Protokoll der Sitzung vom 10.03.2004

den Umbau des sozialen Systems im System zu belassen und damit z. B. auch bürgerschaftliches Engagement zu fördern.

Lassen Sie uns Niedersachsen gemeinsam zum Musterland für bürgerschaftliches Engagement entwickeln! - Ich danke denen, die mir zugehört haben, für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Bevor ich Herrn Böhlke das Wort erteile, möchte ich Sie darüber unterrichten, dass die Fraktionen übereingekommen sind, den Tagesordnungspunkt 14 auf morgen zu verschieben und im Anschluss an die strittigen Eingaben, also vor dem Tagesordnungspunkt 17, zu behandeln.

Herr Böhlke, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der uns vorliegende Entschließungsantrag soll - bildlich gesprochen - ein Scheunentor öffnen. Die Verfasser haben dabei offensichtlich in ihrem Eifer übersehen, dass die Flügeltüren nicht nur etwa einen kleinen Spalt breit, sondern bereits groß und weit geöffnet sind.

(Zustimmung von Gesine Meißner [FDP])

Ein offenes Tor wirkt immer einladend. Ich lade auch die Antragsteller ein, dabei zu sein, wenn es darum geht, den richtigen Weg zu beschreiten, damit in Niedersachsen das Ehrenamt weiter gestärkt und entwickelt wird. Wir sind uns dessen bewusst, dass das Ehrenamt den sozialen Zusammenhalt der Gesellschaft sichert. Allein aus diesem Grund ist es unverzichtbar.

(Zustimmung von Heidemarie Mund- los [CDU])

Der Begriff „Bürgergesellschaft“ bedeutet, über finanzielles gemeinnütziges Engagement hinaus das soziale Miteinander zu pflegen, und dies im weitesten Sinne des Wortes. Ich nenne beispielsweise die vielfältigen Einsatzfelder der sozialen und generationsübergreifenden Projekte. Denken wir nur an das von der Sozialministerin initiierte Thema Mehrgenerationenhaus.

(Zustimmung bei der CDU)

Die Einsatzfelder in den Schulen, Kindertagesstätten, Kulturtreffs und Stadtteilinitiativen, aber auch bei den Sportvereinen, bei den freiwilligen Feuerwehren, in der Kirchenarbeit, in der Kommunalpolitik, bei den Landfrauen, beim Deutschen Roten Kreuz, und, und, und haben ein entsprechend breites Feld vorbereitet. Man kann das alles gar nicht aufzählen, muss aber wissen, dass über 2 Millionen Niedersachsen ehrenamtlich engagiert sind. Das ist bereits heute eine enorme und großartige gesellschaftspolitische Leistung.

(Beifall bei der CDU)

Mit dem Stichwort „Mehrgenerationenhäuser“ habe ich bereits auf eine Ursache für das offene Scheunentor hingewiesen. Eine weitere ist beispielsweise auch die Initiative des Sozialministeriums mit dem zur Verfügung gestellten landesweiten Interportalnetz für das bürgerliches Engagement, Ehrenamt und Selbsthilfe im Freiwilligenserver Niedersachsen. Ich möchte aber auch auf den seit dem 1. Oktober 2003 bestehenden kostenfreien Versicherungsschutz für Ehrenamtliche hinweisen.

(Zustimmung von Heidemarie Mund- los [CDU])

Dieses auch mit von der Staatskanzlei initiierte Angebot im Bereich der Unfall- und Haftpflichtversicherung kommt bei den Ehrenamtlichen ausgesprochen gut an. Meines Wissens gibt es ein entsprechendes Angebot bisher außer in Niedersachsen nur noch in Hessen. Das macht deutlich, dass Niedersachsen bürgerschaftliches Engagement nicht nur mit Lippenbekenntnissen, sondern sehr konkret mit Taten unterstützt.

(Zustimmung von Heidemarie Mund- los [CDU])

In diesem Zusammenhang möchte ich auch nicht unerwähnt lassen, dass beispielsweise die CDULandtagsfraktion ehrenamtlich engagierte Bürgerinnen und Bürger auszeichnet. Damit wird deutlich, dass nicht nur in Sonntagsreden, sondern auch konkret entsprechend gewürdigt wird, Vorbild deklariert wird und es auch in der Öffentlichkeit entsprechend dargestellt wird. Vor diesem Hintergrund ist dem Vorwurf, die so genannte Anerkennungskultur sei unstrukturiert und wenig aussagekräftig, einiges entgegenzusetzen, weil er völlig unzutreffend ist.

(Zustimmung bei der FDP)

Die Praxis zeigt eben deutlich, dass es anders ist.

Wenden wir uns den einzelnen Aussagen des Antrages zu: Ich möchte für die CDU-Landtagsfraktion deutlich machen, dass wir nicht uneingeschränkt die Einführung sozialer Pflichtjahre oder gar Zwangsdienste befürworten. Denn dadurch kann den künftigen Erfordernissen im Sozialbereich, auch bedingt durch die Abschaffung des Zivildienstes und durch den demografischen Wandel, nicht entsprechend Rechnung getragen werden. Wer jetzt noch glaubt, dass alles so bleiben kann, wie es ist, der unterliegt allerdings einer groben Fehleinschätzung.

Wir sind auch der Auffassung, dass die freiwilligen Jahre, wie z. B. das Soziale Jahr für Jugendliche, weiter ausgebaut und fortentwickelt werden sollten.

(Zustimmung von Heidemarie Mund- los [CDU])

Deshalb können wir uns sehr wohl in der Beratung darüber verständigen, dass der freiwillige Einsatz auch zu Anrechnungszeiten beispielsweise bei der Bewerbung um Studienplätze führen kann. Die in dem Antrag angeregte Einführung neuer sozialer Pflichtdienste sehen wir allerdings kritisch, nicht weil wir meinen, durch Pflichtjahre junge Menschen nicht nur für den Sozialbereich motivieren zu können, sondern weil dann der jüngeren Generation die ohnehin zu kurze Lebensarbeitszeit bei der Rentenanrechnung noch durch ein weiteres Jahr verkürzt würde.

Eine Notwendigkeit zur Diskussion sehen wir auch vor dem Hintergrund des Antrags der Grünen, ein weites Spektrum an Einsatzfeldern für Jugendliche aufzuzeigen. Hierüber muss selbstverständlich geredet werden. Denn die Wahlmöglichkeit, auch einen kranken Menschen zu unterstützen und zu pflegen oder aber beispielsweise Zäune für die Wanderung der Kröten zu bauen, muss nach unserer Auffassung unterschiedlich gewichtet werden.

Wir sind auch dafür, dass in Schulen Vorbilder präsentiert werden sollen. Allerdings allein vor diesem Hintergrund ist Ihre Forderung nach Auf- und Ausbau von Mentorenprogrammen nicht up to date. Ich möchte darauf aufmerksam machen, dass der Ministerpräsident bereits Schirmherr eines Mentorenprogramms ist, das von Ihnen in diesem Antrag noch gefordert wird.

(Beifall bei der CDU - David McAllister [CDU]: Wir sind schon viel weiter!)

Zum Stichwort „Schule“ will ich allerdings sehr deutlich machen, dass die Befreiung von Schülern vom Schulunterricht für ehrenamtliches Engagement, wie Sie sich das vorstellen, unsere Zustimmung mit Sicherheit nicht finden wird. Aufgrund großer Kraftanstrengung haben wir die optimale Versorgung mit Lehrern und Unterricht in den Schulen zu verzeichnen. Als Belohnung nunmehr freie Tage für ehrenamtliches Engagement auszuloben, das kommt uns nicht in den Sinn. Ehrenamtliches Engagement muss von Berufstätigen wie Schülern in ihrer Freizeit entsprechend eingebracht werden. Ich denke, wir sollten uns hierauf verständigen. Ausnahmen wie beispielsweise bei der freiwilligen Feuerwehr sind natürlich selbstverständlich.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte noch einmal unterstreichen, dass wir dafür sind, dass beim Wegfall des Zivildienstes frei werdende Bundesmittel zur Förderung des freiwilligen Bürgerengagements umgewidmet werden sollten. Dass dies ein wichtiger Baustein ist, um unser Ziel im Interesse der Bürgergesellschaft zu erreichen, dürfte unzweifelhaft sein. In diesem Zusammenhang möchte ich aber auch darauf aufmerksam machen, dass darauf hinzuwirken ist, dass der von der Landesregierung und vom Landtag favorisierte Bürokratieabbau auch im Bereich dieses Aufgabenfeldes notwendig ist. Das gilt selbstverständlich dann auch für den Bereich Zivildienst. Ich meine, wir sollten sehr wohl darauf achten, dass nicht ungeprüft die Fördermittel den Verbänden in die Hände gegeben werden, ohne dass wir wissen, welcher Anteil damit in deren Verwaltungskosten einfließt.

Abschließend, meine Damen und Herren, möchte ich wertend darauf hinweisen, dass Meinungsunterschiede durchaus festzustellen sind. Da, wo praktische Selbstverständlichkeiten bestehen, müssen Forderungen nicht aufrechterhalten werden. Aber ich freue mich auf eine hoffentlich sachorientierte, kenntnisreiche Diskussion im Fachausschuss um das Ehrenamt. Entwickeln wir gemeinsam in dieser Frage uns weiter zum Musterländle! Das Ziel scheint für uns erreichbar. Schließlich können wir Niedersachsen im Gegensatz zu den Schwaben auch noch Hochdeutsch. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Ich erteile dem Kollegen Nahrstedt das Wort für die SPD-Fraktion.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach dem Internationalen Jahr der Freiwilligen 2001 ist bürgerliches Engagement ein gesellschaftsrelevantes Thema geworden, welches von immer größeren Teilen unserer Gesellschaft als bedeutsam eingeschätzt wird. Dass dies so ist, hat auch etwas damit zu tun, dass die Arbeitslosigkeit sehr hoch ist, dass wir eine zunehmende Wachstumsschwäche haben und dass es immense öffentliche Schulden gibt, und an den Veränderungen unseres Sozialstaates liegt es auch, aber auch an der Bereitschaft vieler, ihr Vermögen in Stiftungen anzulegen. Unser Sozialstaat ist weitgehend durch ehrenamtliche Dienstleistungen und Verantwortungsbereitschaft füreinander aufgebaut worden. Wir müssen alles versuchen, um dies auch weiterhin zu erhalten.

Bereits jetzt werden wichtige Leistungen in unserer Gesellschaft ehrenamtlich erbracht. Auch die beste staatliche Sozialordnung, liebe Kolleginnen und Kollegen, kann auf die Zuwendung und Hilfe von Mensch zu Mensch nicht verzichten. Dabei muss uns bewusst sein: Bürgerschaftliches und ziviles Engagement dürfen nicht von oben verordnet werden. Ehrenamtliche Arbeit kann auch nicht die Verantwortung des Staates ersetzen, sondern höchstens ergänzen.

Meine Damen und Herren, sicherlich uns allen ist bewusst, dass wir in den Kindergärten, in den Schulen, in den Jugendhäusern und in den Gemeinden den Grundstein für den Einstieg für gesellschaftliche und politische Teilhabe aller legen müssen. In diesem Sinn bedeutet bürgerschaftliches Engagement Kompetenz, Mitbestimmung und Mitgestaltung in Angelegenheiten, die alle angehen. Dies ist Grundlage für Vertrauen und Solidarität.

(Beifall bei der SPD)

Nur über diesen Grundstein können wir unser Zusammenleben auch weiterhin menschenwürdig organisieren und abklären, was künftig die Rolle der Bürgerinnen und Bürger sein soll und was die Aufgabe des Staates ist. Unser grundgesetzlich verankerter Sozialstaat darf bei aller Förderung des bürgerschaftlichen Engagements nicht aus seiner

Zuständigkeit für die grundlegenden Belange der Bürgerinnen und Bürger entlassen werden.

Meine Damen und Herren, der vorliegende Antrag zur Entwicklung bürgerschaftlichen Engagements gliedert sich in vier Programmpunkte, über die wir in den Ausschüssen sicherlich ausgiebig beraten werden.

Im Programmpunkt I wird u. a. auf das absehbare Auslaufen der Wehrpflicht und die entsprechenden Konsequenzen daraus hingewiesen. Dies ist zwar auch mein Wunsch. Ich bin mir aber nicht so sicher, ob die Wehrpflicht wirklich vor ihrem absehbaren Ende steht. Deshalb sollten wir behutsam und mit den sich daraus ergebenden Konsequenzen bezüglich der Kapazitäten freiwilliger Jahre umgehen und das entsprechend sachlich in den Ausschüssen erörtern. Dies gilt natürlich auch für eventuelle neue soziale Pflichtdienste und hier besonders Pflichtdienste für junge Frauen. Hiervon halten viele nichts, es gibt aber auch anders Denkende.

Was die Entwicklung neuer Tätigkeitsfelder für freiwillige Jahre angeht, so habe ich Zweifel, ob sich alle angeführten Bereiche für ehrenamtliches Engagement eignen. Auch dies sollten wir zum Schutz der von einer Betreuung betroffenen Menschen genauestens hinterfragen und festlegen.

Die in Programmpunkt II genannten Passagen zur Entwicklung von Schulen als Lernort für Bürgerengagement sind unterstützenswert, wobei ich allerdings die breit angelegte Werbung über die Möglichkeiten eines freiwilligen Jahres in den Abschlussklassen im Widerspruch zum erwarteten Fachkräftemangel in den nächsten Jahren sehe. Hier gilt es, zwischen einer notwendigen höheren Erwerbsbeteiligung Jugendlicher und freiwilligen Jahren abzuwägen.

Programmpunkt III beschreibt die allgemeine Förderung des generationsübergreifenden bürgerschaftlichen Engagements auf Landes- und kommunaler Ebene. Da viele Kommunen bürgerschaftlichem Engagement reserviert gegenüberstehen und die Möglichkeiten des Engagements noch nicht entdeckt haben, sollten wir auf dieser Ebene zu einer neuen Arbeits- und Verantwortungsteilung kommen.

Programmpunkt IV hat das besondere Engagement der Landesregierung zum Ziel.

Meine Damen und Herren, dass bürgerschaftliches Engagement bei Einstellungen und Beförderungen, soweit dieses für die Ausübung der Tätigkeit in dem jeweiligen Bereich von Bedeutung ist, berücksichtigt wird, unterstütze ich. Ich habe aber Probleme mit der Forderung, Landesbediensteten, die im Zuge der Verwaltungsreform freigestellt werden und denen über die Jobbörse nicht sofort eine neue Tätigkeit vermittelt werden kann, das Angebot zu machen, ihre Arbeitskapazität als temporäre, also vorübergehende Zeitspende in Bereichen des bürgerschaftlichen Engagements zur Verfügung zu stellen. Hier sehe ich einen Widerspruch; denn bürgerschaftliches Engagement ist eine freiwillige und zusätzliche Dienstleistung, welche arbeitsmarktneutral erfolgt und somit keine Erwerbstätigkeit ersetzt.

Darüber hinaus finde ich es nicht hinnehmbar, Beschäftigten, die im Rahmen der Verwaltungsreform ihre Arbeit verlieren und nicht mehr ihrem Beruf nachgehen können, das Angebot einer vorübergehenden Zeitspende zu machen. Hier ist von der Landesregierung stattdessen die eindeutige Stärkung der Jobbörse zu fordern.

(Beifall bei der SPD)

Auch über den Vorschlag, die bei Wegfall des Zivildienstes frei werdenden Bundesmittel ausschließlich zur Förderung des freiwilligen Bürgerengagements umzuwidmen, muss intensiv nachgedacht werden. Ich bin der Meinung, dass es viel mehr Sinn machen würde, diese Mittel zur Anschubfinanzierung regulärer Arbeitsplätze für bisher Arbeitslose im Sozialbereich zur Verfügung zu stellen. Diese Vorgehensweise wird auch von den Wohlfahrtsverbänden vorgeschlagen.

Meine Damen und Herren, wenn wir bürgerschaftliches Engagement als wirklich bedeutsam einschätzen und es damit ernst meinen, so geht dies nur, wenn wir die Thematik jenseits der Tagespolitik und über Fraktionsgrenzen hinaus behandeln und versuchen, einvernehmliche Lösungen zu finden, und zwar Lösungen, die dem Bürger in allen ihn betreffenden Bereichen Gestaltungsmöglichkeiten eröffnen, Motivation fördern und zugleich Eigenverantwortung zumuten. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort hat jetzt Frau Meißner für die FDPFraktion.