Protokoll der Sitzung vom 23.02.2005

Die tatsächliche finanzwirtschaftliche Herausforderung, die die Kommunen zu bestehen haben, liegt ganz woanders. Darüber haben wir im letzten Jahr im Zusammenhang mit der Frage der Revitalisierung der Gewerbesteuer bzw. der Frage einer kommunalen Steuer, wie sie vonseiten der CDU favorisiert wird, diskutiert. Sie wissen - wir haben darüber diskutiert -, dass die Kommission, die auf Bundesebene dieses Thema behandelt hat, kontrovers über dieses Thema beraten hat und im Er

gebnis nicht zu einem Abschluss gekommen ist, sodass sich in der angesprochenen Hinsicht nichts bewegt hat. Das ist der eigentliche Kern, um den es gehen muss. Worüber wir heute hier im Rahmen der Einbringung des Gesetzentwurfes sprechen, ist Begleitmusik.

Der zweite Punkt sind die Kosten. In der Begründung des Gesetzentwurfes wird auf Seite 44 ausgeführt, die Kosten der Einführung der doppelten kaufmännischen Buchführung seien nicht bezifferbar. Herr Schünemann, es wäre doch ganz einfach gewesen - Sie haben das sicherlich auch getan, uns dazu allerdings nichts gesagt -, sich bei Ihrem Kollegen in Hessen zu erkundigen, was die Einführung der kaufmännischen Buchführung in der Landesverwaltung und damit auch für den Landeshaushalt in Hessen gekostet hat. In Hessen hat man dreieinhalb Jahre gearbeitet; dann hat man SAP-R 3 sozusagen als Basissystem für die Einführung etabliert gehabt. Dafür hat man in Hessen etwa 300 Millionen Euro verausgabt. Das müssten Sie jetzt bezüglich der Anforderungen der kommunalen Ebene auf Niedersachsen übertragen. Dann würden Sie auch eine Aussage zu den Kosten machen können. Ich verstehe, dass Sie sich vor diesem Hintergrund eben elegant aus der Affäre zu ziehen versucht haben, indem Sie gesagt haben, es mache keinen Sinn, dass ein Land das System isoliert einführe; die Einführung müsse im abgestimmten Verfahren praktiziert werden. Hessen hat aber vorgemacht, dass ein Land die Einführung sozusagen mit einer Einzelentscheidung realisieren kann. Ob das in Hessen angesichts der Kostengröße, die ich gerade genannt habe, klug war, sei allerdings dahingestellt. Das ist eine andere Frage.

Sie sagen, die Kosten für die Kommunen seien nicht bezifferbar. Ich habe Ihnen gerade geschildert, wie man das hätte berechnen können. Das kann man auch jetzt noch tun. Meine Bitte ist, uns das im Ausschuss darzulegen.

Sicherheitshalber sagen Sie auch noch - das ist ganz interessant -, der Grundsatz der Konnexität komme hier nicht zum Tragen, weil es nicht um die Einführung oder Übertragung einer neuen Aufgabe gehe, sondern im Grunde nur um die Modernisierung der Haushaltswirtschaft. Für uns ist dies im Gegensatz zu Ihrer Auffassung ein klarer Fall, der unter den Gesichtspunkt der Konnexität fällt. Es wird höchste Zeit, dass dieser Gesichtspunkt jetzt endlich in der Verfassung verankert wird.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Wenn Sie bereit sind, mit uns gemeinsam diese Kurve zu nehmen, dann werden Sie uns bei der Einführung der doppelten Buchführung auf kommunaler Ebene verpflichtend ab 2012 an Ihrer Seite finden. - Schönen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN - Zustim- mung bei der SPD)

Für die SPD-Fraktion hat die Abgeordnete Rübke das Wort.

Herr Präsident! Meine Herren, meine Damen! Endlich ist er da, der Gesetzentwurf zur Neuordnung des Gemeindehaushaltsrechts und zur Änderung gemeindewirtschaftsrechtlicher Vorschriften. Ich sage deshalb „endlich“, weil die Anhörung am 7. September 2004 abgeschlossen war, die Landesregierung aber über fünf Monate gebraucht hat, um den Gesetzentwurf vorzulegen.

(Klaus-Peter Bachmann [SPD]: Die sind nicht die Schnellsten!)

Ich unterstelle einmal, dass irgendwer beim Ministerpräsidenten oder beim Innenminister auf dem Schoß gesessen und versucht hat, die dringend notwendige Modernisierung des Haushaltswesens als Teufelswerk und nicht notwendig darzustellen. Da schon die vorherige Landesregierung - an dieser Stelle bedanke ich mich für das Lob des Innenministers - seit Mitte der 90er-Jahre für ein neues Haushalts- und Rechnungswesen geworben hat und bereits im Juni 2000 der damalige Innenminister Heiner Bartling das Modellprojekt in Uelzen initiiert hat, kann ich heute sagen: Grundsätzlich unterstützen wir den vorliegenden Gesetzentwurf. Das „grundsätzlich“ gilt insbesondere für die Neuordnung des Haushaltsrechts. In einer transparenten, zeitgemäßen Verwaltung reicht es nicht mehr aus, dass im Haushaltsplan Einnahmen und Ausgaben ordnungsgemäß vollzogen werden, sondern Ressourcenverbrauch und Ressourcenaufkommen müssen vollständig erfasst werden. Ein Haushaltsplan muss auch als Grundlage für Zielvereinbarungen dienen. Daher sind Informationen über Produkte und Verwaltungsleistungen unabwendbar.

Da ich weiß, wie leistungsstark die niedersächsischen Kommunen und vor allem deren Beschäftigte sind, ist es meines Erachtens zu vertreten, innerhalb von fünf oder sechs Jahren ein flächendeckendes doppisches Haushaltsrecht einzuführen und eine Weiterentwicklung der Kameralistik zu unterbinden. Allerdings teile ich nicht die Meinung der Landesregierung, dass durch die Umstellung auf Doppik den Kommunen keine Kosten entstünden.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Wieder einmal will die Landesregierung - im Strafvollzug würde man einen solchen Vorgang als Wiederholungstat bezeichnen - ein Gesetz verabschieden lassen, bevor über eine Änderung der Niedersächsischen Verfassung zur Verankerung des strikten Konnexitätsprinzips entschieden ist. Wieder einmal sagt die Landesregierung: Es wird nichts Neues gemacht, sondern nur Vorhandenes verändert. - Wenn er hier wäre, würde ich Herrn Schünemann gerne fragen: Wenn die totale Umstellung von der Kameralistik auf die Doppik nichts Neues ist, was könnte dann so neu sein, um von Ihnen bestellt und bezahlt zu werden? Oder anders gefragt: Wenn die Umstellung den Kommunen keine Kosten verursacht, warum wird dann nicht zeitgleich auch beim Land Niedersachsen die Doppik eingeführt?

(Beifall bei der SPD)

Soll es beim Land kein Ressourcenverbrauchskonzept geben, sondern weiterhin das verschleiernde Geldverbrauchskonzept?

Nun komme ich zum Gemeindewirtschaftsrecht. Das hat Herr Schünemann ein wenig außer Acht gelassen. Welche Änderung meine Fraktion nicht, aber auch gar nicht mittragen wird, liegt auf der Hand. In § 108 Abs. 1 soll eine echte Subsidiaritätsklausel eingeführt werden. Dies ist nichts anderes als ein Geschenk an das Klientel der kleinen FDP, Herr Bode. Artikel 28 Abs. 2 des Grundgesetzes gewährleistet den Gemeinden das Recht, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln. Begrenzt ist dieser Gesetzesvorbehalt dadurch, dass durch das Land nicht in den Kernbereich der kommunalen Selbstverwaltung eingegriffen werden darf. Durch die vorgesehene Verschärfung des § 108 wäre es den Kommunen nicht mehr möglich, wirtschaftliche Unternehmen zu

gründen, da private Anbieter immer billige - ich sage „billig“ und nicht „preiswert“ - Angebote unterbreiten können. Dies zeigt wieder einmal, dass diese Landesregierung Grundwerte für Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, nämlich Tariftreue und Tariflöhne, weder schützt noch verteidigt,

(Beifall bei der SPD)

und das nur, damit der kleine Regierungspartner auch weiterhin mitmacht und an anderer Stelle die Augen zudrückt.

In der Gesetzesbegründung schreiben Sie: Der Kommune steht weiterhin die Einschätzung zu, welchen öffentlichen Zweck sie verfolgen will und ob sie hierzu die Errichtung eines wirtschaftlichen Unternehmens für erforderlich hält. Die Kommunen werden lediglich gezwungen, sich stärker als bisher mit der Wirtschaftlichkeit ihres Handelns auseinander zu setzen. - Der letzte Satz, Herr Schünemann, ist eine Beleidigung für alle Kommunen, die sich schon seit Jahr und Tag mit der Wirtschaftlichkeit ihres Handelns auseinander setzen.

(Beifall bei der SPD)

Aber es kommt noch besser - ich zitiere weiter -: Die Schranken des § 108 stehen nur der Errichtung solcher Unternehmen entgegen, deren einziger Zweck die Gewinnerzielung ist. - Ich kenne keine Kommune in Niedersachsen, die ein Unternehmen hat, das Gewinne erzielt.

(Zuruf von der CDU: Stadtwerke!)

Es gibt keine kommunalen Baumschulen, auf deren Bäumen 1 000-Euro-Scheine wachsen.

Aber weiter im Text: Bei einem Vergleich der Aufgabenerledigung durch kommunale oder private Anbieter sind soziale Gesichtspunkte zu berücksichtigen. - Wenn dies nicht nur ein Lippenbekenntnis der Landesregierung ist, dann können nur kommunale Anbieter gewinnen. Dann wird ein Vergleich nicht nötig sein.

Noch einmal: Warum will die Landesregierung § 108 Abs. 1 ändern? - Sie macht Lobbyarbeit, und zwar ausschließlich für private Anbieter, keine Lobbyarbeit für Bürgerinnen und Bürger in den niedersächsischen Kommunen, die auf öffentliche Daseinsvorsorge angewiesen sind.

Meine Herren, meine Damen, ich freue mich auf Ihre Argumente und auf die Arbeit im Fachausschuss. Zum Schluss bitte ich, in die Beratung

auch den Ausschuss für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr einzubeziehen. - Danke schön.

(Beifall bei der SPD)

Für die CDU-Fraktion hat nun der Abgeordnete Hiebing das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Lennartz, Sie habe natürlich Recht, dass es sich um einen Gesetzentwurf der Landesregierung handelt. Die Koalitionsfraktionen haben dazu Stellung genommen.

Das Ziel der Landesregierung und der beiden Koalitionsfraktionen besteht darin, die kommunale Handlungsfähigkeit, wo immer dies möglich ist, zu sichern und, wenn möglich, zu stärken.

(Beifall bei der CDU)

Die Neuordnung des Gemeindehaushaltsrechts und die Änderung gemeindewirtschaftsrechtlicher Vorschriften sind Bestandteil dieser Politik zugunsten der Städte, Gemeinden und Landkreise in Niedersachsen. Der Gesetzentwurf sieht daher eine Umstellung des kommunalen Haushaltsrechts von der Kameralistik auf die doppelte Haushaltsund Buchführung vor.

(Vizepräsidentin Astrid Vockert übernimmt den Vorsitz)

Meine Damen und Herren, der Gesetzentwurf hat zu erheblichen Diskussionen in den Gemeinden geführt. Hier und da war durchaus Skepsis der Gemeinden gegenüber dem Landesgesetzgeber festzustellen. Auch war häufig festzustellen, dass bei den Fachleuten, bei den Kämmerern, geradezu Begeisterung herrschte. Mit dem Gesetzentwurf soll den Kommunen die Möglichkeit eröffnet werden - ich denke, das ist wichtig -, vollständige Informationen über den Verbrauch und das Aufkommen der finanziellen, sächlichen und personellen Ressourcen darzustellen.

Frau Kollegin Rübke, Sie haben kritisiert, dass es so lange gedauert habe. Ich glaube, dass hierbei die Gründlichkeit den absoluten Vorrang vor der Schnelligkeit haben muss.

(Beifall bei der CDU)

Dafür ist das Thema für die Gemeinden viel zu wichtig. Ich glaube, auch viele Äußerungen der gemeindlichen Vertreter werden Ihnen das klar gemacht haben.

Meine Damen und Herren, wir wollen aber auch betriebswirtschaftliche Methoden und Instrumente einsetzen, die gegenüber dem bisherigen Zustand ein deutliches Mehr an Transparenz schaffen. Ich glaube, das ist gut für die Bürgerinnen und Bürger und auch für diejenigen, die in den Kommunen und Landkreisen politische Verantwortung tragen.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, die Reform passt bei allen zu beklagenden Schwierigkeiten der kommunalen Ebene in die Landschaft, nicht zuletzt deshalb, weil im Bereich der Informationstechnik bei vielen Kommunen Entscheidungsund Handlungsbedarf besteht. Das Ressourcenverbrauchskonzept als der zur Verwirklichung am besten geeignete Buchungsstil ist, meine ich, eine bessere Grundlage der wirtschaftlichen und sparsamen Führung der kommunalen Finanzwirtschaft, als es die Kameralistik bisher gewesen ist.

(Beifall bei der CDU)

Auch im Hinblick auf eine nachhaltige Finanzpolitik zugunsten nachfolgender Generationen - das wird in diesem Hause so häufig apostrophiert - hat dieses System gute Ansätze, weil es die Vollständigkeit der Datengrundlage garantiert und weil verlässliche Kennziffern zu fundiertem Handeln befähigen können, wenn man es denn will.

Meine Damen und Herren, jede staatliche Ebene sollte sich zumindest überlegen, ob das, was man jedem Kleinstunternehmer oder jeder Kleinstunternehmerin wie selbstverständlich abverlangt, nämlich eine Buchführung zu erstellen, für sie notwendig wäre. Fakt ist: In Niedersachsen haben sich heute schon etwa 60 Kommunen verschiedenster Größe auf dieses neue System umgestellt.

(Beifall bei der CDU)

Dabei wissen wir durchaus, dass mit der Einführung der Doppik noch kein finanzielles Problem als solches gelöst ist. Das ist, denke ich, völlig unstrittig. Aber ich glaube, der Einführung der Doppik muss ein aufrichtiger Kassensturz vorangehen. Dieser muss sämtliche Vermögenspositionen und Schulden mit ihrem aktuellen und wahren Wert ansetzen. Das ist, meine ich, eine durchaus verant

wortungsvolle Aufgabe, wenn ich an die Bewertung von Gebäuden und öffentlichen Einrichtungen denke, auch unter Berücksichtigung der Herstellungskosten, aber auch möglicher Verkehrs- oder Realisierungswerte. Das kann in der Folge in dem einen Fall durchaus Freude und in dem anderen Fall durchaus Enttäuschung verursachen. Auch die Finanzierung von Abschreibungen, d. h. letztlich den Verzehr unseres kommunalen Vermögens, gilt es zu berücksichtigen.

Meine Damen und Herren, in der Bundesrepublik wie auch in der EU ist eine deutliche Entwicklung hin zur teilweisen oder vollständigen Umstellung der Rechnungssysteme öffentlicher Haushalte auf eine bilanzierfähige Doppik festzustellen. Diese Entwicklung kann zur Folge haben, dass mittelfristig von allen öffentlichen Haushalten, auch denen des Bundes und der Länder, auch unter den Gesichtspunkten des Ratings und der Kreditwürdigkeit ein international üblicher Abschluss in Form einer Bilanz erwartet werden wird. Darauf haben sich zumindest alle einzustellen.