Protokoll der Sitzung vom 23.03.2006

Frau Präsidentin, keine Vorbemerkung und auch keine Geschichte. - Meine Damen und Herren! Wir teilen die im SPD-Antrag beschriebene Kritik, Frau Müller. Frau Ministerin, wir haben kein Verständnis für diese Formulierung im aktuellen Vollzugs-, Vollstreckungs- und Einweisungsplan. Hier liegt ganz offensichtlich eine Ungleichbehandlung von Männern und Frauen vor. Das kann jeder nachvollziehen, der diese Formulierung gelesen hat.

Wir als Grüne hatten nach der Debatte im letzten Herbst eigentlich die Erwartung, dass eine grundsätzliche Veränderung auch bei der Einweisungsplanung und -praxis eintritt. Anscheinend hat man aus den damaligen Fehlern nicht gelernt bzw. auf einmal kann wieder die Einweisung über Vechta stattfinden.

Meine Damen und Herren, wir erwarten, dass diese offensichtliche Ungleichbehandlung korrigiert wird. Artikel 3 des Grundgesetzes gilt auch für die Frauen im Strafvollzug. Ich hoffe, dass der Ausschuss zu einer vernünftigen Beratung kommt oder dass Sie vorher die Einweisungspraxis ändern. Danke sehr.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Nächste Rednerin ist Frau Konrath von der CDU.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ja, es ist richtig, Frau Müller: Wir sprechen zum zweiten Mal über das Thema „Ungleichbehandlung von Frauen und Männern im Strafvollzug“.

(Axel Plaue [SPD]: Das sind ja Wie- derholungstäter!)

Es handelt sich um den Vollstreckungs- und Einweisungsplan des Niedersächsischen Justizministeriums vom letzten Jahr.

Bereits in der Plenarsitzung am 15. September 2005 hat Ihnen Frau Ministerin Heister-Neumann detailliert Sinn und Zweck des Vollstreckungsplans erläutert. Er ist in erster Linie für Rechtspfleger geschrieben, die wissen müssen, in welche JVA sie die Verurteilten zum Antritt der Haft laden sollen. Wie dann weiter innerorganisatorisch entschieden wird, wer beispielsweise für den offenen Vollzug geeignet ist, ist allein Sache des Justizvollzugs und nicht mehr der Rechtspfleger. Alle Gefangenen, Männer wie Frauen, werden nach der Aufnahme in der JVA zunächst in die geschlossene Abteilung, über die jede JVA in Niedersachsen verfügt, eingewiesen, also in den geschlossenen Vollzug. Hier wird in jedem Fall umfassend und mit großer Sorgfalt auf die individuellen Gegebenheiten abgestellt. Es wird geprüft, wer nach dieser Aufnahme dem offenen Vollzug zugewiesen wird. Dieses Verfahren gilt für Frauen wie Männer gleichermaßen. Eine Ungleichbehandlung - sprich: Benachteiligung - der weiblichen Gefangenen findet erklärtermaßen nicht statt.

Bewusst stellt der Chancenvollzug in Niedersachsen die individuelle Situation der Verurteilten in den Mittelpunkt seines Vollzugskonzepts. Wer sich mit der besonderen Situation von Frauen im Strafvollzug näher beschäftigt, der erkennt schnell, dass verurteilte Frauen vielfach andere Voraussetzungen mitbringen als verurteilte Männer. Nur 4 % - das finde ich sehr gut - aller Strafgefangenen sind Frauen. 50 % von ihnen sind drogenabhängig. Im Vergleich zu männlichen Strafgefangenen sind Frauen häufig schlechter schulisch gebildet. Nur wenige verfügen über eine abgeschlossene Berufsausbildung. Hinzu kommen oftmals schwierige Biographien. Jede dritte verurteilte Frau hat Gewalt durch den Partner oder Missbrauch in der Familie erlebt. Die meisten befinden sich bei Haftantritt in einer psychisch oder physisch schlechten oder labilen Verfassung. Die gleiche Behandlung von Frauen und Männern, ohne diese ungleichen Verhältnisse zu berücksichtigen, würde ihre Situation in der Haft verschlechtern und keineswegs verbessern.

(Zustimmung bei der CDU)

Die niedrige Zahl der weiblichen Inhaftierten bietet uns die Chance, den Fokus auf die einzelne Frau zu richten und ihre individuellen Probleme besser

wahrzunehmen. Sollten wir nicht besser gemeinsam den Blick stärker auf die reale Situation von Frauen im niedersächsischen Strafvollzug richten, als miteinander über Formulierungen im Vollstreckungsplan zu diskutieren?

Justizvollzug realisiert Strafe, beinhaltet aber auch den Auftrag, in dem Gefangenen Prozesse in Gang zu setzen, die zu einer Neuorientierung führen können. Die sehr unterschiedlichen Voraussetzungen gerade bei Frauen werden im niedersächsischen Chancenvollzug in vorbildlicher Weise berücksichtigt. Das kann auch bedeuten, dass sich durch die Möglichkeit eines Drogenentzugs innerhalb des geschlossenen Vollzugs eine Verbesserung der Lebenssituation von Frauen ergeben kann. Die individuelle Vollzugsgestaltung und Behandlung, bei der die Mitwirkungs- und Veränderungsbereitschaft sowie die Fähigkeiten der Frauen berücksichtigt werden, bieten bessere Aussichten für eine erfolgreiche Resozialisierung.

Noch einige Anmerkungen zum geschlossenen Vollzug bei Frauen: Frauen verbüßen in der Regel wesentlich kürzere Haftstrafen als Männer und begehen selten Gewaltdelikte. Von ihnen geht kaum eine Gefahr aus.

(Dieter Möhrmann [SPD]: Deswegen müssen sie eingesperrt werden!)

Häufig werden sie wegen Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz verurteilt. Geschlossener Vollzug von Frauen unterscheidet sich deshalb deutlich vom geschlossenen Vollzug von Männern. Sicherheitsaspekte haben hier eine ganz andere Gewichtung. Auf eine instrumentelle Überwachung kann weitgehend verzichtet werden. Die Zellen sind in der Regel tagsüber nicht verschlossen, sodass gemeinsame Aktivitäten möglich sind. Frauen tragen ihre eigene Kleidung, und die Ausstattung der Zellen mit persönlichen Gegenständen wird großzügiger gehandhabt als bei Männern.

(Ursula Helmhold [GRÜNE]: Das ist auch nicht gerecht!)

Sie werden damit gegenüber Männern ungleich behandelt, in diesem Falle besser gestellt. Wollen Sie das ablehnen?

Das durchdachte Justizvollzugskonzept dieser Landesregierung, das die Persönlichkeitsstrukturen der Frauen zur Richtschnur für die inhaltliche Arbeit mit ihnen macht, gibt den Frauen konkrete Hilfestellung, wieder Tritt zu fassen und ihren All

tag draußen zu meistern. Das ist mit „Chancenvollzug“ gemeint, meine Damen und Herren. Eine Schlechterstellung von Frauen im niedersächsischen Strafvollzug kann ich hier nicht erkennen, ganz im Gegenteil. Ich schließe mit dem Leitgedanken der Frauen-JVA in Vechta: Betreuung der Frau, die der Betreuung bedarf. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Jetzt hat Frau Peters von der FDP-Fraktion das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In dem Antrag wird eine Formulierung im Vollstreckungs- und Einweisungsplan vom 1. Juli 2005 beanstandet. Erste Bemerkung dazu: Der Vollstreckungs- und Einweisungsplan ist ständig im Fluss. Der von Ihnen hier beanstandete Vollstreckungsplan ist bereits wieder überholt.

(Dieter Möhrmann [SPD]: Dann war er wohl nicht so gut!)

Seit dem 1. Februar 2006 gilt ein neuer Plan.

(Ursula Helmhold [GRÜNE]: Und steht das da noch drin, Frau Peters?)

- Das ist das Problem; da steht es leider auch noch drin.

(Ursula Helmhold [GRÜNE]: Immerhin haben Sie „leider“ gesagt!)

- Das meine ich auch so. - So, wie ich es bislang gesehen habe, war das, was im Vollstreckungsund Einweisungsplan stand, eine verbale Ungleichbehandlung, die sich allerdings durch die Umstände, die mir erklärt worden sind, relativiert hat, da der Vollstreckungs- und Einweisungsplan, wie Frau Konrath gerade schon ausgeführt hat, im Wesentlichen dazu dient, dem Rechtspfleger eine Adresse zu liefern, wohin der Gefangene oder die Gefangene - ich sage jetzt immer nur „der Gefangene“, sonst komme ich mit meiner Zeit nicht klar zum Strafantritt geladen werden soll. Anschließend ist es Aufgabe der Justizvollzugsanstalt, in den ersten 14 Tagen dafür zu sorgen, dass ein persönlicher Justizvollzugsplan erstellt wird, der sich nach den bestimmten Bedingungen der einzelnen Person richtet. Unabhängig davon, ob Frau oder

Mann, erfolgt nach der Einweisung die Beurteilung nach den persönlichen individuellen Verhältnissen. Wenn das so ist, dann sehe ich kein Problem einer Ungleichbehandlung, auch wenn verbal im Einweisungsplan etwas anderes steht.

(Zustimmung bei der FDP und bei der CDU)

Nach Ihrem Antrag hätte ich vermutet, dass man auch eine tatsächliche Benachteiligung der Frauen feststellen kann. Ich habe mir hierzu - in der Kürze der Zeit nur fragmental - Daten aus dem Ministerium geholt. Für den offenen Vollzug nicht geeignet sind vorweg die Drogenabhängigen. Leider ist festzustellen, dass 25 % der inhaftierten Männer, aber 35 % der inhaftierten Frauen drogenabhängig sind, also somit ein größerer Prozentsatz der Frauen für den offenen Vollzug nicht geeignet ist. Danach würde ich erst einmal vermuten, dass der Prozentsatz der Frauen, die in den offenen Vollzug gehen können, insgesamt geringer ist als der der Männer. Nach den Vollzugszahlen 2005 sind tatsächlich aber 18 % der Männer und 26 % der Frauen im offenen Vollzug, also prozentual mehr Frauen als Männer. Das legt meiner Ansicht nach den Schluss nahe, dass die Frauen eher besser als schlechter gestellt sind.

(Beifall bei der FDP)

Des Weiteren habe ich das Problem - aber dafür haben wir Gott sei Dank die Ausschussberatungen -, dass ich keine Differenzierung nach den Haftzeiten, zu denen die Verurteilung geführt hat, habe und infolgedessen nicht verifizieren kann, ob es in diesem Zwischenbereich, der durch den Einweisungs- und Vollstreckungsplan ausgewiesen wird, irgendwelche Unterschiede in der Behandlung gibt.

Frau Peters, Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Noch ein Satz. - Nach diesen ersten Feststellungen, die ich bislang getroffen habe, habe ich allerdings nicht wirklich das Gefühl, dass der Antrag einem echten Problem auf der Spur ist, sondern dass es sich mehr um eine verbale Problematik in einer Dienstanweisung handelt. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP - Zustimmung bei der CDU)

Frau Ministerin Heister-Neumann, bitte!

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zuallererst darf ich meiner Freude Ausdruck geben, dass das Erinnerungsvermögen der Abgeordneten offensichtlich sehr gut ist. Alle haben übereinstimmend festgestellt, dass wir uns erst vor vier Monaten mit einem ähnlichen Thema beschäftigt haben, nämlich mit dem Entschließungsantrag „Benachteiligung von Frauen bei Ersatzfreiheitsstrafen sofort beenden!“. Dieser Antrag ist seinerzeit allerdings bereits abschließend behandelt worden.

Nicht mehr so richtig in Erinnerung scheint jedoch zu sein, dass wir in der Folge dieser Beratung unser Verfahren der Einweisung nicht geändert haben. Frau Müller, wir haben es definitiv nicht geändert, um das ganz deutlich zu sagen. Auch jetzt überweisen wir zuerst in den geschlossenen Vollzug, um dann festzustellen, ob die Damen für den offenen Vollzug geeignet sind. Das haben wir vorher gemacht, das machen wir jetzt, und das werden wir auch in Zukunft machen.

Meine Damen und Herren, der Abgeordnete Jüttner - leider sehe ich ihn jetzt nicht - war schon damals dieses Themas überdrüssig.

Herr Jüttner ist krank.

Das ist auch nicht böse gemeint. Ich sehe ihn nur nicht; sonst hätte ich ihn direkt angesprochen.

Herr Jüttner hat damals gefragt, warum dafür eine so lange Debatte geführt werden soll. Ich glaube, er hat damals schon gewusst, dass sich dieser Vorwurf der Opposition in keiner Weise erhärten lässt.

Umso mehr überrascht es mich heute, dass wir erneut einen Entschließungsantrag der Fraktion der SPD in dieser Sache zu behandeln haben, und

zwar einen Antrag mit dem Titel „Gleichbehandlung für Frauen auch im niedersächsischen Strafvollzug gewährleisten! - Teil II“ zu behandeln haben. Dieser Entschließungsantrag, meine Damen und Herren, steht ebenso auf wackeligen Füßen wie der Entschließungsantrag Teil I. Ich kann Ihnen nur wünschen, dass Sie damit keine Serie ankündigen; denn das wäre fatal - allerdings für Sie.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Frauen mit einer Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr werden in den geschlossenen Vollzug eingewiesen, Männer werden in bestimmten Fällen auch noch mit Strafen bis zu dreieinhalb Jahren in Einrichtungen des offenen Vollzuges eingewiesen. Diese formelle Ungleichbehandlung ist aber gewollt; denn nur Gleiches sollte auch wirklich gleich behandelt werden.

(Axel Plaue [SPD]: Männer sind eben keine Frauen!)

Auf männliche und weibliche Gefangene trifft dies nicht zu. Sie bedürfen vielmehr einer differenzierten Vollzugsplanung.