Protokoll der Sitzung vom 16.09.2008

(Beifall bei der SPD und bei der LIN- KEN)

Wer über den Haushaltsplanentwurf 2009 redet, muss noch eine Bemerkung zum Nachtragshaushalt 2008 machen;

(Klaus Rickert [FDP]: Den bringen wir im Oktober ein!)

denn er hat ja ein Ziel, meine Damen und Herren, nämlich den Haushalt 2009 ausgeglichen zu machen, indem eine Kreditermächtigung in Höhe von 275 Millionen Euro ins nächste Jahr übertragen wird. Es ist spannend, sich die Details, die finanzpolitischen Klimmzüge anzugucken, die unternommen werden, um dies darzustellen: Mit dem Hinweis auf die Steuerschätzung werden die Einnahmen erhöht. Der Liegenschaftsfonds wird erneut angegriffen. Auch die Kürzungen sind sehr interessant. Noch vor wenigen Monaten haben Sie uns hier erzählt, wie wichtig es sei, im Bereich Luft- und Raumfahrt in Forschung und Entwicklung zu investieren, und zwar in Höhe von 20 Millionen Euro. In dem Nachtrag werden von diesen 20 Millionen Euro 10 Millionen Euro wieder herausgenommen.

(Detlef Tanke [SPD]: Hört, hört!)

Es ist ein interessantes Signal, was Sie da geben.

In diesem Nachtrag werden die Mittel für die Wirtschaftsförderung reduziert. In diesem Nachtrag werden die Mittel für den Straßenbau reduziert, meine Damen und Herren - Investitionen, die doch so wichtig sind, wie Herr Möllring gerade gesagt

hat. Das Schönste an dem Nachtrag ist: Sie veranschlagen 250 neue Stellen zum Ausgleich des Arbeitszeitkontos - darauf ist eben hingewiesen worden - und schaffen es gleichzeitig, den Etat für Personalkosten im Kultusbereich um 20 Millionen Euro zu senken. Also: 250 Stellen drauf, 20 Millionen Euro runter! Die Begründung dazu ist, überraschenderweise sei die Altersstruktur der Lehrenden in den niedersächsischen Schulen anders als bisher prognostiziert, meine Damen und Herren.

(Johanne Modder [SPD]: Ganz plötz- lich!)

An dieser Stelle staunt sogar der Landesrechnungshof, der das wohl überprüfen will. Vor einem halben Jahr hat man noch nicht wissen können, wie die Altersstruktur der Lehrenden in den niedersächsischen Schulen ist? Wem wollen Sie das denn erzählen, meine Damen und Herren?

Wir stellen jedenfalls fest: Schon im Nachtrag 2008 gehen Sie in die Bereiche hinein, die von Ihnen als Schwerpunkte ausgewiesen sind, meine Damen und Herren. Was Ihnen wichtig ist, muss bluten. Das ist die erste Lehre aus dem Nachtragshaushalt.

(Beifall bei der SPD)

Kommen wir zum Haushaltsplanentwurf 2009. Herr Möllring hat eben deutlich gemacht: erneute Reduktion, nur noch 250 Millionen Euro Neuverschuldung. Herr Möllring, im Finanzrecht gibt es den Anspruch auf Klarheit und Wahrheit. Wenn Sie den befolgen würden, dann müssten Sie heute erläutern, dass die tatsächliche Neuverschuldung oder - wie die Fachleute es nennen - das strukturelle Defizit im Jahre 2009 nicht bei 250 Millionen, sondern bei 1,1 Milliarden Euro liegt. Also: 250 Millionen Euro Neuverschuldung, alte Kreditermächtigungen in Höhe von 425 Millionen Euro werden von Ihnen in Anspruch genommen, Verkauf Stammkapital NORD/LB 280 Millionen plus Zugriff auf den Landesliegenschaftsfonds. Es gibt ein strukturelles Defizit von 1,1 Milliarden Euro, und das wird von Ihnen hier als finanzpolitischer Fortschritt verkauft. Meine Damen und Herren, das ist der Bruch einer Zusage, die Sie öffentlich gemacht haben. Das sollten Sie hier einmal einräumen.

(Beifall bei der SPD und bei der LIN- KEN)

Aber das Folgejahr 2010 wird nicht einfacher für Sie; die vorbereitenden Arbeiten werden mit Sicherheit schon begonnen haben. Es besteht der Anspruch, dass die Nettoneuverschuldung dann

bei null liegt. Ihr Dilemma, Herr Wulff, ist: Die Einnahmen können Sie nicht garantieren. Das haben wir als Land nicht im Kreuz. Da sind die Risiken nicht ohne.

(Zuruf von der SPD: Ein Batzen!)

Mit Kürzungen werden Sie sich angesichts des Bundestageswahlkampfs 2009 schwertun, wenn wir zu den Haushaltsberatungen kommen. Aber wie wir Sie kennen, wollen Sie immer den Eindruck erwecken, Sie seien gestaltend tätig.

(David McAllister [CDU]: Das ist er auch!)

Was erwächst daraus? Was haben wir im nächsten Jahr von Ihnen zu erwarten, wenn wir über den Haushalt 2010 reden werden? - Die Szenarien kann man heute schon ungefähr abbilden. Das erste Szenario ist eine massive Fortsetzung der Vermögensaktivierung - oder auf Deutsch: Das Tafelsilber wird verkauft. Das kann man bekanntermaßen nur einmal machen.

Sie haben im Jahre 2006 433 Millionen Euro an Veräußerungsgewinnen eingestrichen. Im Jahre 2007 waren es 872 Millionen Euro. In diesem Jahr sind es 185 Millionen. Im nächsten Jahr werden es mehr 280 Millionen Euro sein. Es ist zu erwarten, dass diese Zahl wieder drastisch nach oben geht. Mit dieser Variante, dass Sie Immobilien, im Zweifel Ministerien, verkaufen und sie dann zurückmieten, haben Sie sich an anderer Stelle schon hinreichend blamiert. Meine Herren auf der Regierungsbank, Sie müssen sich mit Herrn Althusmann verständigen. Er ist dafür. Herr Möllring hält es für finanzpolitisch verfehlt. Herr Wulff ist dafür. Ich weiß nicht, ob das dann mit Mehrheit geht. Aber ich glaube, Herr Möllring hat ausnahmsweise einmal recht, und da sollten wir ihm auch zu seinem Recht verhelfen.

(Beifall bei der SPD und bei der LIN- KEN)

Was uns Herr Möllring in seiner Leistungsbilanz eben vorenthalten hat, was aber bis zum letzten Jahr eigentlich der zentrale Eckpfeiler seiner Konsolidierungspolitik war, ist die Tilgung von Landesschulden.

(Zurufe von der SPD: Wo ist der Bei- fall?)

Bis vor wenigen Wochen ist uns erzählt worden, dass diese Landesregierung ab 2010 jedes Jahr 100 Millionen Euro und mehr tilgen wird.

(Zurufe von der SPD: Hört, hört!)

Damit ist die Landesregierung immer in die Ausschüsse und in die Öffentlichkeit gegangen. Das ist dieser blaue Balken: 2010 100 Millionen Euro, 2011 105 Millionen Euro, und so geht das weiter. Das wäre eine solide Finanzpolitik: Schulden auch tilgen. Das ist im privaten Bereich so üblich.

(Zurufe von der CDU: Gar nicht erst ausgeben!)

Diese Geschichte ist zu den Akten gelegt worden, meine Damen und Herren.

(Zurufe von der CDU: 13 Jahre!)

- 13 Jahre; das ist schon klar. - Das ist also zu den Akten gelegt worden, und es ist von dieser Landesregierung ein neues Prinzip in der nachhaltigen Finanzpolitik entwickelt worden, und das nennt man Deflat - - - Deflationierungspolitik, meine Damen und Herren.

(Zurufe)

- Sehen Sie: Das Wort ist mir so fremd, dass es mir gar nicht herausrutscht.

(Beifall bei der SPD)

Aber ich kann Ihnen sagen, was das auf Deutsch heißt. Auf Deutsch heißt das: Wir tilgen nicht, sondern wir setzen auf den Geldverfall. Es ist eine ungeheuerliche und zynische Praxis, die Sie da vorhaben.

(Beifall bei der SPD)

Sie sind die Gefangenen Ihrer eigenen Theorie und Ihres eigenen Anspruchs, die Nettoneuverschuldung auf jeden Fall im Jahre 2010 auf null zurückzuführen. Dahinter rennen Sie jetzt her, meine Damen und Herren.

(Reinhold Coenen [CDU]: Wir rennen nicht hinterher! Wir sind spitze!)

- Ja, Sie sind spitze. Sie rennen gerade ins offene Messer; das will ich Ihnen einmal sagen. Das ist die Situation. Das passiert manchmal, wenn man spitze ist.

(Beifall bei der SPD und bei der LIN- KEN)

Ich sage Ihnen: Wir können über die Reduktion von Schulden reden. Das ist auch dringend notwendig, weil es nicht möglich ist, den Weg intensivster Verschuldung fortzusetzen.

(Heinz Rolfes [CDU]: Das habt ihr aber früh gemerkt! Das habt ihr wirk- lich früh gemerkt! - Weiterer Zuruf von der CDU)

- So ein Unfug. - Das SPD-Konzept auf Bundesebene sieht vor, 0,75 % des Bruttoinlandsprodukts als Höchstgrenze festzuschreiben. Das ist eine interessante Höchstgrenze; weil sie uns ermöglicht, die Verschuldung drastisch zurückzuführen, uns aber politisch nicht handlungsunfähig macht. Ich bin ziemlich sicher: Was den Verzicht auf eine Verfassungsänderung angeht, so werden Sie öffentlich jammern, heimlich würden Sie uns jedoch gerne Dankschreiben schicken, weil Sie selber wissen, wie Sie das kujonieren würden, und Sie selber im Zweifel kein Interesse daran haben.

(Beifall bei der SPD)

Peter Bofinger, einer der Mitglieder des Sachverständigenrats, hat es sehr drastisch formuliert, als er gesagt hat: Uns in Deutschland ist es lieber, dass die Gesellschaft verblödet, wenn dafür nur die Schulden abgetragen werden können. - Herr Wulff, Herr Lenzen war doch bei Ihnen auf der Zukunftsklausur und hat Ihnen mit Sicherheit erzählt, dass sich Bildungsinvestitionen wirtschaftlich auszahlen. Wenn Sie redlich wären, dann müssten Sie neben Ihre Schuldenuhr, die Sie in Ihrem Fraktionssaal wahrscheinlich immer noch haben, eine Vermögensuhr stellen. Es wäre doch erst spannend, wenn deutlich würde, wie das Verhältnis von Verschuldung und Wertschätzung in Deutschland aussieht. Wenn die Vermögensuhr schneller läuft als die Schuldenuhr, dann ist das nicht so sonderlich problematisch, es sei denn, man hat sich geistig verrannt, wie ich das bei Ihnen unterstelle. Ansonsten wäre dies das normale Prinzip von Wirtschaft.

(Beifall bei der SPD und bei der LIN- KEN)

Und weil Sie sich verrannt haben, werden Sie zu Anscheinserweckern; denn Sie wollen den Eindruck erwecken, Sie bewegten etwas in der Finanzpolitik und auch in der jeweiligen Fachpolitik. Die Regierungserklärung im März war schon verdammt anspruchslos: grau in grau. Das war nicht nur unser Eindruck, sondern das war auch die Wahrnehmung in den Medien.

(David McAllister [CDU]: Was?)

Man hätte ja vermuten können, mit dem Haushaltsentwurf oder den Ergebnissen der Zukunftsklausur würde etwas angehübscht, würde draufge

packt, nachträglich draufgesattelt. Diese Zukunftsklausur - ich zitiere - verströmt nicht den Geist von Aufbruch - alles zu vage. Es ist bei Ihnen nichts mehr drin, meine Damen und Herren. Das ist die Situation.

(Beifall bei der SPD und bei der LIN- KEN)