Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir setzen unsere Tagesordnung fort. Ich rufe auf den
Tagesordnungspunkt 4: Erste Beratung: Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Niedersächsischen Maßregelvollzugsgesetzes (Nds. MVollzG) - Gesetzentwurf der Fraktion der SPD - Drs. 15/2175
Zur Einbringung dieses Gesetzentwurfs erteile ich Herrn Kollegen Helberg von der SPD-Fraktion das Wort. Bitte schön, Herr Helberg!
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Seitdem die Landesregierung in ihrer Haushaltsklausur in Hildesheim am 4. und 5. Juli 2005 beschlossen hat, die Trägerschaft der zehn Landeskrankenhäuser aufzugeben, reißen die öffentlichen Proteste dagegen nicht ab. Wie die zuständige Ministerin, andere Mitglieder des Kabinetts und selbst ernannte Experten der größeren Regierungsfraktion mit diesem Thema bisher umgegangen sind, kann man nur leichtfertig und in gewissem Maße auch oberflächlich nennen.
Die Begründungen für eine Privatisierung sind, zurückhaltend formuliert, an den Haaren herbeigezogen. Verfassungsrechtliche und fachliche Bedenken werden schlichtweg ignoriert. Eine sorgfältige Auseinandersetzung mit Gegenargumenten unterbleibt.
Meine Damen und Herren, der Maßregelvollzug hat eine wichtige Funktion im Gefüge der staatlichen Sicherheitsmaßnahmen. Es ist daran zu erinnern, dass die so genannte Zweispurigkeit im deutschen Strafrecht erst im letzten Jahrhundert Aufnahme in das Gesetz gefunden hat. Das bis dahin geltende System der reinen Strafe wurde durch ein System besonderer Maßregeln der Sicherung und Besserung ergänzt.
Maßregeln, meine Damen und Herren, sind täterbezogene Maßnahmen und unabhängig von der Tatschuld. Ihr Zweck besteht einzig darin, die sozi
ale Gefährlichkeit des Täters einzuschränken und künftige Straftaten zu verhüten. Aber wo Heilungsmöglichkeiten bestehen, ist sie über den Sicherungszweck hinaus zugleich eine Besserungsregel. Insbesondere der Umstand, dass diese Maßnahmen gegen schuldunfähige oder vermindert schuldfähige Rechtsbrecher verhängt werden, verlangt bei ihrem Vollzug eine Legitimation, über die nur der Staat selbst verfügt. Auch schuldunfähige Rechtsbrecher sind Grundrechtsträger. Sie haben einen Anspruch darauf, nur so lange im Maßregelvollzug zu verbleiben, wie dies unter Beachtung ihrer Grundrechte unbedingt erforderlich ist. Nur die Begleitung des Maßregelvollzugs durch maximale Therapieangebote rechtfertigt die fortdauernde Unterbringung.
Meine Damen und Herren, der Staat stellt sich dieser Aufgabe und hat sich dieser Aufgabe gestellt. Wie dieser Grundsatz durch private Betreiber von Landeskrankenhäusern, die eindeutig wirtschaftliche Interessen verfolgen, gewährleistet werden kann, ist mehr als zweifelhaft. Fachmedizinische und juristische Wissenschaftler halten auch deshalb die Privatisierung des Maßregelvollzugs für „indiskutabel“ - so der Verfassungsrichter Siegfried Broß - bzw. für „allgemeingefährlich“ - so der Leiter des Landeskrankenhauses Königslutter, Herr Mauthe. Selbst diejenigen, die eine Privatisierung des Servicebereichs noch für vertretbar halten, wollen allein dem Staat die Bewältigung der freiheitsentziehenden Maßnahmen belassen - so der ehemalige Bundesverwaltungsrichter Bonk.
Die Sicherung dieses staatlichen Gewaltmonopols wird durch die Pläne dieser Landesregierung gefährdet. Das wollen wir mit unserem Antrag verhindern. Meine Damen und Herren, die Bevölkerung hat einen absoluten Sicherheitsanspruch. Im Maßregelvollzug befinden sich auch sehr hochgefährliche Täter. Die hohen Sicherheitsstandards dürfen wir nicht aufs Spiel setzen.
Meine Damen und Herren, besonders schwierig und Zeit beanspruchend sind Entscheidungen über eine Entlassung aus dem Maßregelvollzug. Sie bedürfen einer sorgfältigen und aufwendigen Vorbereitung. Über den Entlassungstag hinaus ist regelmäßig eine umfangreiche Nachsorge erforderlich. Das alles sind sehr personal- und damit sehr kostenintensive Aufgaben, und daran gibt es nichts zu verdienen. Deshalb ist zu befürchten, dass in einem privaten Maßregelvollzug diese Aufgaben zuerst vernachlässigt würden. Diese
In den Landeskrankenhäusern ist gerade auch in diesen Bereichen eine anerkannte sozialpsychiatrische Versorgungskultur entwickelt worden. Werden Ihre Pläne umgesetzt, besteht die Gefahr, dass diese Strukturen zerschlagen werden. Das wollen wir nicht.
Privatisierungen in anderen Bundesländern begegnen auch dort erheblichen rechtlichen Bedenken. In Schleswig-Holstein wird dagegen bereits geklagt. Das Verfahren wird vermutlich vor dem Verfassungsgericht landen. Warum Sie die Klärung dieser Problematik nicht abwarten, ist nicht erklärt worden. Wollen Sie etwa nach dem Polizeigesetz und Mediengesetz erneut die Belastbarkeit verfassungsrechtlicher Grenzen austesten? Ist es das, was Sie möchten?
Die Begründung für eine verfassungsrechtliche Niederlage haben Sie ja schon selbst in die Welt gesetzt. Dass eine Privatisierung im Bereich dieser hoheitlichen Aufgaben, wenn überhaupt, nur aus zwingenden sachlichen Gründen zulässig ist, können Sie bereits in einem Gutachten aus dem Jahr 1991 nachlesen, auf das der Landesrechnungshof zu Recht hinweist. Das Stopfen von Haushaltslöchern - das ist doch eine Ihrer öffentlichen Begründungen für einen Verkauf - zählt mit Sicherheit nicht zu den genannten zwingenden sachlichen Gründen.
Wo bleibt eigentlich, so frage ich, die Stellungnahme der Justizministerin zu den verfassungsrechtlichen Problemen? Frau Heister-Neumann, Sie können sich doch nicht schon wieder wie beim Polizeigesetz und beim Mediengesetz einfach aus dem öffentlichen Diskurs vorab verabschieden.
Am Rande sei vermerkt: Das Versilbern von Landesvermögen zum kurzfristigen Stopfen von Haushaltslöchern gehört zwar zum Programm dieser Regierung. Eine solide Finanzpolitik sieht aber sicherlich anders aus.
Hier geht es aber um sehr viel mehr, meine Damen und Herren. Bei einer Privatisierung riskieren Sie, eine gut funktionierende Psychiatrie in gut aufge
stellten Landeskrankenhäusern zu gefährden. Davon sollten Sie die Finger lassen. Damit machen Sie viel zu viel kaputt.
Meine Damen und Herren, wir sind es den psychisch kranken Straftätern schuldig, ihre Stellung rechtlich so weit wie möglich zu sichern. Wissen Sie, wer das geäußert hat? - Das war 1982 der damalige Minister Hermann Schnipkoweit aus Ihren Reihen. Daran sollen Sie erinnert werden, und daran sollten Sie sich auch ein Beispiel nehmen.
Dazu ist es unabdingbar, dass sich - ich betone der Staat selbst zu seiner Verantwortung für die psychisch schwer kranken Täter bekennt.
Lassen Sie mich zum Schluss noch einen besonderen Aspekt ansprechen, den Sie nach meiner Einschätzung fahrlässig vernachlässigen. Die Humanität in der Behandlung psychisch Kranker hängt auch maßgeblich von der Bereitschaft und Fähigkeit der Mitarbeiter in den Landeskrankenhäusern ab. Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, dass die bei Ihren Privatisierungen nicht an Ihrer Seite sind.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst ein Blick in die Verfassung. Artikel 33 Abs. 4 des Grundgesetzes schreibt vor, dass die Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse als ständige Aufgabe in der Regel Angehörigen des öffentlichen Dienstes zu übertragen ist, die in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis stehen. Dieser Funktionsvorbehalt des Artikels 33 des Grundgesetzes bedeutet auf der einen Seite, dass Kernaufgaben hoheitlichen Handelns dem Staat vorbehalten bleiben müssen. Auf der anderen Seite bedeutet er aber gleichzeitig auch, dass eine Übertragung gewisser Aufgaben auf Private nicht ausgeschlossen ist, wenn deren Kernbereich beim Staat verbleibt. Private Dritte in die Aufgabenerledigung einzubeziehen, schließt die Verfassung daher nicht
Etliche Bundesländer, so auch Niedersachsen im geltenden § 3 des Maßregelvollzugsgesetzes, haben daher in ihren landesrechtlichen Vorschriften zu Recht die Heranziehung privater oder kommunaler Träger für Einrichtungen des Maßregelvollzuges ausdrücklich zugelassen. Diese im Niedersächsischen Maßregelvollzugsgesetz vorgesehene Möglichkeit bedeutet nicht zwangsläufig und automatisch auch deren Umsetzung. Hierzu bedarf es einer weiteren Entscheidung der Landesregierung.
In welchem Umfang das Land Niedersachsen im Bereich der Forensik private Gesellschaften mit Hoheitsbefugnissen beleiht, kann nur in Übereinstimmung und im Einklang mit unserer Verfassung entschieden werden. Darin sind wir alle uns sicherlich einig.
Weil wir aber auch zukünftig und auf Dauer die psychiatrische Versorgung psychisch kranker Menschen auf hohem Niveau sicherstellen wollen, sind Veränderungen der vorhandenen Strukturen unvermeidlich. Mit Ihrem „Weiter so“, meine Damen und Herren von der SPD, lösen Sie keine Probleme,
Dies wird es mit uns nicht geben. Weil wir auch hier unserer Verantwortung gerecht werden wollen, werden wir im Einklang mit unserer Verfassung eine Entscheidung treffen, um erstens die Krankenhäuser den veränderten Rahmenbedingungen entsprechend für die Zukunft zu rüsten, zweitens die derzeitige Marktlage für Qualität, Sicherheit und Wirtschaftlichkeit zu nutzen und schließlich drittens auch der Besorgnis erregenden Haushaltslage des Landes Niedersachsen Rechnung zu tragen.
- Warten Sie es ab! - Sie dagegen, meine Damen und Herren von der SPD, wollen, wie in vielen anderen politischen Bereichen auch, nur am Status quo festhalten. Ohne die abschließende Entscheidung des OLG Schleswig zur Frage der verfassungskonformen Übertragung des Maßregelvollzugs auf private Träger im Land SchleswigHolstein abzuwarten, beraten wir heute einen Gesetzentwurf Ihrer Fraktion, der allein und ausschließlich zum Inhalt hat, einen möglichen Trägerwechsel im Bereich der Forensik zukünftig völlig auszuschließen und damit zukunftsweisende Wege für unsere Landeskrankenhäuser unmöglich zu machen.
Meine Damen und Herren, ich bin mir sehr bewusst, dass insbesondere der Maßregelvollzug einen äußerst sensiblen politischen Bereich betrifft. Hier geht es zum einen um kranke, straffällig gewordene Menschen, die einen Anspruch auf fachgerechte Unterbringung und Therapie haben. Zum anderen geht es aber auch um das Sicherheitsbedürfnis von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, aber natürlich auch um den Schutz der Bevölkerung.
Strukturveränderungen rufen zunächst einmal Sorgen und Ängste bei den Betroffenen hervor. Das ist verständlich. Aber wir nehmen diese Sorgen und Ängste bei der Frage eines möglichen Trägerwechsels sehr ernst; denn das ist für uns selbstverständlich. Wir müssen in diesem Zusammenhang auch der Tatsache ins Auge sehen, dass das Land Niedersachsen schon seit Jahren, auch schon zu einem Zeitpunkt, als die CDU und die FDP noch nicht die Regierungsverantwortung trugen,
- nein, das war außerordentlich schlecht! -, der Forensik trotz finanzieller Anstrengungen nicht die Bettenkapazitäten nicht zur Verfügung stellen konnte, die bedarfsorientiert notwendig gewesen wären.