr Innenminister Schünemann, die von Ihnen so vollmundig angekündigte größte Aufgabenkritik aller Zeiten hat sich eindeutig als ein Flop erwiesen.

(Beifall bei der SPD - Zuruf von der CDU: Woher wollen Sie das wissen?)

Die fixe Idee, die Sie vor der Wahl bereits zum Ausdruck gebracht haben, die Bezirksregierungen abzuschaffen, gewachsene Strukturen zu zerschlagen, statt mit den Beschäftigten dort eine vernünftige Reform, die wir begonnen haben, weiter fortzusetzen, ist nun eindeutig ohne Sinn und Verstand. Niedersachsen ist ein Flächenland. Wir brauchen Bündelungsbehörden, um z. B. Großvorhaben umsetzen zu können. Mittlerweile mehrt sich ja die Kritik von Expertinnen und Experten, von Gewerkschaften, von Beschäftigten in diesem Bereich, die in den Prozess überhaupt nicht mit einbezogen sind.

Herr Minister, Sie haben auch gesagt, dass nahezu 80 % der Aufgaben auf die Kommunen übertragen werden können. Sie wissen, dass das nicht geht. Sie haben auch nicht gesagt, wie das Konnexitätsprinzip aussehen soll, wer das also letztlich bezahlen soll, wenn die Aufgaben übertragen werden. Das sind alles erstaunliche Schwachpunkte.

Jetzt werden Aufgaben von einem Ministerium zum anderen verschachert. Das ist nicht gut. Das bringt Widerstände auch unter den Beschäftigten hervor. Ich will wiederholen, was Herr Professor Lennartz gesagt hat: In öffentlichen Presseerklärungen spricht sich beispielsweise auch der Oberbürgermeister von Braunschweig - der ist ja in der CDU für eine Bündelungsbehörde, eine Bezirksregierung aus. Das spricht doch für sich; und das kann man eben nicht so von der Hand weisen.

Zunehmend gibt es auch innerhalb des Kabinetts Kritik. Massiver Vertrauensbruch wird angemahnt, und man klinkt sich - wie der Landwirtschaftsmi

nister Ehlen - aus diesem Prozess aus und hält die Vorgaben für nicht mehr relevant.

Lassen Sie uns doch noch einmal die Entwicklung in Lüneburg anschauen, Herr Althusmann. Dort gibt es mittlerweile einen Verbund zwischen Kammern, Stadt, Landkreis und Universität. Man befürchtet aufgrund der Auflösung der Bezirksregierung einen Verwaltungstourismus und fordert eine Bündelungsbehörde, ein Kompetenzzentrum.

Herr Schünemann, stoppen Sie endlich Ihr Vorhaben! Gehen Sie zurück! Begleiten Sie uns auf dem Weg, die Bündelungsbehörden, die Bezirksregierungen, weiter zu modernisieren. Man kann dort sicherlich auch Personal abbauen und für die Bürgerinnen und Bürger effektive Entscheidungen treffen. Wir würden Ihnen bei diesem Prozess gerne helfen.

(Beifall bei der SPD - Bernd Althus- mann [CDU]: Das ist gefährlich! Bes- ser nicht!)

Für die CDU-Fraktion hat jetzt der Abgeordnete Rolfes das Wort. Ich erteile es ihm.

(David McAllister [CDU]: Rolfes sorgt jetzt für Klarheit!)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor der Wahl zum Niedersächsischen Landtag war eine unserer eindeutigen Aussagen, dass wir eine durchgreifende Verwaltungsreform durchführen werden. Ein Teil dieser Aussage war, dass die Bezirksregierungen dadurch entbehrlich werden.

(Dieter Möhrmann [SPD]: Wer hat Recht? Ehlen oder Schünemann?)

Wir können feststellen, dass dieses Ergebnis schneller eintrifft, als von allen erwartet worden ist. Diese Regierung ist vorwärts gerichtet. Sie bekommt auch keine Platzangst, wenn es nach vorne geht. Schon gar nicht tritt sie den Marsch zurück an. Die Situation ist eindeutig. Etwa 25 Projektgruppen – beteiligt sind Vertreter der Bezirksregierungen, Personalvertreter, Vertreter aller Betroffenen – haben nach einer sorgfältigen Aufgabenkritik, nach einer sorgfältigen Prüfung, wo was stattfinden kann, wo kommunalisiert werden kann, ihre

Ergebnisse vorgetragen. 6 000 Stellen werden danach entbehrlich. 6 700 Stellen hatte der Innenminister im September 2003 angekündigt. Der Staat beschränkt sich bei seiner Verwaltung auf die wirklichen Kernaufgaben. Die Möglichkeit von Synergieeffekten wird mit in Betracht gezogen, und die Gestaltungsmöglichkeiten auf kommunaler Ebene werden entsprechend ausgeschöpft.

Bei einer entsprechenden Aufgabenkritik ist vorrangig die Frage zu beurteilen, welche Aufgaben wegfallen können. Das ist geschehen. Die Aufgabenkritik ist erfolgt. Die Frage, welche Aufgaben kommunalisiert werden können, ist geprüft. Die Maßnahmen sind in den Projektgruppen vorgestellt worden. Auch die Frage, welche Aufgaben besser durch Private wahrgenommen werden können, ist geprüft und wird entsprechend diskutiert.

Angesichts der Tatsache, dass diese Landesregierung so weit vor dem Zeitplan ist, kann ich nur feststellen, dass Ihr Antrag zur Aktuellen Stunde buchstäblich in letzter Sekunde gekommen ist. Denn in einem Monat bis zwei Monaten wird der Vorschlag des Innenministers abgestimmt dem Kabinett vorliegen. In einem solchen Verfahren werden unterschiedliche Diskussionen geführt, und alle können sich einbringen

(Zuruf von Sigmar Gabriel [SPD])

- Bei uns findet, Herr Gabriel, Demokratie durch Dialog statt.

(Beifall bei der CDU – Lachen bei der SPD)

Ich habe in den letzten Tagen irgendwo gelesen, dass der Ministerpräsident endlich einmal ein Machtwort sprechen sollte. – Wir sind doch keine Machtwort-Demokratie, sondern eine DialogDemokratie, in der diskutiert und anschließend das Ergebnis vorgetragen und umgesetzt wird.

(David McAllister [CDU]: Ende der Durchsage!)

Ich habe mit Interesse das gehört, was Herr Lennartz vorgetragen hat. Ich hätte von ihm als Fachmann eigentlich erwartet, dass er aus seiner Kenntnis heraus ein paar Beispiele nennt. Allein eine Sammlung von Zitaten aus verschiedenen Veröffentlichungen in verschiedenen Zeitungen sagt noch nichts über die Kompetenz dieser Untersuchungen aus. Dazu hätte man schon etwas aus eigener Erkenntnis beitragen können.

Haben Sie richtig gelesen, was der Oberbürgermeister von Braunschweig gesagt hat? - Er hat sich sehr konstruktiv eingebracht. Seine Gedanken werden sicherlich in die Überlegungen einbezogen. Aber natürlich kann nicht jeder in vollem Umfang Recht bekommen. Wir werden uns schon darauf einigen müssen, damit wir zu einem vernünftigen Ergebnis kommen. Dieses Ergebnis wird in einem Monat bis zwei Monaten hier vorgestellt werden. Von daher gilt: Aktuelle Stunde in allerletzter Sekunde, allerdings ohne besonderen Anlass.