Protokoll der Sitzung vom 17.09.2004

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Seit nunmehr 50 Jahren sorgt die Niedersächsische Landeszentrale für politische Bildung auf Seminaren und Tagungen, auf Veranstaltungen vor Ort, durch Ausstellungen und große Kongresse, durch die Erstellung von Materialien für Unterricht und für Einrichtungen der Erwachsenenbildung dafür, dass das Wissen und das Verständnis für unsere Demokratie und für die unterschiedlichen Themen unserer Gesellschaft ganz unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppierungen nahe gebracht und verstärkt werden.

Im Laufe dieser 50 Jahre haben sich Themen und Inhalte immer wieder den gesellschaftlichen Veränderungen angepasst. Lag zu Beginn der Arbeit in den 50er-Jahren der Schwerpunkt in der Ausbildung von Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitikern oder solchen Menschen, die sich um ein Mandat bewerben wollten, so wechselten die Themen von der Aufarbeitung des Nazi-Regimes und z. B. dem Verhalten der Justiz im Dritten Reich über Fragen der unterschiedlichen Systeme zwischen der Bundesrepublik und der DDR hin zu

Fragen der Integration von Ausländern und Aussiedlern. Fragen des europäischen Einigungsprozesses wurden dabei ebenso diskutiert wie Programme gegen Gewalt an Schulen unterstützt.

Die Akzeptanz der Landeszentrale wuchs dabei von Jahr zu Jahr, u. a. deshalb, weil sie die einzige Einrichtung ist, die in staatlicher Hand überparteilich informiert und weiterbildet.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Allein im Jahr 2003 haben 25 000 Menschen die politischen Veranstaltungen der Landeszentrale besucht. Wie unstrittig gut die Arbeit der Landeszentrale war und ist, kann man u. a. daran erkennen, dass jedes Mal bei der Diskussion über die Jahresberichte fraktionsübergreifend die Arbeit gelobt wurde.

(Zustimmung bei der SPD)

Sie, Frau Vogelsang, als jetzige Vorsitzende des Kuratoriums waren es doch, die jedes Mal den Leiter der Landeszentrale aufgefordert hat, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ausdrücklich für ihre ausgezeichnete Arbeit zu danken.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Zustimmung bei der CDU)

War dieses Lob denn eigentlich niemals richtig ernst gemeint, sondern nur eine inhaltslose Floskel? Ist denn alles das, was jahrelang hervorragend war, nun plötzlich entbehrlich?

(David McAllister [CDU]: Ohne Moos nix los!)

Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter können so ein Verhalten nicht verstehen. Sie können nicht verstehen, dass nach dem Kabinettsbeschluss im Juli dieses Jahres zur Auflösung der Landeszentrale von Ihnen, meine Damen und Herren Kuratoriumsmitglieder von CDU und FDP, nicht ein einziges Wort des Protestes kam.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Das war vor Jahren, als die damalige Landesregierung einen ähnlichen Beschluss gefasst hatte, ganz anders. Damals gab es einen Konsens aller Parlamentarierinnen und Parlamentarier, die Landeszentrale zu erhalten. Damals wurde dann der

Kabinettsbeschluss revidiert und die Landeszentrale erhalten.

Doch jetzt halten CDU und FDP still. Dabei ist die politische Bildung nötiger denn je; denn unsere Gesellschaft befindet sich in einem tief greifenden Umbruchsprozess, der nur gelingen kann, wenn er von möglichst vielen Menschen getragen wird. Nicht nur durch das Zusammenwachsen Europas und die Globalisierung werden die Probleme immer komplexer. Wenn sie immer komplexer werden, wird es auch immer schwieriger, Politik zu durchschauen und eigene Einflussmöglichkeiten zu erkennen. Deshalb können ohne politische Bildung Populisten und leider auch Extremisten Boden gewinnen, wie wir jetzt gerade bei den Wahlergebnissen im Saarland wieder einmal erleben mussten.

Demokratie ist deshalb niemals stabil, wie von der CDU behauptet wurde. Es würde dem Wesen von Demokratie ja auch widersprechen, starr und unveränderbar zu sein; denn schließlich wird sie von immer anderen Menschen neu gestaltet. Ministerpräsident Teufel hat anders als unser Ministerpräsident die Wichtigkeit der Landeszentralen sehr wohl erkannt.

(Friedrich Kethorn [CDU]: Die haben andere Finanzverhältnisse als wir!)

Ich zitiere jetzt aus der Stuttgarter Zeitung vom 15. September dieses Jahres:

„Die Landeszentrale für politische Bildung ist für Ministerpräsident Teufel (CDU) beim Sparen tabu. Eine Schließung der Bildungsstätte, die das Land jährlich 5 Millionen Euro kostet,“

- unsere kostet 1,6 Millionen Euro

„sei für ihn völlig ausgeschlossen, sagte Teufel vor Medienvertretern. Nach der Weimarer Republik und dem Dritten Reich sei es eine ganz zentrale Aufgabe, Jugendlichen politische Bildung zu vermitteln. Darauf könne nicht verzichtet werden, so Teufel.“

Recht hat er!

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Seine Aussagen gelten eben auch für Niedersachsen. Niedersachsen ist schließlich nicht gefeit gegen solche Gefahren, wie uns die jährlichen Verfassungsschutzberichte immer wieder zeigen.

Genau auf diesem Gebiet leistet unsere Landeszentrale hervorragende Arbeit. Sie hat nicht nur qualitativ wertvolle Seminare, Tagungen und Kongresse organisiert. Sie hat nicht nur die Initiativen gegen Rechtsextremismus inhaltlich, organisatorisch und finanziell unterstützt. Sie hat eben auch viel für Völkerverständigung getan und beispielsweise Schulpartnerschaften mit Polen initiiert und unterstützt. Die Materialien zu Bundestags-, Landtags- und Europawahlen werden der Landeszentrale geradezu aus den Händen gerissen. Sie mussten immer wieder nachgedruckt werden. In einer Auflage von 500 000 Exemplaren dienen sie dazu, Jugendliche und Erwachsenen über Wahlverfahren zu informieren und zum Wählen zu animieren. Nach dem Kabinettsbeschluss soll dies alles ersatzlos gestrichen werden.

Nun wissen wir alle: Das Land hat kein Geld. Es muss gekürzt werden. Aber es kommt darauf an, trotz Sparzwang keine wichtigen Strukturen zu vernichten und die richtigen Prioritäten zu setzen.

(David McAllister [CDU]: Welche Vor- schläge haben Sie?)

In anderen Ländern, denen es finanziell noch schlechter geht als Niedersachsen - ich nenne hier z. B. Berlin oder Mecklenburg-Vorpommern -,

(David McAllister [CDU]: Beide SPD- geführt!)

steht eine Schließung der Landeszentralen deshalb nicht zur Debatte. In Sachsen-Anhalt, dem ärmsten Bundesland, hat die CDU nach ihrem Wahlsieg den Etat sogar verdoppelt. Dort weiß man eben, dass eine Demokratie ohne Erziehung und ohne politische Bildung nicht möglich ist.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Übrigens: Sollte der Beschluss zur Schließung tatsächlich umgesetzt werden, wäre Niedersachsen das einzige Land ohne Landeszentrale für politische Bildung.

Dabei gibt es auch in Niedersachsen zur Schließung Alternativen.

(David McAllister [CDU]: Welche?)

Die SPD-Fraktion ist auch bereit, über diese Alternativen zu beraten. Trotz des Versprechens von Minister Busemann vor der Sommerpause, dass es auch nach der Überführung der Gedenkstättenarbeit in eine Stiftung weiterhin eine unabhängige Landeszentrale für politische Bildung mit 15 Fachreferenten geben wird, waren wir von der SPD bereit, über eine verwaltungstechnische Kooperation mit dem NiLS zu reden und gemeinsame Lösungsvorschläge zur Kosteneinsparung zu erarbeiten. Dabei hätten etliche Stellen und damit Kosten eingespart werden können, ohne die politisch inhaltliche Arbeit zu beeinträchtigen. So hatte es der Staatssekretär des Kultusministeriums, Herr Saager, in der Kuratoriumssitzung am 10. Juni 2004 vorgeschlagen. In dieser Sitzung sicherte Herr Saager nochmals ausdrücklich 15 Fachreferenten zu. Ich zitiere aus dem Protokoll des Kuratoriums:

„Auf die Frage der Abgeordneten Hemme, ob neue Einstellungen erfolgen würden, sollte die Zahl der Beschäftigten der Landeszentrale unter 15 fallen, erwiderte der Staatssekretär, er garantiere 15 Stellen.“

(Zuruf von der CDU: Das war aber keine öffentliche Sitzung!)

Am 13. Juli 2004, also nur einen Monat später, beschließt das Kabinett dann plötzlich, die Landeszentrale aufzulösen und alle Aufgaben ersatzlos zu streichen.

Nun haben wir ja eben bei der Diskussion um das Landesblindengeld gesagt, dass die Verfallszeiträume beim Sozialministerium ein Jahr betragen. Beim Kultusministerium betragen sie einen Monat.

(David McAllister [CDU]: Bei Ihnen klatscht noch nicht einmal jemand!)

Wir nennen so etwas Wortbruch. Die Landesregierung bricht damit ein den Abgeordneten gegebenes Versprechen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - David McAllister [CDU]: Das wurde aber auch Zeit!)

Hier wurde bewusst einem Gremium des Landtages, nämlich dem Kuratorium, nicht die Wahrheit gesagt; denn wir wissen alle genau, Herr Busemann genauso wie Herr Saager, auch Sie, Herr McAllister und Herr Rösler, dass der Finanzminister, Herr Möllring, solche weit reichenden Ent

scheidungen nicht alleine in seinem Kämmerlein trifft. Sollte es doch so sein, dann frage ich mich allerdings: Wie wenig ernst nimmt Finanzminister Möllring eigentlich seine eigenen Kabinettskollegen? Sind die Zusagen von Fachministern Ihrer Landesregierung denn gar nichts wert?

Inzwischen merken auch CDU und FDP, dass die ersatzlose Streichung der Landeszentrale und ihrer Aufgaben überhaupt nicht durchzuführen ist. Es gibt bestehende Verträge und Projekte, wie z. B. die Schulpartnerschaft mit Polen, unseren Landtagswettbewerb und auch das Projekt „Schule ohne Rassismus - Schule mit Courage“, die nicht einfach so ohne weiteres eingestampft werden können. Dafür muss Geld zur Verfügung gestellt werden. Dann allerdings stimmt die Einsparsumme nicht mehr. Der Kabinettsbeschluss ist also schlicht und ergreifend nicht durchdacht.

Nun ist Herr Busemann nicht da. Ich bitte deswegen Herrn Schünemann, ihm zu sagen, dass wir ihn wirklich darum bitten, dass er seine Versprechungen und die seines Staatssekretärs einhält, und ich bitte Sie, dafür sorgen, dass der Kabinettsbeschluss rückgängig gemacht wird.

Aber auch Sie, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, können dabei helfen, die Landeszentrale zu erhalten: Stimmen Sie einfach unserem Antrag zu! Es ist nämlich zu spät, nach politischer Bildung zu rufen, wenn die Radikalen wieder in den Parlamenten sitzen oder in Niedersachsen wieder Häuser brennen. - Ich danke Ihnen fürs Zuhören.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - David McAllister [CDU]: Eine begnadete Rhetorik!)

Danke schön. - Für die FDP-Fraktion hat sich Herr Kollege Riese zu Wort gemeldet.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In gut kammermusikalischer Besetzung diskutiert der Niedersächsische Landtag den letzten Tagesordnungspunkt, den wir heute aufrufen. Ich freue mich, dass doch noch einige zu diesem wirklich wichtigen Thema da sind.