Protokoll der Sitzung vom 19.01.2012

Was er ebenfalls ausblendet: Der Fachkräftemangel im MINT-Bereich - die Kollegin Lesmann hat schon darauf hingewiesen - ist weiblich. Das heißt, wir müssen uns Gedanken darüber machen, wie wir den naturwissenschaftlichen Unterricht so weiterentwickeln, dass er auch Mädchen interessiert. Ausbildungsbetriebe und Hochschulen haben dann letztendlich die Suppe auszulöffeln, die die Schule ihnen eingebrockt hat. Das Studium von MINTFächern ist für viele nicht attraktiv. Wir haben es dank des Hochschulpaktes zwar geschafft, in den Ingenieurwissenschaften zumindest in den Jahren 2005 und 2009 - um einen Vergleich zu nehmen - die Zahl der Erstsemester um 23,6 % zu steigern. Bei Naturwissenschaften und Mathematik hatten

wir gleichzeitig aber einen Rückgang um 15 % zu verzeichnen.

Es ist aber nicht nur der Mangel allein, der Sorgen macht. Bundesweite Abbrecherquoten von 35 % machen deutlich, dass es auch an den Hochschulen Handlungsbedarf gibt. Hier brauchen wir aus unserer Sicht dringend aussagekräftiges Datenmaterial für Niedersachsen, das auch erfasst, warum oder mit welcher Begründung junge Menschen ein Studium in den Naturwissenschaften oder in den MINT-Fächern abbrechen.

Außerdem haben wir aus unserer Sicht großen Handlungsbedarf bei der didaktischen Weiterbildung von Professorinnen und Professoren. Auch dieser Aspekt fehlt in Ihrem Antrag. Trotzdem benennt er im Forderungskatalog in Teilen bedenkenswerte Ansätze. Wir kündigen hier schon einmal an, dass wir in die Ausschussberatungen einen eigenen Antrag einbringen werden, und regen an, zu diesem Thema eine Anhörung durchzuführen. In diesem Sinne hoffen wir auf konstruktive Beratungen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Herzlichen Dank, Frau Dr. Heinen-Kljajić. - Für die Fraktion DIE LINKE spricht nun Frau Reichwaldt.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die These der einbringenden Fraktionen zur Begründung des vorliegenden Antrags lautet: Der aktuelle und zukünftige Fachkräftemangel macht eine Stärkung des sogenannten MINT-Bereichs, also der Fächer Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik, dringend erforderlich. Aus zwei Gründen können wir diesem Antrag nicht zustimmen: Erstens. Die Analyse ist unserer Meinung nach falsch. Zweitens sind die Konsequenzen falsch und damit natürlich der gesamte Antrag.

Eine These wurde von den bisherigen Rednerinnen nicht infrage gestellt: Gibt es überhaupt einen Fachkräftemangel? - Die Statistiken sprechen eher dagegen. Nehmen wir z. B. die Lohnentwicklung. Ich gehe von dem Prinzip aus: Ein knappes Angebot treibt bei hoher Nachfrage den Preis nach oben. Nun ist aber der Preis für die Ware Arbeit von Fachkräften, also deren Lohn, in den letzten Jahren real nicht gestiegen. Ich nehme die Zahlen von Dr. Karl Brenke vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. Seit 2007 sind nach seinen Berechnungen die Löhne für Fachkräfte nominal

um gerade einmal 1 % gestiegen, real hat es also eine Lohnabsenkung gegeben. Das zeigt für mich, dass sich wohl die Nachfrage aufseiten der Wirtschaft in Grenzen hält, da diese nicht versucht, über höhere Löhne an mehr Arbeitskräfte zu kommen.

Ebenso muss der zukünftige Fachkräftemangel in Zweifel gezogen werden. Vergleichen wir doch einmal die Zahl der derzeit sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse in einzelnen Branchen mit der Zahl der Studierenden. Nehmen wir z. B. den Ingenieurbereich! Im März 2011 gab es für alle Ingenieurberufe zusammen knapp 700 000 sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse in ganz Deutschland. Wie viele Studierende gab es? - Über 300 000 Studierende. Selbst wenn wir Studienabbrecher herausrechnen, haben wir alle sechs Jahre 200 000 Absolventen, die dann 35 oder 40 Jahre lang arbeiten können.

200 000 Absolventen in 6 Jahren, 700 000 Ingenieure insgesamt. Meine Damen und Herren, diese Zahlen sprechen gegen einen Fachkräftemangel. Es könnte höchstens an den schlechten Arbeitsbedingungen liegen, wenn sich Hochschulabsolventen gegen einen Job in Deutschland entscheiden sollten.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Natürlich kann es bei manchen speziellen Qualifikationen und in einzelnen Regionen zu Problemen kommen. Aber solche Engpässe sind normal und hat es wohl auch immer schon gegeben. Also denke ich, die Analyse ist falsch. Ich glaube eher, dass wir den größten Fachkräftemangel im Bereich der Erziehung und der Pflege erleben werden, nicht aber im MINT-Bereich.

Und wenn schon die Analyse falsch ist, so sind es die daraus abgeleiteten Forderungen natürlich auch. Ich bin immer eine Freundin der Berufsorientierung an allen Schulformen gewesen. Aber ich setze mich dafür ein, dass dabei an alle Berufsbilder gedacht wird und es keinen MINT-Fokus und keine Einflussnahme der Wirtschaft auf Schulen gibt. Beides wollen Sie aber in dem Antrag.

Für die Hochschulen gilt dasselbe wie für die Schulen: keine einseitige MINT-Förderung, seien es die Programme gegen Studienabbruch oder Sonderprogramme. Wir sind dem gesamten Bildungs- und Wissenschaftsspektrum verpflichtet und nicht nur den MINT-Fächern. Daher lehnen wir Ihren Antrag ab.

(Beifall bei der LINKEN)

Herzlichen Dank, Frau Reichwaldt. - Für die FDPFraktion hat Frau von Below-Neufeldt das Wort. Bitte sehr!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nur MINT bringt frischen Wind. MINT, das ist die Frische, die wir brauchen; denn in der Tat: ohne MINT droht weiterer Fachkräftemangel, und ohne MINT kein technisch-naturwissenschaftlicher Fortschritt. MINT-Fächer sind also für die innovationsorientierte Industrie die wichtigste Voraussetzung. Reine Willensbekundungen bewirken weder Windenergie noch Kraftstoff sparende Fahrzeuge; die Technik braucht es dafür, den Ingenieur. „Kein Ding ohne ING“ - das ist der Spot der Ingenieurkammer, und dieser trifft den Nagel auf den Kopf; er ist goldrichtig.

Wir brauchen künftig nicht weniger, wir brauchen künftig mehr Technik. Das sichert unsere Volkswirtschaft, das sichert unseren Wohlstand. Die MINT-Fächer sind Grundlage für diesen notwendigen Wachstumskurs, und zwar für intelligentes Wachstum, verbunden mit der Absenkung des CO2-Ausstoßes. Das ist auch keine Quadratur des Kreises. Das ist eine Herausforderung für die Technik.

Der Neujahrsempfang der Ingenieurkammer stand unter dem Zeichen der Ingenieurwissenschaften und der Ingenieurarbeiten, mit deren Hilfe gerade umweltpolitische Fragen und Aufgabenstellungen gelöst werden können. Technischer Fortschritt heißt also immer: neue Industriefelder und neue Märkte. Die Windkraft zeigt es und ist bestes Beispiel dafür.

Mathe pauken? Physikformeln büffeln? - Ja, das ist sicherlich notwendig, aber das sind alte Bilder. Ich hoffe, Sie haben sie längst nicht mehr im Kopf. Wer je auf einer der drei erfolgreichen IdeenExpos war, hat andere Bilder im Kopf: lernen mit Überraschungseffekt, lernen mit Spaß, sehen, was geht, und das Erleben von physikalischen Gesetzmäßigkeiten. Das zu erwähnen ist mir wichtig; denn schon Kinder für MINT-Fächer zu begeistern und sie neugierig zu machen, das bereichert.

Guter Zugang zu den MINT-Fächern wird für die verschiedensten Altersgruppen geboten. Beispiele dafür: „Kinder forschen“, ein Projekt der Braunschweiger Bürgerstiftung mit der PTB, die IdeenExpo, Schule und Besuch außerschulischer Lernorte, das School Lab in Braunschweig und Göttin

gen oder auch das Phæno, die tolle Experimentierlandschaft in Wolfsburg oder ein Studium mit entsprechenden Vorbereitungskursen; das haben wir übrigens im Antrag formuliert.

Ganz gezielt gibt es auch Werbung, die sich an Frauen richtet; denn es hat sich gezeigt, dass auch viele Frauen in die Ingenieurberufe gehen. In einem Gespräch am vergangenen Montag mit Herrn Professor Dr. Hesselbach, dem Präsidenten der TU Braunschweig, hat sich gezeigt, dass es dort zurzeit 10 % sind. Also: Gezielt an Frauen gerichtete Werbung wird sowohl vom Bundesforschungsministerium als auch vom Land Niedersachsen betrieben, und in Hamburg gibt es sogar ein Internat, dessen Besuch monatlich ungefähr 700 Euro kostet. Dort werden junge Frauen auf das Studium in den MINT-Berufen vorbereitet.

Wer ein MINT-Studium absolviert hat - in Niedersachsen kann man gut und gut betreut studieren -, wird Absolvent und hat beste Berufsaussichten; denn es sind ja Mangelberufe. Im Ingenieurbereich standen laut VDI im Dezember 2011 deutschlandweit 98 300 Stellen zur Verfügung. In Niedersachsen sind es aktuell 10 300. Dass das nicht den gesamten Fachkräftemangel abbildet, kann ich nur ergänzen.

Die Förderung der MINT-Fächer ist also ein sehr wichtiges Anliegen. Es gibt viele Argumente, die MINT-Fächer zu stärken und die entsprechenden Bildungsangebote auszubauen. Dass Schule darauf vorbereitet, ist wichtig.

Ich freue mich schon auf die Beratung im Ausschuss, und ich denke, dass dieser wichtige Antrag genau zur rechten Zeit kam.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Ich danke Ihnen, Frau von Below-Neufeldt. - Nun haben Sie, Frau Ministerin Dr. Wanka, für die Landesregierung das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn man hier zuhörte, war es so, dass die Koalitionsfraktionen einen Antrag - Stärkung der MINTFächer, der Abschlüsse - einbrachten und dass die Argumentationen von Frau Lesemann und Frau Heinen-Kljajić ein Stück weit in die Richtung liefen: Ja, das ist ein Problem, aber es fehlen ganz viele

Dinge, die eigentlich in den Antrag hineingehören. - Und dann wurden einige Dinge aufgezählt.

Dazu kann man sagen: Das, was in dem Antrag steht, und auch das, was aufgezählt wurde - Engagement für Frauen, Vorbereitungskurse etc. -, machen wir. Das wird an den Schulen und an den Hochschulen ganz intensiv betrieben.

(Dr. Gabriele Andretta [SPD]: Dann ist der Antrag überflüssig?)

- Dazu komme ich noch.

Eigentlich gibt es keine einzige Maßnahme, die wir nicht durchführen. Auch das Kolleg, das hier genannt wurde, haben wir schon, es heißt bei uns nur anders.

Es gibt auch Effekte. Wenn man sich anschaut, wie seit 2005 die Zahl der Studierenden gewachsen ist und wie anteilig die Zahl der Studierenden in den MINT-Fächern gestiegen ist, so zeigt sich, dass wir eindeutig Erfolge zu verzeichnen haben, auch in den Schulen, was die Anwahl als Prüfungsfach anbetrifft, und wir sind - Gott sei Dank - in den Ergebnissen bezüglich der Frauen spitze, auch was die Quote der Absolventinnen im Vergleich derer, die anfangen, anbelangt.

Ich gebe Ihnen recht. Das ist ein ganz komplexes Thema. Es wird viel gemacht. Ich glaube aber - das wollte ich Ihnen, Frau Andretta, auf Ihre Frage sagen -, dass ein solcher Antrag trotzdem aus drei Gründen sehr sinnvoll ist:

(Vizepräsident Hans-Werner Schwarz übernimmt den Vorsitz)

Auch für die Hochschulen ist wichtig, dass ganz klar wird, dass in diesem Landtag über alles Mögliche diskutiert wird, auch über ein solches Problem, in dessen Lösung sie viel Arbeit investieren. Bei den Anhörungen, die angeregt wurden und bestimmt auch stattfinden werden, besteht eine Möglichkeit, sich einen guten Überblick zu verschaffen und das anzuerkennen, was dort geleistet wurde.

Diese gesellschaftliche Anerkennung ist nicht unwichtig. Ich hoffe darauf, dass auch neue Ideen eingebracht werden. Als Beispiel erwähne ich den Bereich der Frauenförderung in diesen Studiengängen, aber auch generell. Das betreiben wir zwar seit vielen Jahren mit Millionen von Euro in der gesamten Bundesrepublik, aber mit bescheidenen Effekten.

Das heißt, dabei geht es nicht so sehr darum, ob Geld vorhanden ist, sondern darum, was man klu

gerweise machen kann, um die Frauen wirklich zu erreichen und zu fördern.

(Zustimmung von Gudrun Pieper [CDU])

Deswegen glaube ich: Bei all den Themen, die hier eine Rolle spielen, ist solch ein Thema wichtig. Ich freue mich, dass sich alle engagieren wollen und es - mit Ausnahme der Linken - für sehr wichtig halten. Denn dieses Engagement brauchen wir.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Vielen Dank, Frau Ministerin. - Damit sind wir am Ende der Beratung; denn mir liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor.

Wir kommen damit zur Ausschussüberweisung.

Zuständig soll der Ausschuss für Wissenschaft und Kultur sein. Widerspricht jemand dieser Überweisung? - Ich sehe, dass das nicht der Fall ist. Dann ist das so beschlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 23 auf: