Ich halte fest, meine sehr geehrten Damen und Herren: CDU und FDP tragen seit einem Jahr Regierungsverantwortung. Mehrere Gesetze sind seitdem verabschiedet worden oder stehen kurz davor. Wenn also jetzt die SPD-Fraktion angesichts einer nicht zu übersehenden Bundesverantwortung im Sozialbereich die Niedersächsische
Landesregierung mit ihrem Antrag um Hilfe bittet - so muss man den Antrag ja deuten -, dann wird zweierlei deutlich: Erstens. Sie sind selbst voller Zweifel, ob Ihr Kanzler überhaupt noch ansatzweise seine Hausaufgaben bis Ende 2004 erledigen wird.
(Beifall bei der CDU und bei der FDP - David McAllister [CDU]: Muss er noch so lange durchhalten? - Zuruf von der CDU: Er hat nicht mehr viel Zeit!)
Zweitens. Sie spüren wie alle Bürgerinnen und Bürger in Niedersachsen, dass CDU und FDP ihren Beitrag leisten. Wir nehmen Bürokratieabbau in der Pflege ebenso ernst wie Verbesserungen für Demenzkranke. Das heißt, das Notwendige wird veranlasst. Ich bin sicher: In Niedersachsen, mit Niedersachsen und durch Niedersachsen geht es vorwärts, auch in der Pflege. - Vielen Dank.
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erteile ich nunmehr Frau Kollegin Helmhold das Wort. Bitte schön, Frau Helmhold!
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eine der großen Herausforderungen der Zukunft liegt sicherlich im Bereich der Pflege. Die Zahl der Pflegebedürftigen wird bis zum Jahr 2040 auf über 3 Millionen steigen - und das vor dem Hintergrund einer insgesamt alternden und schrumpfenden Gesellschaft. Wie und auf welchem Niveau die Pflege allerdings zukünftig stattfinden wird, entscheidet sich schon heute. Qualität über die selbst regulierende Wirkung des Marktes zu erwarten, ist dabei jedoch wirklich neoliberale Ideologie. Wir brauchen effiziente und nachhaltige Formen des Verbraucherschutzes und auch der externen Qualitätssicherung. Gleichzeitig müssen künftig pflegerische, rehabilitative und präventive Interventionen besser miteinander verknüpft werden und dürfen nicht, wie es heute der Fall ist, an unterschiedlichen Kostenträgerstrukturen scheitern. Vor diesem Hintergrund und was diese Punkte angeht, scheint mir der vorliegende Antrag der Fraktionen der CDU und der FDP wenig zukunftsweisend zu sein.
Arbeitsverdichtung und eine immer schwieriger werdende Klientel bei gleichzeitig enorm gestiegenen Ansprüchen an die Qualität der Arbeit kennzeichnen die Situation der Pflege. In den Leistungsvergütungen schlägt sich das nicht nieder. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind an den Grenzen ihrer Belastbarkeit angekommen. In Niedersachsen fehlen 1 500 Pflegekräfte. Immer mehr verlassen frustriert den Beruf. Im Schnitt verweilen sie nach erfolgter Ausbildung nicht länger als drei Jahre in diesem Beruf.
Vor diesem Hintergrund, meine Damen und Herren von der CDU und von der FDP, gleicht Ihr Antrag eher einem Placebo als einem wirksamen Medikament. Er tut nicht weh, aber er hilft auch nicht wirklich.
Der von Ihnen geforderte Bürokratieabbau klingt gut. Sie dürfen aber nicht übersehen, dass die meisten Vorgaben zur Dokumentation zum Schutz der betreuten Menschen und auch der Pflegenden unabdingbar erforderlich sind, weil sie damit nämlich ihr Haftungsrisiko absichern. Es würde mich übrigens interessieren, auf welche bundesgesetzlichen Vorgaben zur Dokumentation der Pflege Sie sich eigentlich beziehen.
Das, was Sie hier zum Teil vorgetragen haben, ist von nicht allzu viel Sachkenntnis gekennzeichnet. 1 000 Seiten liest doch keine Pflegekraft. 1 000 Seiten sind für die Heimleitungen da, um den Betrieb zu führen; das ist in anderen Bereichen auch so. Frau Mundlos, ich würde mir immer wünschen, dass sich eine Pflegekraft bei Arbeitsbeginn erst einmal in der Dokumentation darüber informiert, wie es dem Patienten geht und wie es z. B. in der Nacht gewesen ist, ehe sie ohne Sinn und Verstand anfängt, an ihm herumzuarbeiten. Das ist Qualitätssicherung!
Den Dokumentationsaufwand zu verändern, ist dann nebenher auch noch Aufgabe der Selbstverwaltungsorgane. Hier ist insbesondere der Medizinische Dienst der Krankenkassen gefordert, mit den Einrichtungsträgern einen Konsens über das Ausmaß herzustellen. Sie müssen das Rad übrigens nicht neu erfinden, sondern können auf die Ergebnisse des Projekts „Entbürokratisierung der Pflegedokumentation“ des Bayerischen Sozialministeriums zurückgreifen.
Ob der Einsatz von Computern in der Pflege den Verwaltungsaufwand reduzieren kann, wage ich zu bezweifeln. Aber auch dies muss man den Einrichtungsträgern im Rahmen ihrer inneren Organisation überlassen. Ich frage mich auch, meine Damen und Herren, wie Sie sich ein Einwirken des Landtags in dieser Frage vorstellen. Im Übrigen möchte ich daran erinnern, dass die Polizei im Lande gerade ganz spezielle Erfahrungen mit dem Einsatz von Computern und neuer Software macht. Ich möchte es den Einrichtungen eigentlich ersparen, so etwas von oben verordnet zu bekommen.
Der Ansatz, Doppelprüfungen zu vermeiden, ist sinnvoll. Das meine ich auch. Allerdings ist doch klar, dass externe Prüfungen notwendig sind. Wir haben aus den Prüfberichten des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen erfahren, dass es bei aller guten Arbeit, die in den Einrichtungen geleistet wird, auch immer wieder erhebliche Mängel gibt. Vor diesem Hintergrund brauchen wir inhaltlich eine verstärkte Verständigung auf nationale Standards in der Pflege.
Soweit die Einrichtungen nachvollziehbar standardisierte und europaweit anerkannte und zertifizierte Qualitätsmanagementsysteme anwenden, können aus meiner Sicht regelhafte MDKPrüfungen entfallen. Auf Stichprobenprüfungen darf im Interesse der betroffenen Menschen jedoch nicht verzichtet werden.
Der Antrag der SPD-Fraktion ist in vielen Punkten konkreter, insbesondere was den Aufbau niedrigschwelliger Angebote angeht. Ich finde, es ist ein Skandal, was sich die Landesregierung hier leistet. Wenn Sie sagen, das Geld sei da, dann ist das ja schön. Aber das eigentliche Problem bei der Sache ist doch, dass die Träger dieses Geld nicht abrufen können. Insofern ist der Antrag der SPDFraktion zukunftsweisender und findet in diesem Teil meine uneingeschränkte Zustimmung.
Ich hoffe, dass wir in den Ausschussberatungen die heiße Luft Ihres Antrags noch mit etwas Substanz auffüttern können bzw. das Placebo mit Wirkstoff versehen können. - Ich danke Ihnen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Diese Landesregierung ist mit dem Ziel angetreten, Verwaltungsstrukturen zu vereinfachen und Verwaltungsaufwand, wo immer möglich, deutlich zu verringern. Das gilt auch für die Pflege. Die Zeit, die die Pflegekräfte für Verwaltungsaufgaben verwenden müssen, ist Zeit, die ihnen für die Pflege und Zuwendung für die alten und kranken Menschen fehlt. Geld für Bürokratie ist Geld, das beim Personal fehlt. Ich meine, da stimmen wir alle miteinander überein. Deshalb muss es in der Tat unser Ziel sein, Bürokratie auf das Notwendigste zu beschränken.
Die Landesregierung hat dazu einen wichtigen Beitrag mit der grundlegenden Novellierung des Niedersächsischen Pflegegesetzes geleistet. Bisher hatten es die Einrichtungsträger mit zwei Behörden zu tun, dem Land und der Kommune. Jetzt ist nur noch eine Behörde Ansprechpartner.
Auch im Bereich der Pflegedokumentation sind wir aktiv geworden. Auf unsere Anregung hin wurde im letzten Jahr vom Landespflegeausschuss eine Arbeitsgruppe gebildet. Sie erarbeitet zurzeit Leitlinien zur Pflegedokumentation sowohl für die ambulante als auch für die stationäre Pflege. Ein von allen Beteiligten - das ist das Entscheidende - akzeptiertes und arbeitssparendes Konzept für die Pflegedokumentation wäre ein wichtiger Schritt für die Pflegenden und ein großer Gewinn für die pflegebedürftigen Menschen.
Ich habe eine weitere Arbeitsgruppe zum Bürokratieabbau allgemein in der Pflege eingesetzt, und zwar mit den Verbänden der Einrichtungsträger, also freie Wohlfahrtspflege und private und freigemeinnützige Einrichtungen. Auch hier werden die ersten Arbeitsergebnisse in Kürze vorliegen. Die Notwendigkeit, zwei verschiedene Arbeitsgruppen einzusetzen, Pflegedokumentation und allgemeine Pflege, zeigt ja auch, wie groß der Dschungel ist. Die Erfahrung in diesen Arbeitsgruppen zeigt, dass es nicht sehr einfach ist, diesen Dschungel zu lichten. Gerade wenn - was ich eben sagte - man alle Beteiligten am Tisch hat,
stellt man fest, wie schwierig es ist, sich auch innerhalb der Rechtsnormen zu bewegen und Bürokratie abzubauen; denn dies ist ein kompliziertes Konstrukt, das wir in den letzten Jahren aufgebaut haben. Es bedarf schon des Einsatzes aller Kräfte, das wieder loszuwerden.
Auf die unklaren Rechtszustände, die unter Nr. 3 des Antrages der Fraktionen von CDU und FDP erwähnt werden, haben wir die Bundesregierung hingewiesen. Die Bundesministerin Schmidt hat mir schriftlich ihre Bereitschaft zugesichert, diese Probleme im Zuge der anstehenden Reform der Pflegeversicherung zu lösen. Darüber hinaus fordern wir erhebliche Vereinfachungen im Bundesrecht. Zum Beispiel ist der Pflegeheimvergleich absolut entbehrlich. Wir sind auch gegen einen verpflichtend vorgegebenen Leistungs- und Qualitätsnachweis alle zwei Jahre.
Meine Damen und Herren, bereits heute verlangt das Heimgesetz die Bildung von Arbeitsgemeinschaften aus Pflegekassen, Medizinischem Dienst, Sozialhilfeträgern und Heimaufsichtsbehörden. Sie sollen die Prüfungen koordinieren und sich über Maßnahmen der Qualitätssicherung und der Mängelbeseitigung verständigen. Wenn es dennoch zu Doppelprüfungen kommt, so wird die Landesregierung entsprechenden Hinweisen, für die wir dann auch dankbar sind - das sage ich ganz deutlich nachgehen.
Lassen Sie mich abschließend sagen: Die Landesregierung hat bei dem Thema Bürokratieabbau in der Pflege bereits vieles in die Wege geleitet und angestoßen. Aber wir sind zweifelsohne noch lange nicht am Ende eines langen und beschwerlichen Weges. Hier brauchen wir die Unterstützung aller Beteiligten. Es bleibt noch viel mühselige Arbeit im Detail zu erledigen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Ministerin, nachdem Frau Mundlos nicht den Mut hatte, zu antworten, frage ich Sie als Ministerin: Wie erklären Sie sich, dass Ihr Staatssekretär in einer zugegebenerweise sehr eindrucksvollen Rede anlässlich des Grußwortes bei den Braunschweiger Alzheimertagen in Ihrer Vertretung wortwörtlich gesagt hat, ihm dauere das mit der Bewilligung der Mittel für die niedrigschwelligen Angebote viel zu lange? Er ist der Verwaltungschef in Ihrem Ressort. Wie erklären Sie sich diese Aussage, und wie lange dauert es denn wirklich noch?
Wir müssen uns im Rahmen der Gesetze bewegen. Wenn er sagt - da kann man ihm Recht geben -, dass es ihm viel zu lange dauert, dann ist das eine persönliche Äußerung. „Im Rahmen der Gesetze“ bedeutet, es hängt an einer Formalie, aber diese Formalie ist innerhalb des Gesetzes vorgeschrieben. Wir sind wie der Teufel hinter der armen Seele hinterher, dass diese Richtlinie jetzt auch verabschiedet wird.
Danke schön, Frau Ministerin. - Für die SPDFraktion hat sich noch einmal Frau Kollegin Groskurt zu Wort gemeldet. Bitte!
Frau Mundlos, ich danke für die Belehrung. Ich bin der Auffassung, dass das Parlament die Pflicht und die Aufgabe hat, die Landesregierung aufzufordern, unseren Anträgen zu folgen. Das ist unser Job, den sollten wir ordentlich machen. Das hat nichts mit Vertrauen oder Nichtvertrauen zu tun, das wir in die Landesregierung haben.
Nachdem Sie unseren Bundeskanzler angesprochen haben, muss ich auf Folgendes kurz zurückkommen. Modellprojekte des Bundes - das müsste eigentlich jedem klar sein
haben den Charakter, die Länder zu unterstützen; die Länder sollten das dann aufgreifen und weiterführen. Es ist ja der Sinn der Sache, dass sie auslaufen. Das ist halt der Charakter. Also muss sich das Land darauf einstellen und Vorsorge treffen, solche Projekte weiterzuführen, wenn es sie, wie Sie eben gesagt haben, als gut und richtig empfindet. Außerdem haben wir keinen Zweifel daran, dass unser Kanzler noch lange Kanzler ist.
Zu den Aufzeichnungen vom Pflegepersonal: In den Parlamentsferien arbeite ich - im Altenheim, eine ganze Schicht sieben Tage lang. Von daher habe ich selbst erfahren, wie die Pflegekräfte mit diesen Dokumentationen arbeiten können. Sie dauern niemals 45 Minuten, wenn das optimal in ein Formblatt eingegeben wird. Es handelt sich um Strichaufzeichnungen, die während der Übergabe nur ganz wenig Zeit in Anspruch nehmen. Ich war in diesem Haus statuslos, hatte von daher ein kollegiales Verhältnis und konnte Einblicke bekommen, ohne dass etwas geschönt war.
Ich möchte Sie noch einmal bitten: Gehen Sie mit uns zusammen; machen wir einen gemeinsamen Antrag! Auch in unserem Antrag stehen niedrigschwellige Angebote für Demenzkranke vorne an erster Stelle und nicht unter „ferner liefen“. Wir sollten uns gemeinsam anstrengen, damit wir das nun endlich gemeinsam vorwärts bringen. - Danke schön!
Für die CDU-Fraktion hat sich Frau Kollegin Mundlos nach § 71 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung zu Wort gemeldet. Frau Kollegin Mundlos, ich erteile Ihnen das Wort für zwei Minuten. Bitte schön!