Protokoll der Sitzung vom 19.05.2005

„Auch Sie sollten wissen,“

- das war an meine Person gerichtet

„dass die Integrationspauschalen für Jugendliche nicht vorgeschrieben sind, dass sie aber dann ausgezahlt werden, wenn die Zahl der Jugendlichen gemeldet ist, die sie in Anspruch nehmen. Da diese Zahlen bisher nicht vorliegen, können wir auch nicht auszahlen.... Ich würde insofern darum bitten, dass Sie sich in Ihren Pressemitteilungen korrekt äußern.“

Das sagten Sie mir gestern.

Seit dem 10. Mai liegt die Antwort aus dem Wirtschaftsministerium vor. In der Antwort des Wirtschaftsministeriums steht auf Seite 29 zu den Integrationspauschalen:

„Von den Trägern wurden bisher im Jahre 2005 für 2.160 Jugendliche Integrationspauschalen beantragt, die in Kürze bewilligt werden können.“

Jetzt frage ich mich wirklich: Was stimmt, und was stimmt nicht? Die Antwort auf die Anfrage oder die Antwort der Ministerin? Wie sollen wir hier eigentlich diskutieren? Wer äußert sich in diesem Parlament eigentlich noch korrekt? - Danke schön.

(Starker Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Frau Ministerin Dr. von der Leyen hat sich noch einmal zu Wort gemeldet.

Ich glaube, wir brauchen jetzt keine große Geschäftsordnungsdebatte, denn ich kann das schnell aufklären, Frau Janssen-Kucz. Das sind Planzahlen. Wenn Personen diese Maßnahmen verabredet wahrnehmen, werden diese Mittel auch bewilligt.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Ich rufe nun auf

Tagesordnungspunkt 31: Besprechung: Jugendarbeitslosigkeit und Jugendberufshilfe in Niedersachsen - Große Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drs. 15/1780 - Antwort der Landesregierung Drs. 15/1896

Ich eröffne die Besprechung. Von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat sich Frau Kollegin Janssen-Kucz zu Wort gemeldet. Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Lage auf dem Arbeits- und Ausbildungsmarkt ist ernst. Das betrifft nicht alleine die Jugendlichen und jungen Menschen unter 25 Jahre, sondern auch viele ältere Erwerbslose. Wir haben diese Anfrage zur Jugendarbeitslosigkeit und Jugendberufshilfe eingebracht, um die Situation der jungen Menschen, deren weiterer Lebensweg in hohem Maße von einem geglückten Einstieg in das berufliche Leben abhängt, hier zum Thema zu machen. Die Antworten, die gestern und gerade auch noch einmal gegeben wurden, haben deutlich gemacht, dass das mehr als notwendig ist, weil die eine Hand nicht weiß, was die andere tut.

Die Zahlen der Bundesagentur für Arbeit für die Bundes- und Landesebene sind gestern ausführlich zitiert worden. Uns allen ist deutlich geworden, dass die Lage dramatisch ist. Die Schere zwischen steigenden Schulabgängerzahlen und weniger gemeldeten freien Ausbildungsplätzen öffnet sich weiter. Sogar die IHK hat jüngst bestätigt, dass sie die Zahlen, die sie im Ausbildungspakt zugesagt hat, in diesem Jahr nicht einhalten kann.

Meine Damen und Herren, das Thema Jugendarbeitslosigkeit und Jugendsozialarbeit hat mehrere Facetten. Dabei geht es erstens um die notwendige Vorbereitung der Jugendlichen auf ihren Berufsweg. Sie muss rechtzeitig in der Schule anfangen.

Zweitens geht es darum, eine ausreichende Zahl von Ausbildungsplätzen vorzuhalten, die nicht jedes Jahr im Rahmen eines Ausbildungspaktes wieder neu erkämpft werden muss. Damit erwarte ich von der Wirtschaft eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Ansonsten bräuchten wir dringend eine neue Debatte über eine Ausbildungsplatzabgabe. Was wir aber noch dringender brauchen, ist

eine Debatte über die Qualität der Ausbildung in den Betrieben.

Drittens geht es darum, denjenigen, die keinen Ausbildungsplatz erhalten haben oder noch nicht ausbildungsfähig sind, geeignete berufsvorbereitende und Reha-Maßnahmen bereitzustellen, und zwar auch über den 30. Juni 2005 hinaus.

Viertens geht es darum, die bewährten und geeigneten Bildungsträgerstrukturen in Niedersachsen zu erhalten, damit die jungen Menschen passgenaue Maßnahmen bekommen.

Fünftens geht es darum, den jungen Menschen, die hilfebedürftig sind, mit den Möglichkeiten der Jugendberufshilfe weiterhin und jenseits von Hartz IV differenzierte pädagogische Hilfen an die Hand zu geben, den Erhalt der bewährten Beratungsstrukturen und auch den weiteren qualifizierten Ausbau voranzutreiben und nicht abzubauen.

Last, but not least geht es um die Zukunft der EUFörderung für Maßnahmen zur Bewältigung der Arbeitslosigkeit für das Land Niedersachsen. An diesem Punkt will ich gleich anknüpfen. In der Antwort auf die Große Anfrage heißt es: Wir wissen noch nicht, wie die zukünftige Struktur aussieht. Herr Hirche, eines wissen wir aber ganz genau, und zwar seit 2004, nämlich dass die zukünftige ESF-Intervention enger mit den Bereichen Beschäftigung, Bekämpfung sozialer Ausgrenzung und den Bildungs- und Berufszielen verzahnt wird. Diese sozialpolitische Zielsetzung wird von uns begrüßt. Das bedeutet aber auch, dass die sozialpolitische Ausrichtung des ESF in der Umsetzung in Niedersachsen eine konsequente Anwendung finden muss. Diese Weichen müssen jetzt gestellt werden. Wir können nicht bis 2007 warten. Ich wäre sehr erfreut gewesen, wenn wir dazu einiges gehört hätten.

Meine Damen und Herren, wir alle wissen, dass die Reform der Arbeitsmarktgesetze eine erhebliche Umwälzung der Zuständigkeiten und Handlungskonzepte mit sich gebracht hat und viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor Ort verunsichert sind. Es ist nicht so einfach, wie es Frau Dr. von der Leyen hier gestern dargestellt hat. Vor Ort herrscht sehr viel Unruhe. Die Vorgänge vor Ort laufen nicht Hand in Hand ab. Ich sage Ihnen: Gemeinsam haben wir die Hartz-IV-Reform auf den Weg gebracht. Daher sind jetzt alle Ebenen - Bund, Länder und Kommunen - gefordert, diesen Reformprozess konstruktiv und engagiert zu be

gleiten. Dass es letztendlich zu Nachbesserungen kommt, halte ich gerade vor dem Hintergrund des Gezerres im Vermittlungsausschuss für selbstverständlich. Jede so genannte Jahrhundertreform hat ihre Haken und Ösen. Wir müssen alles daran setzen, daraus eine Reform aus einem Guss zu machen.

Interessant finde ich in diesem Zusammenhang, dass der Staatssekretär Hoofe lange angekündigt hat, dass die CDU-geführten Bundesländer eine einheitliche Änderungsvorlage vorlegen werden. Dazu ist es nicht gekommen. Hessen hat jetzt seine eigene Vorlage eingebracht. Niedersachsen bringt Änderungs- bzw. Ergänzungsanträge ein. Scheinbar waren die schwarzen Bundesländer untereinander nicht konsensfähig. So einfach scheint es mit Ihren schwarzen Brüdern und Schwestern nicht zu sein, wenn es darum geht, eine einheitliche Vorlage auf den Weg zu bringen.

Meine Damen und Herren, eines macht die Antwort auf die Große Anfrage deutlich, nämlich die dramatische Lage der jungen Menschen in Niedersachsen und die Tatsache, dass wir handeln müssen. Sie zeigt auch, dass Sie keine ausreichenden Antworten parat haben und dass wir sie gemeinsam finden und gemeinsam anpacken müssen.

Anhand der Zahlen wird deutlich, dass sich sehr viele junge Menschen in Warteschleifen befinden. Schlussfolgerung daraus ist, dass es keine Kürzungen jedweder Art geben darf, da sie Gift für die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit sind. Es geht hier nicht um irgendwelche Haushaltsreste, die man hin und herschiebt, während man auf irgendetwas wartet, wie eben die Zeremonie der Frau Ministerin von der Leyen deutlich machte.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Jugendliche können keine Hängepartien gebrauchen. An dieser Stelle muss klar gesagt werden, dass auf die im Prinzip richtige Orientierung am ersten Arbeitsmarkt, die auch Grundlage für das SGB II ist, schon ein Stück Ernüchterung gefolgt ist. Im Moment stimmen Angebot und Nachfrage auf dem ersten Arbeitsmarkt nicht überein. Ich glaube, das wird sich in absehbarer Zeit nicht ändern. Sie schimpfen gerne auf Rot-Grün auf Bundesebene. Aber auch Schwarz-Gelb in Niedersachsen gibt kein gutes Beispiel.

Der zentralen Frage Jugendarbeitslosigkeit müssen wir auch mit neuen Konzepten begegnen. Wenn wir das wollen, heißt das auch, dass wir die

Prinzipien der Jugendhilfe - Freiwilligkeit, Ganzheitlichkeit, Sanktionsfreiheit und Lebensweltorientierung - mit beachten müssen und dass sie nicht unter die Räder kommen dürfen.

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Ich hoffe, dass wir in der weiteren Beratung einiges auch gemeinsam neu denken und auf den Weg bringen können. - Danke.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Danke schön, Frau Janssen-Kucz. - Für die Landesregierung hat nun Herr Minister Hirche das Wort. Bitte!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Große Anfrage „Jugendarbeitslosigkeit und Jugendberufshilfe in Niedersachsen“ bietet der Landesregierung eine gute Gelegenheit, die Ausbildungs- und Arbeitsplatzsituation junger Menschen in unserem Land und die Aktivitäten der Landesregierung ausführlich darzustellen. Sie finden in der schriftlichen Antwort eine Fülle von Daten und Fakten. Zur Beantwortung haben neben den Ressorts der Landesregierung auch die Regionaldirektion Niedersachsen-Bremen, die Bundesagentur für Arbeit, der Landkreistag, die niedersächsischen Optionskommunen und andere Beiträge geleistet und Informationen zur Verfügung gestellt. Dafür möchte ich mich bei allen Beteiligten sehr herzlich bedanken.

Trotz dieser breiten Mitarbeit finden Sie an der einen oder der anderen Stelle den Hinweis, meine Damen und Herren, dass detaillierte Antworten noch nicht vorliegen. Einige Fragen sind schlicht zu früh gestellt. Das müssten die Grünen eigentlich wissen. Vor allem die Fragen zum Umsetzungsstand und den Konsequenzen des seit Januar geltenden SGB II - beispielsweise zu einzelnen Maßnahmen, zielgruppenspezifische Eingliederungsquoten und den diesbezüglichen Planungen können heute überhaupt noch nicht beantwortet werden - nicht in Niedersachsen und auch sonst nirgendwo in Deutschland. Deswegen konnte die Landesregierung hier nur antworten: Diese Fragen werden Gegenstand der Evaluation zum SGB II sein. Das Bundeswirtschaftsministerium bereitet zurzeit erst die Ausschreibung der Untersuchung

vor. Voraussichtlich Ende des kommenden Jahres können wir mit systematischen flächendeckenden Ergebnissen laut BMWA rechnen.

Meine Damen und Herren, eines ist klar: Es gibt immer weniger Jobs für Ungelernte, und gleichzeitig wächst der Bedarf der Unternehmen an Fachkräften. Ich behaupte, die Tatsache, dass es immer weniger Jobs für Ungelernte gibt, hat damit zu tun, dass z. B. die Leichtlohngruppen in Tarifverhandlungen verschwunden sind und die Betriebe deswegen unter Rationalisierungsdruck geraten sind, sodass für die Menschen, die diese Tätigkeiten früher wahrgenommen haben, keine ausreichende Zahl von Arbeitsplätzen mehr zur Verfügung steht. Bei jungen Menschen kommt es heute umso mehr darauf an, mit einer soliden Ausbildung eine Basis zu schaffen, die ihnen den Einstieg ins Berufsleben, den dauerhaften Verbleib sowie lebenslanges Lernen ermöglicht. Deswegen habe ich auch gestern schon gesagt, dass sich der Kultusminister mit seinen Bemühungen aus der Sicht der Landesregierung auf einem außerordentlich wichtigen Feld bewegt, indem die Hauptschule ein praxisbezogenes Profil erhält und die Zusammenarbeit mit den Betrieben in den einzelnen Gemeinden nach vorne gerückt wird.

(Beifall bei der FDP und Zustimmung bei der CDU)

Das ist ein wichtiger Punkt, der aber nicht sofort wirkt. Er wird jedoch, meine ich, die Jugendlichen in den nächsten Jahren ausbildungsfähiger als heute machen, sodass die Betriebe in der Berufsausbildung nicht das nachholen müssen, was die Schulen versäumt haben.

(Beifall bei der FDP)

Da der Kollege Gabriel eben so intensiv Redeprotokolle und anderes bemüht hat, möchte ich jetzt gerne noch auf einen Punkt eingehen, den er gestern in seinem Debattenbeitrag behandelt hat. Er hat davon geredet, dass es 2004 in der Jahrestatistik 113 505 Arbeitslose gegeben habe und es in 2003 nur 57 590 gewesen seien. Meine Damen und Herren, das war in der Kategorie „Nach vorheriger Ausbildung“, wie es so schön heißt. Herr Gabriel hat in diesem Zusammenhang den kleinen Punkt außer Acht gelassen, dass seit dem 1. Januar 2004 im Unterschied zu 2003 mit „Nach vorheriger Ausbildung“ nicht nur Jugendliche, sondern alle erfasst werden, die einmal an einer Fortbildungsmaßnahme teilgenommen und diese be

endet haben. Meine Damen und Herren, hier werden nicht nur Äpfel mit Birnen verglichen, sondern Pflaumen mit Eiern, wenn Sie so wollen.

(Zustimmung von Ulrike Schröder [CDU])

Dies erfüllt den Tatbestand, den Herr Gabriel gegenüber dem Ministerpräsidenten in einer Debatte einmal wie folgt bezeichnet hat: Wer die ganze Wahrheit kennt, aber nur die halbe Wahrheit sagt, ist ein Lügner.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Meine Damen und Herren, es ist ganz oft so, dass solche Zitate, die gegen andere verwendet werden, auf einen selbst zurückfallen. Ich will das an einem zweiten Beispiel deutlich machen. Das hat nämlich auch etwas damit zu tun, dass wir nicht nur für Jugendliche, sondern auch für ältere Arbeitnehmer das Ausbildungsthema und das Trainingsthema stärker wahrnehmen, als es anderswo der Fall ist. Deswegen ist es für die Bewertung der Arbeitsmarktsituation nicht entscheidend, was in diesem Zusammenhang irgendwo an Zugängen registriert wird, sondern der Bestand an Arbeitslosen zeichnet die tatsächliche Situation.

Meine Damen und Herren, ohne irgendetwas zu verniedlichen, sage ich an dieser Stelle:

(Unruhe - Glocke der Präsidentin)