Protokoll der Sitzung vom 25.02.2005

Sie können das aber nicht sinngemäß so sagen wie der Kollege Zöllner in Rheinland-Pfalz: Ich teile jedes Argument für Studienbeiträge meiner Kolleginnen und Kollegen. Aber weil ihr nicht auf alle Ewigkeit absichern könnt, dass die zusätzlichen Einnahmen den Hochschulen verbleiben, bin ich dagegen. - Sich so einzulassen, hat mit der Realität nichts zu tun. Sie wissen doch ganz genau, dass ich hier keine Erklärung für die nächsten 30 Jahre abgeben kann. Was wir tun können - die Kollegin Trost hat darauf hingewiesen -, ist, dass wir gemeinsam versuchen, eine solche Zusicherung für einen überschaubaren Zeitraum, der in der Politik üblich ist, über einen Hochschulvertrag oder über Zukunftsverträge zu machen. Das können wir machen. Unsere Absicht ist, dies sicherzustellen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Lassen Sie uns doch bitte mit dieser Kirchturmpolitik aufhören. Lassen Sie uns doch einmal das

Wagnis eingehen, über den Tellerrand Niedersachsens und der Bundesrepublik Deutschland zu schauen. Dann werden Sie doch zugeben müssen, dass es kaum noch Länder in Europa und darüber hinaus gibt, die diesen Weg nicht gegangen sind. Ich habe das eingangs erwähnt: Großbritannien 1 600 Euro per anno, jetzt auf 4 400 Euro erhöht, Niederlande 1 445 Euro per anno, Frankreich 250 bis 1 000 Euro, Österreich 726 Euro, mit der Absicht, wie ich weiß, zu erhöhen. Aus Österreich wissen wir auch, dass die Akademikerquote durch die Einführung von Studienbeiträgen eben nicht zurückgegangen ist. Die Österreicher sind nach drei Jahren wieder da, wo sie 2001 waren. Besser noch: Die Absolventenquote hat sich in Österreich erhöht. Das ist das Entscheidende. Entscheidend ist, wie viele einen akademischen Abschluss machen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Zuzugeben ist, dass es in Österreich zunächst einen Rückgang gegeben hat. Meine Damen und Herren, aber die Österreicher hatten zu dem Zeitpunkt noch keine Langzeitstudiengebühren. Wir haben diesen Rückgang durch die Langzeitstudiengebühren von 13 % schon weitestgehend abgefrühstückt. Die Langzeitstudiengebühren haben nicht wir eingeführt, sondern mein Vorgänger Thomas Oppermann, d. h. das ist von der SPDRegierung gemacht worden.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Sigmar Gabriel [SPD]: Gegen Ihren Widerstand!)

Ihnen ist übrigens dafür - das weiß der Kollege Oppermann sehr gut; ich könnte das zitieren - von der niedersächsischen Öffentlichkeit Wortbruch vorgeworfen worden, weil Sie vorher etwas anderes behauptet haben, als Sie getan haben.

(Beifall bei der CDU)

Ich möchte Ihnen etwas zur berühmten Bildungsmobilität sagen, also zum sozialdemokratischen Thema, künftig würden nur noch die Kinder reicher Eltern an unseren Hochschulen sein.

(Minister Bernd Busemann: Das glaubt doch kein Mensch!)

Erstens wissen wir alle, dass sich, nachdem die Ministerpräsidentenkonferenz 1971 die Studienbeiträge - die hat es in Deutschland schon damals gegeben; das haben die meisten verdrängt - abge

schafft hat, der Anteil der Kinder aus so genannten Arbeiterhaushalten nicht signifikant vergrößert hat und dass er im besten Falle gleich geblieben ist. Wir wissen aus anderen Ländern, wo es seit vielen Jahren Studienbeiträge gibt, dass die Bildungsmobilität dort aus sozialdemokratischer Sicht viel besser ist, d. h. dass der Anteil derjenigen, die aus einkommensschwachen Verhältnissen kommen, viel größer ist als in Deutschland. Ich verstehe nicht, wie sich das nach der Argumentation der Kollegin Gabriel erklärt.

(Zurufe: Kollegin?)

- So weit sind wir noch nicht. Ich meinte: der Kollegin Andretta. - Meine Damen und Herren, ich habe sehr genau beobachtet, lieber Sigmar Gabriel, dass Sie bei den Einlassungen der Kollegin Andretta zur Bildungsmobilität, nämlich zu der Frage bezüglich Kinder aus einkommensschwachen Familien, applaudiert haben. Mir ist eingefallen, dass Sie bei dem Neujahresempfang der IHK - das ist wohl 2000 gewesen - Folgendes gesagt haben - ich zitiere -:

(Sigmar Gabriel [SPD]: Aber bitte al- les!)

„Akademiker sollen das, was sie an der Uni an Zuwendungen erhalten haben, als Berufstätige zurückzahlen.“

So weit, so gut.

„Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass es Länder gibt, in denen der Anteil von Arbeiterkindern an den Hochschulen trotz Studiengebühren höher ist als in Deutschland.“

(Bernd Althusmann [CDU]: Ach? So was!)

Das hat er natürlich nur so gesagt bei der IHK, weil er da Applaus kriegt. Bei den Gewerkschaften hätte er das anders gesagt. Aber trotzdem hat er das gesagt.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Lassen Sie mich den Guru - das ist der Guru, wenn es in der Wissenschaftslandschaft darum geht, jemanden zu zitieren - Casper zitieren.

(Hans-Jürgen Klein [GRÜNE]: Sigmar Gabriel?)

- Nein, so weit ist er noch nicht. Das kann aber noch kommen.

(Sigmar Gabriel [SPD]: Du weißt aber, dass ich noch reden darf?)

Thomas Oppermann weiß, wen ich meine. Das ist der ehemalige Präsident der Universität Stanford, übrigens ein Deutscher. Er hat gesagt: Nur 8 % der Studenten an deutschen Universitäten kommen aus den untersten Schichten, an der privaten Eliteuniversität Stanford sind es 30 bis 40 %. - Auch da gibt es offensichtlich keinen Zusammenhang in negativer Hinsicht zur Bildungsmobilität, sondern es scheint ja sogar umgekehrt zu sein.

Meine Damen und Herren, ich bin davon überzeugt, dass den Studierenden durch die Zahlung des Studienbeitrages die Werthaltigkeit des Studiums bewusster wird, was übrigens auch zu einem effizienterem Studierverhalten und natürlich zu einer Verkürzung der Studienzeiten führt. Studienbeiträge tragen dazu bei, das Angebotsverhältnis der Hochschule, das Nachfrageverhalten der Studierenden und damit den Wettbewerb positiv zu beeinflussen.

Ich möchte noch jemanden zitieren, weil ich es wichtig finde, dass hier deutlich wird, dass sich viele Leute, die wirklich etwas davon verstehen, Frau. Dr. Andretta, sehr dezidiert für Studienbeiträge aussprechen, nämlich der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz:

„Und insofern glaube ich,“

- so Gaehtgens

„dass Studiengebühren eben vor allen Dingen einen anderen Steuerungseffekt auf das Hochschulwesen hätten, sie würden das Engagement sowohl der Lehrenden als auch der Lernenden gegenüber dem Studium deutlich erhöhen.“

Ich könnte Ihnen hundert weitere Zitate von Personen aus der Wissenschaftscommunity nennen, die alle entschieden dafür sind. Das gehört zu der Wahrheit dazu.

Der nächste wichtige Punkt: Conditio sine qua non. In der Tat: Niemand - egal aus welchen sozialen Verhältnissen er kommt - soll davon abgehalten werden, einem Studium in Deutschland nachzugehen. Das ist ein wichtiger Punkt.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Sie stellen in diesem Zusammenhang wieder auf die Akademikerquote ab. Liebe Frau Dr. Andretta, wir sind nicht mehr bei 36, sondern mittlerweile bei 39,8 %. Sie müssen berücksichtigen - das wissen Sie doch ganz genau; warum sagen Sie es denn nicht? -, dass in anderen Ländern die Akademikerquote aus ganz anderen Bestandteilen besteht. In den Vereinigten Staaten gehört z. B. die Berufsschulausbildung dazu. Wenn wir diese bei uns der Akademikerquote zurechnen würden, dann läge die Akademikerquote bei weit über 40 %, und wir hätten weitaus bessere Verhältnisse als in Amerika. Auch das gehört zur Wahrheit dazu.

Aber zurück. Wir werden den Studierenden in der Tat einen - das ist wichtig - einkommensunabhängigen Bildungskredit anbieten. Warum ist es wichtig, dass er einkommensunabhängig ist? Mir ist gerade von sozialdemokratischer Seite in den letzten Tagen vorgeschlagen worden, es so zu machen wie beim BAföG. Wenn wir das machten, dann würden erneut die Normalverdiener in dieser Republik benachteiligt werden und würden sich quälen müssen, ihre Kinder an die Hochschulen zu bringen. Das ist die Wahrheit. Dazu sind wir nicht bereit.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Darum wird das einkommensunabhängig gestaltet. Was auch wichtig ist: Die Rückzahlung wird erst dann fällig, wenn später ein Einkommen erzielt wird, das den Betreffenden dazu in die Lage versetzt. Ich finde, ein faireres Angebot kann man den Studierenden nicht machen,

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

insbesondere wenn man berücksichtigt - das ist erwähnt worden -, dass heute für manch andere Leistung des Staates, z. B. für die berühmten Kindergartenplätze, zum Teil weit mehr als 100 Euro pro Monat zu zahlen sind und dafür kein Kredit vom Staat gewährt wird. Das hat mit Gerechtigkeit zu tun.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Diese Gerechtigkeitslücke werden wir stopfen.

Wir werden ein Weiteres tun: Wir werden eine Familienkomponente einführen. Studierende, die Kinder erziehen oder Familienangehörige pflegen müssen, werden von Studienbeiträgen befreit. Dafür werde ich mich zumindest einsetzen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Außerdem werden die Hochschulen Stipendien auflegen, die für herausragende Leistungen, was das Studium anbelangt, oder auch für herausragende Leistungen im Bereich gemeinwohlorientiertes Engagement vergeben werden können. Was spricht denn dagegen, dass eine Universität für sich ein besonderes Profil entwickelt, indem sie Studierende, die sich beim Roten Kreuz oder anderswo engagieren oder engagiert haben, mit einem Stipendium in die Lage versetzt, ihr Studium zu finanzieren? Ich fände es eine hervorragende Vision für die Zukunft, auch das gemeinwohlorientierte Handeln gerade bei jungen Leuten stärker herauszustellen.

Meine Damen und Herren, wir haben immer gesagt, was wir tun, und wir tun, was wir sagen. Damit komme ich zu Ihrem Antrag. Bei Ihrem Antrag ging es ja von Anfang an weniger um die Frage, ob Studienbeiträge erhoben werden sollten,

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

sondern Ihr Antrag - das ist doch die Wahrheit, meine Damen und Herren - hatte einzig und allein das Ziel, den derzeit beliebtesten Politiker der Bundesrepublik Deutschland zu diskreditieren und dessen Glaubwürdigkeit zu unterminieren.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Dass unser Ministerpräsident Christian Wulff dies ist und dass diese Regierung nach wie vor ein gutes Standing bei der Bevölkerung hat, hat vor allem damit zu tun, dass wir das tun, was wir vorher gesagt haben, und dass wir glaubwürdig geblieben sind.