Protokoll der Sitzung vom 24.06.2005

Wie gehen wir denn mit Wahrheit um? - Unser Antrag, den wir heute eingebracht haben, soll Sie in die Verpflichtung bringen, vor der Wahl mit offenem Visier - darüber haben wir gestern schon einmal gesprochen - vor die Wählerinnen und Wähler zu treten und zu sagen, was Sie wollen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Reinhold Hilbers [CDU]: Das müssen Sie uns gerade sagen! - Weitere Zurufe von der CDU und von der FDP)

Meine Damen und Herren, ich bekomme bei dieser Forderung Unterstützung. Herr Koch verlangt, der Bürger solle frühzeitig über geplante Zumutungen

informiert werden. Herr Oettinger plädiert für einen radikalen Reformkurs: „Ich bin dafür, den Bürgern ehrlich und detailliert zu sagen, was wir nach der Wahl machen.“ Das sagte er dem Spiegel.

Es geht weiter: „Notwendig ist vor allem Klarheit und Ehrlichkeit über die Lage unseres Landes und über die notwendigen Maßnahmen, damit unser Land wieder nach vorne kommt.“

(Bernd Althusmann [CDU]: Zum The- ma Niedersachsen!)

So Herr Stoiber am 21. Juni in der Welt. Es geht weiter:

„Vertrauen gewinnt der, der vor der Wahl sagt, was er nach der Wahl macht, und das dann auch umsetzt.“

(Jörg Bode [FDP]: Das machen wir doch!)

Wie wird das in der Öffentlichkeit beurteilt? - Dazu gibt es sehr schöne Zitate. Am 21. Juni schreibt die Süddeutsche Zeitung: Die von CDU und CSU angekündigte Ehrlichkeit in ihrem Regierungsprogramm für den Wahlkampf bedeutet nach Aussage der Kanzlerkandidatin Angela Merkel nicht, dass dezidiert spezielle Einschnitte und Kürzungen angekündigt werden müssen. - Nachtigall, ick hör dir trapsen.

Es kommt noch besser. Herr Glos hat folgende Formulierung gefunden. In der Frankfurter Rundschau vom 2. Juni 2005 heißt es: CSU-Landesgruppenchef Michael Glos hat das angestrebte Maß der Wahrheitsliebe mit den Worten umrissen: „Wir werden Formulierungen finden, die uns ehrlich erscheinen lassen, die uns später aber auch erlauben, das zu tun, was zur Sanierung der Staatsfinanzen notwendig ist.“

(Zurufe von der SPD: Hört, hört!)

So weit ein kleiner Blick in Ihr Lager und darauf, worauf sich unsere Bürgerinnen und Bürger vorbereiten müssen. Ich bin gespannt, wie der Herr Ministerpräsident mit diesem Thema umgehen wird. Denn Herr Wulff hat sich zu dieser Frage ja auch geäußert. Er hat am 7. Juni 2005 in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung gesagt:

„Wir brauchen einen Vertrag, in dem die Union eine Reihe von Dingen zusichert wie Steuerreform, Bürokratieabbau oder die Reform der sozialen

Sicherungssysteme, in dem aber auch die Bevölkerung und vor allem die Wirtschaft Zusicherungen trifft und sich moralisch daran gebunden fühlt.“

(Zustimmung bei der CDU - Reinhold Hilbers [CDU]: Recht hat er!)

Das ist Ihr Anspruch. Meine Damen und Herren, ich stelle fest: Diesem Anspruch werden Sie bis heute nicht gerecht. Sie können sich damit auch nicht bis zum 12. Juli dieses Jahres wegreden. Sie werden diesem Anspruch nicht gerecht. Wir fordern von Ihnen, dass Sie, insbesondere im Interesse des Landes Niedersachsen, bei der Einbringung des Haushalts im September sagen, welche Auswirkungen das für den niedersächsischen Landeshaushalt hat. Das ist unser Thema. Das wollen wir von Ihnen wissen. Herr Wulff, ich fordere Sie auf: Kommen Sie hierher und sagen Sie dem Land in aller Offenheit und Ehrlichkeit, was wir von Ihnen erwarten können!

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Bernd Althusmann [CDU]: Das war ein guter Schlusssatz!)

Meine Damen und Herren, ich glaube, viele erinnern sich daran: Herr Wulff hat ja schon einmal einen Versuch gemacht, den Wählerinnen und Wählern so etwas zu sagen - eine Gruppierung im Landtag ist wahrscheinlich überfordert, so etwas durchzusetzen -; er hat nämlich vorgeschlagen, dass eine über die Verfassung hinausgehende Nettoneuverschuldung vom Landtag mit einer Zweidrittelmehrheit beschlossen werden sollte. Haben Sie einmal wieder etwas davon gehört? Ich jedenfalls nicht. Mir scheint, das war auch nur ein Versuch, über ein Problem, das er bis 2008 vor sich hin trägt, hinweg zu reden und den Leuten Sand in die Augen zu streuen.

Meine Damen und Herren, wir haben Ihnen im letzten Jahr Woche für Woche vorgehalten, was Sie vor der Landtagswahl gesagt haben, was Sie in Ihr blaues Programmbuch geschrieben haben und was Sie nach der Wahl gemacht haben. Ich kann Ihnen das nicht ersparen: Da gab es wieder Punkte, die vor der Wahl ganz anders ausgesehen haben als nach der Wahl, weil Sie nicht bereit waren, Realitäten, die Sie alle hätten kennen können, zur Kenntnis zu nehmen. Wenn man in der jetzigen Phase z. B. über das Thema „Abbau der Nettoneuverschuldung“ redet, also weniger Schulden zu machen als die anderen, dann kann ich Ihnen nur

vorhalten, was die Frankfurter Allgemeine Zeitung am 13. April dazu geschrieben hat: Während alle Welt glaubt, die Regierung Wulff verfolge einen Sparkurs,

(Bernd Althusmann [CDU]: Den Artikel kennen wir schon!)

ist sie in Wirklichkeit in den ersten drei Jahren der größte Schuldenmacher in der Geschichte Niedersachsens.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, das ist eindeutig der Bruch eines Wahlversprechens.

In dem blauen Buch stand auch, dass das Erststudium gebührenfrei bleibt. Davon sind wir weit weg ein weiterer Bruch.

Sie haben weiter gesagt: Wir wollen nicht am Sport, sondern mit dem Sport sparen. - Was ist passiert? - Es ist gekürzt worden, meine Damen und Herren.

Sie haben gesagt: Wir brauchen mehr Mittel für die Städtebauförderung. - Sie haben das zurückgeführt und in einen Schattenhaushalt gebracht.

Den Kommunen haben Sie gesagt, Sie würden keine Politik auf dem Rücken der Kommunen machen. Was ist die Realität? - Sie entnehmen 150 Millionen Euro aus der kommunalen Kasse und belasten die Gemeinden, die ein Überziehungskreditvolumen haben, was es in der Geschichte Niedersachsens noch nie gegeben hat.

(Jörg Bode [FDP]: Wer hat das wohl ausgelöst?)

So weit zu Ihrer Wahrheit. Meine Damen und Herren, deshalb haben wir diesen Antrag eingebracht. Es geht darum, vor der Bundestagswahl durch den amtierenden Ministerpräsidenten in seinem Haushaltsplanentwurf für das Haushaltsjahr 2006 und für die mittelfristige Finanzplanung ganz konkret zu erfahren, wie es sich auswirkt, wenn Sie bei den Beschlüssen von Leipzig bleiben.

(Bernd Althusmann [CDU]: Legen Sie erst mal den Haushalt in Berlin vor!)

Meine Damen und Herren, wir haben den Finanzminister gefragt. Der Finanzminister hat gesagt, dass die Umsetzung des Bierdeckelkonzepts von Herrn Merz das Land in der ersten Stufe 450 Mil

lionen Euro koste. Wir haben von Ihnen bisher keine Antwort, wie sich das im Haushalt niederschlagen wird. Sie haben hier wiederholt unsere Entschließungsanträge abgelehnt, in denen wir Ihnen aufgezeigt haben, dass Sie das mit dem Landeshaushalt eigentlich nicht machen können, weil der Landeshaushalt das nicht vertragen könne. Wir haben Ihnen z. B. vorgelegt, was die Kopfpauschale für Niedersachsen kostet. Alles das haben Sie abgelehnt. Sie haben aber keine eigenen Finanzierungskonzepte vorgelegt. Genau dies fordern wir in diesen Punkten.

Meine Damen und Herren, dann ist ein Wunder geschehen. Während es bisher bei unseren Anträgen immer unmöglich erschien, Subventionen abzubauen, haben Sie das immer als Steuererhöhungen dargestellt und diffamiert. Plötzlich, kurz vor der Bundestagswahl, ist es Ihnen möglich, diese Subventionen abzubauen. Ich bin gespannt darauf, was ich auf der Einnahmeseite des Landes Niedersachsen wieder finde, wenn tatsächlich Subventionen abgebaut werden, und ich bin gespannt, wie die Zitate, die Sie seinerzeit gebraucht haben, in Übereinstimmung mit den Aussagen zu bringen sind, die Sie dann zur Begründung des Subventionsabbaus treffen.

Meine Damen und Herren, es geht um die Glaubwürdigkeit von Politik. Wenn Sie den Anspruch haben, so zu verfahren, wie Sie, Herr Wulff, es in dem Vertrag vorgeschlagen haben, dann müssen Sie noch vor der Bundestagswahl hier im Landtag Farbe bekennen. Ich gehe davon aus, dass Sie spätestens dann, wenn der Entschließungsantrag hier im September beraten wird, konkret sagen, was der Politikentwurf von Frau Merkel für das Land Niedersachsen bedeutet. - Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Für die CDU-Fraktion hat sich Herr Kollege Rolfes zu Wort gemeldet. Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das war gerade die Begründung eines Antrags, für die man sich die Zeit auch hätte schenken können. Man kann sich darauf verlassen, dass wir die alten Pressespiegel allesamt gelesen haben. Wenn Antragsbegründung be

deutet, dass man hier alte Pressespiegel vorliest, dann macht das schon deutlich, an welch dünnen Haaren dieser Antrag herbeigezogen wird.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU und bei der FDP - Lachen bei der SPD und bei den GRÜNEN - Wolf- gang Jüttner [SPD]: Wir haben uns an Ihrem Kopf orientiert!)

- Aber Sie können sich darauf verlassen, dass ich bis in die Haarspitzen motiviert bin. Das ist auch keine Frage.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU und bei der FDP - Wolfgang Jüttner [SPD]: 1 : 1!)

Bevor wir uns mit dem Antrag auseinander setzen, möchte ich eine Bemerkung vorausschicken. Wer die Präsenz des SPD-Fraktionsvorsitzenden - und das ist er ja - in dieser Woche beobachtet hat, der könnte glatt glauben, dass das ein Geringfügigkeitsjob, also ein 400-Euro-Job, wäre.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Gestern waren es zwei Stunden, heute waren es zwei Stunden, und dann mischt er sich in eine Debatte ein, von der er fast nichts mitbekommen hat. Das ist schon gigantisch. Dass dann ausgerechnet eine Partei, die im Bund im Grunde genommen seit 1998 auf Irrfahrt ist, jetzt von Wulff ein klares Konzept für das verlangt, was nach der Bundestagswahl passiert - -

(Zuruf: Wann sprechen Sie zum An- trag?)

- Dazu kommen wir gleich. Ich wollte mich eigentlich nur für die Weitsicht bedanken. Denn wer das so präzise abfragt und sich nach dem MerkelProgramm erkundigt, der geht auch davon aus, dass wir die Wahl schon gewonnen hätten.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Ich sage Ihnen nur: Wir werden bis zum letzten Tag dafür kämpfen, dass wir die Wahl gewinnen.

(Wolfgang Jüttner [SPD]: Wir auch, mein Lieber!)