des Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr auf die Frage 2 der Abg. Gabriela König und Christian Grascha (FDP)
Auswirkungen der Infrastrukturpolitik der neuen Landesregierung in Schleswig-Holstein auf Niedersachsen
Die Koalitionsvereinbarung von SPD, Grünen und SSW in Schleswig-Holstein sieht umfangreiche Vereinbarungen für den Bereich Infrastrukturpolitik vor. Durch den länderübergreifenden Netzcharakter der meisten Infrastrukturen sind Auswirkungen auf Niedersachsen wahrscheinlich. Moderne und leistungsfähige Infrastrukturen sind die Voraussetzung für Wachstum, Beschäftigung und Innovation. Für ganz Norddeutschland stehen erhebliche Nachteile im Standortwettbewerb um die Ansiedlung von Unternehmen und Forschungseinrichtungen zu befürchten mit nachhaltiger Beeinträchtigung der Wertschöpfung.
1. Wie bewertet die Landesregierung den Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und SSW hinsichtlich zentraler Autobahnbauprojekte, die auch für Niedersachsen relevant sind, insbesondere der A 20?
2. Wie bewertet die Landesregierung die klare Aussage im Koalitionsvertrag, sich nicht an die Vereinbarungen zum Feldversuch mit Gigalinern halten zu wollen?
3. Wie bewertet die Landesregierung die Absicht der Kieler Koalitionäre, sich für ein generelles Tempolimit von 130 km/h auf Autobahnen einsetzen zu wollen, aus verkehrspolitischer Sicht?
Schleswig-Holstein hat eine neue Landesregierung. SPD, Grüne und SSW haben in ihrem Koalitionsvertrag, bezogen auf den verkehrlichen Bereich, Vereinbarungen getroffen, die uns in Niedersachsen nicht egal sind, nicht egal sein dürfen! Damit meine ich vor allem die Verabredung zur Küstenautobahn A 20, den im aktuellen IRP (In- vestitionsrahmenplan) des Bundes vorgesehenen Abschnitt westlich der A 23 in dieser Legislaturperiode nicht zu realisieren. Die laufenden Planfeststellungsverfahren will man nutzen, um eine Neubewertung der prognostizierten Verkehrsströme sowie der ökologischen und finanziellen Folgewir
kungen vorzunehmen. Nicht verborgen bleibt, dass über die Perspektive 2017 hinaus eine grundsätzlich unterschiedliche Bewertung zwischen den Koalitionspartnern besteht.
Aber auch bei den Themen Lang-Lkw und generelles Tempolimit werden in dem neuen Koalitionsvertrag aus Schleswig-Holstein Ansätze verfolgt, die uns nicht egal sind.
Die Erweiterung und die Erhaltung der Verkehrsnetze zur Verbesserung der Mobilität in Niedersachsen ist eine wesentliche Säule unserer Verkehrspolitik.
Eine bedarfsgerechte Anbindung aller Wirtschaftsräume durch Bundesfernstraßen, der Ausbau von Schiene und Wasserstraße ist für die Entwicklung von Flächenländern wie Niedersachsen und auch Schleswig-Holstein von höchster wirtschafts- und strukturpolitischer Bedeutung. Um dies zu unterstreichen, haben der Bund und die Länder Schleswig-Holstein und Niedersachsen am 27. Februar 2012 eine gemeinsame Erklärung zu Planung und Bau der A 20 abgeschlossen. Der Neubau der rund 114 km langen Küstenautobahn von Westerstede nach Drochtersen mit der sich anschießenden festen Elbquerung gehört deshalb mit zu den wichtigsten Infrastrukturvorhaben in Niedersachsen an dem wir festhalten wollen.
Die Realisierung der Küstenautobahn hat nicht nur für Niedersachsen, sondern für alle norddeutschen Küstenländer größte wirtschaftliche und verkehrliche Bedeutung. Warum Rot-Grün diese wesentliche wirtschaftliche und verkehrliche Bedeutung nicht sieht, erschließt sich mir nicht.
Das transeuropäische Netz ist im Hinblick auf die dynamische Entwicklung des Güterverkehrs 2025 und wegen der heute bereits im Zuge der A 1 vorhandenen Engpässe im Raum Osnabrück, Bremen und Hamburg durch eine leistungsfähige OstWest-Achse dringend zu ergänzen. Im Zusammenhang mit der A 20 entlang der Ostseeküste in Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein sowie dem bereits vorhandenen Autobahnnetz im Norden der Bundesrepublik soll mit der geplanten Elbquerung bei Drochtersen eine durchgängige Fernstraßenverbindung vom Baltikum zu den westeuropäischen Staaten entstehen.
Mit dieser neuen Ost-West-Verbindung wird der Ballungsraum Hamburg gezielt umgangen. Die bereits vorhandenen festen Ostseequerungen zwischen Dänemark und Schweden können effektiv genutzt werden. Die Küstenautobahn schafft
eine Verbindung zwischen den weit auseinander liegenden Standorten der Seehäfen und bringt eine leistungsfähige Hinterlandabbindung. Im regionalen Bereich verbessert der Bau der A 20 die Standortqualitäten in bisher benachteiligten Regionen.
Entsprechend ihrer Bedeutung ist die feste Elbquerung im Zuge der A 20 im Bedarfsplan für die Bundesfernstraßen dem „Vordringlichen Bedarf“ zugeordnet. Der Abschnitt der Küstenautobahn von Westerstede nach Drochtersen ist im „Weiteren Bedarf mit Planungsrecht und mit besonderem naturschutzrechtlichen Planungsauftrag“ ausgewiesen.
Das Land hat die Planungen der A 20 konsequent vorangebracht. Gegenwärtig erfolgt die detaillierte Entwurfsaufstellung in insgesamt sieben Planungsabschnitten. Der Vorentwurf für den Abschnitt bei Bremervörde wurde durch das Bundesverkehrsministerium vor wenigen Tagen mit dem „Gesehen-Vermerk“ genehmigt. Damit haben wir einen weiteren wichtigen Meilenstein für den Bau der Küstenautobahn erreicht! Nunmehr kann die Planung in das Planfeststellungsverfahren gehen.
Die Stärke von Wirtschaftsregionen wird maßgeblich von ihrer Lage zu den großen Verkehrsadern beeinflusst. Deshalb ist die Anbindung aller Wirtschaftsräume durch verkehrsgerechte Bundesfernstraßen - insbesondere der Bundesautobahnen - im gesamten norddeutschen Raum dringend geboten und erforderlich. Hierfür setzen wir uns in Niedersachsen ein.
Der Bund hat in einem ersten Schritt den Abschnitt der A 20 bei Bremervörde als prioritäres Vorhaben mit einem Investitionsvolumen von rund 130 Millionen Euro in den Investitionsrahmenplan eingestellt. Zudem sind alle weiteren Abschnitte der A 20 in Schleswig-Holstein und in Niedersachsen ebenfalls im IRP genannt.
Für die Verkehrspolitik sind die Verkehrsprognosen bis zum Jahr 2025 eine gewaltige Herausforderung. Die Gutachter gehen davon aus, dass bis zum Jahr 2025 der Personenverkehr um 16 % und der Güterverkehr um 79 % zunehmen werden. Die Experten sind sich einig, dass dabei der größte Anteil des Güterverkehrsanstiegs auf der Straße stattfinden wird.
Deshalb brauchen wir die zügige Realisierung der A 20 für die norddeutschen Küstenländer. RotGrün in Schleswig-Holstein sperrt sich nun. Offensichtlich ist die verkehrs- und wirtschaftspolitische
Bedeutung nicht bekannt oder wird aus ideologischen Gründen bewusst ignoriert. Für den Bund ist es eines der wenigen im Bedarfsplan ausgewiesenen Autobahnneubauprojekte, und Schwarz-Gelb in Niedersachsen setzt sich für die Realisierung ein.
Zu 1: Für Niedersachsen ergeben sich für die Planung der Küstenautobahn einschließlich der festen Elbquerung bei Drochtersen als zentrales länderübergreifendes Autobahnprojekt durch den Koalitionsvertrag in Schleswig-Holstein keine veränderten Rahmenbedingungen.
Mit seiner Entschließung vom 15. Januar 2009 hat sich der Niedersächsische Landtag deutlich für das Ziel ausgesprochen, zusätzlich zu der dringend notwendigen Ergänzung des deutschen Autobahnnetzes durch die A 39 von Lüneburg nach Wolfsburg auch die Küstenautobahn mit der dazugehörigen Elbquerung bescheunigt zu planen und zu bauen. Entsprechend der Bedeutung der Küstenautobahn für den gesamten norddeutschen Raum wird sich Niedersachen bei der Fortschreibung des Bedarfsplanes für die Bundesfernstraßen für eine Höherstufung in den „Vordringlichen Bedarf“ einsetzen. Die Planung der Küstenautobahn werden wir wie bisher konsequent vorantreiben.
In diesem Sinne werden wir auch die Gespräche der Wirtschafts- und Verkehrsminister/-senatoren der norddeutschen Küstenländer, in denen die besondere Bedeutung der A 20 thematisiert wurde, fortführen.
Zu 2: Niedersachsen hatte sich bereits 2006 in einem eigenen Pilotversuch ein Bild von Nutzen und Risiken beim Einsatz der Lang-Lkw gemacht. Der Versuch wurde in Zusammenarbeit mit der Uni Hannover ausgewertet. Im Ergebnis überwiegen die Vorteile der Lang-Lkw deutlich. Da für den Transport des gleichen Ladungsvolumens statt drei normaler Lkw nur noch zwei Lang-Lkw benötigt werden, reduzieren sich Spritverbrauch und CO2Ausstoß um ca. 30 %. Gleichzeitig verringert sich der Platzbedarf auf der Straße, was zu einer Entlastung gerade stark befahrener Autobahnen führt.
Die in Niedersachsen gewonnenen Erkenntnisse beruhen auf einer wissenschaftlichen Auswertung eines Pilotversuchs mit nur drei Fahrzeugkombinationen über einen vergleichsweise kurzen Zeitraum. Diese Erkenntnisse waren ausreichend für eine positive Anfangsbewertung des neuen Fahr
zeugkonzepts, für eine statistisch abgesicherte Aussage war die Anzahl der beteiligten Fahrzeuge jedoch viel zu gering. Am neuen Feldversuch der Bundesregierung werden wesentlich mehr Fahrzeuge teilnehmen, und das befahrbare Streckennetz wird erheblich ausgedehnt. Die wissenschaftliche Begleitung und Auswertung durch die Bundesanstalt für Straßenwesen unter Beteiligung verschiedener wissenschaftlicher Institute kann sich deshalb auf eine wesentlich umfangreichere Datenbasis abstützen und statistisch abgesicherte Aussagen treffen.
Eine wesentliche Fragestellung für den bundesweiten Feldversuch bleibt die immer wieder von den Gegnern angeführte mögliche Verlagerung von der Schiene auf die Straße. Ich frage mich: Warum aber kämpft man jetzt unter Rot-Grün in Schleswig-Holstein so vehement gegen diesen Versuch?
Befürchtet man vielleicht, dass alle heraufbeschworenen Gefahren und Risiken sich am Ende gar nicht bestätigen, dass bei vernünftiger Streckenauswahl weder Infrastruktur noch andere Verkehrsteilnehmer besonders gefährdet sind, dass kaum Verkehr von der Schiene auf die Straße verlagert wird, weil Start- und Zielort keinen Bahnanschluss haben oder die Kapazitäten auf der Schiene bereits ausgelastet sind?
Die Niedersächsische Landesregierung bleibt dabei! Wir werden diesen Versuch durchführen und wissenschaftlich begleiten. Nur dann verfügen wir über gesicherte Erkenntnisse für eine richtungweisende verkehrspolitische Entscheidung und müssen uns nicht auf Behauptungen und Vermutungen stützen. Nur mit einer sinnvollen Kombination aller Verkehrsträger können die prognostizierten Steigerungen des Güterverkehrs auch realistisch bewältigt werden.
Aus meiner Sicht ist es deshalb unverständlich, dass sich die neue rot-grüne Landesregierung in Schleswig-Holstein ausgerechnet zum jetzigen Zeitpunkt aus dem bundesweiten Feldversuch zurückziehen will; denn nur in einem größeren Feldversuch lassen sich die Chancen und Risiken des neuen Fahrzeugkonzepts auf einer wissenschaftlich fundierten Basis bewerten. Die Frage des Vertrauensschutzes der Wirtschaft, die sich auf die Rahmenbedingungen verlassen und bereits Investitionen getätigt hat, müssten sich SPD, Grüne und SSW dann auch einmal stellen lassen.
Zu 3: Zu einem wichtigen verkehrspolitischen Anliegen der Landesregierung gehört gerade in einem Flächenland wie Niedersachsen eine gut
funktionierende Infrastruktur. Das bei uns ansässige europaweit größte Produktionszentrum für die Automobilwirtschaft möchte ich dabei nur ergänzend erwähnen. Da die Erschließung unseres ländlichen Raumes ganz überwiegend über das Straßennetz erfolgt, ist die Erhaltung der Mobilität für die Menschen und die Wirtschaft von herausragender Bedeutung. Dabei darf selbstverständlich die Gewährleistung der Sicherheit aller Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer auf den niedersächsischen Straßen nicht vernachlässigt werden.
Eines ist klar: Wir setzen dabei auf mehr Mobilität und nicht auf weniger. Daher sehe ich keinen Bedarf für ein generelles Tempolimit. Mit dieser Überzeugung befinde ich mich übrigens im Einklang mit dem Bundesverkehrsminister. Minister Ramsauer hatte vor einiger Zeit bekräftigt, dass er hier keinen Bedarf sehe und die Sicherheitslage auf unseren Autobahnen auch ohne ein generelles Tempolimit als gut zu bezeichnen sei.
Für meine Haltung spricht auch die geltende Rechtslage. Generelle Verkehrsbeschränkungen sind nach der Straßenverkehrsordnung (StVO) unzulässig. Jedes Tempolimit ist als Einzelfall zu begründen und kann nur angeordnet werden, wenn die sachlichen Gründe des § 45 StVO vorliegen. Verkehrsbeschränkungen sind nur dort anzuordnen, wo dies aufgrund der besonderen Umstände zwingend geboten ist.
Für Ausnahmen nach Landesrecht ist hier kein Spielraum. Nach Artikel 74 Abs. 1 Nr. 22 des Grundgesetzes fällt der Bereich Straßenverkehr unter die konkurrierende Gesetzgebung des Bundes. Da der Bund durch das Straßenverkehrsgesetz und die Straßenverkehrsordnung die Frage der in Deutschland zulässigen Höchstgeschwindigkeiten bundeseinheitlich geregelt hat, entfaltet dies eine Sperrwirkung für abweichendes Landesrecht. Ich möchte daher noch einmal betonen: Die derzeitige Rechtslage widerspricht dem Ansinnen von Rot-Grün aus Schleswig-Holstein eindeutig.
Unabhängig von der rechtlichen Zulässigkeit sind meiner Meinung nach auch an der Sinnhaftigtkeit einer solchen generellen Geschwindigkeitsbeschränkung erhebliche Zweifel angebracht. Um gerade die Verkehrslage auf der Autobahn 2 zu optimieren, hatten wir in Niedersachsen im Jahr 2010 ein umfängliches Konzept zur Erhöhung der Verkehrssicherheit und Leistungsfähigkeit auf der A 2 vorgestellt. Dieses Konzept wurde im Rahmen einer umfassenden Forschungsarbeit erarbeitet.
Hierbei waren das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt, die Technische Universität Braunschweig, die Technische Universität Dresden sowie die Medizinische Hochschule Hannover beteiligt, d. h. sehr viele renommierte Wissenschaftler haben sich mit den Fragen befasst, wie wir hier zu Lösungen kommen können. Es wurde ein neuer interdisziplinärer Ansatz gewählt, der straßenbauliche, entwurfstechnische, betriebliche und verkehrspsychologische Aspekte umfasst.
Aber auch in diesem Konzept wurde keine generelle Geschwindigkeitsbegrenzung wie nun von Rot-Grün gefordert als zielführende Maßnahme vorgeschlagen. Vielmehr wurde aus verkehrspsychologischer Sicht die Akzeptanz der Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer sehr in den Vordergrund gerückt. Das soll in Kurzform heißen: Wenn wir eine Regel akzeptieren, dann steigt die Wahrscheinlichkeit, dass wir sie auch einhalten. Diese Feststellung können wohl alle von uns unterschreiben.
Aus ebendiesem Grund haben wir beim Bund darauf gedrungen, dass die gesamte Autobahn 2 in Niedersachsen durchgängig mit einer Verkehrsbeeinflussungsanlage ausgerüstet wird. So kann der Verkehr in Abhängigkeit von der jeweiligen Situation überwiegend automatisch gesteuert werden. Damit wird der Verkehrsablauf harmonisiert. Nach aktuellen Erkenntnissen führt eine solche situationsabhängige Verkehrslenkung zu einer vergleichsweise hohen Akzeptanz und damit Beachtung bei den Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmern.
Im Ergebnis kann ich also der Initiative aus dem nördlichen Bundesland nur eine Absage erteilen. Schleswig-Holstein hat sich unter der Regierung Rot-Grün auf einen Irrweg begeben und sollte schleunigst umkehren, um Schaden von sich und auch Schaden für Niedersachsen abzuwenden.