Protokoll der Sitzung vom 16.03.2011

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Das ist wohl das Los der Regierungsfraktionen: Wenn eine Frage nicht gestellt wird, dann wird kritisiert, dass sie nicht gestellt worden ist. Eine Frage, die gestellt wurde, wird von der Opposition als überflüssig kritisiert. - Wir werden es Ihnen nicht recht machen können, und das wissen wir auch. Immerhin meine ich - das haben Sie zum Ausdruck gebracht, Herr Kollege Tonne -, dass auch Sie den Eindruck haben, dass diese Große Anfrage und die Antwort darauf Ihnen viel Diskussionsmaterial und viele Möglichkeiten geben, um eine eigene Initiative zu ergreifen und in diesem Bereich aus eigener Kraft tätig zu werden. Insofern werden auch Sie von dieser Großen Anfrage hinlänglich profitieren.

Ein großer Block, zu dem in der Tat nicht gefragt worden ist, Herr Kollege Adler, den ich aber interessant gefunden hätte, betrifft die Frage der Einkommenssituation der Anwälte und die Frage, wie sich die Anwaltsflut darauf auswirkt. Das Problem ist, dass wir hierauf natürlich keine Antwort erwarten können und dürfen. Die Informationen könnte nur das Finanzamt geben. Davor steht aber das Steuergeheimnis. Diese Zahlen werden nicht erhoben. Sie sind nicht abfragbar und nicht ermittelbar. Auch aus diesem Grunde haben wir diese Fragen nicht gestellt.

(Ernst-August Hoppenbrock [CDU]: Das müsste der Kollege Adler doch wissen!)

Ich möchte nun nicht alle Punkte, die der Minister erwähnt hat, wiederholen.

Für die Frage der Anwaltszahlen will ich noch auf folgenden Umstand hinweisen: Wenn wir in den

vergangenen zehn Jahren eine Steigerung der Zahl der Anwaltszulassungen von etwa 30 % gehabt haben, dann ist die logische Konsequenz daraus, dass wir relativ viele junge Anwälte haben - etwa 58 % sind im Alter zwischen 30 und 50 Jahren - und relativ wenige Anwälte, die über 60 Jahre alt sind. Das wird in der Folge zu einem weiteren Problem werden. Es bedeutet, dass relativ wenige Kollegen in den nächsten Jahren ihre Zulassung aus Altersgründen zurückgeben werden. Sehr viele Kollegen, nämlich 58 %, werden noch sehr viele Jahre im Beruf bleiben, weil sie die Altersgrenze noch nicht erreicht haben. Möglicherweise werden auch neue Kollegen, weil sie keinen anderen Job finden, in den Anwaltsberuf hineindrängen. Das heißt, die Situation des Anwaltsmarktes wird sich gegenüber dem heutigen Stand deutlich verschärfen. Die Anwälte und all diejenigen, die diesen Beruf anstreben, sollten sich darauf einstellen, dass es eher schwieriger als besser werden wird.

Herr Tonne, Sie haben gesagt, die Kollegen reagieren auf diesen geänderten Markt zunehmend durch Spezialisierung. Das ist richtig. Ich finde, das ist eine ausgesprochen gute Tendenz. Ich finde es gut, wenn Anwaltskolleginnen und -kollegen sich spezialisieren. Die Anforderungen sind hoch. Sie bestehen zum einen, wie richtig gesagt worden ist, aus einer relativ umfangreichen theoretischen Zusatzausbildung und zum anderen aus einer großen Anzahl von Fällen, die man in der Praxis bearbeitet haben muss und nachweisen muss, um diese Anwaltszulassung zu bekommen. Das halte ich für richtig. Ich wäre dagegen, das herabzusetzen; denn das ist ein Qualitätsmerkmal. Da es ein Qualitätsmerkmal ist, muss die Qualität dem zugrunde liegen, damit es nicht irreführend wird. Nicht angesprochen wurde die Tatsache, die aber erwähnt werden sollte, dass man nur Fachanwalt bleibt, wenn man eine jährliche Pflichtfortbildung mit einem gewissen Stundenumfang absolviert. Das sichert die Qualität. Theoretische Fortbildungen das ganze Leben lang, ausreichende Anzahl von Fällen - das ist für die Qualität in diesem Bereich ausgesprochen gut.

Die zweite Möglichkeit, darauf zu reagieren, ist die Werbung. Ich habe nicht das Gefühl, dass hier Exzesse passieren und dass es zu unangemessener Werbung aus dem Bereich der Anwaltschaft kommt. Ich glaube, dass auch die Berufskollegen diesen Eindruck teilen. Ich will aber eine Bemerkung zu etwas machen, was mich ein wenig stört. Ich will daraus kein Geheimnis machen. Nach der

Berufsordnung darf man mit einem Interessenschwerpunkt, einem Tätigkeitsschwerpunkt und mit einer Fachanwaltsbezeichnung werben. „Interessenschwerpunkt“ bedeutet, dass man sich für ein Rechtsgebiet interessiert, aber keine Ahnung davon und keine praktische Erfahrung damit hat. Denn wenn man sich dafür interessieren würde und auch praktische Erfahrung hätte, dann wäre es ein Tätigkeitsschwerpunkt. „Tätigkeitsschwerpunkt“ bedeutet Interesse plus praktische Erfahrung. Wer dann auch noch eine Zusatzausbildung hat, kann sich Fachanwalt nennen. Der Begriff Interessenschwerpunkt ist, wenn ich es wettbewerbsrechtlich betrachte, für mich schon fast irreführend.

(Zustimmung von Dirk Toepffer [CDU])

Jemand, der nicht weiter nachdenkt, geht davon aus, dass jemand, der Interesse an etwas hat, auch große Erfahrung auf diesem Gebiet hat. Das besagt der Begriff Interessenschwerpunkt leider keineswegs.

Zum Notariat ist viel gesagt worden. Ich darf daran erinnern, wie diese Altersstruktur im Notariat entstanden ist. In den 70er- und 80er-Jahren gab es keine Bedürfnisprüfung. Wer zehn Jahre lang Rechtsanwalt war, wurde Notar. Die Bedürfnisprüfung ist erst später eingeführt worden, damals auch mit dem Ergebnis, dass die ältesten Anwälte, wenn ein Bedürfnis bestand, Notare wurden. Wir haben eigentlich erst jetzt einen Zustand, den ich für ausgesprochen richtig halte, nämlich die Kombination aus Bedürfnis - wobei ich ausdrücklich dafür stehe, dass eine gewisse Mindestgröße eines Notariats erforderlich ist - und einer weiteren theoretischen Ausbildung mit der Folge, dass ein jüngerer Anwalt eher in ein Notariat kommen kann als ein älterer Anwalt. Das wird sich auf die Altersstruktur im Notariat sehr schnell positiv auswirken.

Der Kollege Tonne hat einige rechtspolitische Fragestellungen in der Großen Anfrage vermisst. Für mich ist die Große Anfrage eher eine Datensammlung. Aber ich gebe Ihnen recht, die Frage ist natürlich, welche politischen Diskussionen daraus erwachsen.

Die erste Frage, die ich mir persönlich stelle und über die es sich zu diskutieren lohnt: Ist es unser Job als Politiker, den Zugang zum Anwaltsberuf zu erschweren? Man kann sagen: „Jeder kann Anwalt werden, der das will, die Hauptsache ist, dass der das zweite Staatsexamen hat.“ Theoretisch gäbe es Möglichkeiten, dort entsprechend einzugreifen. Ich darf daran erinnern, dass der Deutsche An

waltsverein ein solches Anwaltsmodell schon einmal in die Diskussion gebracht hat, nämlich das Anwaltsassessoriat. Das heißt, man muss ein Jahr zusätzlicher Anwaltsausbildung bei einem Rechtsanwalt machen. Nur dann darf man als Anwalt zugelassen werden. Wer keinen Anwalt findet, der einen ausbildet, hat Pech gehabt. Damit bekäme die Anwaltschaft also ein eigenes Regulativ in die Hände, um den Zugang für die Zukunft zu regulieren. Wir müssten einmal diskutieren, ob so etwas zu unterstützen wäre und ob es unsere Aufgabe als Politik ist, dort entsprechend einzugreifen.

Eine zweite Fragestellung: Wenn wir feststellen, dass sehr viele junge Juristen in den Anwaltsberuf drängen, dann kann man fragen - das ist auch bereits gefragt worden -, ob es denn Aufgabe des Staates ist, ihn im Referendariat für die Anwaltsstelle auszubilden. Wir bilden im Grunde genommen für einen Berufszweig außerhalb des öffentlichen Dienstes aus. Dazu muss ich für meine Person ganz eindeutig sagen - ich glaube, diese Ansicht teilen auch die Rechtspolitiker der CDUFraktion -: Ja, die Art und Weise, wie wir die Referendarausbildung gestalten, ist ein ausgesprochenes Pfund, das wir in Deutschland besitzen. Es ist ausgesprochen positiv zu bewerten, dass auch derjenige, der später Anwalt wird, vorher schon einmal gesehen hat, wie ein Richter arbeitet und wie in einer Verwaltungsbehörde gearbeitet wird. Das fördert im Grunde genommen das Zusammenspiel der verschiedenen Träger, die an der Rechtsordnung beteiligt sind. Das halte ich für ausgesprochen gut.

Jetzt noch zwei, drei Bemerkungen zur Beratungs- und Prozesskostenhilfe. 11,3 Millionen Euro Beratungshilfe - 9 950 Anwälte. Das heißt, die Beratungshilfe schlägt im Jahresumsatz eines Rechtsanwaltes im Durchschnitt mit 1 142 Euro zu Buche. Die Prozesskostenhilfe beträgt 51 Millionen Euro. Das ist ein Jahresumsatz pro Anwalt von im Durchschnitt 5 136 Euro. Das bedeutet für mich zugleich: Eine Diskussion darüber, hier zu Eingrenzungen und Beschränkungen zu kommen, ist keine Frage des Einkommens der Anwaltschaft, sondern - wie richtig gesagt worden ist - ausschließlich eine Fragestellung des Zuganges minderbemittelter Personen zum Recht. Dabei bin ich voll und ganz auf der Seite derjenigen, die sagen: Da darf es keine Eingrenzungen geben, die dazu führen, dass man es sich nicht leisten kann, einen berechtigten Anspruch geltend zu machen, weil man nicht über die entsprechenden Mittel verfügt.

(Beifall bei der CDU - Grant Hendrik Tonne [SPD]: Dann müssen Sie aber die eigene Initiative zurücknehmen!)

Führen wir uns die Zahlen noch einmal vor Augen: 11,3 Millionen Euro für Beratungshilfe. Das sind jährlich 1,42 Euro pro Bürger in Niedersachsen. 51 Millionen Euro für Prozesskostenhilfe entsprechen jährlich 6,39 Euro pro Bürger in Niedersachsen. Diese Summen, die der Staat aufbringt, um Menschen zu ihrem Recht zu verhelfen, wenn sie selber sich das nicht leisten können, sind keinesfalls unverhältnismäßig.

Das wäre zunächst einmal eine erste Bewertung der Antwort auf diese Große Anfrage.

Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Herzlichen Dank, Herr Dr. Biester. - Für die FDPFraktion hat nun Herr Professor Dr. Zielke das Wort. Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch von mir zunächst ein Dank an die Landesregierung und das Justizministerium für die sorgfältige Beantwortung der Großen Anfrage.

(Zustimmung bei der CDU)

Leider mussten einige interessante Einzelfragen unbeantwortet bleiben, weil offenbar keine entsprechenden statistischen Daten vorhanden sind.

(Grant Hendrik Tonne [SPD]: Einige Fragen wurden nicht gestellt!)

Insgesamt kann man - jedenfalls aus meiner Sicht - ganz grob und pauschal ein einfaches Fazit ziehen: In Niedersachsen gibt es weder bei den zugelassenen Anwälten noch bei den Notaren eklatante Probleme, die ein umgehendes Eingreifen des niedersächsischen Gesetzgebers erfordern würden.

(Hans-Dieter Haase [SPD]: Das ha- ben Sie wohl auch nicht ernsthaft er- wartet!)

Aber viele Entwicklungen verdienen - ganz klar - unsere kontinuierliche Aufmerksamkeit.

Ein paar Einzelpunkte. Haben wir eine Anwaltsschwemme? - In den vergangenen zehn Jahren hat es bei den Anwälten in Niedersachsen - das

wurde bereits gesagt - einen Zuwachs von rund 30 % gegeben. Insgesamt gibt es in Niedersachsen rund 10 000 Anwälte, d. h. einen Anwalt für rund 800 Einwohner. Abgesehen von Hannover sind sie relativ gleichmäßig über das Land verteilt. Die niedrigste Quote liegt lokal, nämlich in Stade, bei einem Rechtsanwalt auf etwa 1 300 Einwohner. Eindeutiges Fazit ist also: Der Rechtsweg steht für alle Bürger weit offen.

(Helge Stefan Limburg [GRÜNE]: Das hängt aber nicht so sehr von der Zahl der Anwälte ab!)

Bei den 10 000 sind nicht mitgezählt Juristen, die abhängig - in Unternehmen, Verbänden oder Kommunen - beschäftigt sind, und auch nicht die rund 2 400 Rechtskundigen in der niedersächsischen Justiz.

Die Zahl der Anwältinnen hat sich in den letzten zehn Jahren verdreifacht. Waren im Jahr 2000 nur 16,6 % aller Anwälte weiblich, so sind es 2010 fast 40 %. Der gendermäßige Vormarsch der Frauen in akademischen Berufen ist im Rechtsbereich offensichtlich gelungen.

(Hartmut Möllring [CDU]: Justitia ist ja auch weiblich!)

Interessant ist auch - auch wenn ich nicht vertieft darauf eingehen kann -, dass es im Gegensatz etwa zu Ärzten unter den Anwälten kaum Ausländer in Niedersachsen gibt, nämlich ganze 4 von knapp 10 000, und dies trotz der beruflichen Freizügigkeit in der EU.

Zur Situation gehört auch, dass arbeitsuchend etwa 8 % der Anwälte und knapp 5 % als arbeitslos gemeldet sind.

Eine andere Frage, die viele Anwälte bewegt hat und noch bewegt, nämlich ob sich das Rechtsdienstleistungsgesetz von Mitte 2008 bewährt hat oder nicht, ist leider noch nicht mit statistischen Zahlen zu unterlegen. Dieses Gesetz erlaubt Nichtanwälten wie beispielsweise Kfz-Werkstätten, in gewissem Umfang im Rechtsbereich tätig zu werden. Die rechtliche Qualität solcher fachfremder Betätigung wird im Auge zu behalten sein.

Ebenfalls aus dem Jahr 2008 stammt die Neuerung, dass auch für anwaltliche Tätigkeiten eine erfolgsabhängige Vergütung vereinbart werden kann. Leider scheint es aber auch hierzu noch keine statistischen Zahlen zu geben. Allerdings gibt es Hinweise, dass bisher von dieser in den

USA sehr weit verbreiteten Möglichkeit nur wenig Gebrauch gemacht wird.

Zum Schluss noch ein Wort zur erwähnten und immer wieder gern diskutierten Reform der Juristenausbildung. Wer eine grundlegende Reform fordert - sei es als sogenanntes Anwaltsreferendariat, sei es als Bachelor- oder Masterstruktur -, dem obliegt die Beweislast, dass das geforderte Neue besser sei als das Bisherige, nicht umgekehrt.

(Grant Hendrik Tonne [SPD]: Wie soll man das denn machen, wenn man es nicht getestet hat?)

Der Bologna-Prozess ist keine rechtsverbindliche EU-Vorschrift. Wir sind gespannt auf den Bericht der von der Konferenz der Justizminister hierzu eingesetzten Kommission.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Danke schön auch Ihnen. - Nun hat Herr Kollege Limburg für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Bitte schön!

(Heinz Rolfes [CDU]: Hat der nicht schon?)

Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zunächst einmal zu den Punkten, bei denen zwischen uns Einigkeit herrscht: Ich finde es ausdrücklich richtig, dass in der Beantwortung betont worden ist, dass der Rechtsanwalt auch zukünftig ein unabhängiges, selbstständiges Organ der Rechtspflege bleiben soll und bleiben muss und nicht etwa, wie das vereinzelt zu beobachten ist und vereinzelt gefordert wird, ein abhängig Beschäftigter werden und sozusagen nur noch ausführendes Organ seines Mandanten sein soll. Vielmehr ist der Rechtsanwalt ein selbstständiges Organ der Rechtspflege. Das ist gut und richtig so, und soll auch in Zukunft so bleiben, meine Damen und Herren.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Ein zweiter Aspekt - dieser ist hier mehrfach angesprochen worden, zuletzt gerade von Herrn Professor Zielke - ist, dass der Rechtsweg für alle Niedersächsinnen und Niedersachsen offenstehen muss, und zwar unabhängig vom Geldbeutel.