Protokoll der Sitzung vom 05.10.2005

- nein, das war außerordentlich schlecht! -, der Forensik trotz finanzieller Anstrengungen nicht die Bettenkapazitäten nicht zur Verfügung stellen konnte, die bedarfsorientiert notwendig gewesen wären.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Die Zahl der forensischen Patienten hat sich seit 1996 um fast 100 % erhöht. Für die derzeit 1 157 Fälle gibt es aber nur 980 adäquate forensische Behandlungsplätze - und das bei steigenden Fallzahlen und längeren Verweildauern. Vor dem verfassungsrechtlichen Hintergrund des Artikel 33 Abs. 4 des Grundgesetzes werden wir deshalb sehr genau prüfen, welche Kernbereiche der Unterbringung psychisch kranker Straftäter besser in der Hoheit des Landes verbleiben sollten und welche Aufgabenbereiche des Maßregelvollzuges auch von Privaten erfüllt werden können.

(Friedhelm Helberg [SPD]: Sie rudern ja schon zum Teil zurück! Das merken wir wohl!)

Wie ernst es uns mit dieser Aussage ist, können Sie schon daraus ersehen, dass unsere Fraktion unmittelbar nach dem Kabinettsbeschluss den Gesetzgebungs- und Beratungsdienst beauftragt hat, einen verfassungskonformen Weg für die beabsichtigte Privatisierung aufzuzeigen.

(Wolfgang Jüttner [SPD]: Kein Ver- trauen ins Kabinett mehr! Das verste- he ich ja!)

Meine Damen und Herren, mit unserer Forderung, Herr Jüttner, den Trägerwechsel bei den Landeskrankenhäusern auf eine sichere verfassungsrechtliche Grundlage zu stellen, befinden wir uns in völliger Übereinstimmung mit unserer Ministerin; nichts anderes hat sie immer erklärt. Wir sind davon überzeugt, dass der von der Landesregierung eingeschlagene Weg der richtige ist, um unsere Häuser auch für die Zukunft gut aufzustellen und die Versorgung psychisch kranker Menschen weiterhin auf hohem Niveau sicherzustellen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, die Landesregierung ist ohne ideologische Scheuklappen bereit, auch für die großen psychiatrischen Einrichtungen des Landes neue Wege zu gehen.

(Elke Müller [SPD]: Aber ohne die Verfassung zu beachten!)

Wir sind bereit, privates Know-how und Kapital zu nutzen, um auch zukünftig und auf Dauer die Handlungsfähigkeit der Einrichtungen und das Niveau der Qualität zu sichern.

(Uwe Schwarz [SPD]: Quatsch! Sie zahlen das doch alles aus der ande- ren Tasche!)

- Interessant ist Ihr Einwurf, Herr Schwarz. Ich habe die letzten beiden Sätze gerade aus der Rede von Frau Dr. Brigitte Trauernicht-Jordan, 16. Juni 2004, Landtag Schleswig-Holstein, zitiert.

(Beifall und Ah! bei der CDU und bei der FDP - David McAllister [CDU]: Sehr gut, Gitta!)

Wir sehen keinen Anlass, die bestehende Regelung des § 3 Abs. 1 Satz 2 des Maßregelvollzugsgesetzes aufzuheben. Ihren Gesetzesvorschlag, der jegliche Privatisierung von vornherein unterbinden soll, sollten Sie daher noch einmal überdenken. - Vielleicht sollten Sie, Herr Jüttner, noch einmal mit Ihrer ehemaligen Kollegin Frau Dr. Trauernicht Rücksprache nehmen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Wolfgang Jüttner [SPD]: Sie werden es nicht glauben: Das habe ich schon gemacht!)

Herzlichen Dank. - Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Helmhold. Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Einsicht kommt ja manchmal spät - aber besser spät als nie. Zur Einsicht sind die Regierungsfraktionen bekanntlich zum Teil schon gelangt. Ich meine, dass wir ein bisschen deutlicher als eben von Ihnen, Frau Ross-Luttmann, sowohl vom Fraktionsvorsitzenden der FDP als auch vom Fraktionsvorsitzenden der CDU gehört haben, dass es so, wie es sich die Landesregierung ausgedacht hat, offensichtlich nicht geht.

(David McAllister [CDU]: Na, na!)

Sie haben gesagt, dass die Landesregierung ohne ideologische Scheuklappen ein bisschen vorausgedacht habe. Die Verfassung zu beachten, das hat nichts mit Scheuklappen zu tun, meine Damen und Herren!

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Die Regierungsfraktionen rudern also langsam zurück. Und das ist gut so. Plötzlich heißt es: Gründlichkeit vor Schnelligkeit. Denn beinahe wäre die Landesregierung mit dieser Politik der Schnellschüsse auch hier wieder nicht nur an die Grenzen der Verfassung gestoßen, sondern hätte sie sogar durchbrochen. Gerade weil Sie gebrannte Kinder sind, hätten wir uns von Ihnen in diesem Zusammenhang etwas mehr Sorgfalt gewünscht.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

An diesem Vorgang ist aus meiner Sicht auch bemerkenswert, dass das Gesetz des Handelns erneut nicht bei der Sozialministerin liegt. Diese scheint in dieser Frage völlig abgetaucht zu sein. Es muss daher bei der von uns bereits im September-Plenum geäußerten Kritik bleiben, dass es diese Sozialministerin - aus welchem Grund auch immer - in zweieinhalb Jahren Amtszeit versäumt hat, ein Psychiatriereformkonzept aufzustellen, und sie jetzt zusehen muss, wie in ihren Zuständigkeiten herumgefleddert wird.

Aber jetzt zum Grundsätzlichen: Die Entscheidung des Landgerichts Flensburg und der vor dem Oberlandesgericht Schleswig anhängige Streit um die Zulässigkeit der Privatisierung zeigen, dass diesem Vorhaben schwerwiegende rechtliche Bedenken gegenüberstehen. Die Landesregierung wäre deshalb sehr gut beraten, die Entscheidungen der Gerichte abzuwarten und nicht, wie es z. B. in Brandenburg gemacht wurde, erst zu verkaufen und dann, wenn es rechtlich nicht zulässig sein sollte, alles wieder rückabzuwickeln. Das ist nun weder vorbildlich noch klug, meine Damen und Herren.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Das Landgericht Schleswig hat sich im Wesentlichen auf zwei Rechtsargumente gestützt. So verstößt die Privatisierung gegen den Funktionsvorbehalt des Artikels 33 Abs. 4 des Grundgesetzes. Den haben Sie, Frau Ross-Luttmann, eben auch zitiert. Ich komme allerdings zu anderen Schlussfolgerungen, wenn ich mir diesen Artikel ansehe. Abweichungen von der Regel, dass die Ausübung hoheitlicher Dienste Angehörigen des öffentlichen Dienstes zu übertragen sind, können doch nur dann zulässig sein, wenn es dafür einen sachlichen Grund gibt. Der Kernbereich staatlicher Gewalt, wozu sowohl der Maßregelvollzug als auch

der Strafvollzug zu rechnen sind, ist allerdings überhaupt nicht übertragbar.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Finanz- und Kostengesichtspunkte können sicherlich kein ausreichender Grund für eine Übertragung sein, auch nicht wenn es um 100 Millionen Euro geht, um das Haushaltsloch zu stopfen.

(David McAllister [CDU]: Das Geld wächst ja auf den Bäumen!)

Nach Meinung des Flensburger Gerichts kann eine Übertragung auf Private nur dann erfolgen, wenn die Betrauung von öffentlich Bediensteten nicht gleich gut zur Erreichung des angestrebten Ziels geeignet ist. Sie müssen schon einmal erklären, weshalb Private den Maßregelvollzug besser als öffentlich Bedienstete durchführen könnten, um den Zweck zu erfüllen. Allerdings könnte das in dem angesprochenen Bereich des Maßregelvollzugs überhaupt nicht gelten.

Wenn Sie nun ein Modell vorschlagen, bei dem die verantwortliche Zuständigkeit beim Land verbleiben und lediglich die Durchführung übertragen werden soll, ist das nach Meinung namhafter Experten eine reine semantische Spielerei, die nicht zu einer anderen Bewertung nötigt. Außerdem bleibt eine teilweise Privatisierung, wie sie jetzt vorgeschlagen wurde, natürlich insoweit fraglich, als nachzuprüfen wäre, ob sie sich am Ende rechnet.

Meine Damen und Herren, der 1982 im § 3 formulierte Passus des Maßregelvollzugsgesetzes ist - das ergeben die Begründungen zu dem damaligen Gesetzentwurf - nicht deswegen in das Gesetz geschrieben worden, um den Maßregelvollzug privatisieren zu können, sondern lediglich, um andere Träger im Zusammenhang mit Einrichtungen des offenen Vollzugs und der Nachsorge einbinden zu können. Angesichts der jetzt von Ihnen angestellten Überlegungen ist dieser Passus aber zumindest missbräuchlich zu interpretieren, und er wäre ein juristisches Einfallstor für Ihre Absichten. Deswegen muss er in der Tat dringend geändert werden. Meine Fraktion wird der Änderung zustimmen. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Herzlichen Dank. - Für die FDP-Fraktion hat sich Herr Kollege Lehmann zu Wort gemeldet. Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Seit nunmehr über 23 Jahren ermöglicht das Niedersächsische Maßregelvollzugsgesetz grundsätzlich die Wahrnehmung von Aufgaben des Maßregelvollzuges auch durch andere Träger und nicht nur durch die Einrichtungen des Landes. Diese Grundentscheidung will die SPD jetzt aufheben. Der Hintergrund ist von Herrn Helberg eben klar gemacht worden: Nach Ihrer Auffassung soll es keinen Maßregelvollzug auf privatrechtlicher Basis in Niedersachsen geben. Allerdings könnte die Wahrnehmung von Aufgaben durch Private auch nicht durch die von Ihnen vorgeschlagene Änderung des Maßregelvollzugsgesetzes verhindert werden; denn die Art und Weise des Betriebes des Maßregelvollzuges in privatrechtlicher Form, z. B. durch gemeinnützige GmbHs, wäre dadurch immer noch nicht ausgeschlossen. Das Land könnte nach wie vor den Maßregelvollzug durch eine landeseigene gemeinnützige GmbH betreiben.

(Friedhelm Helberg [SPD]: Dann kön- nen Sie ja gleich zustimmen!)

Das Beispiel aus Schleswig-Holstein ist eben schon genannt worden. Dort ist die Umwandlung in eine gemeinnützige GmbH erfolgt. Die entscheidende Frage, die sich stellt, lautet: Darf es möglicherweise durch einen privaten Betreiber weitergeführt werden? Die Privatwirtschaftlichkeit als solche, gegen die Sie ja auch immer angehen, wird dadurch gar nicht ausgeschlossen.

(Zustimmung bei der FDP)

Der Gesetzentwurf, den Sie jetzt vorgelegt haben, ist deshalb blanker Populismus und in keiner Weise durchdacht. Er lässt viele Fragen offen, die vielleicht ja noch geregelt werden müssen. Wenn man nicht will, dass im Maßregelvollzug in irgendeiner Weise durch Private gehandelt wird, reicht die von Ihnen vorgeschlagene Regelung, wie eben schon ausgeführt, nicht aus. Wir werden daher dem Gesetzentwurf in dieser Form nicht zustimmen.

Wir sind doch gerade dabei -das wissen auch Sie bereits seit dem letzten Plenum; Frau RossLuttmann hat darauf hingewiesen -, die rechtlichen Möglichkeiten und Grenzen der Privatisierung im Maßregelvollzug auszuloten. Es ist hier angesprochen worden, dass der Gutachtenauftrag noch beim Gesetzgebungs- und Beratungsdienst liegt. In der Tat zeichnet sich ja ab, dass, wenn überhaupt, eine Privatisierung nur in ganz engen Grenzen zulässig sein dürfte. Warum Sie aber schon jetzt mit dem Änderungsantrag hier vorpreschen, ist für mich in der Tat nicht nachvollziehbar. Man sollte doch erst einmal die Fakten sammeln und dann darüber zusammen diskutieren.

(Zustimmung bei der FDP)

Genau wie bei den Privatisierungsüberlegungen im Strafvollzug - insofern haben wir durchaus eine Parallele - muss hier eine ergebnisoffene Prüfung durchgeführt werden. Warum sollte denn per se schon aus rein rechtlichen Gründen - ich betone das - eine Privatisierung von Teilbereichen, die mit den eigentlich grundrechtsintensiven und grundrechtseinschneidenden Eingriffen nichts zu tun haben, ausgeschlossen sein? Es gibt doch Parallelen zum Strafvollzug. Wir haben da zumindest in den Bereichen Wäscherei, Verwaltung, Küche und im sonstigen Servicebereich möglicherweise etwas zu tun. Das müssen wir doch erst einmal insgesamt rechtlich genau ausloten. Nach dieser rechtlichen Prüfung folgt dann der zweite Schritt.

Wenn es grundsätzlich möglich wäre zu privatisieren - das ist ja zumindest in Teilbereichen überhaupt nicht ausgeschlossen und wird von Ihnen hoffentlich auch nicht bestritten -, könnte ja im nächsten Schritt geprüft werden, ob vielleicht wirtschaftliche Gründe dagegen sprechen. Erst dann kann man nämlich überhaupt erst sinnvoll beurteilen: Sind Art und Umfang der Privatisierung im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten genau definiert? Passt es in das rechtliche Gerüst, insbesondere in den engen Rahmen, den das Verfassungsrecht vorgegeben hat?

Denkbar wäre auch durchaus eine Verbindung von privat geführter allgemeiner Psychiatrie und einem Maßregelvollzug unter staatlicher Aufsicht an einem Standort. Dabei ist allerdings wichtig, dass der Staat als Hoheitsträger die Endverantwortung für die Entscheidungen im Maßregelvollzug behält. Ob und wie das gestaltet werden könnte, ob es für das Land und einen Investor möglicherweise wirtschaftlich ist, hier eine Verlagerung vorzunehmen,

ob und wie die Qualität des Maßregelvollzugs erhalten bleiben kann - das sind neben anderen doch Fragen, über die wir dann unvoreingenommen diskutieren müssen. Wir können nicht jetzt schon sagen: Wir machen die Tür zu, wir streichen einen Satz im Maßregelvollzugsgesetz, und damit ist die Entscheidung bis in alle Ewigkeiten getroffen. - Wir können das doch nicht nur deshalb machen, weil Sie schon beim Wort „Privatisierung“ reflexartig ein Unbehagen haben. Sie sehen sofort Probleme mit der Verfassung, finden Privatisierung sowieso nicht so toll und sagen deshalb: Wir wollen das erst einmal herausnehmen, damit es von vornherein gar keine Möglichkeiten der Privatisierung gibt.

(Zustimmung bei der FDP)

Es ist insofern wirklich auffällig, dass die SPD wieder einmal, genau wie bei der Privatisierung im Strafvollzug, schon vor dem Ende der Prüfung durch den Gesetzgebungs- und Beratungsdienst Zeter und Mordio schreit. Mit schlichtem SchwarzWeiß-Denken wird Privatisierungsüberlegungen von Anfang an eine Absage erteilt. So haben Sie es auch bei der Justizreform gemacht: Kaum war das Wort „Reform“ ausgesprochen, wollten Sie schon keine Änderung.

Meine Damen und Herren, das, was ich Ihnen vorgetragen habe, macht den Unterschied in der Geisteshaltung zwischen der Opposition und den Regierungsfraktionen aus. Wir prüfen grundsätzlich vorher vorurteilsfrei und in alle Richtungen

(Lachen bei der SPD und bei den GRÜNEN)