Auch die Gesamtschulen haben weiter steigende Anmeldezahlen. Trotz größerer Klassen mussten sie in diesem Schuljahr noch mehr Kinder abweisen als zuvor. Davon will der Kultusminister und wollen Sie, Frau Körtner und Herr Klare, nichts wissen. Das ignorieren Sie. Die Anmeldezahlen an den Gesamtschulen lässt der Kultusminister gleich ganz aus seinen Statistiken heraus. Auch in seiner Rede heute hat er sie wieder unterschlagen. Lieber diffamiert er das gymnasiale Angebot an den Kooperativen Gesamtschulen als Mogelpackung.
Herr Minister, Sie wissen genau: Das Wahlverhalten vieler Eltern in Niedersachsen zeigt, dass Ihre Politik der frühen Trennung und Sortierung von den Eltern in Niedersachsen nicht akzeptiert wird. Eltern wissen doch genau, dass die Hauptschule heute eine Sackgasse für ihr Kind ist.
(Karl-Heinz Klare [CDU]: Wir haben doch eine neue! - Ingrid Klopp [CDU]: Mensch, Mensch, aufgepasst!)
- Hören Sie doch erst einmal zu! Man sieht ja, wie sie angewählt wird. Sehen Sie doch einmal nach, wie die Hauptschulen angewählt worden sind! - So schlecht war die Anwahl noch nie.
Dass das Image der Hauptschule so schlecht ist, liegt nicht an den Kolleginnen und Kollegen dort. An vielen Hauptschulen wird die Arbeit hoch professionell und engagiert geleistet. Das kann ich wirklich beurteilen, Herr Klare. Ich bin nämlich vor meinem Einzug in den Landtag an einer Schule für Erziehungshilfe tätig gewesen.
Dann können Sie mir nicht erzählen, ich hätte eine Realitätsferne, wenn Sie seit 1986 im Landtag sitzen und zu dem, was in der Schule passiert, wahrscheinlich nicht mehr so viel Realitätsnähe haben.
Davon, was unser schulpolitisches Konzept von einer Schule für alle - „neun Jahre gemeinsam“ bedeutet, Herr Klare, haben Sie offensichtlich nichts verstanden, wenn Sie hier von Ausgrenzung
und Förderschulen reden. Nach unserem Konzept gehen alle Schüler in eine Schule und werden überhaupt keine Kinder aussortiert.
Meine Damen und Herren, die PISA-Forscher haben sehr deutlich formuliert: Wenn in der Hauptschule die Leistungsschwächeren unter sich bleiben und wenn auch das Anforderungsniveau entsprechend herabgeschraubt wird, dann fehlen die Herausforderungen, die nötig sind, um die Potenziale aller Kinder voll ausschöpfen zu können. Mit dem Programm, das der Kultusminister als Stärkung der Hauptschulen verkauft, werden die Hauptschülerinnen und Hauptschüler noch mehr abgekoppelt. Die Unterrichtsstunden werden um fast 20 % gekürzt.
- Herr Schwarz, das wissen Sie doch genau! Stattdessen sollen die Hauptschülerinnen und Hauptschüler an 60 bis 80 Tagen Praktika in Betrieben leisten, für die es noch kein Konzept gibt. Sie wissen genau, an vielen Standorten im ländlichen Raum wird das überhaupt nicht umzusetzen sein. Diverse Hauptschulen haben das längst signalisiert und haben ihre Praxisanteile längst vorher gemacht, aber zwei Wochen im Block. Der einzelne Betriebs- und Praktikumstag wird kaum durchzuführen sein. Gleichzeitig haben Sie die Lehrerstunden gekürzt, die für den Unterricht in Arbeit/Wirtschaft/Technik notwendig sind. Diese Stundenkürzung wird es den Hauptschülerinnen und Hauptschülern erschweren, z. B. einen erweiterten Sekundarabschluss zu bekommen, in der zehnten Klasse noch den Realschulabschluss zu machen.
Meine Damen und Herren, 10 % aller Jugendlichen - das wurde vorhin schon einmal angesprochen erreichen heute in Niedersachsen nicht einmal einen Hauptschulabschluss.
Diese Zahl ist an sich schon ein Skandal, und dies kann sich unsere Gesellschaft überhaupt nicht leisten. Das ist Konsens.
Die Schulpolitik der Landesregierung wird sich daran messen lassen müssen, ob es ihr gelingt, diese skandalös hohe Zahl von Jugendlichen, die in der Schule scheitern, zu senken. Bislang sehe ich da bei Ihnen kein Erfolg versprechendes Konzept.
Ganz besonders betroffen sind Kinder und Jugendliche ausländischer Herkunft. PISA hat uns vor Augen geführt, dass unsere Schule diese Kinder jahrzehntelang vernachlässigt hat. Auch das können wir uns nicht länger leisten, vor allen Dingen wenn wir überlegen, dass die Arbeitskräfte der Zukunft zu einem ganz hohen Prozentsatz aus Migrantenfamilien kommen werden. Heute haben die Kinder aus Migrantenfamilien zu einem großen Teil nicht mal einen Hauptschulabschluss. Welche Konzepte haben Sie da, Herr Minister? Wie wollen Sie da vorgehen? - Wir brauchen ein durchgehendes Konzept vom Kindergarten an - am besten noch vorher -, auch mit Elternschulen, zur Sprachförderung, damit diese Kinder nicht gleich außen vor bleiben.
Der Kultusminister behauptet, dass er mit der Sprachförderung mehr für die Migrantenkinder tut. Tatsächlich führt er einige Programme der Vorgängerregierung fort. Selbst diese Sprachförderprogramme, die schon bei der Vorgängerregierung zu mager ausfielen, hat er noch weiter gekürzt die Hausaufgabenhilfe ganz gestrichen, muttersprachlichen Unterricht zusammengestrichen. Also auch hier große Worte, große Show, aber keine eigene Idee.
Genauso werden die Kindertagesstätten von Minister Busemann vernachlässigt. In ihren Sonntagsreden haben CDU-Bildungspolitiker die Bedeutung der Kitas für Bildung und Entwicklung längst erkannt. Aber in der Praxis tut sich nichts außer einem unverbindlichen Orientierungsplan. Hier, Herr Minister, läge in der Tat die Herkulesaufgabe für Sie. Der Bildungsauftrag, die Qualität der Kitas und die Ausbildung der Erzieherinnen sind so zu verbessern, dass sie endlich europäischen Standards genügen. Aber an dieser Stelle hat Sie offensichtlich schon die Kraft verlassen.
Meine Damen und Herren, die konservative Schulpolitik setzt besonders darauf, dass wenigstens die Gymnasien besonders gute Leistungen hervorbringen können, wenn dort nur die guten Schüler unter sich sind. Auch diese Illusion wurde durch die PISA-Studie gründlich zerstört. Die Leistungen der deutschen Gymnasiastinnen sind keineswegs besser als die der schwedischen oder finnischen Schülerinnen. Der PISA-Bericht schreibt uns deutlich ins Stammbuch:
„Die Sicherung von Mindeststandards ist keine Frage der Selektivität, sondern eine Frage der Förderung und des professionellen Umgangs mit Leistungsheterogenität im Unterricht.“
Es ist doch nur schlichte Propaganda, wenn Minister Busemann seine antiquierte Schulstruktur heute erneut als Qualitätsschule verkaufen will und ernsthaft behauptet, damit aus dem PISA-Tal herauszukommen. Durch ständige Wiederholung wird das nicht richtiger, Herr Minister.
Sie wissen genau, was die neueste OECD-Studie für Ihre schulpolitische Weichenstellung bedeutet. Sie sind mit Ihrer Schulpolitik auf dem falschen Weg. Aber für Sie sind Studien und internationale Vergleiche ja langweilig, ermüdend und überflüssig - so habe ich es gelesen.
Meine Damen und Herren, in den letzten Tagen hat der Organisator der PISA-Studien, Andreas Schleicher, beklagt, dass die Kultusminister in Deutschland einer Debatte über eine grundlegende Reform des Schulwesens noch immer ausweichen. Was Sie, Herr Minister Busemann, betrifft, hat er mehr als Recht damit. Andreas Schleicher hat auch davor gewarnt, dass die deutschen Schulen den Anschluss an andere Länder noch mehr verlieren werden.
Wenn im Spätherbst die nächste PISA-Studie vorgestellt wird, müssen wir damit rechnen, dass das gegliederte deutsche Schulsystem erneut sehr schlecht abschneiden wird. Da fragt man sich wirk
Oder hat er die PISA-Studien gar nicht gelesen? Nein, seit gestern weiß ich: Er will sie gar nicht lesen. Meine Damen und Herren, wir brauchen keine frühe Selektion und auch keine höheren Hürden auf dem Weg zum Abitur. Wir brauchen Förderung für alle Kinder in allen Schulen. Wir brauchen einen differenzierenden Unterricht, der wirklich auf die Verschiedenartigkeit der Kinder eingeht. Auch das hat Schleicher erneut betont. Er hat gefordert, dass die Lehrerausbildung entsprechend reformiert werden muss. Auch dazu gibt es von der Landesregierung bisher keine Vorschläge. Sie verspricht uns mehr Durchlässigkeit zwischen den Schulformen. Tatsächlich aber gibt es nur mehr Durchlässigkeit nach unten. Dabei müssen in Niedersachsen schon jetzt fast 10 % der Kinder im Laufe ihrer Schulzeit eine Abschulung verkraften. Bisher gibt es kein Konzept der Landesregierung, des Kultusministers, wie wir diese Zahl verringern können.
Im neuen Schuljahr besuchen 40,7 % der Schülerinnen und Schüler im fünften Schuljahrgang ein Gymnasium. Das sind 7 % mehr, als ein Jahr zuvor in die Eingangsklasse des Gymnasiums gegangen sind. Das ist eigentlich eine sehr erfreuliche Entwicklung, denn wir brauchen viele gut qualifizierte Schülerinnen und Schüler. Die Landesregierung hat die Schulen auf diese Entwicklung aber überhaupt nicht vorbereitet. Sie hat auch hier kein Konzept, wie die Gymnasien mit der größer werdenden Heterogenität ihrer Schülerschaft umgehen sollen. Förderressourcen sind überhaupt nicht vorgesehen. Die schönsten Formulierungen über Förderpläne, die man in die Erlasse schreibt, nützen überhaupt nichts, wenn man keine entsprechenden Ressourcen hat.
Meine Damen und Herren, es ist zu befürchten, dass die meisten Gymnasien - ich finde, das ist eine katastrophale Entwicklung - viele ihrer neuen Kinder schon in den ersten zwei Jahren wieder aussortieren werden. Der Kultusminister will die Realität offenbar nicht wahrnehmen und auch nicht wahrhaben, dass immer mehr Eltern einen höheren Bildungsgang für ihr Kind wollen. Schon wieder hat er davon geredet, Niedersachsen sei ein Real
schulland, obwohl im neuen fünften Jahrgang inzwischen deutlich mehr Kinder auf das Gymnasium als in die Realschule gehen. Zum dramatischen Rückgang der Zahl der Anmeldungen an den Hauptschulen fällt ihm schon gar nichts mehr ein. Offenbar hofft der Minister immer noch darauf, die Realität an den Schulen in seinem Sinne manipulieren zu können. In Dienstbesprechungen werden Grundschullehrkräfte bereits dazu aufgefordert, in Zukunft bei den Schullaufbahnempfehlungen „realistischer“ zu sein, sprich: Sie sollen weniger Kinder für das Gymnasium und mehr für die Hauptschule empfehlen. Man fragt sich doch, was daran realistisch sein soll. Realistisch sind die Eltern, die genau wissen, dass ihre Kinder nur mit einem möglichst hohen Schulabschluss eine Chance auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt haben.
Die FDP geht sogar noch einen Schritt weiter als der Minister. Sie will die freie Elternentscheidung gleich ganz abschaffen.