Protokoll der Sitzung vom 11.07.2006

Unser Antrag, meine Damen und Herren, zeigt einen einfachen Ausweg auf: Evaluieren Sie zuerst sorgfältig die Ergebnisse der Pilotschulen. Sorgen Sie bei aller Selbständigkeit vor Ort für eine im Grundsatz vergleichbare Handhabung. Organisieren Sie das, was alle Experten, auch im Rahmen der Anhörung zur selbständigen Schule, immer und immer wieder gefordert haben, nämlich ein durchdachtes Unterstützungssystem für die Vorbereitung der Betroffenen und für die Förderung, die sich notwendigerweise an die Dokumentation der Lernentwicklung anschließen muss. Gehen Sie diesen Weg mit uns! - Danke schön.

(Beifall bei der SPD - Karl-Heinz Klare [CDU]: Herr Poppe, Sie haben ein völlig falsches Verständnis von Lern- entwicklung!)

Nächste Rednerin ist Frau Korter, Bündnis 90/Die Grünen.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zum Glück scheint es in diesem Hause nicht mehr strittig zu sein, dass wir eine bessere individuelle Förderung der Schülerinnen und Schüler brauchen. Die ist aber nur möglich, wenn zunächst einmal der Lernstand für jede Schülerin und jeden Schüler

erfasst und jeweils ein Förderplan entwickelt wird. Das ist natürlich erst einmal neu und kostet ein ganzes Stück Einarbeitung, Fortbildung und Zeitaufwand; das ist unbestritten. Es ist wenig motivierend, wenn Lehrkräfte viel Zeit in diese Aufgabe investieren sollen, ohne zu wissen, wie danach die Unterstützung durch wen erfolgen soll.

Meine Damen und Herren, Sie kennen das alle von Besuchen beim Arzt: Die Diagnose ist nur der erste Schritt. Entscheidend ist dann aber die Frage: Was folgt daraus? Wie können festgestellte Defizite und Probleme behoben werden? Wie können Stärken ausgebaut werden? Und vor allem: Wer soll das wann tun?

Genauso wie der Hausarzt nicht alle Probleme allein löst, sondern Unterstützung für den Heilungsprozess durch seine Verordnungen und manchmal durch die Hinzuziehung spezialisierter Fachkräfte braucht, sind auch Lehrerinnen und Lehrer auf Zeitressourcen zur Förderung und auf Unterstützung durch andere Fachdisziplinen angewiesen. Von mehr Stunden für individuelle Förderung ist aber seit Jahren keine Rede. Im Gegenteil: Mit Erlass von 2004 wurde zusammengestrichen, wo es nur ging. Unterstützung und Beratung für die Schulen ist lange ebenso wenig in Sicht gewesen. Ich hoffe, das ändert sich demnächst. Herr Busemann, Sie haben zwar bereits im Dezember 2004 vollmundig ein neues Unterstützungs- und Beratungskonzept angekündigt. Es liegt aber bisher immer noch nicht vor, und wir haben Juli 2006.

Sie schreiben schlanke Erlasse, haben die externe Beratung jetzt endlich auch im Schulgesetz festgeschrieben. Aber alles bleibt heiße Luft, wenn ein fachliches Konzept noch vollständig fehlt.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Anstatt die jetzt so dringend nötige Unterstützung der Lehrerinnen und Lehrer, der Eltern und Schüler auszubauen, machen Sie das Gegenteil. Sie streichen z. B. die schulpsychologische Beratung rapide zusammen, obwohl sie gerade jetzt so benötigt wird.

Herr Busemann, dass Ihnen die erheblich belasteten Lehrerinnen und Lehrer angesichts Ihrer zum Teil großen, völlig unnötigen Erlassflut sehr skeptisch gegenüberstehen, kann ich gut nachvollziehen; denn Sie stoßen mit Ihrem Aktionismus in den Schulen auch deshalb auf Widerstand und Frustration, weil Sie Unterstützung von außen zwar

ständig versprochen haben, aber bis jetzt immer das Gegenteil getan haben, nämlich abgebaut und abgebaut haben. Deshalb war es sehr bezeichnend, dass Ihr Fraktionsvorsitzender, Herr McAllister, in der letzten Woche einen Stopp der Reformen verkündet hat. Offenbar hat auch Ihre eigene Partei längst die Nase voll von der Hoppla-hoppPolitik. Die Konsequenz kann aber jetzt nicht sein, nichts mehr zu tun, sondern muss sein, endlich das Richtige zu tun.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, in der Analyse haben Sie mit Ihrem Antrag Recht. Für uns kann das aber nicht bedeuten, etwas grundsätzlich Richtiges und für die individuelle Förderung dringend Nötiges auf die lange Bank zu schieben. Ich wundere mich deshalb über die Zielrichtung Ihres Antrags. Anstatt vom Minister zügig ein vernünftiges Unterstützungs- und Beratungskonzept und Ressourcen für die individuelle Förderung zu verlangen, anstatt zu beantragen, dass überall im Land ausreichend Fachkräfte für Unterstützung und Beratung wirksam eingesetzt werden, stoßen Sie mit Herrn McAllister in das gleiche Horn und sagen: Schluss mit Reformen, stopp erst einmal! - Das kann nicht die richtige Antwort sein, wenn es um die Förderung jedes einzelnen Schülers und jeder einzelnen Schülerin geht.

Herr Busemann, Sie werden hier wahrscheinlich gleich erzählen, dass Sie gerne mehr Förderzeit, mehr Schulpsychologen, mehr Sozialpädagogen und externe Fachkräfte einstellen würden, dass Ihnen aber leider das Geld fehlt. Das ist nicht richtig. Damit möchte ich auf den Kollegen Poppe zurückkommen. Sie setzen das Geld nur falsch ein. Allein das Sitzenbleiben kostet das Land jährlich 80 Millionen Euro. Schaffen Sie das Sitzenbleiben endlich ab, und investieren Sie diese Mittel in Förderkonzepte für einzelne Schülerinnen und Schüler! Da wäre es richtig angelegt.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Herr Minister, unsere Unterstützung für die Dokumentation der individuellen Lernentwicklung und für die nötigen Konsequenzen daraus haben Sie. Aber bringen Sie sie voran, und zwar richtig und nicht nur auf dem Papier, im Gesetz und in Erlassen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Nächste Rednerin ist die Kollegin Pfeiffer, CDUFraktion.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zunächst einmal möchte ich - wie schon so oft - von dieser Stelle aus den Lehrerinnen und Lehrern meinen allerherzlichsten Dank aussprechen. Sie alle leisten gute und qualifizierte Arbeit. Es ist kein hilfloses Gewurschtel, Herr Poppe.

(Beifall bei der CDU - Claus Peter Poppe [SPD]: Das machen Sie!)

Sie werden den Anforderungen von uns allen durchaus gerecht; sie stellen sich diesen Anforderungen.

Der Antrag der SPD stellt genau das infrage.

(Ursula Körtner [CDU]: Genau!)

In Ihrem Antrag weisen Sie darauf hin, dass nach Ihrer Meinung erst die Erfahrungen der Pilotschulen ausgewertet werden müssten; erst dann sei die Dokumentation der individuellen Lernentwicklung verbindlich in allen Schulen einzuführen. Wir sehen das ein bisschen anders. Wenn Sie einmal § 54 des Niedersächsischen Schulgesetzes lesen, dann finden Sie schon dort - auch ohne den Erlass eine Verpflichtung des Schulwesens, die Unterschiede von Schülerinnen und Schülern in den Bildungschancen durch eine besondere Förderung der benachteiligten Schülerinnen und Schüler auszugleichen.

(Zustimmung von Ursula Körtner [CDU] - Silva Seeler [SPD]: Warum machen Sie dann Pilotschulen?)

Aber auch die hoch begabten Schülerinnen und Schüler sollen besonders gefördert werden.

(Zustimmung von Ursula Körtner [CDU])

Dies bedeutet darüber hinaus schlicht, dass es bereits jetzt Aufgabe jedes Lehrers und jeder Lehrerin in Niedersachsen und, ich vermute, in unserem föderalen Land auch anderswo in Deutschland, ist, unterschiedlichste Lernfortschritte aufzunehmen und besonders zu beachten, Talente besonders zu fördern.

(Beifall bei der CDU)

Das bedeutet, dass jede Lehrkraft die Lernausgangslage festhalten muss. Sie muss die zu erstrebenden Ziele erheben und die Maßnahmen festlegen, mit denen diese Ziele erreicht werden sollen. Diese Beschreibung und Einschätzung des Fördererfolgs ist durch die Lehrkräfte sowie durch die Schüler zu dokumentieren.

(Beifall bei der CDU)

Was ich Ihnen hier vorgetragen habe, habe ich bei meinem Sohn schon vor Jahren in dessen Grundschulzeit erlebt. Hier hat es genau solche Dokumentationen bereits vor dem Jahr 2000 ohne die Vorgabe des entsprechenden Erlasses gegeben. Ich gehe nicht davon aus, dass diese Berichte, die auch damals mit uns Eltern und mit den Schülern diskutiert wurden, nach Abschluss der jeweiligen Gespräche in den Papierkorb geworfen wurden. Nur, es muss erst einmal jemand kommen, der es wirklich kann. Damals war es nämlich in das Belieben der Schulen gestellt, so zu verfahren oder auch nicht.

(Claus Peter Poppe [SPD]: Das Schulgesetz gilt für alle!)

Die Lehrerinnen und Lehrer machen also längst das, was wir jetzt verbindlich festschreiben und was jetzt in einen Erlass gegossen wird.

(Beifall bei der CDU)

Die Grundlage dafür gibt es schon lange im Niedersächsischen Schulgesetz. Die Vorgabe per Erlass klärt jetzt, dass differenzierte Angaben im Arbeits- und Sozialverhalten als fächerübergreifende Bereiche sowie in den Kernkompetenzen Lesen, Rechtschreibung und Mathematik zu tätigen sind. Die Lehrkräfte fügen jetzt endlich ihre individuellen Beobachtungen zusammen. Es wird also noch besser, ja transparenter für alle Beteiligten. Die Schüler tragen automatisch mit dazu bei und bekommen damit mehr Eigenverantwortung übertragen. Ihr Selbstwertgefühl wird damit gestärkt.

(Zustimmung von Ursula Körtner [CDU])

Jetzt müssen sie - ebenso wie die Eltern - mit den Lehrkräften in einen Dialog treten, um selbst mit in die Verantwortung für ihre Entwicklung genommen zu werden. Wir haben auf diesen Dialog schon bei Einführung des Niedersächsischen Schulgesetzes 2003 sehr viel Wert gelegt. Es ist also durch die

Dokumentation, durch die nun der gesamte Entwicklungsstand eines jeden Schülers und einer jeden Schülerin - zunächst nur von Klasse eins bis Klasse fünf - festgehalten wird, ein ganzheitliches Zusammenführen aller Lernbereiche möglich. Diese Gesamtbetrachtung ist jetzt schon Usus.

(Beifall bei der CDU)

Auch jetzt schon vergleichen Lehrkräfte ihre Beobachtungen von Lernverhalten und Leistungen, beziehen die Schüler in ihre Planungen ein, ziehen Rückschlüsse und beschließen Maßnahmen, die für die individuelle Lernentwicklung förderlich sind. Jetzt aber werden alle Schüler, und zwar auch diejenigen, bei denen es bisher schwierig war, sie zu erreichen, durch den neuen Erlass mit ins Boot genommen, um ein realistisches Bild ihrer Lernmöglichkeiten zu entwickeln und Mitverantwortung für ihren Bildungs- und Ausbildungsweg zu übernehmen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Dieser Schritt hin zur Chancengleichheit war längst überfällig. Da werden auch Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, mir zustimmen.

Neu bei der ganzen Sache ist, dass die Eltern über die Zeugnisse hinaus Rückmeldungen über das Lernen und den Lernstand ihrer Kinder erhalten, dass sie über die Entwicklung unterrichtet werden und eine Leistungsbewertung bekommen, die differenzierter als bisher üblich alle Lernbereiche betrifft.

Es wird keine landeseinheitliche Form der Dokumentation geben. Damit können Schulen, die bereits gut entwickelte Verfahren für ihre spezifischen Bedingungen eingeführt haben, diese auch beibehalten.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Wir geben lediglich vor, dass innerhalb einer Schule eine einheitliche Form zur Dokumentation eingesetzt wird. Dies erwächst nämlich aus der von uns allen gewünschten Eigenverantwortlichkeit der Schulen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Sie sehen also, meine Damen und Herren: Wir benötigen keine genormten Unterstützungssysteme. Fortbildungsangebote wird es im kommenden Schuljahr ohnehin in allen Regionen Niedersachsens geben.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Es besteht mithin kein Grund, warum sich Schulen, die sich noch nicht ganz sattelfest fühlen, nicht noch Rat bei den Pilotschulen holen sollten.