Herr Althusmann, ich weiß, das tut weh. Wir haben weiterhin Anpassungsbedarf beim Arbeitsmarkt, bei den sozialen Sicherungssystemen, bei der Effizienz der staatlichen Verwaltung. Wir müssen auch in den Bereichen Bildung, Forschung und Entwicklung neue Schwerpunkte setzen. Wir müssen Nachhaltigkeitsstrategien entwickeln, die tragen. Das muss die Antwort sein - gerade in einer Phase einer sich globalisierenden Welt. Wir sagen auch denen links außen, die andere Antworten haben: Eine Isolation Deutschlands ist falsch. Wir profitieren vom Weltmarkt. Wir geben uns weiterhin tolerant und offen, halten unsere Grenzen offen und bedienen den Weltmarkt.
Gleichwohl müssen wir einen Weg finden, wie wir bei uns den Sozialstaat aufrecht erhalten, damit Recht und Ordnung auf dem Arbeitsmarkt in Deutschland keine Fremdwörter werden. Wir müssen also austesten, welche nationalen Gestaltungsspielräume es für Politik gibt. Der Streit dieser Wochen bezieht sich doch genau auf diese Frage: Was soll der Staat bei uns machen? Soll er geschwächt werden, oder soll er in der Lage sein, weiter seinen Aufgaben nachzugehen?
Insbesondere die FDP - man muss nur einmal lesen, was die alles in ihr Wahlprogramm geschrieben hat - unternimmt ja alles, was möglich ist, um einer Dämonisierung der staatlichen Politik Vorschub zu leisten - der Staat als Feind, der Staat als Krake, meine Damen und Herren. Da ist die logische Konsequenz, dass man die staatlichen Einnahmen schwächen muss, damit auch das eintritt, was man herbeizureden gedenkt. Vor diesem Hintergrund ist mir auch klar, dass vor allem in der FDP - weniger in der CDU/CSU - der Wissenschaftler Kirchhof als Visionär angesehen wird. Natürlich: Wer so in staatliche Politik reingeht wie er, der ist aus FDP-Sicht ein Visionär.
Denn was bedeutet der einheitliche Steuersatz? Er bedeutet vor allem - das hat auch das Niedersächsische Finanzministerium festgestellt - eine dramatische Reduktion staatlicher Einnahmen. Ich sage Ihnen: 43 Milliarden Euro Mindereinnahmen hätte Folgen für BAföG, Pendlerpauschale, Eigenheimzulage, Verkehrsinfrastruktur. Ich glaube, auch die Lehrer und die Polizei könnten Sie nicht mehr im bisherigen Ausmaß finanzieren. Und schließlich würde auch die kommunale Infrastruktur in die Knie gehen.
Meine Damen und Herren, wer das will, der ist für mich kein Visionär, sondern der entwickelt Horrorszenarien.
Meine Damen und Herren, an anderer Stelle zeigen Sie dafür aber Profil, nämlich bei der Mehrwertsteuer. Bei dem, was Gift für die Konjunktur wäre, zeigen Sie Muckis. Das ist wirtschaftspolitisch eine schiere Katastrophe.
Wir machen diese Dämonisierung des Staates nicht mit. Wir wollen keinen behäbigen Staat. Der Staat kann ruhig schlank und drahtig sein. Aber eines ist dabei entscheidend: Er muss seine Aufgaben erfüllen können. Er muss Chancengleichheit gewährleisten, er muss soziale Gerechtigkeit möglich machen.
Er muss Verteilung von Arbeit und Vermögen organisieren und auch Zukunft planen, meine Damen und Herren. Viele dieser öffentlichen Güter lassen sich nicht über den Markt regeln - oder nur zum erhöhten Preis.
Ich weiß, das passt nicht in Ihr Ordnungssystem, das macht das Thema Landeskrankenhäuser ja gerade deutlich. Aber das sind die Alternativen.
Im Übrigen ist Ihre Vorstellung von Staat und Neoliberalismus inzwischen ein Fremdwort geworden: im internationalen Bereich, in der internationalen Wirtschaftswissenschaft, selbst in der Weltbank. Bofinger mag bei uns als Exot gelten, in anderen Ländern wäre er Mainstream. Das sollten Sie einmal zur Kenntnis nehmen.
Deshalb müssen Sie sich entscheiden. Wenn Sie den britischen Weg gehen wollen, nämlich die Staatseinnahmen möglichst zu senken, dann müssten Sie der Bevölkerung deutlich machen, dass sie von diesem Staat nichts mehr erwarten darf.
Das trauen Sie sich aber auch nicht, meine Damen und Herren. Ich weiß, dass es für uns natürlich auch eine Herausforderung ist: Wer dem Staat mehr abverlangt, der muss auch bereit sein, die Einnahmenseite angemessen zu bedienen.
- Das ist eine moderne Sozialstaatstheorie, die Ihnen fremd ist. Aber das wundert mich überhaupt nicht.
- Die alten Linken sind wieder da, genau! Sie werden sich noch wundern, meine Damen und Herren, nur Ihr Weg geht nicht.
Überall die Einnahmen wegzunehmen, den Staat handlungsunfähig zu machen, aber die politischen Erwartungen an den Staat nicht zurückzufahren das führt zur Legitimationskrise des Staates. Warum soll man noch jemanden wählen, wenn er überhaupt nichts mehr gestalten kann? Aber au
Was sind die Konsequenzen aus derartigen Überlegungen? - Wir müssen miteinander diskutieren, wie eine neue Finanzarchitektur für die Zukunft aussehen muss. Die Eigenständigkeit und Souveränität beispielsweise kommunaler Finanzen gehören gestärkt, damit der Zusammenhang zwischen Entscheidung, Ausführung und Verantwortung deutlich wird. Da geht nicht Ihr Weg, den Kommunen auch noch die Gewerbesteuer wegzunehmen. Sie müssen in den Stand gesetzt werden, eigenverantwortlich Politik zu machen, meine Damen und Herren.
Dazu gehören auch Vorschläge, die wir zur Mischfinanzierung und zur Stärkung staatlicher Effizienz eingebracht haben. Auf diesem Gebiet sind wir nicht auseinander. Das halten auch wir für richtig.
Wir müssen ferner über das Thema Föderalismus reden. Ich halte es für falsch, den Bund aus dem zentralen Thema Bildung in Zukunft völlig herauszuhalten, wie einige Länder meinen. Wir sollten eher darüber nachdenken, wie wir zu mehr Kooperation zwischen den Ländern kommen, weil die Vielfalt in der bisherigen Form bei uns nicht weitergehen kann.
Daraus erwachsen Anforderungen an die praktische Politik des Landes. Ich will einige Beispiele dafür aufgreifen, die zeigen, wofür Sie stehen und was Sie eigentlich in den letzten Jahren gemacht haben, meine Damen und Herren.
Herr Hirche hat heute Morgen von dem Ranking der Bertelsmann-Stiftung erzählt. Herr Hirche, erzählen Sie doch einmal dem Parlament, wie es kommt, dass Niedersachsen allein im vergangenen Jahr 40 000 sozialversicherungspflichtige Beschäftigte verloren hat, mehr als im Bund? Wie kommt es, dass sich die Zahl der Erwerbstätigen schlechter entwickelt, als das in Deutschland der Fall ist? Wie kommt es, dass die Arbeitslosenquote in Niedersachsen überproportional steigt? - Herr Hirche ist nicht da, aber Sie können es ihm ja sagen. Außerdem reden wir über Ihre Gesamtverantwortung. - Wie kommt es, dass die Zahl der betrieblichen Ausbildungsstellen in Niedersachsen um 11 % gesunken ist, drastisch mehr als im Bund, und dass die Investitionen in Niedersachsen
mit einer Quote von 7,1 % Schlusslicht aller Bundesländer sind? Meine Damen und Herren, diese verheerend niedrige Investitionsquote ist das Ergebnis einer bewussten politischen Entscheidung. Das ist der Kernbereich Ihres Problems. Sie erreichen damit, dass die Wirtschaft in Niedersachsen mehr und mehr abgehängt wird.
Sie haben es ja ins Stammbuch geschrieben bekommen. Der Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der Handwerkskammern hat Ihnen geschrieben: Wenn nicht bald gehandelt wird, droht der vollständige Stillstand der Mittelstandspolitik in Niedersachsen. - Er hat Recht. Was nicht stimmt, ist das Gesamtbild. Das ist sein Zitat, meine Damen und Herren.
Innovationen und Investitionen stehen nicht im Mittelpunkt Ihrer Politik. Forschung und Entwicklung - die Bereiche, die uns voranbringen können spielen bei Ihnen keine Rolle. Zynischerweise könnte man sagen: Das ist so, weil Herr Hirche nicht interveniert, wenn es um Reduktionen im kommunalen Finanzausgleich, bei Verkehrsinfrastrukturmaßnahmen oder bei der Wohnungsbauförderung geht. Durch diese Bereiche könnte regionale Beschäftigung aufgebaut werden. Aber überall dort findet Herr Hirche nicht statt.
Wo hat er in den letzten zwei Jahren geglänzt? Das eine war die Innovationsoffensive „Taxis dürfen alle Farben haben“. Das hat uns tief beeindruckt. Es gab auch die Freigabe von Sitzhilfen in Stehcafés, meine Damen und Herren. Wenn das freiliberale Wirtschaftspolitik ist, dann sage ich, dieses Land hat weiß Gott anderes verdient und vor allem anderes nötig.
Dafür hat aber die Landesregierung im Bereich Wirtschafts- und Arbeitspolitik gehandelt, als es darum ging, sich am Abbau von Arbeitnehmerrechten zu beteiligen, und zwar über Bundesratsinitiativen und über Mitwirkung in den Programmen beider beteiligter Parteien. Meine Damen und Herren, augenscheinlich ist Ihnen überhaupt nicht klar, welchen Stellenwert Mitbestimmung, Tarifautonomie, Kündigungsschutz und sozialer Friede für die Qualität des Wirtschaftsstandortes Deutschland haben. Sie lösen das auf, was diese Gesellschaft über 50 Jahre stark gemacht hat. Ich weiß nicht, ob Sie es wissen. Einige machen es bewusst. Der Meinung bin allerdings auch ich.
Aber auch auf diesem Gebiet gibt es, Herr Busemann, einiges über Defizite, bezogen auf Innovationsfähigkeit der Gesellschaft, zu sagen. Ich finde es viel spannender, wie diese Mehrheit in Niedersachsen das Thema Wissenschaft und Forschung behandelt. Ich habe die Broschüre „Besser für Niedersachsen“ vorgefunden. Sie ist Hochglanz. Das schlägt sich nicht auf den Inhalt nieder, aber ich finde schon, sie ist ganz ansehnlich. Auf den Seiten 22 bis 27 finden Sie das Kapitel „Schule, Wissenschaft, Kultur“. Ich lese und lese und lese. Wissen Sie, was über Hochschule, Wissenschaft und Forschung in dieser Broschüre steht, Herr Klare? Wie viel? Null Zeilen, meine Damen und Herren, null Zeilen!