Protokoll der Sitzung vom 28.04.2004

(Beifall bei der SPD)

Die SPD-Fraktion im Niedersächsischen Landtag stellt sich jedenfalls hinter das Ziel der Bundesregierung, für jeden jungen Menschen einen Ausbildungsplatz bereitzustellen. Wir müssen leider feststellen, dass die Anzahl der Ausbildungsplätze im letzten Jahr nicht ausgereicht hat. Die ersten Erhebungen, zumindest bezogen auf den 31. März, deuten darauf hin, dass im Ausbildungsjahr 2004 voraussichtlich weitere 35 000 Ausbildungsplätze weniger angeboten werden als noch im Vorjahr.

Wir haben also das Problem, dass hinter jedem fehlenden Ausbildungsplatz ein junger Mensch steht, der von vornherein keine Chance hat, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Wir haben das Problem, dass mittlerweile nur noch jeder vierte Betrieb ausbildet, und wir haben das Prob

lem - das ist doch der Punkt, weshalb wir uns überhaupt über gesetzliche Maßnahmen Gedanken machen -, dass alle Appelle und alle freiwilligen Initiativen der vergangenen Jahre nicht dazu geführt haben, das Problem zu lösen.

(Beifall bei der SPD - Hermann Ep- pers [CDU]: Erst treiben Sie den Mit- telstand in den Ruin, und jetzt wird er beschimpft, weil er nicht mehr kann!)

Das muss auch einmal an dieser Stelle ganz deutlich dargestellt werden.

(Vizepräsidentin Ulrike Kuhlo über- nimmt den Vorsitz)

Weil wir der Auffassung sind, dass wir dies natürlich zusammen mit den Partnern in der Wirtschaft machen müssen, ist im Gesetzentwurf der Bundestagsfraktion ganz eindeutig klargestellt, dass tarifvertraglichen Regelungen unbedingt Vorrang eingeräumt werden muss. Dieser Vorrang für tarifvertragliche Regelungen ist nicht eine Fiktion, sondern wir können uns das anschauen. Ich nenne an dieser Stelle gern noch einmal das Beispiel der Bauindustrie. In diesem Bereich gibt es seit 1975 eine Regelung, nach der 1,6 % der Lohnsumme in einen Topf eingebracht werden, um daraus Ausbildungsplätze zu finanzieren.

(Ursula Körtner [CDU]: Die bilden doch gar nicht mehr aus, weil die gar keine Aufträge mehr haben!)

Trotz Krise am Bau können wir in diesem Bereich auch heute eine Ausbildungsquote von 7 % feststellen. Die Akteure - der Verband der Bauindustrie -, die das seit 1975 betreiben, haben uns in einem Gespräch vor noch nicht allzu langer Zeit gesagt, dass sie mit dieser Regelung sehr zufrieden sind und allen anderen Branchen nur empfehlen können, diesen Weg zu gehen. Ich hätte mir von Ihnen, Herr Eppers, gewünscht, dass Sie dazu heute auch etwas gesagt hätten. Es macht keinen Sinn, immer nur Nein zu sagen und den Finger immer in die andere Richtung zu halten.

(Hermann Eppers [CDU]: Man kann doch nicht zu jedem Murks, den Sie in Berlin produzieren, Ja sagen!)

- Herr Eppers, Murks und all diese Sprüche können Sie sich an dieser Stelle schenken. Machen Sie Vorschläge, wie wir das Problem lösen. Dann sind wir einen Schritt weiter.

(Beifall bei der SPD)

Ich wiederhole an dieser Stelle ausdrücklich die Aussage, dass wir tarifvertraglichen Regelungen den Vorrang einräumen. Wir fordern in diesem Zusammenhang auch die Tarifvertragsparteien auf, tätig zu werden, um letztlich eine Ausbildungsplatzumlage vermeiden zu können.

Ferner schlagen wir Ausbildungsverbünde vor. Ich habe eben schon gesagt, dass überhaupt nur noch jeder vierte Betrieb ausbildet. Ich spreche Ihnen auch nicht ab, dass der eine oder andere von Ihnen, so wie ich, im letzten Jahr im Wahlkreis unterwegs war, um dafür zu sorgen, dass zusätzliche Ausbildungsplätze in irgendeiner Form geschaffen werden. Ich habe in den Gesprächen vor Ort erlebt, dass es eine ganze Reihe von Betrieben gab, die bereit wären, auszubilden, die dies aber zum Teil nicht können, weil sie einen bestimmten Teil der Ausbildungsrahmenpläne nicht erfüllen können und/oder das ganze Drumherum, das Organisatorische - Verwaltung, Eignungstests etc. - nicht ableisten wollen. Sie haben auch hier in Niedersachsen regionale Ausbildungsverbünde, die aus meiner Sicht sehr erfolgreich arbeiten und die in der Lage sind, alle Ausbildungsinhalte zu vermitteln, mitunter in zwei oder drei Betrieben. Sie sind auch in der Lage, alle administrativen Anforderungen zu erfüllen. Ich könnte mir vorstellen, dass wir - im Übrigen parteiübergreifend - in dieser Hinsicht viel stärker Akzente setzen. Wir sollten uns hinter entsprechende Forderungen bzw. solche Instrumentarien stellen und Ausbildungsverbünde in Niedersachsen stärken, um auf diese Weise mehr Betriebe zu gewinnen, betriebliche Ausbildungsplätze bereitzustellen. Ich hätte mir gewünscht, dass Sie auch dazu Position bezogen hätten.

Meine Damen und Herren, um es auf den Punkt zu bringen: Wir von der SPD-Landtagsfraktion sehen natürlich all die Schwierigkeiten praktischer und auch rechtlicher Art bei der Umsetzung einer Ausbildungsplatzabgabe. Deswegen favorisieren wir alle anderen Wege, die ich eben aufzuzeigen versucht habe, um am Ende eine Ausbildungsplatzumlage zu vermeiden. Ich sage aber auch dies ausdrücklich: Wenn alle Aktivitäten nicht zum gewünschten Erfolg führen, müssen wir es über den gesetzlichen Weg versuchen. Sonst haben wir keine Chance. Ansonsten würden wir den jungen Leuten den Weg in die Zukunft verbauen. Das ist mit der SPD nicht zu machen. Deswegen werden wir Ihrer Empfehlung nicht folgen und den vorlie

genden Antrag nicht annehmen. - Schönen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung bei den GRÜNEN)

Für die FDP-Fraktion hat der Abgeordnete Wolfgang Hermann das Wort.

(Wolfgang Jüttner [SPD]: Wie ist die Ausbildungsquote im Betrieb?)

Die ist gut.

Frau Präsidentin! Verehrte Damen, meine Herren! Ein Mensch lebt mittlerweile im Durchschnitt fast 80 Jahre. Er muss die Hälfte seines Lebens einem Beruf nachgehen, um sich für das Alter und die Zukunft abzusichern. Das alles setzt natürlich voraus, dass eine gute Ausbildung vorangeht. Meine Damen und Herren, hier besteht schon die erste ernsthafte Problematik. Das Damoklesschwert - so haben wir es einmal genannt - der Ausbildungsplatzabgabe schwebt über uns. Herr Lenz, Sie haben - dies wurde soeben deutlich - hier wieder mit etwas gedroht. Das ist pädagogisch das Schlimmste, was man tun kann. Das lernt man wie das Einmaleins in der Schule.

(Beifall bei der FDP)

Herr Lenz, Sie haben weiterhin gesagt, schon im März fehlten 35 000 Ausbildungsplätze. Ich habe Ihnen schon bei der ersten Beratung gesagt, dass die Betriebe angesichts dessen, was zurzeit passiert, völlig verunsichert sind.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Die Gründe dafür, weniger Lehrstellen anzubieten, liegen nicht in der sinkenden Bereitschaft der Betriebe, sondern natürlich vor allem in der wirtschaftlichen Lage.

(Zustimmung bei der CDU)

Wenn Betriebe in 2003 schon ein Minus haben - die Bilanzen liegen ja vor -, kann man nicht noch einmal 8 000 bis 10 000 Euro dazupacken, ohne zu wissen, wie man das überhaupt noch tragen kann. Wir fordern daher, dass die Betriebe von Ihnen endlich als Partner und nicht als Gegner angesehen werden.

(Zustimmung bei der FDP und der CDU)

Dieses neue bürokratische Ungetüm oder Monster - nennen Sie es, wie Sie wollen; das spielt keine Rolle - wird nicht nur dafür sorgen, dass es weniger Ausbildungsplätze gibt, sondern auch dazu führen, dass Unmengen von Geld in Kanäle fließen wird, von denen wir bis heute gar nichts wissen.

(Zustimmung bei der FDP und der CDU)

Apropos Bürokratie: Ich beziehe mich auf eine dpa-Meldung von heute von 11 und 16 Uhr. Dort heißt es: SPD ändert Ausbildungsumlage für die Kommunen und den Sozialbereich. So sollen Kommunen in akuter Finanznot und Teile des Sozialbereiches von der Abgabe befreit werden. Gut! - Sonderregelungen soll es auch geben für die Ausbildung von Krankenschwestern oder Volontären von Zeitungen - siehe da! - ebenso wie für die Kirchen und andere Bereiche der Wohlfahrtspflege. Ich könnte jetzt hinzuführen: und, und, und. Sie wissen gar nicht, was Sie hier für ein Fass aufgemacht haben.

(Zustimmung bei der FDP und der CDU)

Dieses Fass ist nicht mehr zu schließen.

Ich möchte hier Vorschläge unterbreiten. Herr Lenz hat das vehement gefordert. Ich mache Ihnen gerne solche Vorschläge.

Erstens müssen bessere betriebswirtschaftliche Ergebnisse her. Dazu brauchen wir endlich Planungs- und Handlungssicherheit für Unternehmen, und zwar nicht nur für 2004, sondern auch für die Jahre darüber hinaus.

Zweitens. Die Tarifpartner müssen sehr schnell zusammenkommen - darüber sind wir uns einig -, um in bestimmten Branchen Ausbildungsvergütungen auf den Prüfstand zu stellen. Vielleicht ist auch einmal eine Senkung von Ausbildungsvergütungen möglich. Zumindest sollten sie eingefroren werden, Herr Lenz.

Drittens. In einigen praktisch orientierten Gewerken kann und muss der zweite Berufsschultag im ersten Lehrjahr auch einmal auf den Prüfstand gestellt werden.

(Widerspruch von Dr. Gitta Trauer- nicht-Jordan [SPD])

- Ich habe gesagt: in manchen Gewerken.

Viertens. Die Verbände und die Bundesregierung müssen sehr schnell Berufe für praktisch begabte Jugendliche einführen. Wir haben darüber gesprochen. Es gibt diesbezüglich eine gemeinsame Entschließung. Herr Lenz, es darf nicht immer nur geredet werden, sondern es muss auch gehandelt werden.

(Zustimmung bei der FDP und der CDU)

Wir - nicht Sie - haben jetzt in Südniedersachsen den Beruf Autowerker eingeführt. In vier Wochen werden zehn bis fünfzehn Ausbildungsplätze zusätzlich für lernschwache Jugendliche geschaffen. Wo haben Sie Ähnliches vorzuweisen?

(Ursula Körtner [CDU]: Gar nichts ha- ben die vorzuweisen!)

Ich kann nur sagen: Kompliment an diejenigen, die solch ein Berufsbild sehr schnell entworfen haben.

Mein Fazit - damit komme ich zum Schluss, Frau Präsidentin -: Die Ausbildungsplatzabgabe schafft keine neuen Ausbildungsplätze, sondern sie verhindert die Schaffung von neuen Ausbildungsplätzen, wenn sie solche nicht sogar vernichtet. Durch zusätzliche Kosten werden sich kleine und mittlere Betriebe keine Ausbildung mehr leisten können. Wissen Sie, was große Betriebe tun werden? Sie werden sich freikaufen. Das ist das Problem. Ist dies der Ablasshandel der Neuzeit?

Herr Kollege Hermann, bitte kommen Sie zum Ende.

Ich kann Ihnen nur sagen: Mit uns ist das nicht zu machen. Wir werden diesem Monster nicht zustimmen können. - Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Das Wort hat jetzt der Kollege Hagenah für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

(Ursula Körtner [CDU]: Jetzt kommt wieder das Wolkenkuckucksheim!)