Protokoll der Sitzung vom 16.09.2005

Ich würde aber gerne noch kurz auf inhaltliche Aspekte eingehen. Die gemeindenahe Versorgung von psychisch kranken Menschen als gesundheitspolitische Zielsetzung ist in Niedersachsen noch nicht am Ende angelangt. Das, was wir im Moment haben, ist noch nicht das Ende der Psychiatriereformen in Niedersachsen. Bei einem Paketverkauf würde ein Monopolist natürlich überhaupt kein Interesse daran haben, die Psychiatrie

weiter zu kommunalisieren, sodass es für die psychisch kranken Menschen in Niedersachsen endlich überall selbstverständlich wird, ins Krankenhaus, also durch die Tür zu gehen, durch die sie auch gehen, wenn sie sich Ihren Blinddarm herausnehmen lassen oder einen Herzinfarkt haben, meine Damen und Herren. Das ist das Ziel einer modernen Psychiatrie in Niedersachsen.

(Beifall bei den GRÜNEN - Glocke der Präsidentin)

Es kann nicht angehen, dass sich das Land in Zukunft durch eine gewerbliche Privatisierung dieser Reformmöglichkeiten begibt.

Wir lehnen Veränderungen nicht grundsätzlich ab. Aber vordringlich ist es, Anstalten öffentlichen Rechts zu bilden und die Reform weiter zu betreiben. Wir meinen auch: Das Land muss nicht notwendigerweise Träger von Landeskrankenhäusern sein. Aber ein Trägerübergang darf nur erfolgen an regional verankerte und zuverlässige Krankenhausträger kommunaler oder gemeinnütziger Art. Gewerbliche Träger kommen nicht infrage, meine Damen und Herren. Psychiatrie ist keine Ware, die man mal eben auf dem Markt meistbietend verhökert und wo dann nach Gewinnmaximierungsprinzipien gearbeitet wird.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Frau Helmhold, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Bitte kommen Sie zum Schluss!

(Ursula Helmhold [GRÜNE]: Bitte?)

Zum Schluss! Sie sind schon im Minus.

Ach so, Entschuldigung! Ich habe mich vor dem Hintergrund, dass ich bei diesem Thema stark emotionalisiert bin, an dieser Anzeige etwas vertan.

Ich sage Ihnen zum Schluss noch eines: Wir haben große Erfahrungen und sehr schlechte Erfahrungen mit einem bereits arbeitenden gewerblichen Träger in Niedersachsen. Da klappt nichts. Da klappt keine Arbeit im sozialpsychiatrischen Verbund, da klappt keine Enthospitalisierung, da wird die Klinik als Durchlauferhitzer für die eigenen Heimbereiche benutzt, wo die Leute nie wieder herauskommen. Auch das belastet mit erheblichen

Folgekosten sowohl die kommunalen Kassen als auch die Landeskassen.

Denken Sie bitte darüber noch einmal nach! So wie Sie das vorhaben, geht das nicht. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Nächster Redner ist Herr Schwarz von der SPDFraktion.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zu Beginn ihrer Amtszeit im April 2003 erklärte die heutige Sozialministerin - ich zitiere -: Die Landesregierung sieht keinen Anlass, die öffentliche Trägerschaft der niedersächsischen Landeskrankenhäuser infrage zu stellen. Gleichzeitig wolle sie nun daran gehen, das Thema des Maßregelvollzugs konzeptionell anzugehen.

Zwei Jahre später stellt der Landesrechnungshof zu diesem Thema fest - ich zitiere -: Wir haben nicht feststellen können, dass das MS bisher die notwendigen Strategien entwickelt hat, um für die Veränderungen gerüstet zu sein. Tatsächlich führt die fehlende Lenkung durch das MS dazu, dass Synergien nicht genutzt werden.

Meine Damen und Herren, eine schallende Ohrfeige und ein neuerlicher Beweis dafür, wie es um die vollmundigen Ankündigungen der Ministerin bestellt ist, wenn die Umsetzung überprüft wird!

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Der Landesrechnungshof spricht sich übrigens in diesem Zusammenhang eindeutig gegen die Privatisierung aus; Frau Helmhold hat darauf hingewiesen.

(Reinhold Hilbers [CDU]: Das stimmt nicht!)

So ertappt, stellt Frau von der Leyen sofort öffentlich klar, dass man die Vorschläge des Landesrechnungshofs erstens sehr ernst nehme und zweitens auch eine Rechtsformänderung im Sinne des Landesrechnungshofs prüfe. Im Übrigen sollen den Landeskrankenhäusern mehr Flexibilität und

Autonomie ermöglicht werden. Diese Neuerungen sollen bis zum Sommer 2005 umgesetzt werden.

Stattdessen bekommt das Landeskrankenhaus Lüneburg zum Sommerbeginn einen Bescheid durch den Finanzminister, in dem mitgeteilt wird, dass die vorgesehene Sanierung in Höhe von 10,6 Millionen Euro und die Sanierung in Wunstorf in Höhe von 2,5 Millionen Euro schlichtweg nicht stattfinden.

Zweitens teilt die Ministerin im Sommer der empörten Öffentlichkeit mit, dass der Landesrechnungshof mit seinem kritischen Bericht den Anstoß gegeben habe, über die Privatisierung nachzudenken, und dass die Mitarbeiter sich dadurch bei den Arbeitsbedingungen letztendlich verbessern würden.

(Lachen bei der SPD)

Meine Damen und Herren, ich finde, zynischer gegenüber den Mitarbeitern und dreister gegenüber dem Landesrechnungshof geht es nicht.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Zweieinhalb Jahre lang erklären diese Ministerin und die CDU-Fraktion, dass eine Privatisierung nicht geplant sei. Jeder, der nur ansatzweise darüber nachdenkt, wird sofort abgebügelt. Und was machen Sie in Wirklichkeit? - Hinter den Kulissen planen Sie kalt die Verscherbelung der Landeskrankenhäuser.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Monika Wörmer- Zimmermann [SPD]: Unglaublich!)

Meine Damen und Herren, Sie nennen das „partnerschaftliche Sozialpolitik“. Ich nenne das „unredlich und erneuten Wortbruch“.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Ich finde sowieso, dass bei dieser Ministerin der Wortbruch zwischenzeitlich zur sportlichen Disziplin geworden ist.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Zurufe von der CDU und von der FDP: Pfui!)

- Ja, das ist auch ungeheuerlich.

(Zuruf von der CDU: Das ist nicht zu glauben!)

- Doch, das ist zu glauben. Ich erinnere mal in der Reihenfolge an Frauenbeauftragte, Wohlfahrtsverbände, Behindertengleichstellungsgesetz, Blinde, und jetzt sind die Landeskrankenhäuser dran, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Das Sprichwort „Ist der Ruf erst ruiniert, lebt sich‘s gänzlich ungeniert“ ist offensichtlich Leitmotiv der Sozialpolitik dieser Sozialministerin, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Die Landeskrankenhäuser gehören zu den besten der Republik. Das bestätigt der Qualitätsbericht des Sozialministeriums aus dem Jahre 2003. Der Maßregelvollzug nimmt, was Wirtschaftlichkeit und therapeutische Effizienz und Sicherheit angeht, eine bundesweite Spitzenposition ein. Es gibt deshalb auch niemanden in der Fachszene, der auch nur einen Heller für Ihre Privatisierung gibt.

Es geht dieser Landesregierung auch nicht um die Fachlichkeit oder um die psychisch Kranken, sondern sie betrachtet die Verhökerung der Landeskrankenhäuser als Beitrag zur nachhaltigen Haushaltskonsolidierung.

Die Argumentationshilfe des Sozialministeriums - Ihre eigene - ist ein toller Beleg für diesen Irrweg. Sie brauchen zwei Seiten, um zu erklären, was für die Privatisierung spricht. Sie brauchen aber ganze sieben Seiten, um zu erklären, was dagegen spricht. Ich meine, eindrucksvoller geht es doch nicht mehr, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Die Landeskrankenhäuser sind hoch profitable Unternehmen. Sie werfen jedes Jahr mehrere Millionen in die Landeskasse ab. Der Finanzminister hat im Jahre 2003 allein für die allgemeine Haushaltsdeckung 8 Millionen Euro aus den LKHs abgeschöpft. Übrigens: Nach Auffassung des Landesrechnungshofes hat dieses die wirtschaftliche Selbstständigkeit der Häuser stark beeinträchtigt und die Mitarbeiter erheblich demotiviert, Wirtschaftlichkeitsreserven zu erschließen.

Meine Damen und Herren, eine neue Fachklinik kostet unbestreitbar ungefähr 40 Millionen Euro. Bei der Überführung in das zentrale Liegen

schaftsamt wurden die Landeskrankenhäuser 2001 mit 225 Millionen Euro taxiert. Sie versuchen, einen Erlös von 100 bis 120 Millionen Euro zu erzielen. Einmalig! Das ist die wirklich einmalige lächerliche Verscherbelung von Landesvermögen!

(Starker Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Damit das klar ist: Den Gewinn dieser Landeskrankenhäuser streicht zukünftig der private Betreiber ein. Und er diktiert gleichzeitig dem Land die Höhe der Pflegesätze.

Und wer das nicht glaubt, dann empfehle ich Neugierigen mal einen Blick Richtung Wahrendorff. Dort ist es nämlich gang und gäbe, dass die Pflegesätze erst nach sechs, sieben, acht, zehn Jahren im Klageverfahren abschließend geklärt werden. Gott sei Dank hat Herr Wilkening den letzten Prozess vor wenigen Tagen gerade verloren. Aber es ist ein Musterbeispiel dafür, wie das Land erpressbar geworden ist, wenn privatisiert worden ist, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)