Protokoll der Sitzung vom 14.09.2005

Herr Präsident! Meine Damen und Herren!

(Zurufe von der CDU: Weiter so!)

- Keine Sorge, keine Sorge.

Meine Damen und Herren, alle, die hier im Plenarsaal sitzen, sind der Geschäftsordnung mächtig. Sie wissen, dass der Plenarsaal nach dem dritten Ordnungsruf für den jeweiligen Tag verlassen werden muss.

Ich möchte Sie jetzt alle bitten, etwas ruhiger zu sein, etwas unaufgeregter zu sein und dem Redner zuzuhören. Dann werden wir die Plenarsitzung auch gut über die Bühne kriegen. - Herr Jüttner, Sie haben das Wort.

Vielen Dank, Herr Präsident. Ich bemühe mich um Unaufgeregtheit. Ich habe auch keinen An

schlusstermin. Deshalb gebe ich mir Mühe, hier bleiben zu dürfen.

Ich will aber noch eine Bemerkung machen zu dem Jargon von Herrn Möllring und zu der Art und Weise, wie er hier mit voller Inbrunst vorträgt.

(Zuruf von der SPD: Abliest!)

- Das mit dem Ablesen ist bei Haushaltsplanberatungen üblich, das ist gar nicht mein Problem. Er hat gesagt, wir hätten in einer früheren Mipla ein Wirtschaftswachstum von 7 % zugrunde gelegt. Wir haben auf die Schnelle sämtliche Miplas geprüft. Ausweislich der offiziellen Unterlage des Niedersächsischen Finanzministeriums war dieser Wert in den letzten Jahren nie höher als 4 %. Herr Möllring, ich hoffe, dass der Rest Ihrer Argumentation auf einem anderen Niveau war als die Aussage mit den 7 %.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, der Haushalt ist in Zahlen geronnene Gesellschaftspolitik. Deshalb sollten wir uns hier zu Recht die Zeit für eine Grundsatzdebatte nehmen und dabei auch über den Tellerrand Niedersachsens hinaus blicken. Wir als Landesparlament sollten mit den anderen 15 Landesparlamenten und dem Bundestag gemeinsam dafür streiten, das die Zukunftsdebatten in den Parlamenten und nicht in den Talkshows ausgetragen werden.

(Beifall bei der SPD - Lachen bei der CDU und bei der FDP - Glocke des Präsidenten)

- Ich verstehe Ihre Aufregung überhaupt nicht.

Herr Jüttner, Augenblick mal! - Meine Damen und Herren, vor ca. zwei Minuten habe ich einen Appell an Sie gerichtet. Nun benehmen Sie sich! Wir haben auch die Öffentlichkeit hier.

(Zuruf von Heinz Rolfes [CDU])

- Herr Rolfes, das ist richtig. - Herr Jüttner, fahren Sie fort!

Ich hätte erwartet, dass das gesamte Parlament dem zustimmt, weil es ein Appell an die Selbstver

pflichtung und Selbstverantwortung von uns allen war. Das trifft uns gleichermaßen, das trifft uns, das trifft aber auch Sie. Von daher sollten wir die Auseinandersetzung hier führen. Natürlich habe ich die Auseinandersetzung aber auch mit Herrn Möllring zu führen, mit seinen Ansprüchen, mit seinen Widersprüchen, mit seinen Einlassungen und mit seinen Auslassungen.

Herr Möllring, der Haushalt ist nicht gut, haben Sie gesagt. Da haben Sie Recht. Dann haben Sie gesagt, der Haushalt sei der bestmögliche. Das aber stimmt weiß Gott nicht. Wissen Sie, was unsere Einschätzung ist? - Ihr Haushalt ist zutiefst unehrlich. Er ist unsozial, er ist verfassungswidrig, und er ist letztendlich auch perspektivlos.

(Beifall bei der SPD)

Beginnen wir mit dem Thema Unehrlichkeit. In Ihrem Text steht wieder, Sie hätten die Altlast abtragen müssen. Welche Altlast meinen Sie? Meinen Sie das DIW-Gutachten aus der Regierungszeit von Finanzminister Aller, in dem deutlich festgeschrieben worden ist, dass Niedersachsen nach Baden-Württemberg die zweitbeste Finanzpolitik unter den Ländern betreibt? Meinen Sie dieses Gutachten? Oder meinen Sie mit „Altlast“ die Zielvereinbarung 1, die wir Ihnen hinterlassen haben und mit der eine SPD-geführte Landesregierung mehr als 11 000 Stellen in Abgang gestellt hat, wovon Sie heute finanzpolitisch noch hochgradig profitieren? Meinen Sie das mit „Altlast“?

Sie meinen wahrscheinlich die knapp 10 Milliarden Nettoneuverschuldung aus der Wahlperiode 1998 bis 2003. Da haben Sie Recht, das haben wir uns und dem Land aufgebürdet. Ich stimme meinem Kollegen Gabriel auch ausdrücklich zu, das wir alle miteinander darüber reden sollten, wie lange so etwas gut gehen kann; das ist überhaupt keine Frage.

Sie, Herr Möllring, wollen diese Altlast, diesen Berg von knapp 10 Milliarden Nettoneuverschuldung, aber dadurch abräumen, dass Sie weitere 10 Milliarden Nettoneuverschuldung draufschippen. Ich stelle mir das gerade bildlich vor. Vielleicht meinen Sie, dann sieht man die alte Neuverschuldung nicht mehr. - Also, wenn das die Art von Beseitigung ist, an die Sie gedacht haben, dann muss ich einmal über die Art und Weise nachdenken, wie ich bisher mit Begriffen umgegangen bin.

Ich sage Ihnen: Mit Beseitigung von Altlasten hat das, was Sie machen, überhaupt nichts zu tun,

meine Damen und Herren. Sie haben auf die gesellschaftliche Belastung des Landes, die in den letzten Jahrzehnten auch von uns produziert worden ist, zusätzlich etwas draufgepackt. Es gibt aber einen kleinen Unterschied, Herr Möllring. Sie sind zusammen mit Herrn Wulff der größte Schuldenmacher, den Niedersachsen je erlebt hat.

(Bernd Althusmann [CDU]: Das ist doch Quatsch!)

Nie zuvor wurde in einer Wahlperiode so viel Geld neu aufgenommen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Mit Konsolidierung hat das nichts zu tun, und von Schuttabräumen kann auch nicht die Rede sein. Nein, Draufpacken ist Ihr Motto, und Sie versuchen, das als Konsolidierung zu verkaufen.

Aber es kommt noch toller. Sie haben hier ausgeführt, Sie hätten die Nettokreditaufnahme in den letzten drei Haushaltsjahren um 1,1 Milliarden Euro gesenkt. Das ist korrekt. Aber erläutern Sie der geneigten Öffentlichkeit doch einmal, weshalb im gleichen Zeitraum der Schattenhaushalt bei der NBG stärker gestiegen ist, als die Neuverschuldung gesenkt wurde, meine Damen und Herren. Zusätzlich zur Neuverschuldung haben Sie Schattenhaushalte in einem größerem Maße aufgebaut, als Sie die Neuverschuldung gesenkt haben.

Das ist nicht nur meine Sicht der Dinge, sondern die Zeitung, hinter der immer ein kluger Kopf steckt, sieht das ähnlich. „Die Entzauberung von Christian Wulff hat begonnen. Wie macht das bloß der Wulff?“ fragte die FAZ am 22. Oktober 2004. Ich zitiere:

„In Wirklichkeit ist es mit dem Abbau der wuchernden Neuverschuldung nicht weit her. Und auch dieser scheinbare Abbau war nur möglich durch Ausgabeverschiebungen in Schattenhaushalte.“

Wenige Monate später schrieb die FAZ:

„Wulff ist in Wirklichkeit der größte Schuldenmacher der Geschichte Niedersachsens.“

Diese Zeitung weiß Bescheid, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Aber natürlich haben Sie Ihr haushaltstechnisches Repertoire damit noch nicht vollständig ausgekostet, das ist doch völlig klar. Ohne Beteiligung des Parlaments, Herr Möllring, organisieren Sie sich Liquidität im Zusammenspiel von NORD/LB und HanBG. Durch Verfügung des MF schließt das Jahr 2004 dort nicht, wie es aufgrund der verpatzten Domänenverkäufe und der Entwicklung der Steuereinnahmen korrekt gewesen wäre, mit einem Minus, sondern mit einem Überschuss von 84 Millionen Euro ab. Das Tafelsilber des Landes wird in Windeseile verscherbelt, um finanzpolitisch gut dazustehen, und zur Aktivierung von frischem Geld gehen Sie Verträge zu Lasten der Kinderund Enkelgeneration ein. Sie haben gerade anhand eines Beispiels deutlich gemacht, wie es sein sollte, aber Sie arbeiten daran, dass es dazu nie kommen wird, Herr Möllring; das ist das Problem. Die Art und Weise der Veräußerung von Rückflüssen aus dem Wohnungsbau war kein Glanzstück.

(Beifall bei der SPD)

Das Fazit daraus: Die Finanzen des Landes Niedersachsen sind bei Herrn Möllring nicht in guten Händen,

(Zuruf von der CDU: In den besten Händen!)

weil er unsolide und unehrlich ist, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Das ist die Sicht der SPD-Fraktion. Diese Sicht wird geteilt vom Bund der Steuerzahler, der Ihnen das ebenfalls nachgewiesen hat. Auf die FAZ habe ich schon hingewiesen. Der harte Sanierer entpuppt sich im Angesicht des bevorstehenden Wahltermins als weicher Taktierer. Dieser Zusammenhang drängte sich in diesem Frühsommer geradezu auf.

Gleichwohl: Trotz der Zurückhaltung bei der Konsolidierung sagen wir, Ihr Haushaltsentwurf ist unsozial. Natürlich gilt auch hier der Spruch aus dem Volksmund „vom Rind kann man kein Schweinefleisch verlangen“. Bezogen auf Sie bedeutet das: Eine Partei, die im Kern unsoziale Politik macht, ist natürlich außerstande, im Haushalt eine soziale Profilierung zu entwickeln; das ist überhaupt keine Frage.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Zurufe von der CDU)

Deshalb ist es auch kein Wunder, dass Sie sich treu bleiben, nachdem Sie in den letzten Jahren bereits das Konzept „soziale Stadt“ ausgesetzt, das Blindengeld und die Zuschüsse für die freie Wohlfahrtspflege gekürzt und auf die soziale Infrastruktur durchgegriffen haben.

(Bernd Althusmann [CDU]: Die Rede ist ja jetzt schon langweilig!)

Uns liegt die Liste aus dem Haushaltsausschuss vor, aus der ersichtlich wird, wie Sie die globale Minderausgabe 2004 erwirtschaftet haben.

(Bernd Althusmann [CDU]: Die liegt Ihnen vor? Das ist ja ganz schlimm!)

- Wir werten sie auch aus, Herr Kollege. Und was stellen wir fest? Hier werden keine Haushaltsreste eingesammelt, sondern hier werden einfach vom Parlament beschlossene Haushaltsansätze nicht genutzt, beispielsweise 29 Millionen Euro für Wohnungsbauprogramme, 1,3 Millionen Euro für die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit und 3 Millionen Euro für Finanzhilfen für Tageseinrichtungen für Kinder. Diese Liste ließe sich verlängern. Das zeigt: Sie kürzen bei den Gruppen, die sich aufgrund ihrer sozialen Schwäche nicht wehren können.