Protokoll der Sitzung vom 20.03.2012

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

Er enthält viele Elemente, die auch der Gesetzentwurf der SPD aus dem August 2010 enthält.

Meine Damen und Herren, im Gegensatz zu dem Gesetzentwurf der SPD-Fraktion sah der Koalitionsvorschlag allerdings nur einen massiv eingeschränkten Anspruch der Eltern auf freie Schulwahl für ihre Kinder vor, jedenfalls im Ursprungsentwurf. Im CDU/FDP-Entwurf war ein Passus enthalten, der es relativ einfach ermöglicht hätte, die Wahlentscheidung der Eltern zu unterlaufen. Nach diesem Vorschlag hätte ein Kind ohne größere Probleme gegen den Elternwillen an eine andere Schule überwiesen werden können. Diese Regelung hätten wir nie mitgetragen. Es darf kein Elternrecht erster und zweiter Klasse geben.

(Beifall bei der SPD)

Die Koalition wollte eine Abschulung des Kindes bereits von den schulischen Leistungen abhängig machen. Wir wollten das nicht.

Wir haben in den Verhandlungen erreicht, dass in der Neufassung der §§ 59 und 69 des Schulgesetzes die Hürden für eine Verweisung an andere Schule sehr hoch sind. Leider haben wir nicht erreichen können, dass es gar keine Abschulung

mehr gibt. Als Voraussetzungen gelten danach künftig nur noch die Kindeswohlgefährdung und die Gefährdung der Mitschülerinnen und Mitschüler. Wir halten diese Regelung für einen tragfähigen Kompromiss, zumal wir den Streit um den § 59 des Schulgesetzes nicht zum Anlass nehmen wollten, die Inklusion und die positiven Signale, die vom heutigen Tag ausgehen müssen, scheitern zu lassen.

(Beifall bei der SPD)

Wir finden es daher auch nicht richtig, die Diskussion eindimensional auf diesen einen Punkt, auf diese Paragrafen zu reduzieren. Im Fokus des Gesetzes steht ein Paradigmenwechsel hin zur inklusiven Schule. Mit der sehr häufig vorgetragenen Argumentation in Bezug auf die Möglichkeit der Verweisung an andere Schulen wird dem Gedanken der Inklusion und den positiven Ansätzen, die mit dem heutigen Gesetz durchaus verfolgt werden, grundsätzlich geschadet. Ich glaube, wir sollten gemeinsam daran arbeiten und gemeinsam dafür werben, die Inklusion tatsächlich umsetzungsfähig zu machen.

(Beifall bei der SPD - Astrid Vockert [CDU]: Und das Positive hervorhe- ben!)

Meine Damen und Herren, es ist falsch, wenn behauptet wird, dass der Elternwille ausgehebelt werde. Das ist unseres Erachtens pure Effekthascherei. Es ist sogar schädlich für den Inklusionsprozess. Stattdessen brauchen wir Begeisterung für die inklusive Schule.

Inklusion wird nicht an zwei Paragraphen scheitern. Eines ist jedoch klar: Sollten die §§ 59 und 69 des Schulgesetzes zukünftig dazu genutzt werden, mit konstruierten Begründungen gezielt Schülerinnen und Schüler mit Behinderung an andere Schulen zu überweisen, wird das Gesetz spätestens nach einem Regierungswechsel 2013 nachgebessert werden müssen.

(Beifall bei der SPD)

Dies werden wir allerdings im Sinne der Planungssicherheit für den Prozess der Inklusion nur in Absprache mit den schulischen Akteuren tun.

Nachsteuerungen im Rahmen der Revision werden auch im Bereich der kommunalen Schulträger notwendig. Wir haben sie mit Übergangsfristen für Schwerpunktschulen und in Bezug auf die Konnexität besondert berücksichtigt. Eines bleibt aber festzuhalten: Die UN-Konvention trifft alle Ebenen

gleichermaßen, also auch die kommunale Ebene. Der Gedanke, dass Inklusion dem sächlichen und räumlichen Ressourcenvorbehalt, das Menschenrecht also einem Finanzierungsvorbehalt unterliegt, ist allenfalls ein Gedanke aus dem Beginn der 90er-Jahre.

(Zustimmung bei der SPD)

Meine Damen und Herren, die konkreten Ergebnisse hat Herr Klare hier bereits vorgetragen. Ich will jetzt auch nicht weiter darauf eingehen.

Wir haben uns entschieden, dem Inklusionsprozess Zeit zu geben. Inklusive Bildungsangebote werden in allen Schulen in einem längerfristigen Prozess eingerichtet. Deswegen können die Schulträger sogenannte Schwerpunktschulen bestimmen, damit Schülerinnen und Schüler wenigstens eine inklusive allgemeine Schule in zumutbarer Entfernung erreichen können.

Das Gesetz enthält eine Revisionsklausel, damit seine Auswirkungen überprüft werden können. Diese Überprüfung soll bis 2018 erfolgen. Wir meinen, dass sie regelmäßig, am besten von Anfang an und unter Einbeziehung der relevanten Akteure, z. B. des Landesbehindertenbeauftragten oder auch der kommunalen Spitzenverbände als Vertreter der Schulträger, erfolgen muss. Dazu wollen wir einen Inklusionsbeirat einrichten, der im Kultusministerium den Prozess der Inklusion kontinuierlich begleiten soll. Das ist ein Signal insbesondere an die kommunalen Spitzenverbände. Wir würden uns freuen, wenn die Koalition diesen Weg mitgehen könnte.

(Beifall bei der SPD)

Mit diesem gemeinsamen Gesetzentwurf kommt die Inklusion in Niedersachsen einen Schritt voran. Aber die große Herausforderung der Umsetzung müssen wir alle noch meistern. Deshalb hat meine Fraktion bereits 2010 einen Entschließungsantrag eingebracht, den es ebenfalls zu beachten gilt. Wir bedauern sehr, dass die Koalition nicht bereit ist, die darin skizzierten Rahmenbedingungen mit abzubilden. Ab morgen werden darauf achten, dass diese Rahmenbedingungen von der Landesregierung und hier insbesondere von dem Kultusminister, aber auch von den Koalitionsfraktionen bei der Umsetzung des Gesetzentwurfs eingehalten werden. Für ein Gelingen kommt es auf die konkrete Ausgestaltung des Landes an. Wir wissen: Inklusion wird es nicht zum Nulltarif geben.

(Beifall bei der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, den einen geht es zu langsam, den anderen geht es zu schnell. Wir gehen den goldenen Mittelweg - mit dem Herzen, weil wir davon überzeugt sind, dass Kinder eine gemeinsame Schule besuchen können, und mit dem Verstand, weil wir wissen, dass es Zeit braucht und dass wir Schritte zur Umsetzung benötigen. Deswegen ist es absolut erforderlich, einen Aktionsplan und ein Konzept zur Deckung des Ressourcenbedarfs vorzulegen. Die Eckpunkte dafür haben wir in unserem Entschließungsantrag genannt. Dieser Antrag ist unsere Leitplanke auf dem Weg zur Inklusion.

Meine Damen und Herren, mit dem zwischen CDU, FDP sowie SPD ausgehandelten Ergebnis gibt es nun die Möglichkeit, dem Menschenrecht auf Inklusion in Niedersachsen die Tore zu öffnen. Aber bislang ist das Ganze nur eine Gesetzesänderung, die noch mit Leben erfüllt werden muss. Dafür gibt es viel zu tun. Wir wollten mit diesem Schritt aber nicht bis nach dem Regierungswechsel warten, sondern schon jetzt Handlungsfähigkeit und Verantwortungsbereitschaft zeigen. Das sind wir den Eltern und den Schülerinnen und Schülern schuldig.

(Beifall bei der SPD - Jens Nacke [CDU]: Das wäre ja auch eine sehr, sehr lange Zeit! - Gegenruf von Olaf Lies [SPD]: Ich finde auch, dass neun Monate eine lange Zeit sind! - Gegen- ruf von Jens Nacke [CDU]: Kommt drauf an, ob man auf die Regierungs- verantwortung wartet oder schwanger ist!)

Meine Damen und Herren, für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun Frau Korter das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seit 2009 haben wir Grünen in Niedersachsen uns für die Umsetzung der Inklusion in den Schulen stark gemacht.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Drei Jahre später steht das Thema heute nun auf der Tagesordnung. Meine Damen und Herren, der heutige Tag hätte ein Meilenstein sein können, weil das Recht von Menschen mit Behinderung auf volle Teilhabe endlich auch im Bereich der Schule verwirklicht worden wäre. Aber das Gesetz, das Sie heute verabschieden wollen, wird dem An

spruch der UN-Behindertenrechtskonvention nicht gerecht.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Was Sie heute beschließen wollen, ist lediglich Inklusion auf Probe, es ist ein Recht auf Inklusion, das den Kindern gegen den Willen der Erziehungsberechtigten wieder entzogen werden kann. Das finde ich wirklich schlimm; denn Rechtsträger sind die Kinder.

In der UN-Konvention heißt es: Die Unterzeichnerstaaten stellen sicher, dass Menschen mit Behinderung gleichberechtigt Zugang zu einem inklusiven, hochwertigen und unentgeltlichen Unterricht an Grundschulen und weiterführenden Schulen haben und - jetzt kommt es - dass innerhalb des allgemeinen Bildungssystems die notwendige Unterstützung geleistet wird, um ihre erfolgreiche Bildung zu erleichtern. - Das bedeutet: Nicht die Kinder müssen der Schule angepasst werden, sondern die Schule muss sich den Bedürfnissen der Kinder anpassen.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der LINKEN)

Eibe Riedel, Professor für öffentliches Recht und Völkerrecht, hat in einem Gutachten zur Umsetzung der UN-Konvention festgestellt: Die staatliche Befugnis, das Kind gegen dessen bzw. gegen den Willen seiner Sorgeberechtigten der Sonderschule zuzuweisen, ist abzuschaffen.

(Zuruf von der CDU: Das tun wir doch!)

Meine Damen und Herren, genau diese Befugnis wollen Sie mit Ihrem Gesetz jedoch zementieren. In der Anhörung zum Gesetzentwurf von CDU und FDP haben sich fast alle Verbände gegen die Möglichkeit der Zwangsüberweisung auf eine Förderschule ausgesprochen. In der Gesetzesberatung sind die §§ 59 und ehemals 61 - jetzt § 69 - etwas retuschiert worden. Überzeugen kann uns diese Retusche aber nicht; denn noch immer soll die Schulbehörde ein Kind auch gegen den Willen der Eltern auf eine Förderschule schicken können.

Dafür verstecken Sie sich hinter dem Begriff des Kindeswohls. Aber in diesem Zusammenhang ist „Kindeswohl“ ein völlig unbestimmter Rechtsbegriff, wie der GBD im Ausschuss bestätigt hat. Wenn es um Misshandlung, wenn es um Missbrauch geht, dann wissen wir, was mit „Kindeswohl“ gemeint ist. Aber bei der Frage, auf welche Schule ein Kind gehen soll, dürften die Meinungen,

was dem Kindeswohl entspricht, wohl erheblich auseinandergehen.

(Miriam Staudte [GRÜNE]: Kindes- wohlgefährdende Schule!)

Und wenn an einer Schule das Kindeswohl gefährdet ist, meine Damen und Herren, dann muss sich doch die Schule ändern und muss nicht das Kind die Schule verlassen! Was ist denn das für eine Einstellung?

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren von CDU und FDP und leider auch von der SPD, da waren wir extra mit dem Ausschuss in Südtirol, um uns anzugucken, wie professionelle Inklusion funktioniert, aber Sie trauen sich immer noch nicht. Sie wollen fast alle Förderschulen parallel erhalten, obwohl das enorme Ressourcen kostet und vor allem, obwohl das das Gelingen der inklusiven Schule gefährdet.

Um die Inklusion zu einem Erfolg zu führen, meine Damen und Herren, käme es gerade jetzt darauf an, einen ausgefeilten Plan zur Umsetzung zu entwickeln und die notwendigen Ressourcen dafür bereitzustellen. Wir haben Ihnen dafür bereits vor drei Jahren einen Vorschlag vorgelegt. Aber diesen Antrag werden Sie heute vermutlich gleich wieder vom Tisch wischen, ohne uns auch nur den Ansatz eines eigenen Konzeptes vorgelegt zu haben.

Deutlich ist für uns bis jetzt nur eines geworden: Sie wollen die Inklusion mit völlig unzureichenden Ressourcen auf den Weg bringen. Sie wollen auch künftig pro Schüler und Schülerin mit sonderpädagogischem Unterstützungsbedarf in den inklusiven Schulen viel weniger Förderstunden mit Sonderpädagogen bereitstellen als in den Förderschulen. Das ist wirklich skandalös.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der LINKEN - Zuruf von der CDU)

- Das habe ich der Antwort des Kultusministeriums auf meine Anfrage entnehmen können. Dort können Sie all diese Zahlen lesen.

Wenn man die inklusive Schule schlechter als die Förderschule ausstattet, dann ist das Trickserei mit der Inklusion. Das finde ich skandalös. So geht es nicht! Damit gefährden Sie nämlich das Gelingen.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, wir Grünen wollten immer die Inklusion. Wir waren die treibende Kraft in Niedersachsen. Deshalb haben wir Ihnen, als konstruktiven Weg, einen Änderungsantrag vorgelegt, damit Ihr Gesetzentwurf doch noch ein gutes Gesetz werden kann.