Tagesordnungspunkt 25: Zweite Beratung: Sicherheit niedersächsischer Atomanlagen bei vorsätzlichen Flugzeugabstürzen - Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drs. 15/839 - Beschlussempfehlung des Umweltausschusses - Drs. 15/2188
Die Beschlussempfehlung des Umweltausschusses lautet auf Ablehnung. Eine Berichterstattung ist nicht vorgesehen.
Zu Wort gemeldet hat sich Herr Meihsies von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Ich erteile ihm das Wort.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mit dem Zitat eines CDUMitgliedes beginnen, nämlich von Andreas Troge, Präsident des Umweltbundesamtes, aus der Financial Times Deutschland. Vor drei Tagen stand dort: Man kann niemals ausschließen, dass es zu einem terroristischen Anschlag mit einem Verkehrsflugzeug kommt. - So Andreas Troge, auch vor dem Hintergrund der Forderung der CDU, die Laufzeiten der AKW auf 60 Jahre zu verlängern.
zen“ haben wir auf eine nicht zu unterschätzende Gefahr für die Bevölkerung aufmerksam machen wollen. Die Gefahr eines vorsätzlich herbeigeführten Flugzeugabsturzes auf ein niedersächsisches AKW in Form eines Anschlages ist seit dem 11. September 2001 eine bittere Realität geworden.
Der größtmögliche Schutz der Menschen, die Verbesserung der Sicherheit der Atomanlagen sind Kern der Forderungen unseres Antrages. Sie sollten eine Selbstverständlichkeit für uns Abgeordnete sein, die wir Verantwortung in diesem Lande übernommen haben. Doch diese Selbstverständlichkeiten finden wir weder bei der CDU noch bei der FDP in dieser Diskussion wieder. Es ist schon eine erdrückende Dokumentation Ihrer Ablehnung unseres Antrages, die hier deutlich wird.
Der Bundesumweltminister Trittin hat unmittelbar nach dem 11. September 2001 reagiert. Erstmalig wurden durch die Gesellschaft für Reaktorsicherheit die Folgen eines herbeigeführten Flugzeugabsturzes auf eine Atomanlage untersucht. Das Ergebnis wurde dokumentiert. Den Ländern wurden diese Ergebnisse mitgeteilt. Herr Sander, Ihr Ministerium wurde als zuständige Atomaufsicht aufgefordert, auf dieser Basis anlagenspezifische Untersuchungen durchzuführen. Herr Sander weiß, worum es in dieser Frage geht. Doch was macht Niedersachsens Atomminister Sander? - Er ignoriert, er behindert, er verzögert, er verschleppt.
Er verharmlost auch noch, und er pflegt seine Kumpanei mit den Atomanlagenbetreibern, anstatt auf diese Anforderungen des Bundes zu reagieren. Das ist die Realität hier in Niedersachsen.
Meine Damen und Herren, die Rolle Niedersachsens bei der Umsetzung der Studie der GRS passt zu dieser Kumpanei. Statt für mehr Sicherheit zu sorgen, hat sich Ihr Ministerium zurückgelehnt und gesagt: Trittin, mach mal, streite dich mal mit den Anlagenbetreibern. Wir halten uns da heraus. Das ist nicht unsere Aufgabe.
Meine Damen und Herren, wir haben eine gesamtstaatliche Verantwortung in dieser zentralen Sicherheitsfrage. Der sind Sie nicht nachgekommen.
(Jan-Christoph Oetjen [FDP]: Das stimmt doch gar nicht! Sie hätten im Ausschuss mal zuhören sollen!)
Meine Damen und Herren, können Sie sich noch an die Beratung heute Morgen zum Sicherheitsund Ordnungsgesetz erinnern? - Ich habe sie sehr wohl im Ohr. Ich bin ganz schnell zu meinem Platz gelaufen, habe einen Stift genommen und habe die Zitate von zwei Personen von der CDU mitgeschrieben.
Können Sie sich noch an diese Beratung erinnern? - Herr Kollege Biallas sprach von einer Bedrohung durch Terroristen. Minister Schünemann sieht eine latente Bedrohung durch Terroristen. - Das sind alles wörtliche Zitate.
Schünemann erklärte uns: Alle Möglichkeiten müssen ausgeschöpft werden, um einen terroristischen Anschlag zu verhindern. Hier geht es um Terrorismus. - Nichts anderes waren seinen brachialen Worte, mit denen er die Telefonüberwachung durchpeitschen wollte. Mit dem Pathos in der Stimme hat er uns deutlich gemacht: Ich will mir keine Vorwürfe machen lassen. - Meine Damen und Herren, das sollte auch für Sie gelten, Herr Sander. Sie müssen sich Vorwürfe machen lassen, weil Sie das nicht umgesetzt haben, was Trittin Ihnen aufgegeben hat, nämlich eine anlagenspezifische Untersuchung durchzuführen.
Entschuldigung, Frau Präsidentin! - Minister Schünemann ist nach seiner Rede hier vorne mit den Worten abgetreten: Wir dürfen nichts unversucht
lassen. - Ich wünsche mir, dass die Dramatik, die Sie bei der Telefonüberwachung dargelegt haben, auch bei der Überwachung der Atomanlagen gilt.
Meine Damen und Herren, unser Antrag ist nicht umgesetzt worden. Minister Sander, Sie sind schuldig geblieben, anlagenspezifische Untersuchungen durchzuführen. Sie haben keine Überprüfung der Vernebelung von Anlagen durchgeführt.
Ich komme zum Schluss. - Meine Damen und Herren! Herr Minister, Sie sind in dieser Frage Ihrer Verantwortung nicht gerecht geworden. Ich finde, Sie sollten sich ein anderes Amt suchen und Atomanlagen nicht weiter überwachen. Der Antrag ist nicht abgearbeitet worden. Die Anlagen sind in Niedersachsen nicht auf Sicherheit überprüft worden. Wir haben ein latentes Sicherheitsrisiko in diesem Land. - Danke sehr.
(Starker Beifall bei den GRÜNEN - Widerspruch bei der CDU - Christian Dürr [FDP]: Herr Meihsies, was war das denn?)
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Terroranschläge von New York, Madrid und London haben uns gezeigt, dass der internationale Terrorismus vor nichts zurückschreckt und keinerlei Respekt vor Menschenleben und vor moralischen Werten einer zivilisierten Welt hat. Dies hat uns aber auch gezeigt, Herr Meihsies, dass wir dieses Thema auf einem anderen Niveau behandeln müssen, als Sie es hier getan haben.
Die Anschläge haben uns auch gezeigt, dass die Sicherung kerntechnischer Anlagen wie auch anderer Anlagen gegen terroristische Angriffe keine rein niedersächsische Aufgabe, sondern eine gesamtstaatliche und eigentlich eine internationale Aufgabe ist.
Bezogen auf Ihren Antrag bedeutet das in erster Linie, dass die zuständigen Stellen des Bundes alle nur denkbaren Maßnahmen ergreifen müssen, um den Missbrauch von Verkehrsflugzeugen als Waffe zu verhindern.
Laut einer Pressemitteilung des BMU vom 16. Oktober 2001 kommt die Reaktorsicherheitskommission in einer ersten Stellungnahme diesbezüglich zu der Schlussfolgerung:
„Die wirksamste Maßnahme zur Verringerung des Risikos sieht die RSK darin, ‚die Eintrittshäufigkeit eines derartigen Ereignisses durch ein gestaffeltes Schutzkonzept mit gezielten administrativen und technischen Maßnahmen im Bereich der Flugsicherheit so weit wie möglich zu reduzieren“.“
Seit dem 11. September wurde demzufolge ein ganzes Netz von Maßnahmen geknüpft, um den Missbrauch von Verkehrsflugzeugen als Waffe zu verhindern. Dazu gehören Maßnahmen auf den Flughäfen, in den Flugzeugen, in der Flugüberwachung und auch in der militärischen Abwehr. So wurde beispielsweise das nationale Lage- und Führungszentrum „Sicherheit im Luftraum“ eingerichtet. Dabei handelt es sich sozusagen um eine bundesweit zuständige und agierende bunte Leitstelle, in der die Experten des Bundesverteidigungsministeriums, des Bundesinnenministeriums und des Bundesverkehrsministeriums zur Wahrnehmung nationaler lufthoheitlicher Aufgaben rund um die Uhr zusammenarbeiten. Von dort aus werden im Falle eines vermuteten terroristischen Angriffs mit einem Luftfahrzeug schnelle und effektive taktische Maßnahmen eingeleitet, die bis hin zu militärischen Abwehrmaßnahmen reichen.
Sollte es dennoch zu einem - sehr unwahrscheinlichen - Angriff auf eine kerntechnische Anlage kommen, so können und müssen im Umfeld der Anlage entsprechende Maßnahmen greifen, um den Angriff entweder abzuwehren oder seine Folgen in Grenzen zu halten.
Herr Meihsies, Ihre Behauptung, die in Ihrem Antrag angesprochene GRS-Studie belege einen dringenden Handlungsbedarf zur Verbesserung der Sicherheitsstandards bis hin zum Abschalten einzelner Kernkraftwerke, ist schlichtweg falsch.
Auch Ihre unerhörte Behauptung, die niedersächsischen Atomaufsichtsbehörden und insbesondere Minister Sander seien untätig gewesen, entbehrt jeglicher Grundlage.
Die Atomaufsicht unterliegt zunächst einmal dem Bund. Für die Festlegung bundesweiter Standards für die Sicherheit und Sicherung kerntechnischer Anlagen ist die Bundesregierung zuständig.
Deshalb hat das BMU die besagte Studie in Auftrag gegeben. Das Gutachten kommt keineswegs zu dem Schluss, dass in deutschen Kernkraftwerken die Folgen eines Flugzeugabsturzes nicht beherrscht werden könnten, geschweige denn dass die Anlagen abgeschaltet werden müssten. Wenn das so wäre, müsste das Bundesumweltministerium natürlich dafür sorgen, dass sie abgeschaltet werden; das tut es aber nicht. Vielmehr werden Maßnahmen vorgeschlagen, mit denen die Zielerreichbarkeit reduziert wird oder die Beherrschbarkeit der Ereignisabläufe in den Anlagen verbessert werden soll. In diesem Zusammenhang hat insbesondere die niedersächsische Aufsichtsbehörde eine Vorreiterrolle übernommen und gemeinsam mit dem Betreiber ein umfangreiches Maßnahmenpaket zur Umsetzung in einem niedersächsischen Pilotkraftwerk vorgeschlagen. Die vollständige und schnelle Realisierung dieser bereits Mitte 2003 von Niedersachsen vorgeschlagenen Sicherheitsmaßnahmen wurde jedoch bis Anfang dieser aktuellen Plenarwoche durch das BMU verzögert.