Frau Präsidentin! Sehr geehrte Herren! Sehr geehrte Damen! Der Ministerpräsident ist leider nicht anwesend.
Dies sagte Ministerpräsident Wulff in Gegenwart des Landesbischofs im Dom zu Braunschweig. Einen besseren Tag als den heutigen Buß- und Bettag konnte das Parlament für diese Anträge gar nicht finden: morgens Gottesdienst, am Abend das umsetzen und beschließen, was man morgens versprochen hat
(Bernd Althusmann [CDU]: Jetzt aber vorsichtig hier! - Norbert Böhlke [CDU]: Frau Kollegin, hier müssen wir es finanzieren!)
Dies beinhaltet, dass wir, die wir an der Macht sind und Macht haben, „auf Erden“ das umsetzen, was wir sonntags in der Kirche hören; es „geschehe“, dass alle Menschen Schutz und Hilfe bekommen, wenn sie es nötig haben. Meine Herren, meine Damen von der CDU, daran werden Sie wohl nicht zweifeln.
Also zugestimmt! Anderenfalls bekäme ich den Eindruck, dort gehe es um Sonntagsreden, hier um die Wirklichkeit.
Als wir im Innenausschuss zu den Themen humanitäre Altfallregelung und Einrichtung einer Härtefallkommission eine Anhörung u. a. der Kirchen und Glaubensgemeinschaften, der Wohlfahrtsverbände und Selbstorganisationen der Betroffenen, der Kommunen sowie der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen beantragt haben, wollten Sie auf niemanden hören, schon gar nicht auf das Wort der Kirchen. Die von Ihnen abgelehnte Anhörung haben wir als SPD-Fraktion gemeinsam mit den Grünen durchgeführt. Sie zeigte auf, warum Sie nicht auf die Kirchen hören wollen. Diese sind wie alle anderen genannten Organisationen nämlich eindeutig der Auffassung: Wir brauchen nicht nur eine Härtefallkommission, sondern zum Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens des Kompromisses zum Zuwanderungsgesetz auch noch einmal - wie zu Zeiten der SPD-geführten Landesregierung - eine eindeutige humanitäre Altfallregelung.
Herr Innenminister, mit unserem Entschließungsantrag fordern wir Sie noch einmal auf, auf der Innenministerkonferenz einen Vorstoß für eine bundeseinheitliche Altfallregelung zu unternehmen. Mittlerweile erhalten wir niedersächsischen Sozialdemokraten und -demokratinnen kräftige Unterstützung aus der Mitte des Bundestages in Berlin. So hat auch der innenpolitische Sprecher der SPDBundestagsfraktion in der vorigen Woche ein derartiges Bleiberecht gefordert; genau wie die Grünen, aber auch wie viele CDU-Politiker - ich nenne beispielhaft nur Rita Süßmuth oder Christian Schwarz-Schilling.
Heute, am Buß- und Bettag, habe ich um 14.50 Uhr fast so etwas erfahren wie Heilig Abend, falls ich da noch etwas geschenkt bekomme. Heute um 14.50 Uhr kam eine Presseerklärung der FDPBundestagsfraktion. Ich lese jetzt ab, damit ich bloß nichts Verkehrtes sage:
„Zur morgigen Innenministerkonferenz erklären die FDP-Bundestagsabgeordneten Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Rainer Funke und Max Stadler:“
- Alle drei wohl bekannt. Manche Frauen zeichnet es ja aus, dass sie Doppelnamen haben. Bei Männern klingt das nicht so gut.
„Wir fordern die Innenminister auf, eine Bleiberechtsregelung für langjährige geduldete Ausländer zu vereinbaren.“
Ich zitiere weiter - die FDP-Fraktion hört wenigstens zu; die CDU-Fraktion interessiert sich dafür aber im Moment offensichtlich nicht -:
„Eine solche Regelung soll selbstverständlich nicht diejenigen umfassen, die durch Verletzung von Mitwirkungspflichten wie etwa Vernichtung von Ausweisen und Reisepässen ihre Rückführung in das Heimatland hinausgezögert haben. Aber es gibt viele Fälle des langjährigen legalen Aufenthaltes in Deutschland, bei denen eine jetzige Abschiebung die erreichte Integration zerstören würde. Auch in der breiten Bevölkerung versteht niemand, warum Familien, die zehn Jahre und länger in Deutschland leben,
deren Kinder hier geboren wurden und hier aufgewachsen sind, trotz Arbeitsplatzes und bester Integration Deutschland verlassen sollen. Wir fordern die Innenminister auf, den Gesichtspunkt der Integration und Humanität in den Mittelpunkt ihrer Beratungen zu stellen. Dazu gehört dann aber auch eine vernünftige ‚Altfallregelung‘.“
„Wir schließen uns dem Appell von Bundesminister a. D. Dr. Christian Schwarz-Schilling an, der die Innenminister des Bundes und der Länder gemahnt hat, endlich einen Schlussstrich unter die vielen tragischen Flüchtlingsschicksale zu ziehen. Für viele langjährig Geduldete wäre die Abschiebung nach Auffassung von Christian Schwarz-Schilling eine zweite Vertreibung. Insbesondere sei es widersinnig, Kinder, die in Deutschland aufgewachsen seien, in ein fremdes Herkunftsland auszuweisen.“
Herr Minister Schünemann, ich glaube, Sie sind morgen in guter Gesellschaft. Die FDP schließt sich dem an, was Sie in Ihrem Herzen bis morgen vielleicht noch bewegen werden. Die CDU wird auch zitiert. Was kann einem da besseres passieren? Unabhängig von einer Altfallregelung bietet Ihnen das Zuwanderungsgesetz neue Möglichkeiten, Bleiberechte auch als Weisung gegenüber den Ausländerbehörden durchzusetzen. Machen Sie in den notwendigen und geeigneten Fällen davon Gebrauch.
Weiterhin fordern wir ausdrücklich die Einrichtung einer Härtefallkommission. Da Sie den Antrag der Fraktion der Grünen ablehnen, haben wir Ihnen einen Kompromiss angeboten, der zwischen Ihren beiden Positionen liegt. Diesen Kompromiss haben wir heute als Änderungsantrag vorgelegt. Die Koalition will allein den Petitionsausschuss zuständig machen. Wir meinen, die Beteiligung zivilgesellschaftlicher Gruppen in dieser für die Betroffenen schicksalhaften Frage ist unverzichtbar.
Diejenigen, die die größten Integrationserfahrungen haben - die Kirchen und Wohlfahrtsverbände, die Selbstorganisationen der Betroffenen, diejenigen, die als Ausländerbehörden Verantwortung tragen oder Kostenträger sind, Land und Kommunen, aber auch die Sozialpartner wie Arbeitgeberund Arbeitnehmerorganisationen -, gehören zwingend beteiligt.
Meine Damen und Herren, auf den fachkundigen Rat dieser Institutionen dürfen wir als Land nicht verzichten. Andere Länder machen von dieser Option des Zuwanderungsgesetzes inzwischen selbstverständlich Gebrauch. Wir wollen, dass ein Drittel der Mitglieder des Petitionsausschusses eine Härtefallkommission zur Erarbeitung einer Empfehlung anrufen kann. Hören Sie wirklich auf die Kirchen, und halten Sie dort nicht nur Sonntagsreden.
Herr Biallas, diese Aufforderung richte ich ganz besonders an Sie, auch wenn Sie nicht mehr jeden Sonntag predigen. Das ist ja auch ganz schön.
(Hans-Christian Biallas [CDU]: Im Ge- gensatz zu Ihnen! Die Kirchen haben keine einheitliche Meinung!)
Entschuldigen Sie, Herr Kollege Biallas. Frau Kollegin Rübke hat das Wort. Wir befinden uns hier nicht in einem Dialog. Wenn Sie eine Frage stellen wollen - gerne.
Stimmen Sie unserem Änderungsantrag als vernünftigem Kompromiss zwischen den bisherigen Positionen der Koalition und der Grünen zu, und lassen Sie uns auch gemeinsam ein Zeichen für ein humanitäres Bleiberecht für langjährig hier lebende Flüchtlingsfamilien setzen!
In diesem Zusammenhang noch ein Wort zum Antrag der Fraktion der Grünen betreffend ein Bleiberecht für Kosovaren. Nur im Rahmen einer Altfallregelung oder von Härtefallentscheidungen kann
die Problematik unseres Erachtens aufgegriffen werden. Der Grundsatz, dass Bürgerkriegsflüchtlinge nach Wegfall des Aufnahme- oder Fluchtgrundes und soweit keine Abschiebehindernisse mehr bestehen, in ihrem Heimatland am Wiederaufbau mitwirken müssen, rechtfertigt keine Pauschalregelung. Im Einzelfall oder für bestimmte Gruppen sehen wir jedoch Handlungsbedarf und -möglichkeiten im Rahmen der von uns gestellten Anträge. Ich bitte Sie herzlich, den Anträgen zuzustimmen. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben es insgesamt mit vier Anträgen zu tun. Der Antrag der Grünen bezieht sich auf das Bleiberecht für ethnische Minderheiten aus dem Kosovo. Darauf wollte ich nicht näher eingehen; denn darüber haben wir schon am 25. Juni ausführlich diskutiert. Herr Gansäuer hat in seiner Eigenschaft als Präsident und als Abgeordneter eindrucksvoll dargelegt, dass ein Bleiberecht kontraproduktiv für das gewünschte Zusammenleben im Kosovo ist. Dem möchte ich mich anschließen.
Die drei anderen Anträge beschäftigen sich mit der Behandlung von Härtefällen im Sinne des Zuwanderungsgesetzes. Danach können für so genannte Härtefälle Ausnahmetatbestände eingeräumt werden. Das heißt, in besonderen Ausnahmefällen kann die Landesregierung auf Vorschlag des Landtages aus humanitären Gründen eine Aufenthaltsgenehmigung bewirken. Nach allem, was ich weiß, besteht Konsens darüber, dass das Land Niedersachsen auch von dieser Möglichkeit Gebrauch machen sollte. Wir von der FDP-Fraktion sind der Meinung, dass der Petitionsausschuss prüfen sollte, ob ein Härtefall im Sinne des Zuwanderungsgesetzes vorliegt. Dann sollte der Landtag mit einfacher Mehrheit beschließen, ob tatsächlich ein Härtefall gegeben ist.
Wir haben über die Frage, wie die Mehrheit ausgestaltet sein sollte, ausführlich diskutiert. Ich bin davon ausgegangen, dass bei einer so schwierigen Gewissensentscheidung ein möglichst hohes Quorum erreicht werden sollte. Ich habe mich eines Besseren belehren lassen. Es geht mit einer einfachen Mehrheit. Meine Damen und Herren, wir schlagen auch deshalb den Petitionsausschuss vor, weil wir meinen, dass dieser Ausschuss ein geeignetes Instrument ist, diese Fragen zu klären. Wer die Petitionen und die Arbeit des Petitionsausschusses kennt, der weiß, dass jede Petition getragen wird von öffentlichen Verbänden, Kirchen usw. Das heißt aber auch, deren Meinung ist nicht, wie hier dargestellt werden soll, ausgegrenzt - nein, sie ist eingebunden.
Der Petitionsausschuss gibt Empfehlungen, die geltendes Recht betreffen, und zwar geltendes Recht, das von diesem Landtag beschlossen worden ist, also insofern auch Aufgaben der Legislative. Es soll auch nicht unverhohlen bleiben, dass damit auch Landesfinanzen berührt werden, also ureigenste Interessen dieses Parlaments.
Ich glaube, auch wenn wir im Hinblick auf das gewählte Verfahren nicht einer Meinung sind, so ist die Frage, was überhaupt ein Härtefall ist, das eigentliche Problem. Es handelt sich hier nicht, wie beispielsweise auch von der FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag angesprochen, um eine Altfallregelung. Es handelt sich hier um Härtefälle im Rahmen des Zuwanderungsgesetzes.