Protokoll der Sitzung vom 07.12.2011

Zweitens: die Abhängigkeit des Bildungserfolges jedes einzelnen Kindes vom Elternhaus in der Zukunft zu durchbrechen. Daraus resultieren Forderungen nach Ganztagsschule und die Tatsache, Gesamtschulen zu ermöglichen.

Drittens: die Inklusion.

Viertens: die frühkindliche Bildung in Niedersachsen so zu gestalten, dass der Rechtsanspruch für die unter Dreijährigen auf einen Krippenplatz sichergestellt wird und die Qualität der Bildung im frühkindlichen Bereich gestärkt wird. Was macht diese Regierungskoalition, um die wichtigen Herausforderungen in diesem Bereich anzugehen? - Leider überhaupt gar nichts!

(Beifall bei der SPD)

Zum Thema „Bewältigung des demografischen Wandels“ haben die Oberschule mit gymnasialem Angebot und die Oberschule ohne gymnasiales Angebot Einzug in Niedersachsen gehalten - zwei zusätzliche Schulformen zu der bundesweit ohnehin schon beklagten Flut an Schulformen im Sekundarbereich I! Das muss man sich einmal vorstellen: Sie führen zwei zusätzliche Schulformen ein, obwohl jedem, der sich mit dem Thema demografischer Wandel beschäftigt, klar ist, dass gerade die Zergliederung und Zersplitterung im Schulsystem den Schulträgern im ländlichen Raum angesichts des Rückgangs der Schülerzahlen Riesenprobleme bereitet.

Nicht zuletzt die Schulträger und deren Vertreter, die kommunalen Spitzenverbände, haben in der Diskussion um die Oberschulen gefordert, dass es

möglich sein muss, als Alternative die Gesamtschulen anzubieten und die hohe Hürde der Fünfzügigkeit endlich fallen zu lassen.

(Beifall bei der SPD)

Erst heute sind mir und einigen Kollegen aus dem Hause wieder Petitionen von einer IGS-Initiative aus Einbeck im Landkreis Northeim eingereicht worden, die dort eine vierzügige IGS einrichten könnten.

(Christian Grascha [FDP]: Das wird das Schulsystem dort kaputt machen!)

Dort könnten gut das Gymnasium und die Realschule weiter bestehen bleiben. Sie fordern Fünfzügigkeit und verbieten eine vernünftige Entwicklung des Schulangebotes vor Ort.

(Lebhafter Beifall bei der SPD)

Diese Landesregierung bleibt also stur bei ihrem Kurs der Fünfzügigkeit und hat doch keine Argumente dafür.

(Hans-Werner Schwarz [FDP]: Das bleibt vernünftig, Frau Heiligenstadt!)

Mit einer Vierzügigkeit und in Ausnahmefällen auch Dreizügigkeit könnten Sie wirklich Ruhe bei den Schulträgern einkehren lassen.

Natürlich hat diese Frage der Schulstruktur auch Auswirkungen auf den Haushalt. Mittel für 550 zusätzliche Vollzeitlehrereinheiten werden allein in diesem Haushalt benötigt, um die Oberschule zu finanzieren. 550 Lehrerinnen und Lehrer bedeuten rund 27 Millionen Euro pro Jahr zusätzlich.

Das ist aber bei den Oberschulen noch nicht alles. Sie haben auch veranschlagt, dass für die Umwandlung der Konkordatsschulen in Oberschulen einschließlich des Jahres 2015 rund 9,5 Millionen Euro zusätzlich ausgegeben werden müssen. Bei 15 Konkordatsschulen in Niedersachsen sind das 9,5 Millionen Euro zusätzlich in vier Jahren. Das sind durchschnittlich 160 000 Euro pro Jahr pro Oberschule zusätzlich. Das ist sogar noch höher als der Ansatz, den Sie modellhaft selbst für die Änderung im Haushaltsbegleitgesetz als zusätzliche Finanzierung der freien Schulen errechnet hatten.

(Christian Grascha [FDP]: Mehr Geld für Bildung ist doch gut!)

Dort haben Sie ca. 100 000 Euro an zusätzlichen Kosten für die Oberschule im Verhältnis zu einer Haupt- und Realschule errechnet. Mittel nur für

eine Schulform? - Diese Mittel gibt es nur deshalb, weil diese CDU und diese FDP Gesamtschulen immer noch aus ideologischen Gründen ablehnen. Das ist wahrlich eine teure Ideologie.

(Beifall bei der SPD)

Diese Haushaltsmittel könnten wir für andere Schwerpunkte wesentlich besser einsetzen. Da wäre z. B. der zweite Punkt der Herausforderungen, die ich genannt hatte: die Abhängigkeit des Bildungserfolges vom Elternhaus bzw. der Herkunft der Schülerinnen und Schüler. In keinem anderen Land der Welt und in keiner anderen Gesellschaft ist die Herkunft des Kindes so ausschlaggebend für den Bildungserfolg wie bei uns in Deutschland. Es ist längst erwiesen, dass es insbesondere die vielen Übergänge von Kita in Grundschule, von Grundschule in weiterführende Schulen, von Schule in Beruf und dann in das Studium und die starke Zergliederung der Strukturen sind, die genau zu dieser Abhängigkeit führen.

Es ist unstrittig, dass Kinder daher möglichst auf Ganztagsschulen mit verpflichtendem Nachmittagsangebot gehen sollten und dass möglichst langes gemeinsames Lernen die Entwicklung der schwächeren Kinder fördert. Was macht diese Landesregierung bei Ganztagsschulen? - Der Minister erklärt im Ausschuss, dass die Ganztagsmittel des Haushaltes in erster Linie an die Oberschulen gehen werden. Oberschulen werden von Ihnen nur deshalb so ausgestattet, damit die Schulträger sie beantragen und nachher der Minister stolz Zahlen präsentieren kann, wie viele Oberschulen schon eingerichtet worden sind. Ich betone nochmals: Ganztagsmittel nur an Oberschulen! Die anderen Schulen und insbesondere die Grundschulen werden in den kommenden Jahren in die Röhre gucken.

Die anderen Schulen werden erklären müssen, dass sie vollständig auf die Ganztagsmittel verzichten werden, wenn sie Ganztagsschule werden wollen. Was das auslöst, haben wir in den letzten Monaten erlebt. Die ganze Problematik von Honorarkräften an Ganztagsschulen ist schon ein Skandal an sich. Seit Jahren ist bekannt, dass das Billigmodell Ganztagsschule light nur mit Honorarkräften und Ehrenamtlichen aufrechterhalten werden kann. Die Staatsanwaltschaft forscht in der Zwischenzeit stichprobenartig in 90 Schulen nach arbeitsrechtlichen Verstößen. Erst am 28. November dieses Jahres hat Herr Dr. Althusmann nach der Sondersitzung des Kultusausschusses mitgeteilt, er werde bis auf Weiteres keine neuen

Honorarverträge mehr zulassen. Vier mobile Teams würden nun das Land bereisen und vor Ort Honorarverträge sichten. Eine zentrale Steuerungseinheit bei der Landesschulbehörde soll alles koordinieren. Zudem wird ein Gutachten zur rechtlichen Klärung der Angelegenheit in Auftrag gegeben.

Diese Maßnahmen hätte eigentlich schon seine Vorgängerin, Frau Heister-Neumann, 2008 anordnen müssen, als die Deutsche Rentenversicherung das erste Mal Alarm schlug.

(Lebhafter Beifall bei der SPD)

Der Minister Althusmann seinerseits hätte spätestens vor einem Jahr reagieren müssen, nachdem ihn auch noch der Landesrechnungshof über die besondere Brisanz des Problems informiert hatte. Beides ist unterlassen worden, sowohl von Frau Heister-Neumann als auch von Herrn Althusmann.

Die nun eingeschalteten Notmaßnahmen werden das Land voraussichtlich mehr kosten, als wenn seit 2004 der Ganztag langsamer, aber dafür rechtlich einwandfrei auf ordentliche arbeitsrechtliche Füße gestellt worden wäre. Das ist wieder eine zusätzliche Belastung für den Landeshaushalt. Die Folgen tragen Schülerinnen und Schüler, Schulleiterinnen und Schulleiter mit Einschränkungen des Angebotes und hoher Unsicherheit an den Schulen. Das ist ein Skandal!

(Lebhafter Beifall bei der SPD)

Der Minister, meine Damen und Herren, ist nach wie vor die Antwort auf die Frage schuldig geblieben, wie der Ganztagsschulbetrieb in Niedersachsen zukünftig rechtlich einwandfrei fortgesetzt werden kann. Wegen seiner Untätigkeit müssen nun Schulleitungen, Lehrkräfte sowie die Schülerinnen und Schüler seine Versäumnisse ausbaden. Bis heute liegt kein Konzept zur Finanzierung des Ganztages vor. Stattdessen von Ihnen nur Beschwichtigungen, Sie hätten alles im Griff. Handeln immer erst dann, wenn die Staatsanwaltschaft oder der Zoll da sind oder die Opposition oder die Rentenversicherung Druck machen. Das ist keine konzeptionell gute Schulpolitik, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Wer Ganztagsschule will, der muss Ganztagsschule auch finanzieren.

(Ulf Thiele [CDU]: Wo ist Ihr Haus- haltsantrag zu diesem Thema?)

Das sind nun einmal 30 % pro Schule mehr als für den Halbtag. Wir sagen nicht, dass man alles mit Lehrerstellen finanzieren muss. Aber Arbeitsrecht, Steuerrecht und Sozialversicherungsrecht sollten Sie schon einhalten, meine Damen und Herren. Oder nehmen Sie es damit nicht so genau, Herr Thiele? - Ich habe den Eindruck: eher nicht.

(Ulf Thiele [CDU]: Aber wir nehmen es mit dem Haushaltsrecht sehr genau!)

(Vizepräsident Hans-Werner Schwarz übernimmt den Vorsitz)

Ein wahres Problem im Ganztagsbereich besteht auch für die neuen Integrierten Gesamtschulen. Sie statten Schulen mit Ganztagszuschlag aus, die nicht erforderlich waren, nur um Ihr Erfolgsmodell besser verkaufen zu können. Dabei enthalten Sie den neu gegründeten Integrierten Gesamtschulen den dringend notwendigen Ganztagszuschlag für ihre pädagogischen Konzepte vor. Diese Ungleichbehandlung und die durch falsches und möglicherweise rechtswidriges Handeln dieser Landesregierung verursachten Mehrkosten halten wir für eine desaströse Fehlsteuerung im Ganztagsbereich, meine Damen und Herren.

(Zustimmung bei der SPD)

Kommen wir zur dritten Herausforderung, zur Inklusion. Dazu haben Sie ja eine Änderung des Schulgesetzes vorgelegt, und wir werden dazu in der nächsten Woche eine Anhörung durchführen. Nur eines ist schon klar: Inklusion ist nicht zum Nulltarif zu haben. Sie müssen schon klar und deutlich die Frage beantworten, welche Förderschulen noch parallel aufrechterhalten werden sollen und welche nicht. Eines ist jedenfalls klar: Parallele Systeme sind am teuersten. Wir haben eher den Eindruck, dass Sie sich vor der Frage, wie es mit der Inklusion in Niedersachsen weitergehen soll, drücken wollen.

Außerdem ist zwischen allen bildungspolitischen Akteuren unstrittig, dass zur Inklusion auch die Fortbildung der Lehrkräfte im System gehört. Aber was machen Sie? - Sie kürzen auch noch den Fortbildungsbereich der Lehrkräfte. Auch wenn Sie nach außen hin sagen, dass die Fortbildung zur Inklusion aufrechterhalten bleibt, so ist doch festzustellen: Das kann nicht auf Kosten der anderen Fortbildung geschehen.

Kommen wir zur letzten von mir genannten Herausforderung, zur frühkindlichen Bildung: Wahrlich kein rühmliches Kapitel bei dieser Landesregie

rung! Beim Krippenausbau ist Niedersachsen mit 19,1 % auf dem unrühmlichen vorletzten Platz,

(Astrid Vockert [CDU]: Aber von wo sind wir denn gestartet? Was war denn die Ausgangsposition, die Sie uns hinterlassen haben?)

und auch im Haushaltsplanentwurf 2012/2013 hat die Landesregierung dafür keine zusätzlichen Mittel vorgesehen. Dabei haben wir seit 2007, also seit den Vereinbarungen zum Krippengipfel, immer wieder Anträge gestellt und darauf hingewiesen, dass das Land im Rahmen der Bund-LänderVereinbarung zwar zugesagt hat, ein Drittel der Finanzierung zu tragen, dass es sich aber nicht daran hält.

Frau Kollegin Heiligenstadt, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Eigentlich müssten Sie über den gesamten Zeitraum 170 Millionen Euro zusätzlich bereitstellen.

(Björn Försterling [FDP]: Was ist denn mit den Betriebskosten?)

Dass die 40 Millionen Euro, die Sie jetzt über die Liste hineingenommen haben, von den 170 Millionen Euro noch weit entfernt sind, versteht sich von selbst. Aber wenn man dieses Thema jahrelang verschlafen hat, dann kann man kurz vor Toresschluss natürlich nicht mehr alles herumreißen.

(Beifall bei der SPD)