Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Schon bei der Einbringung des Gesetzentwurfs habe ich für meine Fraktion deutlich erklärt, dass wir ihn konsequent ablehnen. Nach der Anhörung und den Beratungen im Ausschuss für Inneres und Sport bleibt unsere Haltung unverändert bzw. ist noch bestärkt worden.
Ich spreche nochmals einige gravierende Punkte an, die uns zur Ablehnung bewogen haben. Der Landeswahlleiter, Herr Strelen, führte bei der Anhörung u. a. aus:
„Das deutsche Wahlrecht seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland hat es in, wie ich meine, hervorragender Weise verstanden zu vermeiden, dass im Wahlrecht irgendwelche strategischen Ziele mit angelegt werden, vor allen Dingen solche Ziele, die etwa dazu führen könnten, das Wahlrecht auszunutzen, um sich Vorteile zu verschaffen, insbesondere wenn es dabei um kleine Splittergruppen geht.“
Auch die Ansicht eines Praktikers aus einem Wahlbüro des Osnabrücker Landes möchte ich Ihnen nicht vorenthalten. Dieser Praktiker sagt:
„Ich möchte nicht wissen, wie viele Personen dann nicht nur die Möglichkeit haben, doppelt ihre Stimme(n) abzugeben, sondern dieses auch nutzen werden. Gerade die größeren Städte werden nicht in der Lage sein, bei jeder Anmeldung bis zum Wahltag das Wahlrecht mit der bisherigen Gemeinde abklären zu können - auch nicht mit zusätzlichem Personal.“
Wenn das Wählerverzeichnis wirklich zum Wahltag aufgrund eines melderechtlichen Vorgangs ergänzt werden soll, dann kann dies nur geschehen, wenn gleichzeitig die Möglichkeit der Briefwahl abgeschafft wird. Ansonsten werden wir uns in Zukunft sehr häufig mit Wahlanfechtungen beschäftigen können.
In Nordrhein-Westfalen wird übrigens nach der Kommunalwahl in einer Kommune erneut gewählt. Dort hat man festgestellt, dass eine Wählerin am Stichtag noch nicht in der Gemeinde gewohnt hat und somit nicht wahlberechtigt war. Bei der Mehr
heitsbildung im Rat ist jedoch eine einzige Stimme entscheidend gewesen, und nun muss die gesamte Wahl wiederholt werden.
Gerade bei Ortsratswahlen können einzelne Stimmen über Mandate und Mehrheiten entscheiden. Auch ist nicht auszuschließen, dass bei Ortratswahlen zukünftig ein „Wahltourismus“ entsteht mit dem Ziel, sich mal eben vor der Wahl umzumelden und so dem einen oder anderen Kandidaten oder einer Partei Sitz und Stimme und Mehrheiten zu verschaffen. So etwas ist mit der Dreimonatsfrist bisher - auch mit gutem Grund - ausgeschlossen.
Die kommunalen Spitzenverbände in Niedersachsen sehen ebenfalls keinen Bedarf für eine Gesetzesänderung.
Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluss vom 30. März 1992 die Dreimonatsfrist für zulässig erklärt bzw. - das ist sehr wichtig - mit Argumenten untermauert. Von 16 Bundesländern weichen nur zwei im Landeswahlrecht von der Dreimonatsfrist ab. Auf die konkrete Nachfrage in der Anhörung beim Vertreter des Landes Brandenburg, wo eine Einmonatsfrist gilt, ob viele Betroffene davon profitiert hätten und ob die Wahlbeteiligung zugenommen habe, konnte keine positive Aussage verzeichnet werden.
Das Wahlrecht ist das Fundament unseres Staatswesens und die Grundlage unserer Demokratie. Es sollte nicht zum Spielball von Splittergruppen werden. Es muss praktikabel, nachvollziehbar, vor allem kontrollierbar und allgemein verständlich sein.
Für mich ist das wichtigste Argument: Das Wahlrecht muss nicht nur ausgeübt, sondern auch festgestellt werden. Wie ich vorhin schon angedeutet habe, lehnt die CDU-Fraktion den vorliegenden Gesetzentwurf konsequent ab.
Bevor ich Frau Modder das Wort erteile, gebe ich bekannt, dass angesichts der hier herrschenden Temperaturen alle Herren ihre Jacketts gerne ablegen dürfen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sollen die Wahlvoraussetzungen im aktiven Wahlrecht zu Landtags- und Kommunalwahlen verändert und soll die zurzeit geltende Dreimonatsfrist aufgehoben werden.
Nach der Anhörung im zuständigen Ausschuss für Inneres und Sport am 6. April dieses Jahres habe ich eigentlich erwartet, dass die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen diesen Gesetzentwurf zurücknimmt,
weil nicht nur die kommunalen Spitzenverbände die damit geforderten Änderungen ablehnen, sondern - das ist für mich ganz entscheidend - weil sie auch der Landeswahlleiter nicht unterstützt. Selbst der von den Grünen benannte Vertreter des Innenministeriums des Landes Brandenburg kommt in seiner Stellungnahme zum Gesetzentwurf nicht zu einer eindeutigen Aussage. Bei ihm heißt es im Ergebnis:
„Auch die wahlpraktischen Auswirkungen ergeben kein eindeutiges Bild. Sowohl die Entscheidung für eine bestimmte Mindestverweildauer im Wahlgebiet als auch der Verzicht auf eine solche Wartezeit beim aktiven Wahlrecht haben in der Wahlpraxis für die kommunalen Wahlbehörden und Wahlorgane sowohl positive wie auch negative Nebenfolgen.“
Für meine Fraktion waren insbesondere die Bedenken des Landeswahlleiters von ausschlaggebender Bedeutung. Ich will hier nur kurz auf die wichtigsten Punkte eingehen.
Zunächst einmal dürfen wir feststellen, dass sich das deutsche Wahlrecht als tauglich erwiesen hat, in der Praxis bewährt hat und von Ausnutzung und Missbrauch verschont geblieben ist. Vor diesem Hintergrund sollte, wie ich denke, jede Änderung sorgfältig und gewissenhaft geprüft werden, um nicht Gefahr zu laufen, neue Risiken einzugehen.
Nach unserer Auffassung macht es nach wie vor Sinn, beim Wahlrecht an bestimmten Voraussetzungen festzuhalten, auch wenn sich durch neue
Medien und Techniken einiges sicherlich verändert hat. Im Bereich des Kommunalwahlrechtes sind für mich besonders bei kleinen Wahleinheiten nach wie vor die Gefahr und das Risiko von Manipulationsmöglichkeiten durch kurzfristige Umzüge, auf die dann nicht mehr angemessen reagiert werden kann, ganz entscheidend.
Zum anderen braucht die Wahlorganisation eine angemessene Frist, um ein geordnetes Wahlverfahren durchführen zu können und um die Fehlerquellen möglichst gering zu halten.
In diesem Zusammenhang ist auch die Tatsache nicht zu unterschätzen, dass sich das Land bislang an den Regelungen auf Bundes- und Europaebene orientiert hat, um auf diese Weise eine einheitliche Regelung zu erreichen. Man stelle sich nur einmal die Situation in einer kleinen Kommune bei zeitgleichen Bundestags- und Kommunalwahlen und bei unterschiedlichen Fristenregelungen vor. Auch aus diesem Grunde sollten wir bei den einheitlichen Regelungen auf Bundes-, Landesund Kommunalebene bleiben.
Der in der Begründung zum Gesetzentwurf angeführte Hinweis, dass die Erfahrungen bei den letzten Wahlen gezeigt hätten, dass es für viele Bürgerinnen und Bürger nicht verständlich sei, dass sie aufgrund eines Umzuges innerhalb der drei Monate vor der Wahl vom Wahlrecht ausgeschlossen seien, wurde vom Landeswahlleiter in der Anhörung so nicht bestätigt. Er sprach von wirklich nur sehr wenigen Fällen, bei denen aber weniger die Regelung mit der Dreimonatsfrist, sondern vielmehr die fehlende Information über diese Regelung kritisiert wurde.
Abschließend darf ich für meine Fraktion erklären, dass wir diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen werden. - Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich bedauere, dass hier eine große Koalition der Unwilligen zustande gekommen ist.
Ich möchte hier zunächst noch einmal in Erinnerung rufen, warum wir diesen Gesetzentwurf eingebracht haben. Wir wollten eine antiquierte Regelung aus dem Jahre 1869 über Bord werfen, die da heißt: Es gilt das Wohnortprinzip. - Diese Wahlrechtseinschränkung aus dem Jahre 1869 des Reichstages des Norddeutschen Bundes - das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen - hat eine Lebenswirklichkeit widergespiegelt, die im Jahre 2005 nicht mehr gegeben ist. Die Dreimonatsfrist wird mit dem Erfordernis der Sesshaftigkeit begründet. Wir Grünen wollten diesen alten Zopf abschneiden. Wir hatten gehofft, aufgrund der Anhörung würden Sie sich die guten Argumente aus dem Lande Brandenburg zu Eigen machen. Das ist leider nicht der Fall gewesen.
Das aktive Wahlrecht sollte für die Bürgerinnen und Bürger im Land Niedersachsen ausgeweitet werden. Sie sind unserem Vorschlag nicht gefolgt. Ich habe das heute hier noch einmal mit Bedauern zur Kenntnis genommen.
Meine Damen und Herren, ich will Ihnen ein paar Zahlen nennen, um deutlich zu machen, wie sehr Sie die Bürgerrechte einschränken. Ich habe auch schon bei der Einbringung unseres Gesetzentwurfes Zahlen genannt. Die Zahlen sprechen für sich. Allein vor den letzten Landtagswahlen im Jahr 2003 im Lande Niedersachsen sind 19 000 Bürgerinnen und Bürger von der Wahlurne ferngehalten worden, weil sie von der Dreimonatsfrist betroffen waren. Bei den Kommunalwahlen 2001 - damit wird besonders deutlich, was das bedeutet - waren beispielsweise in der Landeshauptstadt Hannover 5 400 Bürgerinnen und Bürger ab 16 Jahren von den Wahlen ausgeschlossen. So stellte es gestern jedenfalls der Mitarbeiter dar, der mir das Melderegister herübergefaxt hat. In der Stadt Göttingen war es so, dass 1 400 Bürgerinnen und Bürger nicht wählen durften. Ich habe auch in meiner Heimatstadt Lüneburg noch einmal nachgefragt. Es ergab sich, dass dort 1 200 Bürgerinnen und Bürger an den Kommunalwahlen nicht teilnehmen durften.
Ich glaube, das ist keine gute Regelung. Die mündigen Bürgerinnen und Bürger im Land Niedersachsen wissen, was hier in Niedersachsen statt
findet. Das Argument, sie würden sich nicht mit der örtlichen Situation auseinander setzen können, sie würden ihre Kandidaten nicht kennen, ist angesichts der Tatsache, dass wir heute in einer Mediengesellschaft leben, in denen jeder Zugriff auf die Medien hat, ein Argument, das nicht mehr zieht. Von daher bedauern wir Ihre Entscheidung ausdrücklich.
Wenn alles so wäre, wie Frau Modder es erzählt hat, frage ich mich, warum im Lande NordrheinWestfalen mit großer Unterstützung der FDP, Herr Bode, das Landeswahlgesetz geändert wurde. Ihr eigener Innenminister hat damals noch vehement dafür plädiert, das Gesetz zu ändern, um den Bürgern die Teilhabe an den Wahlen zu ermöglichen. Selbst der Vertreter des von SPD und CDU regierten Landes Brandenburg hat eine andere Sprache gesprochen. Der Niederschrift seines Redebeitrages ist zu entnehmen, dass er die hier angeführten Bedenken nicht hat. Auch in Brandenburg ist das Kommunalwahlgesetz geändert worden. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass es eine Abwanderung von Bürgerinnen und Bürgern aus dem Land Berlin in das Land Brandenburg in großem Umfang gibt, hat der Vertreter des Landes Brandenburg gesagt: Wir wollen den Bürgern, die von Berlin nach Brandenburg übersiedeln, die Möglichkeit der Teilhabe an den Wahlen geben. - Das war für mich ein überzeugendes Argument.
Wir stehen mit unserer Meinung aber auch im Land Niedersachsen nicht allein, auch wenn die kommunalen Spitzenverbände sagen, sie wollten ein Gesetz in der von uns vorgeschlagenen Form nicht. Ich zitiere hier die Stadt Braunschweig. Sie hat uns angeschrieben, als die Gesetzesberatung begann. In dem Brief vom 18. März heißt es:
„Vor dem Hintergrund, dass in Braunschweig viele Bürgerinnen und Bürger, die innerhalb der Stadt zwischen den Stadtbezirken umziehen oder aus dem Umland nach Braunschweig zuziehen, von einer Neuregelung profitieren können, würde es mich freuen, wenn eine Umsetzung entsprechender Regelungen noch rechtzeitig zu den Kommunalwahlen im nächsten Jahr erfolgt.“
Ich bedauere, dass uns die FDP als selbst ernannte Bürgerrechtspartei in dieser Frage nicht gefolgt ist. Ich kritisiere dieses Verhalten ausdrücklich. Ich hätte mir gewünscht, Herr Bode und Herr Rösler, dass Sie hier nicht nur den Mund gespitzt, sondern auch gepfiffen hätten, wenn es um Bürgerrechte geht. Von daher bedauere ich, dass Sie uns nicht folgen werden. Vielleicht folgen Sie uns beim nächsten Mal im Jahr 2008. Dann werden die Karten, was die Mehrheiten angeht, neu gemischt. Ich glaube, dann wird es eine Mehrheit geben, die die Bürgerrechte überzeugender vertritt als die jetzige Mehrheit hier im Landtag. - Ich bedanke mich.