Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Konzept, Kombilöhne in großem Umfang einzusetzen, ist in Deutschland schon gescheitert. Herr Lenz hat es gerade erläutert. 15 Versuche sind schon gemacht worden: ohne nachhaltigen Erfolg.
Nicht die Einkommen der Arbeitnehmer sind bei uns zu hoch, sondern die Lohnnebenkosten. Das, was im Steuersystem als selbstverständlich und gerecht empfunden wird, nämlich eine mit dem Einkommen steigende Abgabenhöhe, muss es bei uns auch für die Sozialversicherungsbeiträge geben. Wir müssen bessere Bedingungen für mehr sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse schaffen, anstatt einen weiteren Verschiebebahnhof für Arbeitslose mit Kombilöhnen aufzubauen.
Die bisherigen Erfahrungen mit Kombilohn-Modellen müssen als entmutigend bezeichnet werden. Bisher konnte noch kein empirischer Beweis erbracht werden, dass ein Kombilohn zu einem nennenswerten Aufbau von existenzsichernder Be
schäftigung führt. Schon heute verfügt die Arbeitsmarktpolitik über zahlreiche Instrumente, die genau das leisten, was mit Kombilöhnen bezweckt werden soll. Anschauungsmaterial zum Thema Lohn- bzw. Einkommenssubvention gibt es mehr als genug, Herr Minister: von ALG II über Mini- und Midijobs bis hin zu Lohnkostenzuschüssen und Einstiegsgeld. Alle diese Beispiele belegen, dass die große Koalition gut daran täte, die lange Liste der vorhandenen Förderinstrumente nicht noch um ein weiteres Instrument zu verlängern.
Der Anreiz für Arbeitgeber, reguläre Stellen in geförderte Stellen umzuwandeln, ist bei einem Kombilohn-Modell sehr hoch. Andererseits sind Kombilöhne auch mit einem sehr hohen finanziellen Aufwand verbunden und helfen nicht dabei, die ruinöse Lohnspirale nach unten zu stoppen. Das ist eben tatsächlich staatlich subventionierte Lohndrückerei, wie es im Titel des SPD-Antrages richtig steht.
Deshalb ist der mit Erfolg in vielen Nachbarländern eingesetzte Mindestlohn auch für unseren Arbeitsmarkt inzwischen notwendig, allerdings nach Branchen und Regionen differenziert. Der richtige Mindestlohn darf dann aber nicht mit milliardenteuren Kombilohn-Angeboten nach beliebiger Anforderung der Unternehmen auf Staatskosten unterlaufen werden können. Mindestlohn und Kombilohn ergeben, zusammen flächendeckend eingesetzt, flächendeckenden Unsinn. Damit entstünde nämlich ein obligatorischer Mitnahmeeffekt mit nahezu grenzenlosen Gestaltungsmöglichkeiten für findige Arbeitgeber. Um tatsächliche Beschäftigungsanreize im Niedriglohnbereich zu schaffen - Herr Herrmann, da werden Sie mir jetzt Recht geben -, wäre es der bessere Weg, die Sozialversicherungsbeiträge einer Progression zu unterwerfen.
Wir Grüne schlagen deshalb vor, erst ab einem Bruttoeinkommen von mehr als 2 000 Euro die volle Last der Sozialversicherungsabgaben von heute zusammen rund 42 % einsetzen zu lassen. Bei einem Bruttoeinkommen von 400 Euro sollen nach unserem Modell Arbeitgeber und Arbeitnehmer nur je 10 % Beiträge entrichten. Bei einem Bruttoeinkommen von 800 Euro wären zusammen 25 % fällig, bei 1 600 Euro 35 %.
- Nein, darauf komme ich gleich. - Damit wäre eine deutliche Entlastung bei der Abgabenlast für die Arbeitgeber- und die Arbeitnehmerseite verbunden.
Sicherlich ist das, ebenso wie Kombilöhne, Herr Hoppenbrock, nicht umsonst zu haben. Das ist klar. Aber die beschäftigungspolitischen Steuerungseffekte sind bei progressiven Sozialversicherungsbeiträgen deutlich effektiver und vor allen Dingen gerechter verteilt, weil beide Seiten - sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer - profitieren. Das würde viele neue Arbeitsplätze schaffen und sich so selbst finanzieren, was man in diesem Zusammenhang gerade erreichen will.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! 15 regionale Kombilohn-Modelle konnten in der Vergangenheit die beschäftigungspolitischen Erwartungen nicht erfüllen. Diesen Irrläufern jetzt einen weiteren hinzuzufügen, wäre für den Arbeitsmarkt in Niedersachsen keine Hilfe, auch nicht in Kombination mit Mindestlöhnen. Dadurch würde der Unsinn nicht besser werden. Vielen Dank.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zunächst möchte ich für die CDU-Fraktion feststellen: Der niedersächsische Kombilohn ist eine sehr ausgewogene Lösung. Dies zieht Ihr Antrag im Übrigen auch nicht in Zweifel. Sie kritisieren lediglich, dass Niedersachsen handelt und nicht abwartet, bis das Bundesarbeitsministerium so weit ist.
Die Frage ist: Können wir abwarten? - Deutschland hat 5 Millionen, 6 Millionen oder 7 Millionen - einige reden von 8 Millionen - arbeitsfähige Menschen ohne Arbeit. In den Schulen treffen wir junge Menschen, die keine Hoffnung auf eine Teilnahme am Erwerbsleben mehr haben und sich in der Alimentation einrichten. Schon heute zahlen wir etwa 100 Milliarden Euro pro Jahr für die Arbeitslosen einschließlich der Frührentner. Das Erwerbspersonenpotenzial sinkt von Jahr zu Jahr, weil die nachrückenden Jahrgänge schwächer sind. Dennoch steigen die Arbeitslosenzahlen weiter.
Bei Hinzuziehung der demografischen Lasten muss doch auch Ihnen klar werden, dass unser System der Arbeitslosenverwaltung so nicht weiter bestehen kann. Ich sage ganz deutlich: Wir brauchen keine Geldzahlung fürs Wegbleiben, sondern eine Prämie fürs Mitmachen.
Derjenige, der arbeiten möchte, aber mit seiner Leistungsfähigkeit am Markt offensichtlich zu den tariflichen Mindestlöhnen keine Verwendung findet, bekommt in Niedersachsen jetzt eine Hilfe beim Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt. Das finden wir gut. Beim Niedersachsen-Kombi bekommt der Arbeitnehmer 200 Euro pro Monat plus 40 Euro je Familienmitglied zu seinem erarbeiteten Einkommen hinzu, um ihm auch die Annahme einer gering bezahlten Arbeit zu erleichtern. Der Arbeitgeber bekommt 400 Euro pro Monat, die ihn in die Lage versetzen, diesem Arbeitnehmer einen Lohn zu bezahlen, den er in den ersten Monaten wahrscheinlich noch nicht für den Betrieb erwirtschaften kann. Das ist eine sehr ausgewogene Regelung. Alle profitieren: der Arbeitnehmer, der Betrieb, und der Staat spart erheblich, weil die Finanzierung der Arbeitslosigkeit teurer wäre.
Wir sagen nicht, meine Damen und Herren, dass unser Kombilohn-Modell alle Probleme am Arbeitsmarkt lösen wird. Das würde die Probleme verniedlichen. Wir lernen aus den Erfahrungen in anderen Bundesländern und werden nachsteuern, wenn andere Länder oder auch der Bund bessere Modelle vorlegen. Wir glauben an die kreative Kraft des Föderalismus.
Worauf sollten wir warten? - Sie setzen auf Zentralismus. Sie fordern uns auf, Tausende Arbeitslose, denen wir jetzt helfen könnten, warten zu lassen, bis sich eines fernen Tages die SPD in Berlin um Arbeitsminister Müntefering auf einen Vorschlag geeinigt hat. Wahrscheinlich träumen Sie auch schon davon, dass Franz Müntefering Kanzlerin Merkel feierlich eine CD mit einem bundesweit wirksamen Konzept zur Reduzierung der Arbeitslosigkeit überreicht. Das Problem ist nur: Wirksamkeit auf dem Arbeitsmarkt und Akzeptanz bei der SPD sind in einem Konzept nicht vereinbar. Daher werden wieder - wie seinerzeit - nur wohl klingende Worthülsen in einem solchen Konzept sein. Ich möchte hier an einige schöne Worte erinnern, an die Sie schon nach vier Jahren wahrscheinlich nicht mehr erinnert werden möchten:
Personal-Service-Agenturen, Jobfloater, VGS und BGS. Wer weiß noch, dass VGS ein Vermittlungsgutschein und BGS ein Bildungsgutschein ist? Ich will diese Liste nicht fortsetzen.
Sie haben ferner den gesetzlichen Mindestlohn angesprochen. Auch dazu möchte ich etwas sagen. Wir haben in Deutschland faktisch einen Mindestlohn in Gestalt des Arbeitslosengeldes II. Ein Verheirateter mit zwei Kindern erhält im ersten Jahr nach dem Arbeitslosengeld I 1 950 Euro. Das sind 12,58 Euro brutto Stundenlohn. Ein Single - um das andere Extrem zu nehmen - erhält mit vollem Zuschlag 882 Euro. Das sind 6,22 Euro pro Stunde. Nach drei Jahren, wenn er die Zuschläge nicht mehr bekommt, sind es noch 4,88 Euro pro Stunde. Ein gesetzlicher Mindestlohn unter 4,88 Euro wäre unschädlich für den Arbeitsmarkt, weil darunter aus ökonomischen Gründen die Arbeitsaufnahme unattraktiv ist. Ein gesetzlicher Mindestlohn von z. B. 7,50 Euro, wie er in Rede steht, lässt den zitierten Verheirateten unbeeindruckt, schützt jedoch den Single. Aber um welchen Preis? Leider nimmt der Mindestlohn ihm die Möglichkeit, sein Einkommen von 4,88 Euro auf etwa 7,40 Euro zu verbessern, weil der Arbeitsplatz mit einem Stundenlohn von 7,40 Euro ihm ja verwehrt ist, da er verboten ist.
In Deutschland gibt es etwa 1,3 Millionen Vollzeitbeschäftigte, die weniger als 6 Euro brutto pro Stunde verdienen. Ich nenne Ihnen ein paar Beispiele aus gültigen Tarifverträgen in Deutschland: Friseurhandwerk in Thüringen: 3,18 Euro, Floristikhandwerk in Brandenburg: 4,42 Euro, Einzelhandel in Niedersachsen: 5,75 Euro.
- Um es noch komplizierter zu machen, Herr Lenz, haben Sie soeben branchenbezogene Mindestlöhne vorgeschlagen. Was passiert dann mit dem Single, der seine Einkommenssituation durch Arbeit verbessern will? - Er darf im Friseurhandwerk für 4 Euro arbeiten, was ihm aber keine Verbesserung bringt, weil im Rahmen von Arbeitslosengeld II bereits 4,88 Euro gezahlt werden. Das Angebot, eventuell in einem Metall verarbeitenden
Betrieb für beispielsweise 6,50 Euro zu arbeiten, darf er nicht annehmen, weil dieser Lohn vielleicht unter dem dort geltenden Mindestlohn liegt. Wer soll das verstehen, und wer soll das alles kontrollieren?
Mit zu hoch angesetzten Mindestlöhnen hebeln Sie jede Kombi-Einkommensregelung aus. Auch die mit viel Schmerzen auf Ihrer Seite erreichte Zumutbarkeitsregelung bei Hartz IV verkehren Sie in das glatte Gegenteil. Ich sage Ihnen in aller Deutlichkeit: Wir brauchen mehr Lohnergänzungszahlungen anstelle von staatlichen Lohnersatzzahlungen. Nur so haben Geringqualifizierte eine Chance auf einen Arbeitsplatz. Nur so finden wir eine Antwort auf Arbeitsplatzverlagerungen ins Ausland. Nur so stabilisieren wir auch unsere Sozialsysteme. Natürlich wird dadurch das untere Ende der Lohnskala verändert. In dem Maße, in dem Sie Hürden im Arbeitsmarkt aufstellen, schützen diese auch nicht mehr den, der drin ist. Es sind heute aber zu viele draußen und zu wenige drin.
Verunsichern Sie bitte nicht die Menschen, wenn Ihnen selbst jede Antwort fehlt! Wir sichern den Menschen ein existenzsicherndes Einkommen zu. Das kann auch Lohn plus staatlicher Zuschuss sein. Ich empfehle Ihnen: Geben Sie den Arbeitslosen in Niedersachsen eine Chance! Lassen Sie uns in Niedersachen in föderaler Bescheidenheit Erfahrungen mit dem Kombilohn sammeln und bringen Sie sich zielführend in die Gestaltung eines noch besseren Modells bei Herrn Müntefering ein! Dann können alle nur gewinnen. - Herzlichen Dank.
Frau Präsidentin! Verehrte Damen, meine Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPDFraktion, insbesondere Herr Lenz! Wenn ich Ihren Antrag lese, frage ich mich, wie Sie ihn einem arbeitslosen Menschen erklären würden. Könnten Sie diesem Menschen ins Gesicht sagen „Mit einem Kombilohn-Modell in Niedersachsen können wir für dich zwar Arbeit finden, aber wir verzichten lieber darauf, da vielleicht am Ende des Jahres oder nächstes Jahr ein besseres Konzept vom
Bund kommt“? Dann sagt sich sicherlich jeder Arbeitslose: Was interessiert mich der Bund? Ich lebe hier und heute in Niedersachsen. Ich möchte eine Hilfestellung, und ich möchte sie jetzt.
Die SPD ist scheinbar bereit, auf Hilfe hier und jetzt zu verzichten, nur um auf eine Lösung vom Bund zu warten, von der niemand weiß, wann und ob sie überhaupt kommt. Ihr Antrag, meine Damen und Herren von der SPD-Fraktion, bestärkt mich noch in dieser Meinung. Dort steht unter Nr. 4 b wörtlich - Frau Präsidentin, ich erlaube mir zu zitieren -:
„Eine Förderung von Langzeitarbeitslosen mit am Markt nicht mehr nachgefragter Qualifikation ist auszuschließen.“
Meine Damen und Herren von der SPD, wollen Sie Langzeitarbeitslose etwa ausschließen, völlig abschreiben? - Wir wollen das nicht.
- So haben Sie es formuliert. Wir sagen, dass diese Qualifikation auch gerade auf dem ersten Arbeitsmarkt möglich ist, in Fortbildungsstätten des zweiten Arbeitsmarktes aber sicherlich nicht.
Die FDP hat ein besseres Konzept als den Kombilohn, nämlich das Bürgergeld. Sie kennen dieses Konzept.
Nach diesem Konzept werden alle Sozialtransfers zusammengeführt und in Form einer negativen Einkommensteuer an Arbeitnehmer mit geringem Einkommen weitergeleitet. Lehnen wir deshalb aber den Kombilohn ab? - Nein; denn er ist ein Schritt in die richtige Richtung und vor allem ein Schritt, den wir jetzt tun können. Was bringt uns denn die ganze Föderalismusreform, wenn Sie selbst dort, wo das Land schon jetzt aktiv werden kann, lieber nach dem Bund rufen? Wenn der Bund ein Konzept vorlegt, können wir uns daran immer noch beteiligen. Nichts spricht dagegen, Herr Lenz. Ich verstehe auch nicht, warum Sie Kombilöhne nur zusammen mit Mindestlöhnen zulassen wollen. Das ist ja interessant. Gehen Sie denn grundsätzlich davon aus, dass Kombilöhne für Dumpinglöhne missbraucht werden? Ist denn
- Aha! Schön, dass Sie das einmal sagen. Sagen Sie es noch lauter! Misstrauen Sie doch bitte den 250 000 kleinen und mittelständischen Unternehmen in Niedersachsen nicht mehr! Vertrauen Sie doch diesen Menschen, die Tag für Tag nicht nur für sich, sondern auch für andere Arbeit schaffen!
Lassen Sie uns den Kombilohn einführen, Herr Lenz, und dann sehen, welche Auswirkungen er auf die Langzeitarbeitslosigkeit und die Lohnhöhe hat!