Protokoll der Sitzung vom 14.09.2006

Im Übrigen kann ich Ihnen wirklich nur empfehlen, einmal Ihre Vorurteile außen vor zu lassen, einer Rede zuzuhören und dann zu versuchen, auf die Argumente konstruktiv einzugehen. Genau das haben wir sechs Monate lang im Ausschuss versucht: mit konstruktiven Vorschlägen eine konstruktive Diskussion zu führen. Sie, Herr Hoppenbrock, haben allerdings immer dafür gesorgt, dass diese Diskussion im Ausschuss nicht stattgefunden hat. Also muss sie heute hier stattfinden.

(Beifall bei der SPD - Zuruf von Ernst- August Hoppenbrock [CDU])

Das Thema Jugendarbeitslosigkeit beschäftigt zumindest mich seit 30 Jahren, weil ich bei dem Thema in irgendeiner Form immer eine Rolle gespielt habe.

(Hermann Dinkla [CDU]: Glauben Sie, andere haben das nicht?)

Ich habe in diesen 30 Jahren alle möglichen Argumente gehört: Die Ausbildungsvergütungen sind zu hoch. Die Jugendlichen sind nicht mobil genug, sind nicht flexibel, ihre schulischen Leistungen sind zu schlecht. Aber ein Argument habe ich noch nie gehört - und schon gar nicht von Ihnen -, nämlich dass sich die Wirtschaft nicht genügend anstrengt. Ich sage ja nicht, dass sie sich gar nicht anstrengt.

(Ernst-August Hoppenbrock [CDU]: Die Zahlen steigen!)

- Nein. - Aber wenn wir uns die Zahlen der Ausbildungsverträge anschauen, dann stellen wir fest, dass sie auf lange Sicht sinken. Es ist leider so, dass das duale Ausbildungssystem an vielen Stellen einer Erosion unterworfen ist. Herr Hagenah hat ja dargestellt, dass wir eine Riesenwelle von unversorgten Jugendlichen vor uns herschieben. Deshalb müssen wir jetzt ein Programm fahren, damit wir diese Bugwelle endlich einmal wegbekommen. Darum geht es.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Herr Hermann, es geht nicht um die Verabschiedung aus dem dualen System - das habe ich ausdrücklich betont -, sondern darum, es zu ergänzen. Im Übrigen haben Sie uns in der letzten Ausschusssitzung dann ja doch noch in der letzten Sekunde einen Änderungsantrag auf den Tisch gelegt.

(Ernst-August Hoppenbrock [CDU]: Das kommt nächstes Mal!)

- Aber Herr Hoppenbrock, man muss doch auch redlich sein! In diesem Änderungsantrag werden Sie selber den Vorschlag machen, dass wir in bestimmten Regionen, in denen nicht genügend Ausbildungsplätze zur Verfügung stehen - und wenn man noch so oft telefoniert -, etwas unternehmen müssen. Das wird Ihr Vorschlag sein. Deswegen haben wir auch schon angeregt, dass der Antrag möglichst auch vom Kultusausschuss mitberaten werden soll. Denn Sie planen den Einstieg in die vollschulische Berufsausbildung ja bereits. Herr Hoppenbrock, so ehrlich sollten wir an der Stelle sein.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Lassen Sie mich noch einen Satz zu dem Thema „Beiträge an die Bundesagentur für Arbeit“ machen. Ja, es sind unsere Beiträge, die Beiträge der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber. Aber Herr Hagenah hat ja darauf hingewiesen: Wenn wir uns die Struktur anschauen - Stichwort „Hartz IV/ALG II“ -, dann stellen wir fest, dass ein Teil der Entlastung in der Tat die bessere Vermittlung in den ersten Arbeitsmarkt darstellt. Aber der andere Teil ist das Hinausschieben aus ALG I in ALG II.

Wenn wir uns die Struktur der sich verfestigenden Langzeitarbeitslosigkeit anschauen, dann stellen wir fest, dass die Anzahl der Ungelernten, auch der jugendlichen Ungelernten immer weiter steigt. Mit unserem Antrag wollen wir da gegensteuern, damit es eben nicht dazu kommt, dass die jungen Leute, die von der Schule kommen, schon ihre Perspektive verloren haben, bevor sie überhaupt ins Berufsleben eingestiegen sind. Das ist die Intention unseres Antrags.

Und Sie, Herr Hermann, sprechen von einem beleidigenden Antrag. Ich hoffe, Sie haben genug Hintern in der Hose, um sich für diese Bemerkung zu entschuldigen. - Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Jetzt hat sich Herr Hermann zu einer Kurzintervention gemeldet. Sie haben eineinhalb Minuten Redezeit, Herr Hermann.

(Wolfgang Jüttner [SPD]: Entschuldi- gung! - Gegenruf von Hans-Werner Schwarz [FDP]: Wofür? - Gegenruf von Wolfgang Jüttner [SPD]: Für al- les!)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vielleicht sollten wir das Ganze doch etwas ruhiger betrachten. Herr Lenz, in der Begründung Ihres Antrag haben Sie formuliert:

„Die grundlegende Ursache für den Ausbildungsplatzmangel ist der weitgehende Rückzug der Wirtschaft aus ihrer Ausbildungsverantwortung.“

(Zurufe von der SPD: Ja!)

Sagen Sie das bitte denen, die in Niedersachsen 85 % aller Ausbildungsplätze stellen! Ich erwarte, dass das dann endlich auch einmal in der Presse steht: Herr Lenz bzw. die Fraktion der SPD beschuldigt 300 000 Betriebe in Niedersachsen, kleine und mittelständische Betriebe,

(Hans-Werner Schwarz [FDP]: So ist es! - Widerspruch bei der SPD - Zuruf von Günter Lenz [SPD])

dass sie ihre Ausbildungsverantwortung nicht mehr wahrnehmen. Genau das haben Sie hier geschrieben. Wenn Sie sagen, dass Sie das nicht so gemeint haben, dann ist das nicht so schlimm, dann bin ich auch gerne bereit, das wieder auf eine andere Bahn zu bringen.

Lassen Sie mich bitte noch einmal von den Schwachen reden. Vielleicht habe ich diese 20 Sekunden noch. Herr Lenz, wir sind uns doch einig, dass wir die Schwachen nicht im Regen stehen lassen dürfen und dass den Schwachen geholfen werden muss.

Herr Hermann, diese 20 Sekunden haben Sie leider nicht mehr.

Okay. - Grundsätzlich ist das duale System das Salz in der Suppe für den Wirtschaftsstandort Deutschland. Das sollten Sie wissen und nichts anderes sagen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Für die Landesregierung hat jetzt Herr Wirtschaftsminister Hirche das Wort. Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Was Sie eben erlebt haben, war, glaube ich, die ehrliche Empörung von jemandem, der selber 40 junge Leute ausbildet.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Was wir in diesem Lande brauchen, sind mehr solcher Wolfgang Hermanns, die Leute ausbilden. Ich bitte Sie: Sorgen Sie in den Betrieben, in denen Sie als Betriebsrat oder Ähnliches tätig sind, dafür, dass solche Ausbildungsquoten erreicht werden. Das tun Sie aber nicht, und das ist bedauerlich.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Ich empfehle Ihnen, den ersten Satz aus dem ersten Beitrag von Herrn Lenz noch einmal nachzulesen. Er hat gesagt: Die Zahlen kommen erst am 30. September heraus. Dann hat er gesagt: Obwohl wir noch keine verlässlichen Zahlen haben,

(Ursula Körtner [CDU]: So ist es!)

wollen wir mal schätzen. Wir schätzen, dass da eine Lücke ist, und dann machen wir das alles weiter.

(Vizepräsidentin Astrid Vockert übernimmt den Vorsitz)

Wissen Sie, Herr Lenz, das ist, ganz höflich gesagt, unseriös.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Denn es ist Jahr für Jahr das Gleiche: im Frühjahr die große Dramatik, nach den Sommerferien die etwas abgeschwächte Dramatik, im Dezember kommen wir zur Nachvermittlung, und dann stellen wir leider fest - so war das im letzten Jahr; ich hoffe, dass das in diesem Jahr besser wird -, dass von den für eine Nachvermittlung angeschriebenen Jugendlichen nur ein Drittel überhaupt Interesse bekundet hat, Gespräche zu führen.

In dem Antrag steht, dass die grundlegende Ursache die nachlassende Ausbildungsbereitschaft sei. Ich will durchaus zugestehen, dass das eine Ursache ist. Es ist aber nicht die grundlegende Ursache. Die grundlegende Ursache liegt darin - das haben wir vielleicht gemeinsam zu vertreten -, dass eine zum Teil falsche Theoretisierung der Ausbildungsgänge erfolgt ist, die viele Betriebe von der Möglichkeit ausgeschlossen hat, auszubilden, dass Ausbildungsvergütungen vereinbart worden sind, die die Betriebe heute so nicht mehr zahlen können. Warum wollen die Gewerkschaften denn nicht mal ein Modell fahren, nach dem jemand, der schon eine Vergütung für zwei Ausbildungsplätze zahlt, dann, wenn er einen Dritten einstellt, aus dem Gesamtbetrag dieser beiden Vergütungen drei zahlen kann? Das kann man doch tarifvertraglich für ein Jahr absichern. Das könnten die Tarifparteien ja machen, um neue Ausbildungsplätze zu schaffen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Ich will gar nicht in den Streit darüber eintreten, wie viel der DGB ausbildet oder nicht. Interessant ist nur - das ist ja unbestritten -, dass diese Zahl weit unter dem Durchschnitt ist.

Herr Hermann, vielleicht haben Sie die Begründung für die außerbetrieblichen Ausbildungsplätze nicht gelesen. Sie sollen nämlich in Kooperation mit den Tarifpartnern gestaltet werden. Auf diese Weise kommen mit diesem Antrag in die Entscheidung, die der Betriebsinhaber für einen Ausbildungsplatz trifft, plötzlich die Tarifpartner hinein. Ich kann dazu nur sagen: Dann werden am Ende noch weniger junge Leute eingestellt; denn das lässt ein Handwerksmeister nicht mit sich machen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Im Übrigen würde ich empfehlen - das, Herr Jüttner, richte ich an die Fraktionsführung -, dass man in einem solchen Antrag, der ja ernste Ziele verfolgt, nicht zwischen den Begriffen „überbetrieblich“ und „außerbetrieblich“ schwankt. Meine Damen und Herren, Herr Lenz hat in seinem ersten Beitrag von überbetrieblichen Ausbildungsplätzen gesprochen. In dem Antrag aber ist von außerbetrieblichen Ausbildungsplätzen die Rede. Ich habe mir den Text daraufhin noch einmal angeguckt und herausgefunden: Im zweiten Absatz auf Seite 2 variiert das plötzlich; da taucht in der einen Zeile „außerbetrieblich“ und in der nächsten „überbetrieblich“ auf. Ich finde, Sie müssten erst einmal

sortieren, was Sie machen wollen. Denn die Sache selber ist zu ernst.

Wir müssen uns ebenfalls - ich bin sehr dafür über die Zahlen unterhalten, die hier eingeführt worden sind, darüber, ob diese Zahlen tragen oder nicht tragen, beispielsweise die Zahlen im Bildungsbericht.

(Ursula Körtner [CDU]: Ja!)

Wenn in diese Zahlen Jugendliche hineingerechnet werden, die niemals eine duale Ausbildung gemacht haben, kommt man auf ganz andere Werte, als wenn man die Jugendlichen nimmt, die sich überhaupt um einen Ausbildungsplatz im dualen System bemühen. Es gibt also, trotz jahrzehntelanger Diskussionen in diesem Bereich, offenbar einen Zahlensalat, der zwar mal dem einen und mal dem anderen nützt, aber eben nicht den Jugendlichen, um die wir uns kümmern müssen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)