Protokoll der Sitzung vom 14.09.2005

- Wir werten sie auch aus, Herr Kollege. Und was stellen wir fest? Hier werden keine Haushaltsreste eingesammelt, sondern hier werden einfach vom Parlament beschlossene Haushaltsansätze nicht genutzt, beispielsweise 29 Millionen Euro für Wohnungsbauprogramme, 1,3 Millionen Euro für die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit und 3 Millionen Euro für Finanzhilfen für Tageseinrichtungen für Kinder. Diese Liste ließe sich verlängern. Das zeigt: Sie kürzen bei den Gruppen, die sich aufgrund ihrer sozialen Schwäche nicht wehren können.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Bernd Althusmann [CDU]: Sie haben es nicht verstanden!)

Aber natürlich haben die Kürzungen System, denn für 2006 ist Gleiches angelegt. Für die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit werden 500 000 Euro weniger bereitgestellt, und der Haushaltsansatz für die Förderung von Beschäftigung für Arbeitslose bei Existenzgründung wird im Haushaltsentwurf um 2,3 Millionen Euro reduziert. Das ist Ihr sozialpolitisches Profil.

Nun können Sie sagen, es ist so eng mit dem Geld, wir haben nichts. Das ist ja auch nicht so ganz falsch.

(David McAllister [CDU]: Immerhin!)

Aber dann erklären Sie uns doch, weshalb diese Landesregierung im Vermittlungsverfahren in Berlin mit dem Prinzip in die Debatte geht, bei Agrarsubventionen dürfe auf keinen Fall gekürzt werden. Erklären Sie uns doch bitte einmal, wie der

Ministerpräsident auf den Gedanken kommt - vor wenigen Tagen in einer Fachzeitschrift mitgeteilt -, nach der gewonnenen Wahl - Deutschland bewahre uns davor! - den Steuersatz für Diesel wieder abzusenken.

Meine Damen und Herren, Ihnen geht es nicht um generelle Kürzungen, sondern Ihnen geht es um Kürzungen an ganz bestimmten Stellen. Ihre eigene Klientel wird sehr wohl geschützt; dafür reicht das Geld, und dafür reicht auch Ihre politische Kraft. Unsere Aufgabe ist es, genau dieses aufzudecken, und das tun wir in aller Härte.

(Beifall bei der SPD)

Ich komme zu meinem dritten Vorwurf, dem Vorwurf der Verfassungswidrigkeit.

(Bernd Althusmann [CDU]: Da sind wir aber gespannt!)

Das ist einer der wenigen Punkte, in denen ich mit Herrn Möllring einig bin; er behauptet es ebenfalls und kann es auch leicht nachweisen. Aber die Frage ist doch, Herr Möllring: Wie gehen wir damit um? Sie sagen: Wir können nicht anders, bis 2008 werden wir verfassungswidrige Haushalte auf den Tisch legen. Sie verweisen auf vielfältige bestehende Rechtsverpflichtungen und im Zweifel auch auf die Rechtsprechung.

(Hermann Eppers [CDU]: Und auf Ihre Vorarbeit!)

- Zur Vorarbeit habe ich schon etwas gesagt. Das Gerede von den Altlasten müsste Ihnen doch langsam zum Halse heraus hängen.

(Zurufe von der CDU: Aber wenn es doch wahr ist!)

Sie könnten anders, meine Damen und Herren, denn Sie haben Ihre bundespolitischen Spielräume im Bundesrat noch nicht ausgeschöpft.

(David McAllister [CDU]: Das ist doch kalter Kaffee!)

Sie unternehmen keinerlei Initiativen, um die Einnahmesituation des Landes zu verbessern. Wo sind denn Bundesratsinitiativen, mit denen Sie der Verantwortung gerecht werden, einen ausgeglichenen Haushalt für Niedersachsen zu entwickeln? Da gibt es null Vorstöße! Und es geht noch weiter. Sie haben Beschlüsse des Bundestages im Bundesrat zu Fall gebracht, was zur Folge hat,

dass dem Land Niedersachsen knapp 800 Millionen Euro nicht zur Verfügung stehen. Das ist CDU/FDP-Politik, und das nicht in Ordnung.

(Beifall bei der SPD - Bernd Althus- mann [CDU]: Nennen Sie mal ein Bei- spiel!)

Wir haben den Gesetzgebungs- und Beratungsdienst gefragt, wie er die Haushaltspolitik der Landesregierung aus verfassungsrechtlicher Sicht beurteilt. Das Ergebnis ist eindeutig. Den Zielkonflikt, auf den die Landesregierung sich beruft und mit dem sie die ausufernde Verschuldung legitimieren will, gibt es verfassungsrechtlich nicht. Ich zitiere den GBD:

„Anhaltspunkte für einen solchen Tatbestand ergeben sich weder aus dem Wortlaut noch aus der Entstehungsgeschichte der niedersächsischen Verfassungsvorschrift. So ist der GBD bisher davon ausgegangen, dass das geltende Verfassungsrecht in Niedersachsen eine Kreditaufnahme unter dem Aspekt eines außergewöhnlichen Bedarfs nicht zulässt.“

Das heißt im Klartext, meine Damen und Herren: Nach der Rechtsauffassung unseres GBD ist der Haushaltsplanentwurf 2006, so er denn vom Landtag in dieser Form beschlossen würde, schlicht verfassungswidrig. Das ist die Situation.

(David McAllister [CDU]: Das ist doch unbestritten! - Bernd Althusmann [CDU]: Das ist keine ganz neue Er- kenntnis!)

Herr McAllister, wir werden daher vor dem Staatsgerichtshof Klage einreichen.

(Lachen bei der CDU)

- Ich wäre mit dem Lachen vorsichtig. Ich erinnere an das Zitat bei McAllister beim Mediengesetz. Seien Sie vorsichtig!

Wir wollen durch das höchste niedersächsische Gericht klären lassen, ob es verfassungsgemäß ist, dass Sie im Bundesrat zusätzliche Einnahmen blockieren, aber gleichzeitig 1,132 Milliarden Euro neue Schulden bei der HanBG aufnehmen lassen, ob es verfassungsgemäß ist, dass Sie trotz steigender Steuereinnahmen Jahr für Jahr einen Haushalt vorlegen, der mehr Schulden als Investitionen enthält.

(Zuruf von der CDU: Das darf ja nicht wahr sein!)

Das ist das Motto: unehrlich, unsozial und auch noch verfassungswidrig. Herr Wulff, Ihre Entzauberung wird munter voranschreiten.

(Beifall bei der SPD - Zurufe von der CDU)

Ehe ich ein paar Bemerkungen zur Perspektivlosigkeit mache, möchte ich etwas zu den Rahmenbedingungen von Politik sagen. Herr Möllring, ich fand es in Ordnung, dass Sie auf die bundespolitische und wirtschaftspolitische Entwicklung abgehoben haben. Keine Frage, das ist maßgeblich für das, was auf Landesebene geschieht. Interessant ist nur, welche Daten Sie greifen und in welchen Zusammenhang Sie diese Daten stellen.

Ihre Bemerkung zu Botswana fand ich allerdings schon zynisch. Es ist aber auch völlig klar, was Sie unterschwellig damit andeuten: Wir, das starke Industrieland, dort ein Entwicklungsland, und wir sind nicht in der Lage, dem, wenn man so will, davonzulaufen. Meine Damen und Herren, wir sollten uns diese Diffamierung sparen, vor allem deshalb, weil erkennbar ist, in welcher Verfassung sich Deutschland befindet.

(Bernd Althusmann [CDU]: Seit Rot- Grün! - Weitere Zurufe von der CDU: Sehr gut!)

- Ich verstehe Ihre Aufregung an dieser Stelle überhaupt nicht. Ich verstehe auch nicht, warum Frau Merkel Deutschland immer in den Status von 1945 bis 1948 redet.

Natürlich haben wir in diesem Land Probleme.

(Oh! bei der CDU)

Aber ich schätze, 5,8 Milliarden Menschen dieser Welt würden gerne unsere Probleme haben. Die haben nämlich ganz andere Probleme haben, verdammt noch mal!

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Zurufe von der CDU und von der FDP)

Deshalb sollten wir einmal über Stärken reden.

(Bernd Althusmann [CDU]: Ich glaube nicht, dass die Gerhard Schröder ha- ben wollen! - Weitere Zurufe von der CDU - Unruhe - Glocke des Präsi- denten)

Meine Damen und Herren, das ist jetzt die dritte Ermahnung an das Parlament. Ab sofort erteilte ich Ordnungsrufe. - Herr Althusmann, ich meine in diesem Falle nicht Sie. Aber in der hinteren Reihe ist es sehr unruhig, und derjenige, den ich meine, weiß das auch ganz genau.

Es tut mir Leid, meine Damen und Herren, wenn Ihnen das weh tut. Aber die Realität ist anders, als Sie sie darstellen. Deutschland ist seit Jahren Exportweltmeister und dokumentiert damit seine internationale Wettbewerbsfähigkeit. Die ausländischen Investoren sind im letzten Quartal in höherem Maße nach Deutschland gekommen als in einer Reihe von Jahren zuvor. Der Artikel aus dem Handelsblatt mit dem Zeugnis, das die Weltbank diesem Land ausgestellt hat, ist hier schon zitiert worden.

Ebenfalls hingewiesen worden ist auf die Attraktivität des Standortes Deutschland und interessanterweise auch auf die Wirtschaftsfreundlichkeit der Bürokratie in Deutschland. Das hätten Sie ja nicht für möglich gehalten. Aber selbst das ist in dieser Untersuchung festgehalten worden. Das ist eine ganz spannende Geschichte.

Natürlich haben Sie Recht, dass wir uns um wirtschaftliche Dynamik bemühen müssen. Aber, meine Damen und Herren, es ist schon entscheidend, welche Bereiche wachsen, worum man sich kümmert und was man selber für zukunftsfähig hält. Unser gemeinsames Ziel muss die Vollbeschäftigung sein. Wir wissen, wie schwer das zu realisieren ist. Aber Ihren Satz „Sozial ist, was Arbeit schafft“ halte ich für sehr gefährlich, weil Sie damit all das zur Disposition stellen, was die soziale Qualität des Standortes Deutschland ausmacht.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Zurufe von der CDU und der FDP)

Geht es um Manchester-Kapitalismus, um Raubtierkapitalismus, oder geht es um die Fortsetzung der sozialen Marktwirtschaft? - Das ist die Alternative, über die wir zurzeit streiten.

(Beifall bei der SPD - Zurufe von der CDU und von der FDP)

Dass wir Reformbedarf haben und dass wir an einer Reihe von Stellen Anpassungen vornehmen müssen, ist doch überhaupt nicht zu bestreiten. Das hat übrigens auch etwas mit Helmut Kohl und dem Reformstau - das Wort des Jahres 1998 - zu tun.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Herr Althusmann, ich weiß, das tut weh. Wir haben weiterhin Anpassungsbedarf beim Arbeitsmarkt, bei den sozialen Sicherungssystemen, bei der Effizienz der staatlichen Verwaltung. Wir müssen auch in den Bereichen Bildung, Forschung und Entwicklung neue Schwerpunkte setzen. Wir müssen Nachhaltigkeitsstrategien entwickeln, die tragen. Das muss die Antwort sein - gerade in einer Phase einer sich globalisierenden Welt. Wir sagen auch denen links außen, die andere Antworten haben: Eine Isolation Deutschlands ist falsch. Wir profitieren vom Weltmarkt. Wir geben uns weiterhin tolerant und offen, halten unsere Grenzen offen und bedienen den Weltmarkt.